TE Vwgh Erkenntnis 1992/12/17 92/06/0126

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Veröffentlicht am 17.12.1992
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
10/10 Grundrechte;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
B-VG Art133 Z1;
B-VG Art144 Abs1;
MRK Art5;
PersFrSchG 1862 §4;
PersFrSchG 1988 Art4;
StGG Art8;
VStG §53 Abs1;
VStG §54b Abs2;
VwGG §13 Abs1 Z2;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Unterer, über die Beschwerde des A in G, vertreten durch Dr. U, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 4. Februar 1992, Zl. UVS 20.2-4/91-10, betreffend Vorführung des Beschwerdeführers zum Antritt einer Ersatzfreiheitsstrafe in einer Bausache (weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 4. Februar 1992 wurde die Maßnahmenbeschwerde des Beschwerdeführers, betreffend die Vorführung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe im Zusammenhang mit zwei Baustrafen am 7. Juni 1991 um ca. 11.30 Uhr durch Beamte der Bundespolizeidirektion Graz, als unbegründet abgewiesen.

Mit Straferkenntnissen des Magistrates der Landeshauptstadt Graz, Baurechtsamt, war über den Beschwerdeführer zur Zl. A 17-St-1610/1988 eine Geldstrafe in der Höhe von S 10.000,-- (Ersatzarrest 10 Tage), zur Zl. A 17-St-802/1987, eine Geldstrafe in der Höhe von S 5.000,-- (Ersatzarrest 48 Stunden) wegen Übertretung der Steiermärkischen Bauordnung verhängt worden. Während die Berufung gegen das zuletzt genannte Straferkenntnis erfolglos blieb, wurde mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 12. Juni 1989 der Berufung gegen das erstgenannte Straferkenntnis insofern Folge gegeben, als die Geldstrafe auf S 5.000,-- (Ersatzarrest 6 Tage) herabgesetzt wurde. Da die Geldstrafen nicht gezahlt wurden und die Vollstreckungsersuchen wegen zahlreicher anhängiger Exekutionsverfahren ergebnislos blieben, wurde der Beschwerdeführer mit je einem Schreiben vom 7. August 1990 zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe aufgefordert. Über Ansuchen wurde mit Bescheiden vom 26. März 1991 eine Teilzahlungsbewilligung erteilt, wobei monatliche Teilbeträge von jeweils S 1.000,--, der erste Teilbetrag fällig am 1. Mai 1991, die weiteren jeweils fällig am 1. der folgenden Monate, festgesetzt wurden. Gleichzeitig wurde in den gleichlautenden Teilzahlungsbescheiden ausgeführt, daß dann, wenn eine Teilzahlung nicht eingehalten werde, angenommen werde, daß die Geldstrafe ganz oder zu dem nicht entrichteten Teil uneinbringlich sei. In diesem Fall werde die im Straferkenntnis vorgesehene Ersatzfreiheitsstrafe für die Uneinbringlichkeit der Geldstrafe oder der dem uneinbringlichen Teil der Geldstrafe entsprechenden Teil der Ersatzfreiheitsstrafe in Vollzug gesetzt werden. Mit Erledigung vom 22. Mai 1991 des Magistrates der Landeshauptstadt Graz-Baurechtsamt wurde die Vorführung zum Strafantritt angeordnet. Mit Schreiben vom 5. Juni 1991 an den Leiter des Baurechtsamtes wies der Beschwerdevertreter darauf hin, daß der Beschwerdeführer die erste Rate zwar verspätet, jedoch am 24. Mai 1991, die zweite am 4. Juni 1991 gezahlt habe. Insgesamt seien S 4.000.-- gezahlt worden. Die Vorführung des Beschwerdeführers zur Verhängung der Ersatzarreststrafe sei aufrechterhalten worden, obwohl es keine gesetzliche Vermutung gebe, daß bei verspäteten Bezahlungen einer Rate die Geldstrafe als uneinbringlich anzusehen sei. In den Vormittagsstunden des 7. Juni 1991 rief B im Wachzimmer Schmiedgasse der Bundespolizeidirektion Graz an und erklärte, daß der vorzuführende Beschwerdeführer sich in Graz, X-Platz 9, im vierten Stock befinde. Die dort sogleich eintreffenden Polizeibeamten wurden vom Beschwerdeführer, B und Mag. W erwartet. Auf die Frage des Polizeibeamten, ob der Beschwerdeführer der Zahlungsaufforderung nachgekommen sei, verneinte er dies, sodann wurde er aufgefordert, aufgrund des Vorführungsbefehls zum Strafantritt diesem Folge zu leisten. Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer nach. Im dritten Stock des Hauses, X-Platz 9 gab der Beschwerdeführer bekannt, daß er bereits den gesamten Geldbetrag, ohne Verwaltungskosten, bezahlt habe. Tatsächlich zeigte der anwesende Mag. W Kopien der Einzahlungsscheine (zwei davon mit Aufgabedatum vom selben Tag), eine Weiterführung der Vorführung unterblieb sodann.

Aufgrund der gegen die Vorführung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe erhobenen Maßnahmenbeschwerde ging die belangte Behörde (nach der Begründung ihres Bescheides) davon aus, daß sich aus der Aktenlage kein Ermittlungsergebnis dahingehend ergebe, das die Annahme der Uneinbringlichkeit der verhängten Geldstrafen rechtfertigen könnte. Der Umstand, daß bereits im Mai 1990 die Exekution eingeleitet und die darauffolgende Mitteilung, daß der Pfändungsauftrag erst an

16. Stelle gereiht werden konnte, reiche jedenfalls nicht aus, um die Annahme der Uneinbringlichkeit zu rechtfertigen. Vielmehr spreche allein der Umstand, daß die Teilzahlungsansuchen des Beschwerdeführers mit Bescheiden vom 26. März 1991 bewilligt wurden, dafür, daß die Behörde nicht von einer Uneinbringlichkeit ausgegangen sei. Es ergebe sich daraus, daß mangels nochmaliger Aufforderung zum Strafantritt gemäß § 53b bzw. 54b VStG und mangels begründeter Annahme der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe die am 22. Mai 1991 verfügte Vorführung zum Strafantritt nicht gesetzmäßig gewesen sei. Die "Verhaftung" des Beschwerdeführers durch den einschreitenden Polizeibeamten sei vorgelegen, sei doch der Wille des einschreitenden Polizeibeamten objektiv darauf gerichtet gewesen, die Freiheit des Beschwerdeführers zu beschränken. Die letztlich erfolgte "Verhaftung" des Beschwerdeführers sei jedoch allein auf das Verhalten des Beschwerdeführers zurückzuführen gewesen, da er den einschreitenden Polizeibeamten gegenüber angegeben habe, nicht zu wissen worum es gehe und über ausdrückliches Befragen, ob die noch ausständigen Geldbeträge bezahlt worden seien, diese Frage verneint habe. Hätte er entsprechende Angaben darüber gemacht, nämlich daß ihm kurz vorher von Mag. W mitgeteilt worden sei, daß die Zahlungen bereits erfolgt seien, hätten die einschreitenden Beamten keinen Grund gehabt, den Beschwerdeführer zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe aufzufordern und ihn im Sinne obiger Ausführungen zu "verhaften". Auch bei Annahme einer Verhaftung im dargelegten Sinn sei dies nicht rechtswidrig gewesen, da sie einerseits aufgrund eines rechtskräftigen Bescheides erfolgte und andererseits vom Beschwerdeführer auch jederzeit hätte abgewendet werden können, wenn er nur - entsprechend seiner Mitwirkungspflicht an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes - den einschreitenden Polizeibeamten alle ihm bekannten Umstände rechtzeitig mitgeteilt hätte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zufolge des ausgeführten Beschwerdepunktes erachtet sich der Beschwerdeführer durch die angefochtene Maßnahme in seinem verfassungsmäßig gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit sowie in seinem Recht auf richtige Anwendung des Verwaltungsstraf- und des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes verletzt.

Zunächst ist festzuhalten, daß dem Verwaltungsgerichtshof ungeachtet der ihm obliegenden Aufgabe der Kontrolle der gesamten öffentlichen Verwaltung auf ihre Gesetzmäßigkeit eine Zuständigkeit zu einer solchen Kontrolle in den Angelgenheiten mangelt, in denen gemäß Art. 133 Z. 1 B-VG ausschließlich dem Verfassungsgerichtshof (als Sonderverwaltungsgerichtshof) die nachprüfende Kontrolle obliegt. Im Beschwerdefall erhebt sich die Frage, ob die Behandlung der Beschwerde, in der vom Beschwerdeführer - wie dem oben angeführten Beschwerdepunkt zu entnehmen ist - die Verletzung des ihm gewährleisteten Recht auf richtige Anwendung des Verwaltungsstraf- und des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes, also die Verletzung eines einfach gesetzlich gewährleisteten Rechtes behauptet wird, nach Art. 133 Z. 1 B-VG unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Schtuz der persönlichen Freiheit von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 7. Dezember 1988, Slg. N.F. Nr. 12.821/A, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, er teile nicht die Ansicht des Verfassungsgerichtshofes, dieser allein sei zur Entscheidung über Beschwerden zuständig, in denen behauptet werde, in gesetzwidriger Weise festgenommen worden zu sein, und es bleibe für eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung sonstiger einfach gesetzlich eingeräumter Rechte kein Raum, vielmehr gehe er im Hinblick auf den damaligen Beschwerdepunkt, demzufolge vom Beschwerdeführer die Verletzung einer einfach gesetzlichen Norm behauptet wurde, von der Zulässigkeit der Beschwerde aus. Der Verwaltungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsansicht abzugehen. Da auch im vorliegenden Fall die Verletzung einfach gesetzlicher Normen behauptet wurde, ist der Verwaltungsgerichtshof für die Erledigung der Beschwerde zuständig.

Einen im Gesetz geregelten Fall des Eingriffes in das Recht auf persönliche Freiheit stellt § 54b VStG betreffend die Vollstreckung von Geldstrafen dar, nach dessen Abs. 2 die dem ausstehenden Betrag entsprechende Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen ist, soweit eine Geldstrafe uneinbringlich oder dies mit Grund anzunehmen ist.

Die belangte Behörde ist nach der Begründung ihres Bescheides zutreffend davon ausgegangen, daß aus der Aktenlage kein Ermittlungsergebnis dahingehend hervorgehe, das die Annahme der Uneinbringlichkeit der verhängten Geldstrafen rechtfertigen könnte. Zutreffend hat die belangte Behörde auch erkannt, daß der Umstand, daß bereits am 8. Mai 1990, somit vor Erlassen der Teilzahlungsbewilligungen die Exekution eingeleitet wurde und die darauf folgende Mitteilung, daß der Pfändungsauftrag erst an 16. Stelle gereiht werden könnte, nicht ausreiche, um die Annahme der Uneinbringlichkeit auch nach den Teilzahlungsbewilligungen zu stützen. Zutreffend hat die belangte Behörde geschlossen, daß schon mangels begründeter Annahme der Uneinbringlichkeit der Geldstrafen die am 22. Mai 1991 verfügte Vorführung zum Strafantritt nicht gesetzmäßig war.

Zu Recht ist auch die belangte Behörde aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens davon ausgegangen, daß eine unmittelbare Freiheitsbeschränkung durch die einschreitenden Polizeibeamten vorgelegen ist, auch wenn diese Freiheitsbeschränkung nicht formell als Verhaftung verfügt worden ist (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshof vom 14. Oktober 1961, Slg. 4.054).

Wenn allerdings die belangte Behörde vermeint, die letztlich erfolgte Verhafung sei allein auf das Verhalten des Beschwerdeführers selbst zurückzuführen gewesen, da er die Frage, ob die noch ausständigen Geldbeträge bereits bezahlt worden seien, dezitiert verneint habe, bei wahrheitsgemäßen Angaben des Beschwerdeführers die einschreitenden Beamten jedoch keinen Grund gehabt hätten, ihn zum Antritt der Ersatzarreststrafe aufzufordern, so vermag der Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsauffassung nicht zu teilen. Zwar kommt, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 20. März 1972, Zl. 1812/71, ausgesprochen hat, der Mitwirkungspflicht des Verpflichteten an der Feststellung des Sachverhaltes im Vollstreckungsverfahren besondere Bedeutung zu, doch vermag auch die mangelnde Mitwirkungspflicht des Verpflichteten die Rechtswidrigkeit der am 22. Mai 1991 verfügten Vorführung zum Strafantritt nicht zu sanieren. Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Angelegenheiten die zur Zuständigkeit des VfGH gehören (B-VG Art133 Z1) Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter RechteSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992060126.X00

Im RIS seit

17.12.1992

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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