TE Vwgh Erkenntnis 1992/12/21 92/10/0190

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Veröffentlicht am 21.12.1992
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §58 Abs2;
LMG 1975 §20;
LMG 1975 §74 Abs5 Z3;
VStG §22 Abs1;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1;
VStG §44a Z3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des L in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 15. Juni 1992, Zl. MA 63 - V 25/91/Str, betreffend Übertretung des Lebensmittelgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach § 20 in Verbindung mit § 74 Abs. 5 Z. 3 des Lebensmittelgesetzes 1975 (in der Folge: LMG) schuldig erkannt. Die ihm zur Last gelegte Tat wurde im Sinne des § 44a Z. 1 VStG wie folgt umschrieben:

"Sie haben als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung der X-Gesellschaft m.b.H. nach außen Berufener im Sinne des § 9 Abs. 1 des Verwaltungsstrafgesetzes in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 176/1983 zu verantworten, daß diese Gesellschaft mit dem Sitz in W, Y-Straße, am 15. Oktober 1990 um 9.30 Uhr in ihrem Lebensmittelkleinhandelsbetrieb in W, T-Straße, nicht vorgesorgt hat, daß von ihr in Verkehr gebrachte Lebensmittel nicht durch äußere Einwirkung hygienisch nachteilig beeinflußt werden, obwohl das nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft möglich und nach der Verkehrsauffassung nicht unzumutbar war, indem vorgeschnittene und zum Teil marinierte Salate in insgesamt elf Nirostatassen durch eine ca. 20 cm hohe Durchreiche von den Kunden in Selbstbedienung abgepackt werden konnten, wobei sich die Kunden beim Abfüllen der Salate in die Becher bücken mußten, und Semmeln, Wachauer und ähnliche Gebäckstücke aus Gebäckspendern (zwei Spender von 50 cm Länge und 15 cm Höhe sowie vier Spender von 20 cm Länge von 15 cm Höhe) in Selbstbedienung verkauft wurden, wobei die Kunden eine größere Anzahl von Gebäckstücken betasten konnten; hiedurch konnten auf die Salate und das Gebäck Bakterien und Schadstoffe durch Anhusten und Anspucken, beim Gebäck überdies durch Angreifen, übertragen werden."

Nach der Begründung habe der Beschwerdeführer in seiner Berufung im wesentlichen in Abrede gestellt, daß die Salate und das Gebäck durch die im gegenständlichen Fall erfolgte Art des Feilhaltens bzw. Verkaufens der Gefahr der hygienisch nachteiligen Beeinflussung durch äußere Einwirkung ausgesetzt seien. Die Salatbar und die Gebäckspender würden von den Kunden akzeptiert und offenbar nicht als unhygienisch empfunden. Das Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz habe durch einen Erlaß das Feilhalten von Gebäck in Spendern erlaubt. Die Salatbar und die Gebäckständer seien so konstruiert, daß bei widmungsgemäßer Verwendung eine hygienisch nachteilige Beeinflusssung nahezu ausgeschlossen sei. Der Landeshauptmann von Wien habe im übrigen in einem ähnlich gelagerten Fall keine Bedenken gegen die Abgabe von Gebäck in Spendern geäußert.

Demgegenüber verwies die belangte Behörde auf die Ausführungen des Marktamtes, wonach es nicht zweifelhaft sei, daß das Feilhalten der Salate in der Salatbar unhygienisch sei. Die Kunden müßten sich nämlich beim Abfüllen der Salate in die Becher bücken und kämen den Salaten daher so nahe, daß eine hohe Gefahr einer Kontamination mit Bakterien und Schadstoffen bestünde. Hinsichtlich der Abgabe von Gebäck sei die belangte Behörde in Übereinstimmung mit der seinerzeit vom Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz geäußerten Ansicht der Meinung, daß das Feilhalten in Gebäckspendern in Selbstbedienung nicht an sich unhygienisch sei. Keine hygienischen Bedenken bestünden dann, wenn - wie in dem vom Beschwerdeführer erwähnten Fall - der Kunde jeweils nur zu einem einzigen Gebäckstück gelangen und entnommenes Gebäck nicht mehr in den Gebäckspender zurückgeben könne. Im vorliegenden Fall hätten jedoch nach den überzeugenden Darlegungen des Marktamtes die Kunden Zugriff auf eine größere Anzahl von Gebäckstücken gehabt. Dabei bestünde zwangsläufig die Gefahr einer unhygienischen Beeinflussung des Gebäcks. Daß die Kunden die Salatbar und die Gebäckständer nicht als unhygienisch empfänden, sei unerheblich, weil § 20 LMG nur auf die objektive Gefährdung der Lebesnmittelhygiene und nicht auf das subjektive Empfinden der Kunden abstelle. Die vom Beschwerdeführer beantragte Aufnahme weiterer Beweise, wie z.B. die Beischaffung von Gutachten, die Abhaltung eines Ortsaugenscheines, die Prüfung der Bau- und Funktionsweise der Salatbar und der Gebäckständer sowie die Einvernahme eines Zeugen zu diesem Thema sei entbehrlich, da der Sachverhalt hinlänglich geklärt sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 11 Abs. 1 VwGG gebildeten Strafsenat erwogen:

Der mit "Hygiene im Lebensmittelverkehr" überschriebene § 20 LMG normiert:

"§ 20. Wer Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe in Verkehr bringt, hat vorzusorgen, daß sie nicht durch äußere Einwirkung hygienisch nachteilig beeinflußt werden, soweit das nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft möglich und nach der Verkehrsauffassung nicht unzumutbar ist."

Gemäß § 74 Abs. 5 Z. 3 LMG macht sich einer Verwaltungsübertretung schuldig, wer unter anderem den Bestimmungen des § 20 LMG zuwiderhandelt.

§ 20 LMG stellt eine allgemeine Vorschrift dar, die jedermann, der Lebensmittel, Verzehrprodukte oder Zusatzstoffe in Verkehr bringt, verpflichtet, eine nachteilige Beeinflussung durch äußere Einwirkungen zu vermeiden, d.h. hygienisch einwandfrei vorzugehen, wobei die Verkehrsauffassung die Zumutbarkeit der Vorkehrungen für einwandfreie Hygiene umschreibt. Gegen § 20 verstößt somit jedermann, der die allgemein gebräuchlichen Grundsätze der Hygiene verletzt, z.B. die zumutbare Reinlichkeit mißachtet oder zumutbare Vorkehrungen vor Verschmutzung unterläßt oder Waren einer unnotwendigen Verschmutzung aussetzt. Die zumutbare Reinlichkeit wird z.B. das Wechseln der Arbeitskleidung bei Verschmutzung, das tägliche, mindestens einmalige Reinigen der Betriebsräume und das einwandfreie Reinigen von Geräten und Geschirr nach jeder Benützung durch Gäste umfassen. Vorkehrungen vor Verschmutzung werden z.B. die Verhinderung der Berührung von unverpackten Lebensmitteln durch Kunden, das Abschirmen der Lebensmittel vor Anhusten oder Anhauchen und die Vermeidung der Berührung von Lebensmitteln mit schmutzigen Händen sein. Unnotwendige Verschmutzung stellt z.B. das Feilhalten von unverpackten, unmittelbar zum Genuß bestimmten Lebensmitteln vor den Geschäftslokalen auf verkehrsreichen Straßen dar (vgl. z.B. Brustbauer-Jesionek-Petuely-Wrabetz, Das Lebensmittelgesetz 1975, Erläuterungen zu § 20). Der Beschwerdeführer rügt zunächst unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. Erkenntnis vom 14. März 1983, Zl. 82/10/0191), daß zur Konkretisierung des Tatvorwurfes die individualisierte Beschreibung jener Handlungen im Spruch des angefochtenen Bescheides erforderlich wäre, die der Beschwerdeführer hätte setzen müssen.

Diesem Vorbringen kommt im Hinblick auf die Ausführungen in dem den Beschwerdeführer betreffenden Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 92/10/0189, keine Berechtigung zu. Was den Tatvorwurf anlangt, vorgeschnittene und zum Teil marinierte Salate seien in insgesamt elf Nirostatassen durch eine ca. 20 cm hohe Durchreiche von den Kunden in Selbstbedienung abgepackt worden, so ergibt sich daraus mit hinreichender Bestimmtheit jene Handlung, die der Beschwerdeführer nach Ansicht der belangten Behörde hätte setzen müssen, nämlich die Waren nicht in Selbstbedienung, sondern durch Verkaufspersonal feilzuhalten. Dies gilt auch hinsichtlich des Vorwurfes der Abgabe von Gebäck aus Gebäckständern in Selbstbedienung, wobei für die Kunden die Möglichkeit bestanden habe, eine größere Anzahl von Gebäckstücken zu betasten. Auch dieser Vorwurf läßt hinreichend erkennen, daß der Beschwerdeführer nach Auffassung der belangten Behörde die Abgabe von Gebäck in Selbstbedienung so zu gestalten gehabt hätte, daß es nicht zu der umschriebenen Beeinflussung gekommen wäre.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, daß eine Vorsorge nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft möglich und nach der Verkehrsauffassung nicht unzumutbar ist. Gegenteiliges ist auch für den Gerichtshof nicht erkennbar. Auf die Akzeptanz der Kunden kommt es nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht an.

Was die Abgabe von Gebäck in Gebäckständern anlangt, so ist der Beschwerdeführer der Sachverhaltsannahme der belangten Behörde nicht entgegengetreten, daß für die Kunden die Möglichkeit bestand, eine größere Anzahl von Gebäckstücken zu berühren. Die abstrakte Gefahr einer hygienisch nachteiligen Beeinflussung von Lebensmitteln (vgl. dazu aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom 26. Februar 1990, Zl. 89/10/0202) ist damit offensichtlich (vgl. das Erkenntnis vom 25. Mai 1983, Zl. 83/10/0076).

Daß der Hinweis auf den Erlaß des Bundesministers vom 1. April 1986, wonach der Verkauf von Gebäck (Semmeln) in Spendern erlaubt sei, nicht geeignet ist, das mangelnde Verschulden des Beschwerdeführers im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG glaubhaft zu machen, wurde bereits in dem genannten Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 92/10/0189, dargelegt.

Die Beschwerde hinsichtlich des Vorwurfes der Abgabe von Gebäck in Gebäckspendern erweist sich daher als unbegründet.

Was die Abgabe von Salaten in Selbstbedienung anlangt, so beruft sich die belangte Behörde im wesentlichen auf die Ausführungen des Marktamtes, wonach es nicht zweifelhaft sei, daß sich die Kunden beim Abfüllen der Salate bücken müßten und daher den Salaten so nahe kämen, daß eine hohe Gefahr einer Kontamination mit Bakterien und Schadstoffen bestünde.

Diesen Ausführungen ist der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren mit einer Stellungnahme vom 20. November 1991 insofern entgegengetreten, als er die Konstruktion der verwendeten Salatbar näher darstellte und darauf verwies, daß es auf Grund eines Zwischenraumes von 20 cm zwischen den Salaten und der Plexiglasabdeckung nicht vorstellbar sei, daß es zu den erwähnten Verunreinigungen kommen könne.

Die Behörde hat sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch mit Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten, dessen Schlüssigkeit im Bereich der allgemeinen Lebenserfahrung bekämpft wird, auseinanderzusetzen, wiewohl sich diese nicht auf gleicher wissenschaftlicher Ebene bewegen und auch nicht durch ein von der Partei selbst beigebrachtes Gegengutachten belegt werden (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 27. Februar 1974, VwSlg. 8556/A). Da hinsichtlich der Abgabe von Salat die Möglichkeit der vom Gesetz pönalisierten Einwirkungen durch Kunden (z.B. Berühren, Anhusten oder Anhauchen) nicht offensichtlich ist, hätte es diesbezüglich ergänzender Feststellungen, z.B. eines vom Beschwerdeführer in seiner Berufungsschrift beantragten Lokalaugenscheines, bedurft.

Da der Sachverhalt hinsichtlich der Abgabe von Salaten in Selbstbedienung ergänzungsbedürftig ist, leidet der angefochtene Bescheid insofern an Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG zur Gänze aufzuheben, da der Beschwerdeführer nur einer EINZIGEN Verwaltungsübertretung schuldig erkannt und nur EINE einheitliche Strafe verhängt worden ist.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 und 6 VwGG abgesehen werden.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG (insbesondere § 50) und die Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)Begründung BegründungsmangelMängel im Spruch Fehlen von wesentlichen TatbestandsmerkmalenSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel AugenscheinBeweismittel SachverständigenbeweisBegründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Behandlung von Parteieinwendungen Ablehnung von Beweisanträgen Abstandnahme von Beweisen"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff UnterlassungsdeliktBeweismittel AugenscheinGutachten Parteiengehör Parteieneinwendungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992100190.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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