Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde der M in X, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 15. Oktober 1987, Zl. Pol-4026/2-1987 St/Ho/Neu, betreffend Untersagung der Ausübung der Prostitution (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde X, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Schreiben vom 2. April 1986 teilte die Beschwerdeführerin der Stadtgemeinde X mit, daß sie in ihrem Haus in X, die Prostitution ausüben möchte.
Mit Bescheid vom 26. Mai 1986 untersagte der Bürgermeister der Stadtgemeinde X unter Bezugnahme auf diese Anzeige der Beschwerdeführerin gemäß § 2 Abs. 1 und 4 des
O.ö. Polizeistrafgesetzes, LGBl. Nr. 36/1979 in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 94/1985 (im folgenden: O.ö. PolStG), die beabsichtigte Ausübung der Prostitution am Standort X.
Der dagegen von der Beschwerdeführerin erhobenen Berufung wurde mit Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde X vom 1. Oktober 1986 keine Folge gegeben.
Die gegen diesen Bescheid von der Beschwerdeführerin eingebrachte Vorstellung wurde von der belangten Behörde mit Bescheid vom 15. Oktober 1987 abgewiesen.
In der Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, die Gemeinde habe ihre Entscheidung primär auf die Befürchtung gestützt, die beabsichtigte Prostitutionsausübung werde die Nachbarschaft in unzumutbarer Weise belästigen. Entgegen der Auffassung der Vorstellungswerberin habe die Gemeinde diese Befürchtung aber nicht allein auf Gründe genereller Art gestützt, sondern es ergebe sich aus dem bekämpften Bescheid, daß der Bescheiderlasser dabei auf die örtliche Lage des in Rede stehenden Gebäudes Bedacht genommen habe. In einem ausführlichen und genauen Erhebungsverfahren habe die Gemeinde unter anderem einen detaillierten Plan über die dichte Verbauung um das Haus X Nr. 29 vorgelegt. Aus diesem Lageplan ergebe sich, daß das Gebäude X Nr. 29 und die an dieses Objekt unmittelbar angrenzenden Nachbarhäuser Nr. 27 und Nr. 31 an der Bundesstraße 1 lägen. Außerdem befänden sich in der näheren Umgebung in südlicher Richtung eine Reihe von Straßen mit Wohngebäuden und in einer Entfernung von 240 m eine Privatzimmervermietung, während in nördlicher Richtung die X-Zuckerfabrik benachbart sei. Die bei der belangten Behörde aufliegenden Unterlagen rechtfertigten die Befürchtung, daß es beim Betrieb einschlägiger Lokale zu den verschiedensten Mißständen komme. Da erfahrungsgemäß die Kunden/Freier nicht aus der betreffenden Gemeinde das Lokal besuchten und daher nicht ortskundig seien, läuteten sie zu jeder Tages- und Nachtzeit bei den verschiedensten Häusern der Umgebung an und fragten nach dem "Bordell". Hievon seien auch Kinder betroffen. Es solle auch nicht unerwähnt bleiben, daß gerade derartige Lokale auch einen "Bodensatz an Personen" anlockten, weshalb - auf Grund der Lage des Hauses (direkt an der B 1) - der Eintritt der Befürchtungen, die im O.ö. PolStG genannt seien, für die nähere und weitere Umgebung nicht ausgeschlossen werden könnte. Hiezu komme noch eine Lärmbelästigung, da die Freier/Kunden zur Nachzeit die Autos erfahrungsgemäß, um nicht erkannt zu werden, möglichst nicht in der Nähe des "Bordells" abstellten. Bei dieser Gelegenheit solle auch aufgezeigt werden, daß es gerade in der letzten Zeit innerhalb bzw. außerhalb "einschlägiger Lokale" - ganz besonders zwischen Zuhältern - zu Auseinandersetzungen gekommen sei, die zum Tod mehrerer Personen in Oberösterreich geführt hätten. Zusammenfassend müsse daher gesagt werden, daß ein derartiger "Bordellbetrieb" innerhalb eines dicht besiedelten Gebietes erhebliche negative Auswirkungen erwarten lasse, die nicht nur in der näheren, sondern auch in der weiteren Umgebung zu erheblichen Mißständen führten, die eine unzumutbare Beeinträchtigung mit sich brächten. Diese Mißstände seien auch durch zahlreiche Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof belegt.
Gegen diesen Bescheid, der ihr am 17. Juni 1991 zugestellt wurde, erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluß vom 2. Dezember 1991, B 57/91-8, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Ausübung der Prostitution in ihrem Haus X Nr. 29, in ihrem Recht auf freie Nutzung ihres Eigentums an dem genannten Haus und in ihrem Recht auf ein faires Verfahren verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes bringt die Beschwerdeführerin vor, sie halte das von der Stadtgemeinde X durchgeführte Ermittlungsverfahren insbesondere wegen der Personenidentität der in erster und zweiter Instanz tätigen Organe für derart mangelhaft, daß grundsätzliche Verfahrensvorschriften mißachtet worden seien. Es gehe nicht an, daß kein einziger der in der Berufung vom 2. Juni 1986 und im Schriftsatz vom 10. September 1986 angeführten Gründe und Beweisanträge beachtet und durchgeführt worden sei. Es gehe weiters nicht an, daß ohne Lokalaugenschein Feststellungen über Enfernungen gemacht wurden, die den örtlichen Realitäten nicht entsprächen. Zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides werde darauf hingewiesen, daß sich aus dem PolG eindeutig ablesen lasse, daß der Errichtung von Bordellen gegenüber dem Straßenstrich der Vorzug gegeben werde und es sich daher bei dem angefochtenen Bescheid um eine total unrichtige, ja geradezu willkürliche Auslegung des genannten Gesetzes handle. Es werde daher beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die mitbeteiligte Partei hat ebenfalls eine Gegenschrift erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Weder das AVG noch sonstige im Beschwerdefall anzuwendende Vorschriften untersagen die Durchführung von Ermittlungen im Berufungsverfahren durch einen Organwalter, der bereits im erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren tätig war. Das AVG ordnet lediglich an, daß sich Verwaltungsorgane im Berufungsverfahren der Ausübung ihres Amtes zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen haben, wenn sie an der Erlassung des angefochtenen Bescheides in unterer Instanz mitgewirkt haben (§ 7 Abs. 1 Z. 5). Unter der Mitwirkung an der Erlassung eines Bescheides ist nur die Teilnahme an der Erzeugung des den förmlichen Verwaltungsakt darstellenden Spruches - also die Mitwirkung an der Willensbildung - nicht aber eine bloße Beteiligung an dem der Erlassung des Bescheides vorangegangen Verfahren zu verstehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1972, Slg. NF 8171/A u.a.). Der Umstand hingegen, daß derselbe Organwalter sowohl im erstinstanzlichen als auch im Berufungsverfahren die Ermittlungen als Hilfsorgan für die zur Entscheidung berufenen Organe durchführt, verstößt weder gegen § 7 Abs. 1 Z. 5 AVG noch gegen sonstige Vorschriften, sieht man von der im Beschwerdefall nicht in Betracht kommenden Bestimmung des § 53 Abs. 1 AVG ab.
§ 2 Abs. 1 O.ö. PolStG lautet:
"(1) Wer beabsichtigt, für Zwecke der Anbahnung oder Ausübung von Beziehungen zur sexuellen Befriedigung anderer Personen zu Erwerbszwecken (Prostitution) ein Gebäude, eine Wohnung oder einzelne Räumlichkeiten zu nutzen oder für solche Zwecke zur Verfügung zu stellen, hat dies, soweit es nicht nach Abs. 3 lit. c verboten ist, der Gemeinde mindestens zwei Monate vor Aufnahme der Prostitution anzuzeigen. Die Gemeinde hat die Verwendung zu diesem Zweck innerhalb von zwei Monaten ab Einlangen der Anzeige mit Bescheid zu untersagen, wenn auf Grund der örtlichen oder sachlichen Verhältnisse zu befürchten ist, daß dadurch die Nachbarschaft in unzumutbarer Weise belästigt oder das örtliche Gemeinwesen gestört wird oder sonstige öffentliche Interessen, insbesondere solche der Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder des Jugendschutzes verletzt werden."
Die belangte Behörde stützt ihren Bescheid auf die Annahme, durch die Ausübung der Prostitution im Haus X Nr. 29 werde die Nachbarschaft in unzumutbarer Weise belästigt. Sie begründet diese Annahme mit einem Hinweis auf "die in der Begründung des angefochtenen Bescheides (des Gemeinderates) dargestellten, nach Ansicht der Gemeinde mit dem Betrieb eines Bordells in der Regel verbundenen negativen Auswirkungen". Der Bescheid des Gemeinderates enthält aber in bezug auf das Tatbestandsmerkmal "unzumutbare Belästigung der Nachbarschaft" lediglich die nicht begründete Behauptung, auf Grund der örtlichen Verhältnisse (Wohngebiet) sei mit unzumutbaren Belästigungen der Nachbarschaft zu rechnen. Die belangte Behörde verweist weiters darauf, daß es beim Betrieb einschlägiger Lokale zu den verschiedensten Mißständen komme; als Quelle für diese Aussage werden die "beim h. Amt aufliegenden Unterlagen" genannt, ohne daß näher präzisiert wird, welchen Inhalt diese Unterlagen haben, ob es sich dabei um vereinzelte Vorfälle handelt, in welchem Zusammenhang sie sich ereignet haben etc, sodaß nicht beurteilt werden kann, ob aus diesen Unterlagen der von der belangten Behörde abgeleitete Schluß gezogen werden kann, daß auch im Beschwerdefall eine unzumutbare Belästigung der Nachbarschaft zu befürchten sei. Um dies festzustellen, hätte es eines auf die konkreten Umstände des Beschwerdefalles abgestellten Gutachtens von aufgrund ihrer dienstlichen Verwendung mit den von der Prostitutionsausübung ausgehenden Problemen eingehend vertrauten Organen einer Bundespolizeibehörde oder der Gendarmerie oder eines Sachverständigen, der aufgrund wissenschaftlicher (z.B. soziologischer) Untersuchungen über entsprechende Kenntnisse verfügt, bedurft. Aufgabe eines solchen Gutachtens wäre es, anhand der konkreten Umstände des Beschwerdefalles darzulegen, welche Auswirkungen mit einer Prostitutionsausübung verbunden wären. Darauf aufbauend hätte die Behörde zu beurteilen, ob diese Auswirkungen als unzumutbare Belästigung der Nachbarschaft zu beurteilen sind. Die von der belangten Behörde gegebene Begründung ist hiefür nicht ausreichend.
Die Gemeindeinstanzen haben zur Untersagung der Prostitutionsausübung auch Aspekte herangezogen, die dem Jugendschutz zuzuordnen sind. In der Begründung der Bescheide der Gemeindeinstanzen wurde davon ausgegangen, daß Schul- bzw. Kindergartenkinder auf dem Weg zum Schul- bzw. Kindergartenbus am für die Prostitutionsausübung vorgesehenen Objekt vorbeigehen müßten. Die Beschwerdeführerin hat dies bestritten. Abgesehen davon, daß nicht ersichtlich ist, worauf sich die Behauptung der Gemeindeinstanzen stützt, findet sich auch keine Begründung, inwiefern diese Kinder durch den in der Zeit von 21.00 bis 04.00 Uhr geplanten Bordellbetrieb gefährdet werden könnten.
Die Beschwerdeführerin hat im Verfahren unter Hinweis auf eine entsprechende Auskunft der Inhaberin bestritten, daß in der 240 m vom geplanten Standort der Prostitutionsausübung entfernten Privatzimmervermietung W Jugendliche untergebracht werden. Die Gemeindeinstanzen haben ohne Befragung der Privatzimmervermieterin das Gegenteil angenommen. Diese Annahme kann daher nicht als gesichert angesehen werden.
Ob - wie die Gemeindeinstanzen angenommen haben - die Prostitutionsausübung im Objekt X Nr. 29 eine Gefährdung bzw. Beeinträchtigung von der 3,5 km entfernten Drogenstation untergebrachten, in ihrer Freizeit nach X kommenden Drogensüchtigen nach sich ziehen würde, kann ohne fundierte Aussagen eines Sachverständigen bzw. der Leitung dieser Drogenstation nicht gesagt werden.
Aus den dargelegten Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Da Schriftsatzaufwand nur in der Höhe von S 10.110,-- beantragt wurde, konnte er auch nur in dieser Höhe zuerkannt werden. Eine gesonderte Abgeltung der Umsatzsteuer ist im VwGG bzw. in der Veordnung BGBl. Nr. 104/1991 nicht vorgesehen. Das entsprechende Begehren war daher abzuweisen.
Schlagworte
Abgrenzung der Begriffe Behörde und OrganwalterEinfluß auf die SachentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1991100259.X00Im RIS seit
09.10.2001Zuletzt aktualisiert am
19.08.2009