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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des J in S, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 25. März 1992, Zl. 9/01-13/51/5-1992, betreffend Befristung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nach der Aktenlage besitzt der Beschwerdeführer seit 1979 eine Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B. Mit Bescheid vom 13. September 1991 versagte die Bundespolizeidirektion Salzburg dem Beschwerdeführer gemäß § 64 Abs. 2 KFG 1967 die von ihm beantragte Ausdehnung der Lenkerberechtigung auf Kraftfahrzeuge der Gruppen A, C und E und befristete gleichzeitig die Lenkerberechtigung für die Gruppe B bis 12. September 1993. Dabei stützte sie sich auf das Gutachten einer ärztlichen Amtssachverständigen vom 12. September 1991, wonach der Beschwerdeführer für die erstgenannten Gruppen nicht, für die Gruppe B nur noch "bedingt geeignet" sei. Dem liegt ein am Institut für Forensische Psychiatrie der Universität Salzburg erstellter Befund vom 8. Juli 1991 zugrunde. Darin wird in der zusammenfassenden Beurteilung ausgeführt, die Überprüfung der verkehrsspezifischen Leistungsparameter beim Beschwerdeführer habe zum Teil deutliche Leistungsmängel, insbesondere eine verminderte Reaktionsgeschwindigkeit, ergeben. Das beobachtete Leistungsdefizit würde bei einem "Führerscheinanwärter" sicherlich die Beurteilung der Nichteignung auch für Kraftfahrzeuge der Gruppe B bewirken. Im Hinblick auf die zwölfjährige Verkehrsbewährung des Beschwerdeführers und seinen persönlichkeitsbedingten defensiven und vorausschauenden Fahrstil seien aber ausreichende Kompensationsmöglichkeiten gegeben. Aus neuropsychiatrischer Sicht bestehe ein diskretes hirndiffuses organisches Psychosyndrom (Verlangsamung, Merkfähigkeitsstörung) mit einer diskreten Spastik im Bereich der linken unteren Extremität. Ursache hiefür könnte eventuell eine Hypoxie im Rahmen eines Fast-Ertrinkens in der frühen Kindheit des Beschwerdeführers sein. Zur genaueren ätiologischen Zuordnung wäre eine MRI-Untersuchung des Schädels angezeigt. Der Beschwerdeführer sei zum Lenken von Kfz der Gruppen A, C, E und G nicht geeignet, zum Lenken von Kfz der Gruppen B und F bedingt geeignet. Im Hinblick auf die unklare Ätiologie der registrierten Reaktionsverlangsamung werde eine Befristung der Lenkerberechtigung für die Gruppe B auf zwei Jahre mit anschließender Kontrolluntersuchung empfohlen.
Der Beschwerdeführer berief lediglich gegen die Befristung seiner Lenkerberechtigung.
In dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten eines ärztlichen Amtssachverständigen vom 28. Jänner 1992 schloß sich dieser der Beurteilung des gesundheitlichen Zustandes des Beschwerdeführers, wie sie in dem am Institut für Forensische Psychiatrie erstellten Befund vom 8. Juli 1991 aufscheint, an. Im Hinblick auf das Bestehen eines Psychosyndroms sei auf jeden Fall eine Befristung vorzunehmen, da die weitere Entwicklung beim Beschwerdeführer nicht absehbar sei, zumal bei verschiedenen Leistungsparametern "grenzwertige Tauglichkeit" festgestellt worden sei.
Der Beschwerdeführer legte in der Folge ein mit "Befund und Gutachten" überschriebenes Schriftstück des Univ.Prof. Dr. L vor. Dieses weist zwar weder ein Datum noch die Unterschrift des Sachverständigen auf. Offenbar hegten aber weder der ärztliche Sachverständige der belangten Behörde noch diese selbst Bedenken gegen die Authentizität dieses "Gutachtens", da sie sich nicht veranlaßt sahen, auf eine Behebung des bezeichneten Mangels zu dringen. In dem "Gutachten" wird ausgeführt, daß sich bei der Untersuchung des Beschwerdeführers am 30. Jänner und am 3. Februar 1992 keine neurologischen oder psychiatrischen Krankheitssymptome, insbesondere keine neurologische Störung des linken Beines gezeigt hätten. Das EEG sei unauffällig. Auch psychiatrisch liege kein eigentlich krankhafter Befund vor. Der Beschwerdeführer zeige Persönlichkeitszüge, auf Grund derer er etwas schwerfällig und damit auch etwas verlangsamt wirke. Diese Persönlichkeitsmerkmale hätten eine gewisse Ähnlichkeit mit einem leichteren hirnorganischen Psychosyndrom und so könnten bisweilen diagnostische Abgrenzungsprobleme entstehen. Bei der Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit habe der Beschwerdeführer insgesamt durchaus entsprochen und offensichtlich wesentlich besser abgeschnitten als anläßlich der Untersuchung am Institut für Forensische Psychiatrie am 8. Juli 1991. Die unterschiedlichen Ergebnisse der beiden Untersuchungen erklärte dieser Sachverständige damit, daß Personen mit den Persönlichkeitsmerkmalen, wie sie der Beschwerdeführer aufweise, in einer Prüfungssituation leicht überfordert würden und aus Prüfungsangst, Gehemmtheit usw. leicht unter ihrem Wert abschnitten. Aus der Sicht des Sachverständigen bestünden keine Bedenken gegen die Erteilung einer Lenkerberechtigung für Kfz der Gruppen A, C, E und G. Eine Befristung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers sei unnotwendig, da eine Krankheit bzw. ein cerebraler Prozeß nicht vorliege.
Damit konfrontiert äußerte sich der ärztliche Amtssachverständige der belangten Behörde in seiner Stellungnahme vom 3. März 1992 dahingehend, er sei weiterhin der Ansicht, daß beim Beschwerdeführer sehr wohl ein organisches hirndiffuses Psychosyndrom vorliegen dürfte, und verwies dabei auf einzelne Angaben zum EEG im Befund vom 8. Juli 1991. Endgültige Klarheit könnte allerdings erst die dort angeregte Untersuchung mittels eines Kernspintomographen erbringen. Mangels Absehbarkeit der Auswirkungen des "auch mit großer Sicherheit vorhandenen organischen Psychosyndroms" bleibe die Empfehlung, die Lenkerberechtigung auf zwei Jahre zu befristen, aufrecht.
Mit Bescheid vom 25. März 1992 gab der Landeshauptmann der Berufung des Beschwerdeführers nur insoweit Folge, als er das Ende der Frist nunmehr mit 28. Jänner 1994 bestimmte (zwei Jahre ab Erstellung des Gutachtens des ärztlichen Amtssachverständigen vom 28. Jänner 1992).
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Vorweg ist festzuhalten, daß es im vorliegenden Beschwerdefall um die Befristung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers für Kraftfahrzeuge der Gruppe B geht. Wenn in den Ausführungen der Parteien dieses Verfahrens (insbesondere auch in der Gegenschrift) wiederholt von der "Erteilung" der Lenkerberechtigung oder deren "Verlängerung" die Rede ist, steht dies mit der Aktenlage im Widerspruch.
Die belangte Behörde hat die Bejahung der Notwendigkeit einer Nachuntersuchung beim Beschwerdeführer und damit die Befristung seiner Lenkerberechtigung mit der Annahme begründet, es liege bei ihm ein organisches hirndiffuses Psychosyndrom vor, welches zwar nicht das Fehlen seiner Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B bewirke, bei dem aber wegen der Möglichkeit der Verschlechterung eine Nachuntersuchung notwendig sei. Diese Annahme stützte die belangte Behörde auf die von ihr als schlüssig bezeichneten Ausführungen des ärztlichen Amtssachverständigen.
Der Beschwerdeführer hält die negative Beurteilung durch diesen Sachverständigen, zu dessen Stellungnahme vom 3. März 1992 ihm kein Parteiengehör gewährt worden sei, für nicht nachvollziehbar. Er verweist auf das positive "Gutachten" des Univ.Prof. Dr. L., welches der ärztliche Amtssachverständige mit Stillschweigen übergangen habe. Die belangte Behörde habe die Manuduktionspflicht nach § 13a AVG verletzt, da sie den Beschwerdeführer nicht angeleitet habe, die bereits vom Institut für Forensische Psychiatrie vorgeschlagene Untersuchung mittels eines Kernspintomographen vornehmen zu lassen. Davon abgesehen wäre es aufgrund der ihr obliegenden Ermittlungspflicht Sache der belangten Behörde gewesen, diese Untersuchung zu veranlassen.
Bei der Entscheidung über die vorliegende Beschwerde ist von § 73 Abs. 1 KFG 1967 auszugehen, nach dessen letztem Halbsatz unter anderem dann, wenn die geistige und körperliche Eignung einer Person zum Lenken von Kraftfahrzeugen nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und Nachuntersuchungen erforderlich sind, die Lenkerberechtigung durch Befristung einzuschränken ist. Voraussetzung hiefür ist das Vorliegen objektiver Anzeichen für das Bestehen einer die besagte Eignung nicht ausschließenden Krankheit, bei der ihrer Natur nach die Möglichkeit der Verschlechterung und des Wegfalles der geistigen oder körperlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen besteht und daher eine Nachuntersuchung erforderlich ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Mai 1990, Zl. 89/11/0215).
Die vorliegenden Ermittlungsergebnisse bieten keine ausreichende Grundlage für eine abschließende Beurteilung dieser Frage. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers hat zwar der ärztliche Amtssachverständige den Befund des Univ.Prof. Dr. L. nicht "mit Stillschweigen übergangen". Wohl aber entbehren die Ausführungen des Amtssachverständigen einer nachvollziehbaren Begründung dafür, weshalb er nicht der Beurteilung jenes Sachverständigen gefolgt ist, sondern die gegenteilige Meinung, wie sie im Befund des Institutes für Forensische Psychiatrie vom 8. Juli 1991 zum Ausdruck kommt, für zutreffend erachtet hat. Einer solchen Begründung hätte es nicht zuletzt deshalb bedurft, weil der Befund des Univ.Prof. Dr. L. rund 7 Monate später erstellt wurde und damit jedenfalls "aktueller" war. Das Vorbringen in der Gegenschrift, dieses "Gutachten" habe mangels Schlüssigkeit nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen werden können, da es ausschließlich auf die Erteilung einer Lenkerberechtigung für die Gruppen A, C und E, aber mit keinem Wort auf die "Verlängerung" der Lenkerberechtigung für die Gruppe B Bedacht nehme, ist nicht berechtigt. Richtig ist, daß dieses "Gutachten" nicht ausdrücklich auch von der Lenkerberechtigung für die Gruppe B spricht. Es behandelt aber die auch insoweit entscheidende Frage des Vorliegens eines organischen hirndiffusen Psychosyndroms beim Beschwerdeführer ausführlich und verneint wegen des Fehlens einer Erkrankung bzw. eines cerebralen Prozesses die Notwendigkeit einer Befristung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers (eine solche besteht nur für die Gruppe B). Damit lagen zu dieser entscheidenden Frage zwei einander widersprechende fachärztliche Beurteilungen vor. Der ärztliche Amtssachverständige hat für seine Auffassung einzelne Ausführungen im Befund vom 8. Juli 1991 zum EEG des Beschwerdeführers ins Treffen geführt, jedoch das Ergebnis des von Univ.Prof. Dr. L. erstellten und als "normal" bezeichneten EEGs (siehe dessen Schreiben vom 6. Februar 1992) nicht einmal erwähnt. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb für seine Beurteilung des Beschwerdeführers nicht das jüngere, sondern allein das ältere EEG maßgeblich war. Im Falle der Unmöglichkeit, die strittige Frage (Vorliegen eines organischen hirndiffusen Psychosyndroms beim Beschwerdeführer) anders als durch die mehrfach erwähnte Untersuchung mittels eines Kernspintomographen zu klären, hätte die belangte Behörde im Sinne ihrer aus §§ 37, 39 Abs. 2 AVG erfließenden Pflicht zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes von Amts wegen eine solche Untersuchung veranlassen müssen.
Da der maßgebende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt der Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften verletzt worden sind, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Gutachten Beweiswürdigung der Behörde widersprechende Privatgutachten Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel SachverständigenbeweisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992110140.X00Im RIS seit
12.06.2001