TE Vwgh Erkenntnis 1992/12/16 92/01/0708

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Veröffentlicht am 16.12.1992
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AVG §13a;
AVG §37;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. März 1992, Zl. 4.300.607/2-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. März 1992 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer - ein Staatsangehöriger von Bangladesh, der am 17. August 1990 in das Bundesgebiet eingereist ist - nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat anläßlich seiner Erstbefragung im Asylverfahren am 27. August 1990 angegeben, seit 1982 der Awami League angehört zu haben, welche die Gründung einer moslemischen Universität in Tongi gefordert habe, was jedoch von der (damaligen) Regierungspartei, der Jatiya Party, abgelehnt worden sei. Aus diesem Grunde habe am 15. Juli 1990 eine Demonstration in K, dem Heimatort des Beschwerdeführers, stattgefunden, an der auch er teilgenommen habe. Dabei hätten Mitglieder der Regierungspartei begonnen, auf die Anhänger der anderen Partei (der der Beschwerdeführer angehöre) einzuschlagen, und sie beschuldigt, die tätliche Auseinandersetzung begonnen zu haben. Die Polizei habe die Anhänger dieser Partei mit Holzstöcken verprügelt, worauf sie weggelaufen seien. Der Beschwerdeführer habe sich in D versteckt, weil er, wie er von seinen Eltern erfahren habe, von der Polizei gesucht worden sei. Am 20. Juli 1990 habe er mit Hilfe eines Schleppers sein Heimatland verlassen. Diese Angaben hat der Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 28. März 1991 und in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 16. August 1991 wiederholt.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer diesbezüglich zunächst entgegengehalten, daß er bei seiner Vernehmung am 27. August 1990 unter Punkt 7. der Niederschrift ausdrücklich erklärt habe, in seinem Heimatland nicht gesucht zu werden, dies im Widerspruch zu seiner Behauptung, nach der Demonstration vom 15. Juli 1990 von der Polizei gesucht worden zu sein, stehe und er im gesamten Verfahren nicht einmal den Versuch unternommen habe, diesen Widerspruch aufzuklären. Dieser Auffassung vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu folgen, bezog sich doch - im Sinne des Beschwerdevorbringens - der Punkt 7. der Niederschrift nach seiner Textierung für den Beschwerdeführer erkennbar nur auf eine allfällige strafrechtliche Verfolgung, die nach den Angaben des Beschwerdeführers über die Fluchtgründe nicht vorlag.

Im übrigen hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid zum einen lediglich damit begründet, daß es nach dem Militärputsch durch General Ershad im Jahre 1982 immer wieder zu Zusammenstößen und Auseinandersetzungen zwischen den Oppositionsparteien, nämlich der Awami League und der BNP (Bangladesh National Party), einerseits und der regierenden Jatiya Party andererseits gekommen sei. Dieses Regime habe jedoch dem Druck des Volkes nicht standhalten können, weshalb es am 6. Dezember 1990 zum Rücktritt des Führers der Regierungspartei und zum Sieg der Volksbewegung gekommen sei. Dies sei deshalb möglich gewesen, weil die Opposition zu einer vereinten Kraftanstrengung bereit gewesen sei und vor allem die Rivalitäten der beiden genannten, größten Oppositionsparteien hätten verdrängt werden können. Nach dem Sturz Ershads habe der von den Oppositionsparteien designierte Staatspräsident Strahabuddin Ahmed die Regierungsgeschäfte bis zu den Parlamentswahlen übernommen. Am 27. Februar 1991 hätten in Bangladesh freie Parlamentswahlen stattgefunden. Die Awami League habe dabei bei einer Wahlbeteiligung von 60 % 84 der 299 Mandate erreicht und sei damit nach der BNP zur zweitstärksten Partei geworden. Verfolgung wegen Mitgliedschaft zur Awami League erscheine schon aus diesem Grund relativ unwahrscheinlich. Zum anderen führte die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer als Fluchtgrund ausschließlich die Teilnahme an einer Demonstration der Awami League anzuführen vermocht habe. Sonstige Verfolgung (d.h. Beeinträchtigungen durch die Behörden wegen seiner politischen Aktivitäten vom Zeitpunkt seines Beitritts zu dieser Partei bis zu seiner Ausreise) habe er nicht behauptet. Er habe auch nicht behauptet, während dieser Zeit völlig anders geartete politische Aktivitäten ausgeübt zu haben. Die Annahme, ein politischer Aktivist bleibe zunächst jahrelang unbehelligt, um dann "gleichsam aus heiterem Himmel" von schwerwiegenden Sanktionen bedroht zu sein, widerspreche der Lebenserfahrung.

Der Beschwerdeführer macht mit Recht sinngemäß geltend, daß aus der Abhaltung von Wahlen für sich allein kein zwingender Schluß auf den allgemeinen Wegfall von zuvor als "typisch" anzusehenden Verfolgungshandlungen gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen gezogen werden kann (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Mai 1992, Zl. 91/01/0216, und vom 25. November 1992, Zlen. 92/01/0585, 0586). Daß die Awami League offenbar wesentlich (im Zusammenwirken mit der BNP) zum Sturz des früheren Regimes beigetragen hat und sie bei den folgenden Wahlen (nach der BNP) zur zweitstärksten Partei im Heimatland des Beschwerdeführers geworden ist, läßt einen derartigen Schluß abschließend ebenfalls noch nicht eindeutig zu. Auch der Umstand, daß der Beschwerdeführer trotz seiner bereits langjährigen Mitgliedschaft zur Awami League bis zur Demonstration vom 15. Juli 1990 allenfalls - wogegen allerdings seine Angaben bei den von der belangten Behörde unberücksichtigt gelassenen Vernehmungen am 30. Oktober 1990 und am 7. Dezember 1990 sprechen - für diese Partei keine Aktivitäten gesetzt hat und er jedenfalls wegen seiner politischen Gesinnung den staatlichen Behörden bis dahin nicht aufgefallen ist, schloß keineswegs eine Verfolgung seiner Person lediglich aus Anlaß der Teilnahme an dieser Demonstration aus. Der Beschwerdeführer hat nach der Aktenlage bei den beiden ergänzenden niederschriftlichen Befragungen (am 30. Oktober und 7. Dezember 1990) auch einen konkreten Grund genannt, weswegen er nach der Demonstration von der Polizei gesucht worden sei. Danach habe er im Zuge der Demonstration mit einem Polizisten zu streiten begonnen, worauf er namentlich als Staatsfeind erklärt worden sei, der gegen die Regierung arbeite. Dies alles würde aber für die von seiten des Beschwerdeführers als Asylwerber erforderliche Glaubhaftmachung seiner Behauptung, sich aus wohlbegründeter Furcht, aus einem der im Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes zu befinden, nicht ausreichen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle im Asylverfahren dar und obliegt es diesem, alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 18. März 1992, Zl. 91/01/0212, und vom 14. Oktober 1992, Zl. 92/01/0345). Der Beschwerdeführer hatte daher konkret darzutun, worin die gegen ihn gerichteten, staatlichen Behörden seines Heimatlandes zuzurechnenden Verfolgungsmaßnahmen bestanden hätten und aus welchen Gründen er solche Maßnahmen auch nach Änderung der politischen Verhältnisse in seinem Heimatland weiterhin zu befürchten habe.

Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung - nach Wiederholung seiner Angaben bei der Erstbefragung und der Behauptung, in seinem Heimatland politisch verfolgt zu werden, obwohl er bei der Demonstration keine strafbaren Handlungen begangen habe - zusätzlich ausgeführt, daß es "auch zu einer Hausdurchsuchung" gekommen sei und (außer der Bestätigung seiner Parteizugehörigkeit) der "entsprechende Beleg", um dessen Übersetzung er ersuche, beigelegt werde. Der Berufung wurde unter anderem auch ein Schriftstück angeschlossen, das darauf zutreffen könnte, jedoch mit der Beilage übereinstimmt, die in Ablichtung mit der Beschwerde vorgelegt wurde und von der der Beschwerdeführer behauptet, daß es sich um einen gegen ihn gerichteten Haftbefehl handle. Damit im Einklang steht bereits die Behauptung des Beschwerdeführers in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 16. August 1991, wonach er der Berufung auch einen "Festnahmeschein der Polizei" beigelegt habe, ohne daß hiebei neuerlich von einer "Hausdurchsuchung" die Rede war. In diesem Zusammenhang brachte er weiters vor, daß seine augenblickliche Situation sehr problematisch sei und Anliegen seiner Partei, obwohl sein Heimatland demokratisch regiert werde, kaum berücksichtigt würden. Er habe vor einigen Tagen einen - von ihm beigelegten, in englischer Sprache verfaßten und mit 10. Juni 1991 datierten - Brief seines Anwaltes bekommen, in dem er ihm vorgeschlagen habe, nicht nach Bangladesh zurückzukehren, andernfalls er mit einer Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren "oder ähnlicher harter Bestrafung" rechnen müsse. In einer weiteren Eingabe an die belangte Behörde vom 12. Dezember 1991 wies der Beschwerdeführer darauf hin, daß er sich bei seinem Anwalt in Bangladesh erkundigt habe, inwieweit er noch mit politischer Verfolgung zu rechnen habe, und er die Antwort erhalten habe, daß die Behandlung seines Falles hinausgezögert werde, er in naher Zukunft nicht mit einer Erledigung rechnen könne und die Lage weiterhin ungewiß und für ihn ungünstig sei. Ebenso schätze seine Parteiführung die Lage seines Falles sehr ungünstig ein und empfehle ihm, nicht nach Bangladesh zurückzukehren. Angeschlossen waren hiebei zwei an den Beschwerdeführer adressierte, jeweils in englischer Sprache verfaßte Schreiben seines Anwalts vom 6. November 1991 und der Awami League vom 3. November 1991. In den vorgelegten Verwaltungsakten befindet sich überdies eine Fotokopie eines in englischer Sprache verfaßten Schreibens der Awami League an den Beschwerdeführer vom 12. August 1991 mit dem Aktenvermerk vom 18. Oktober 1991, daß in das Original eingesehen und dieses wieder ausgefolgt worden sei.

Der Beschwerdeführer hat demnach einen ursächlichen Zusammenhang zwischen seiner Teilnahme an der Demonstration vom 15. Juli 1990 bzw. seiner Mitgliedschaft zur Awami League einerseits und einen gegen ihn ausgestellten, weiterhin aufrechten Haftbefehl sowie eine ihm drohende schwere Bestrafung andererseits hergestellt. Er wirft der belangten Behörde mit Recht vor, sich damit nicht auseinandergesetzt zu haben und auf sein über die Angaben bei der Erstbefragung hinausgehendes Vorbringen nicht eingegangen zu sein. Hiebei wäre auch auf die von ihm vorgelegten, in der Begründung des angefochtenen Bescheides lediglich teilweise erwähnten Urkunden Bedacht zu nehmen gewesen, von denen sich sowohl diejenige, die der Beschwerdeführer als Haftbefehl bezeichnet, als auch das Anwaltschreiben vom 10. Juni 1991 ausdrücklich auf einen Vorfall vom 15. Juli 1990 beziehen und die übrigen, wenn auch nur konkludent, einen tatsächlichen Konnex damit erkennen lassen. Dieser Verfahrensmangel ist wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei seiner Vermeidung zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid gekommen wäre. Der Beschwerdeführer macht in der Beschwerde geltend, daß er in seinem Heimatland wegen Begehung strafbarer Handlungen gesucht werde, die er niemals begangen habe und die völlig frei erfunden seien; auch würden die im Haftbefehl und "im Schreiben meines Anwalts aufscheinenden Anklagepunkte" nur deshalb erhoben, um zu verdecken, daß er in Wahrheit nur wegen seiner Teilnahme an der Demonstration in K bestraft werden solle. Der diesbezüglich mit der Beschwerde erstmals vorgelegte und daher der belangten Behörde bei ihrer Beurteilung nicht zur Verfügung stehende Anwaltsbrief vom 10. Juni 1992 an den Beschwerdevertreter (samt Beilagen) kann zwar bei Erledigung dieses Beschwerdefalles keine Berücksichtigung finden. Doch handelt es sich bei dem zuletzt wiedergegebenen Beschwerdevorbringen selbst nicht um eine gemäß § 41 Abs. 1 VwGG unzulässige Neuerung, weil - abgesehen von dem schon im Verwaltungsverfahren vom Beschwerdeführer behaupteten Zusammenhang mit dem (nicht in Übersetzung ins Deutsche vorliegenden) Haftbefehl - zumindest aus dem Anwaltschreiben vom 10. Juni 1991 hervorgeht, daß die gegenwärtige Regierung gegen die Awami League sei und man bestrebt sei, andere Dinge gegen den Beschwerdeführer vorzubringen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers im Asylverfahren enthielt einen hinreichend deutlichen Hinweis auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in Betracht kommt, weshalb die belangte Behörde ihrer sich aus § 37 AVG ergebenden Verpflichtung, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben, dadurch, daß sie diesem Vorbringen in Verbindung mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden keine Beachtung geschenkt hat, nicht entsprochen hat (vgl. auch dazu unter anderem das bereits zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Mai 1992, Zl. 91/01/0216).

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992010708.X00

Im RIS seit

16.12.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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