Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AAV §1 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des A in L, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 29. Juli 1992, Zl. Ge-51.523/3-1992/Pan/Stü, betreffend Bestrafung wegen Übertretungen der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung-AAV, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.750,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 27. Mai 1991 war der Beschwerdeführer schuldig erkannt worden, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als gemäß § 9 VStG verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlicher der X-Gesellschaft m.b.H. & Co KG in L zu vertreten, daß am 14. November 1989 A) in der Betriebsstätte O neun namentlich genannten Arbeitnehmern und B) in der Betriebsstätte S 38 namentlich genannten Arbeitnehmern jeweils keine Kälteschutzkleidung zur Verfügung gestellt worden sei, obwohl die Hauerhütten (in denen die Genannten tätig gewesen seien) lediglich Schutz vor Wind und Regen bieten würden. Der Beschwerdeführer habe dadurch jeweils Übertretungen nach § 31 Abs. 2 lit. p des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972, (AschG) iVm § 71 Abs. 1 AAV begangen. Es wurden deshalb über ihn gemäß § 100 AAV iVm § 31 Abs. 2 ASchG unter Anwendung des § 22 Abs. 1 VStG Geldstrafen in der Höhe von jeweils S 500,--, insgesamt sohin S 23.500,-- (Ersatzfreiheitsstrafen in der Dauer von jeweils zwölf Stunden, insgesamt sohin 23,5 Tage) verhängt. Ferner wurde der vom Beschwerdeführer zu leistende Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens festgesetzt.
2. Aufgrund der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung erließ der Landeshauptmann von Oberösterreich (die belangte Behörde) unter dem Datum 29. Juli 1992 einen Bescheid, dessen Spruch wie folgt lautet:
"Die Berufung wird gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 und § 19 VStG 1950 sowie § 31 Abs. 2 lit. p Arbeitnehmerschutzgesetz als unbegründet abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Änderung bestätigt, daß der Beschuldigte als handelsrechtlicher Geschäftsführer der G Ges.m.b.H. in L, die wiederum persönlich haftende Gesellschafterin der Steinindustrie X-Ges.m.b.H. & Co.KG. in L ist, und damit als das gemäß § 9 Abs. 1 VStG 1950 zur Vertretung nach außen berufene Organ der Steinindustrie X-Ges.m.b.H. & Co.KG. in L zur Verantwortung gezogen wird. Weiters ist dem Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses hinzuzufügen, daß zum Tatzeitpunkt eine Außentemperatur um den Gefrierpunkt herrschte, sodaß für die Arbeitnehmer bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit ohne warme Bekleidung im erhöhten Maß die Gefahr von Hautschädigungen durch Kälteeinwirkung bestanden hat.
Der Berufungswerber hat gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG 1950 zu den Kosten des Berufungsverfahrens den Beitrag von S 2.350,-- zu leisten."
Begründend führte die belangte Behörde - soweit hier von Belang - nach teilweiser Wiedergabe des § 71 Abs. 2 und des § 12 Abs. 2 AAV folgendes aus: Der Gesetzgeber sehe bei geschlossenen Arbeitsräumen bei starker körperlicher Beanspruchung eine Raumtemperatur von mindestens
12 Grad Celsius vor. Daraus sei ersichtlich, daß bei Einhaltung dieser Raumtemperatur für die einzelnen Arbeitsplätze keine zusätzlichen Maßnahmen hinsichtlich der Kälteeinwirkung zu treffen seien. Werde nun an Arbeitsplätzen diese Temperatur nicht erreicht, weil es aus der Natur der Sache, wie zum Beispiel bei Arbeitsplätzen im Freien zu kühlen Jahreszeiten nicht möglich sei, so seien eben andere Maßnahmen vom Arbeitgeber zu treffen, die im § 71 Abs. 1 AAV geregelt seien. Demnach müsse jedes Kleidungsstück, das ein Arbeitnehmer zusätzlich anzuziehen habe, weil die Temperatur am Arbeitsplatz nicht 12 Grad erreiche, vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden. Da im gegenständlichen Fall unbestritten sei, daß die von den genannten Arbeitnehmern durchgeführten Arbeiten als solche mit starker körperlicher Beanspruchung einzustufen seien, bedeute das, daß der Beschwerdeführer bereits die von den Arbeitnehmern getragenen warmen Pullover zur Verfügung zu stellen habe, da bei einer Temperatur von 12 Grad am Arbeitsplatz erfahrungsgemäß kein warmer Pullover erforderlich sei. Der Beschwerdeführer bestreite nicht, die von den Arbeitnehmern getragenen warmen Pullover nicht zur Verfügung gestellt zu haben, da er im gesamten Strafverfahren beteuere, die Arbeitnehmer hätten mit den von ihnen persönlich beigesteuerten warmen Pullover das Auslangen gefunden. Da damit erwiesen sei, daß der Beschwerdeführer die Pullover nicht zur Verfügung gestellt habe, sei unter Berücksichtigung der oben dargelegten Ausführungen die objektive Tatseite als erfüllt anzusehen.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend machende Beschwerde, mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen kostenpflichtig aufzuheben.
4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. § 71 Abs. 1 AAV, jene Vorschrift, die von der belangten Behörde durch die dem Beschwerdeführer angelasteten Taten jeweils als verletzt angesehen wurde (§ 44a Z. 2 VStG), lautet in dem für den Beschwerdefall bedeutsamen Umfang:
"Jedem Arbeitnehmer, für den bei der beruflichen Tätigkeit in erhöhtem Maße die Gefahr von Verletzungen oder Hautschädigungen für den Körper insbesondere durch mechanische Einwirkungen, Flammen-, Hitze- und Kälteeinwirkungen, Strahlung, infektiöse, giftige, ätzende oder reizende Arbeitsstoffe besteht, ist eine passende, zweckentsprechende Schutzkleidung aus geeignetem Material zur Verfügung zu stellen, wie Schutzschürzen, Schutzanzüge, warme Bekleidung, erforderlichenfalls mit Kopf- und Nackenschutz, oder antistatische Schutzkleidung;"
2.1. Die belangte Behörde hatte daher - ausgehend von den beiden Anzeigen des Arbeitsinspektorates vom 4. Jänner 1989 - zu prüfen, ob die zur Tatzeit von den betroffenen Arbeitnehmern in dem vom Beschwerdeführer repräsentierten Steinmetzbetrieb ausgeübten Tätigkeiten solche waren, bei denen "in erhöhtem
Maße die Gefahr von ... Hautschädigungen für den Körper
insbesondere durch ... Kälteeinwirkungen ... besteht". Nur wenn
diese Frage auf der Grundlage der in einem mängelfreien Ermittlungsverfahren erzielten Ergebnisse zu bejahen war, konnte die belangte Behörde auch die Rechtsfolge bejahen, daß diesen Arbeitnehmern eine "passende, zweckentsprechende Schutzkleidung ... zur Verfügung zu stellen (ist)".
2.2. Der von der belangten Behörde vor diesem normativen Hintergrund als maßgeblich angenommene Sachverhalt erschöpft sich in den Feststellungen, die Arbeitnehmer seien zur Tatzeit in "Hauerhütten" beschäftigt gewesen, und es habe damals eine Außentemperatur um den Gefrierpunkt geherrscht. Auf der Basis dieser Tatsachenfeststellungen vertrat die Behörde unter Heranziehung des § 12 Abs. 2 AAV, wonach (u.a.) bei Arbeiten mit starker persönlicher Beanspruchung die Raumtemperatur nicht unter 12 Grad Celsius liegen dürfe, die Auffassung, es seien die oben genannten wesentlichen Tatbestandsmomente als Voraussetzung für die Pflicht des Arbeitgebers, Schutzkleidung zur Verfügung zu stellen, erfüllt. Damit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.
2.3. Es findet sich nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, daß der Verordnungsgeber der AAV die ausschließlich RAUMKLIMATISCHE Verhältnisse (Temperatur, relative Luftfeuchtigkeit, Luftgeschwindigkeit in Arbeitsräumen) regelnde Vorschrift des § 12 oder einzelne ihrer Teile auch für Arbeitsplätze im Freien angewendet wissen wollte. Die im angefochtenen Bescheid vorgenommene schematische Übertragung der die Temperatur betreffenden Anordnungen des § 12 AAV - der sich, woran der Regelungsinhalt in seinem Zusammenhalt keinen Zweifel aufkommen läßt, allein auf das Klima in Arbeitsräumen (vgl. zu letzteren § 1 Abs. 1 AAV) bezieht - auf im Freien gelegene Arbeitsplätze (die im Steinbruch gelegenen "Hauerhütten" wurden von der belangten Behörde in unbedenklicher Weise als solche qualifiziert) findet in keiner der anerkannten Methoden der Auslegung Deckung. Auch die Voraussetzungen für eine Analogie sind nicht gegeben, kann doch vom Vorliegen einer "echten Lücke" (vgl. dazu WALTER-MAYER, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7, Wien 1992, Rz 136), welche die Vollziehung des § 71 Abs. 1 AAV unmöglich machen würde, keine Rede sein.
2.4. Der Rechtsirrtum, dem die belangte Behörde unterlag,
verstellte ihr den Blick darauf, daß die Frage, ob bei der
Tätigkeit der in Rede stehenden Arbeitnehmer bei einer
Außentemperatur um 0 Grad Celsius "in erhöhtem Maße die Gefahr
von ... Hautschädigungen für den Körper insbesondere durch ...
Kälteeinwirkungen ... besteht", jedenfalls dann, wenn seitens
des Beschuldigten diesbezüglich Zweifel geäußert werden und diese nicht von der Hand zu weisen sind, eine Sachverständigenfrage darstellt. Im vorliegenden Fall machte der Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren mehrmals derartige Zweifel geltend. Da diese keineswegs von vornherein ungeeignet schienen, die Verwirklichung des maßgeblichen Tatbestandsmerkmales in Frage zu stellen, wäre es ihr oblegen, einen Sachverständigen beizuziehen, der darüber zu urteilen gehabt hätte, ob die von den Arbeitnehmern in den "Hauerhütten" zur Tatzeit bei der gegebenen Außentemperatur ausgeübte Tätigkeit ihrer Art nach tatsächlich so beschaffen war, daß für sie eine ERHÖHTE Gefahr von Hautschädigungen durch Kälteeinwirkung bestand, und zur Abwehr dieser Gefahr eine (über die normale Arbeitskleidung hinausgehende) Schutzkleidung erforderlich war.
3. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid, ohne daß es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen bedurfte, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung an Stempelgebühren lediglich S 630,-- (Eingabengebühr S 360,--, Beilagengebühr S 150,--, Vollmachtsgebühr S 120,--) zu entrichten waren.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992180383.X00Im RIS seit
11.07.2001