TE Vfgh Beschluss 1990/9/24 G102/90

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.1990
beobachten
merken

Index

L1 Gemeinderecht
L1030 Gemeindestruktur

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag Bgld GemeindestrukturverbesserungsG §4 Z17 Bgld GemeindeO §25 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung von Individualanträgen gegen eine Bestimmung über die Auflösung einer Gemeinde im Rahmen der Gemeindestrukturverbesserung; fehlende Legitimation des ehemaligen Bürgermeisters mangels Änderung der Rechtsposition des Antragstellers durch die Aufhebung der bekämpften Norm; kein subjektives Recht auf Bestand der Gemeinde und damit auf Wiederwahl in deren Gemeinderat; fehlende Antragslegitimation der aufgelösten Gemeinde mangels ordnungsgemäßer Beschlußfassung über den Antrag im Gemeinderat

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Begründung:

I. 1. §4 des Burgenländischen Landesgesetzes vom 1. September 1970, LGBl. 44, über Gebietsänderungen von Gemeinden (Gemeindestrukturverbesserungsgesetz) - im folgenden kurz: GStrVG bestimmt folgendes:

"Im politischen Bezirk Oberpullendorf werden folgende Gemeinden zu einer neuen Gemeinde vereinigt:

1. ......

17. Die Gemeinden Kalkgruben, Tschurndorf und Weppersdorf zur Gemeinde Weppersdorf."

Dem §8 Abs1 GStrVG zufolge hat die Gemeinde Tschurndorf mit dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes (das ist nach §17 Abs1 leg.cit. der 1. Jänner 1971) als eigene Gemeinde zu bestehen aufgehört.

Nach dem (als Landesverfassungsbestimmung erlassenen) §11 Abs1 leg.cit. sind "die Gemeinderäte der Gemeinden, die gemäß den Bestimmungen der §§1-7 zu neuen Gemeinden vereinigt werden, mit dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes aufgelöst".

2. Der Ersteinschreiter H S war Bürgermeister der Gemeinde Tschurndorf.

Als Zweiteinschreiter ist die Gemeinde Tschurndorf genannt (s.u. II.2.).

Mit dem auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten, am 10. Mai 1990 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten Antrag begehren die Einschreiter, §4 Z17 GStrVG als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zu dem vom Ersteinschreiter gestellten, auf Art140 B-VG gestützten Individualantrag ist folgendes festzuhalten:

a) Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur - beginnend mit seinem Beschluß VfSlg. 8009/1977 - ausgesprochen hat, ist grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß das bekämpfte Gesetz nicht bloß behaupteterweise, sondern tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreift und diese - im Falle der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes - verletzt. Hiebei kommt es ausschließlich auf die Behauptungen des Antragstellers an, in welcher Hinsicht das bekämpfte Gesetz seine Rechtssphäre berührt und diese - im Falle der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes - verletzt (vgl. zB VfSlg. 8060/1977, 9042/1981).

b) Der Erstantragsteller macht geltend, daß gemäß §11 Abs1 GStrVG der Gemeinderat der Gemeinde Tschurndorf aufgelöst wurde und er durch die Anwendung dieser Gesetzesbestimmung gemäß §4 Z17 leg.cit. vorzeitig, d.h. vor Ablauf der Amtsperiode, seiner Funktion als Gemeindeorgan verlustig gegangen sei. Er sei durch die angefochtene - verfassungswidrige - landesgesetzliche Bestimmung unmittelbar in seinem Recht auf Mandatsausübung und Wiederbestellung als Mandatar der Gemeinde Tschurndorf verletzt worden.

c) Aus dem Wortlaut des Art140 Abs1 letzter Satz B-VG (arg. "verletzt zu sein behauptet", und nicht etwa "verletzt worden zu sein behauptet") ergibt sich, daß die bekämpfte Gesetzesstelle zumindest zum Zeitpunkt der Antragstellung (noch) eine behauptete und tatsächlich vorliegende (nachteilige) rechtliche Wirkung für den Antragsteller haben muß, mag auch das Gesetz inzwischen bereits außer Kraft getreten sein (Art140 Abs4 B-VG).

Auch eine am Sinn dieser Verfassungsbestimmung orientierte Auslegung führt zum selben Ergebnis: Der Zweck des Individualantrages besteht darin, daß die behauptete Rechtsverletzung durch Aufhebung der bekämpften Gesetzesstelle beseitigt wird. Würde sich also trotz Aufhebung der angefochtenen Gesetzesbestimmung für die Rechtsposition des Antragstellers nichts ändern, kommt ihm die Antragslegitimation nicht zu.

Der von dem Antragsteller behauptete Eingriff in seine Rechtssphäre lag aber bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr vor: Die Gemeinderatswahl, aufgrund derer er seine Funktion als Mitglied des Gemeinderates, die Voraussetzung für seine Wahl zum Bürgermeister ist (§17 Burgenländische Gemeindeordnung), inne hatte, fand bereits am 5. November 1967 statt. Die Funktionsdauer der Burgenländischen Gemeinderäte betrug zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des GStrVG fünf Jahre. Der Antragsteller hätte also spätestens mit 5. November 1972 seine auf die erwähnte Wahl rückführbare Funktion als Bürgermeister der Gemeinde Tschurndorf verloren, auch wenn die bekämpfte Gesetzesbestimmung nicht erlassen worden wäre. Das passive Wahlrecht schließt nur das Recht in sich, für die ganze Wahlperiode gewählt zu bleiben (vgl. zB VfSlg. 8385/1978). Ein subjektives Recht auf Bestand der Gemeinde Tschurndorf und damit auf Wiederwahl in deren Gemeinderat stand dem Antragsteller niemals zu (vgl. VfSlg. 6697/1972, S. 288 f.).

Würde also §4 Z17 GStrVG aufgehoben, träte für die Rechtsposition des Antragstellers keinerlei Änderung ein. Der Antrag des Erstantragstellers war daher mangels Antragslegitimation des Ersteinschreiters zurückzuweisen (vgl. VfSlg. 9096/1981, dieses Erkenntnis betrifft einen gleichgelagerten Fall).

2. Über den Antrag der Gemeinde Tschurndorf hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

a) Dem einschreitenden Rechtsanwalt wurde lediglich vom ehemaligen Bürgermeister H S, und von drei ehemaligen Mitgliedern des Gemeinderates der (aufgelösten) Gemeinde Tschurndorf Vollmacht erteilt, diesen Antrag einzubringen.

Außerdem wurde eine mit 1. März 1990 datierte, von H S als "Bürgermeister" (der aufgelösten Gemeinde Tschurndorf) gefertigte Vollmacht vorgelegt, in der es lautet:

"Diese Vollmacht berechtigt insbesondere auch zur Einbringung einer Klage oder Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und wird aufgrund des gemäß der Burgenländischen Gemeindeordnung gefaßten Gemeinderatsbeschlusses vom 1. März 1990 erteilt".

Im Antrag wird hiezu ausgeführt:

"Da bis heute keine verfassungsgemäße Auflösung der Gemeinde Tschurndorf erfolgte, ist diese als Rechtsperson weiterhin existent und zur Antragstellung legitimiert. Mit Gemeinderatsbeschluß vom 1.3.1990 wurde entsprechend den Vorschriften der burgenländischen Gemeindeordnung dem ausgewiesenen rechtsfreundlichen Vertreter von der Gemeinde Vollmacht erteilt."

b) Damit wird aber die Legitimation der Gemeinde Tschurndorf nicht nachgewiesen. Der vorliegende Antrag hätte gemäß §25 Abs1 der Bgld. Gemeindeordnung vom Gemeinderat beschlossen werden müssen. Die Funktionsperiode des letztmalig gewählten Gemeinderates der (ehemaligen) Gemeinde Tschurndorf war aber am 1. März 1990 (als der behauptete Beschluß gefaßt wurde) längst abgelaufen, dies auch dann, wenn die Gemeinde Tschurndorf nicht aufgelöst worden wäre.

Es ist daher - ohne daß auf die zur Prüfung beantragten Bestimmungen zurückgegriffen werden müßte - ausgeschlossen, daß der Gemeinderat der Gemeinde Tschurndorf am 1. März 1990 einen gültigen Prüfungsantrag beschlossen hat.

Mangels eines erforderlichen gültigen Gemeinderatsbeschlusses war auch der namens der Gemeinde Tschurndorf eingebrachte Antrag zurückzuweisen.

3. Dem Land Burgenland waren die begehrten Prozeßkosten nicht zuzusprechen, weil ein Kostenersatz an den (obsiegenden) Rechtsträger des gesetzgebenden Organes nicht vorgesehen ist (§65a VerfGG).

III. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangener Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Aufhebung Wirkung, Gemeinderecht Zusammenlegung, Wahlrecht passives, VfGH / Prozeßvollmacht, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Prozeßfähigkeit, Kommunalstrukturverbesserung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:G102.1990

Dokumentnummer

JFT_10099076_90G00102_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten