TE Vwgh Beschluss 1993/1/20 92/01/1062

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Veröffentlicht am 20.01.1993
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):92/01/1063

Betreff

Der VwGH hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über 1. den Antrag des A in L, geboren 1977, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in L, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. Juli 1992, Zl. 4.331.561/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, und 2. die Beschwerde gegen den zu 1. genannten Bescheid

Spruch

den Beschluß gefaßt

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Der Bescheid der Abteilung 2 des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 29. September 1992 mit dem dem Beschwerdeführer RA Dr. T. als Vertreter beigegeben wurde, wurde dem letzteren am 15. Oktober 1992 zugestellt.

Mit dem vorliegenden, am 9. Dezember 1992 zur Post gegebenen Schriftsatz begehrt der Beschwerdeführer - unter gleichzeitiger Nachholung der Beschwerde - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist mit folgender Begründung:

"Herr Rechtsanwalt Dr. Z., Kanzleipartner des bestellten Vertreters und Ausschußmitglied der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich hat am Abend des 27.11.1992 den Akt des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich, Zl. 512/92 bzw. Zl. 92/01/0758 des Verwaltungsgerichtshofes studiert und dabei festgestellt, daß sich in der Mappe, in der sich die Unterlagen des Kammeraktes befinden, der Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich Zl. 61 S/92 vom 29.9.1992 befindet, mit dem der Rechtsanwalt Dr. T. zum Verfahrenshelfer zur Einbringung einer Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde für den Beschwerdeführer bestellt wird. Der Bescheid trägt den Eingangsstempel 15.10.1992, eine Fristeintragung ist weder am Stempel vermerkt noch aus dem Kanzleiterminkalender ersichtlich. Die kanzleiinterne Überprüfung und Rekonstruktion hat folgendes ergeben: Frau P., die in der Anwaltskanzlei mit sämtlichen Postagenden betraut ist, hat am 9.10.1992 die Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde von der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich übernommen und in der Folge beim Verwaltungsgerichtshof nachgefragt, wann die Zustellung an die Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich erfolgt ist, dort aber zunächst keine Auskunft erhalten. Herr Dr. Z. hat Frau P. angeordnet, bei der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich den restlichen Akt zu besorgen, sie hat in der Folge irrtümlich den am 15.10.1992 eingelangten Bestellungsbescheid für RA Dr. T. als diese Unterlage angesehen und in die für Dr. Z. bestimmte Mappe gelegt. Dr. Z. hat diese Mappe nicht näher untersucht, es bestand für ihn kein diesbezügliches Bedürfnis, da er den Akt schon von den Ausschußsitzungen her kannte. Erst anläßlich der Vorbereitung der zu verfassenden Gegenäußerung hat am 27.11.1992 abends Herr Dr. Z. den gegenständlichen Akt und die damit verbundene Fristversäumnis entdeckt. Bei Frau P. handelt es sich um eine erfahrene Mitarbeiterin in der Kanzlei der Rechtsanwaltspartnerschaft, die die ihr übertragenen Agenden, insbesondere die Postagenden bislang zur vollsten Zufriedenheit erfüllt hat. In der Anwaltskanzlei hat Frau P. die Aufgabe, die einlangenden Schriftstücke zu öffnen, mit einem Eingangsstempel (Tagesstempel) zu versehen und die entsprechende Frist sowohl auf dem Eingangsstempel, als auch in einem hiefür vorgesehenen Fristenkalender zu vermerken. Die Schriftstücke werden dann in den jeweiligen Akt eingelegt und auf einen sogenannten Poststapel gebracht, wo dann ausschließlich ein Rechtsanwalt der Partnerschaft eine Kontrolle der Richtigkeit des eingetragenen Termines und auf die durchgeführte Eintragung vornimmt. Im gegenständlichen Fall hat Frau P. offensichtlich nur die Vorderseite des eingegangenen Bescheides der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer beachtet und deshalb keine Fristvormerkung vorgenommen. In der Folge sind die Unterlagen irrtümlich als Kammerakt behandelt worden und in die für Dr. Z. vorgesehene Mappe eingelegt worden. Daraus erklärt sich auch, daß das in der Rechtsanwaltskanzlei bestehende Kontrollsystem, nämlich die Kontrolle der eingetragenen Fristen im Hinblick auf Richtigkeit und Eintragung nicht gegriffen hat, da der gegenständliche Akt durch das irrtümliche Einlegen gar nicht zur Kontrolle durch einen Anwalt gelangt ist. Beim gegenständlichen Versäumnis handelt es sich um eine menschliche Unzulänglichkeit, welche Frau P. bislang noch nie unterlaufen ist. In der Anwaltskanzlei ist durch entsprechende Kontrollen dafür vorgesorgt worden, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Ein derartiges Versehen, nämlich die irrtümliche Nichteintragung einer Frist und Einlegung in einen falschen Akt kann auch gar nicht durch Kontrollen verhindert werden."

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Der bevollmächtigte Anwalt muß den Aufgaben, die ihm aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit nachkommen, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Insbesondere muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. z.B. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. März 1991, Zl. 91/10/0018, und die dort angeführte Rechtsprechung). Ein Rechtsanwalt verstößt auch dann gegen seine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im allgemeinen noch im besonderen wirksame Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Falle des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumung auszuschließen geeignet sind. Ein Verschulden trifft ihn in einem solchen Fall nur dann nicht, wenn dargetan wird, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des entsprechenden Kanzleiangestellten beruht (vgl. z.B. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Mai 1991, Zl. 91/14/0061, und die dort zitierte Rechtsprechung). Die Grundsätze über die gebotene Sorgfaltspflicht des Rechtsanwaltes gelten nicht nur für einen von den Parteien bevollmächtigten, sondern auch für einen für die Partei zur Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalt (vgl. z.B. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1988, Zl. 88/08/0278).

Die Art und Intensität der über die Kanzlei ausgeübten Kontrolle ist bereits im Wiedereinsetzungsantrag darzutun (vgl. z. B. die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Mai 1991, Zlen. 91/07/0045, 0046, und vom 8. Juli 1991, Zlen. 91/19/0172, 0173).

Die Art der über die Kanzleiangestellte ausgeübten Kontrolle betreffend wird im vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag lediglich vorgebracht, daß nach Vorlage der Eingangsstücke mit dem jeweiligen Akt "ein Rechtsanwalt der Partnerschaft eine Kontrolle der Richtigkeit des eingetragenen Termines und auf die durchgeführte Eintragung vornimmt". Mit diesen lediglich auf die Überprüfung der Richtigkeit der Eintragungen im Fristenvormerk bezogenen Ausführungen wird nicht dargetan, daß in der Kanzleiorganisation des Vertreters des Beschwerdeführers organisatorische Maßnahmen getroffen wurden, die die tatsächliche Vorlage der Eingangsstücke gewährleisten sollen. Der Verwaltungsgerichtshof hat gleichgelagerte Sachverhalte betreffend ausgesprochen, daß bei der Organisation einer Rechtsanwaltskanzlei vorzukehren ist, daß Einlaufstücke nicht so bearbeitet werden, daß die Möglichkeit ihrer Verlegung in anderen Akten besteht, bevor sie der Rechtsanwalt überhaupt zu Gesicht bekommen hat (vgl. z.B. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. März 1991, Zl. 91/10/0018); im Wiedereinsetzungsantrag ist darzutun, inwiefern die Vorlage der Eingangsstücke überwacht werde, d.h. mit welchen organisatorischen Maßnahmen dem etwaigen "Verschwinden" von Eingangsstücken zu begegnen versucht werde (vgl. z.B. den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. September 1990, Zl. 90/10/0070). Im vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag findet sich kein Hinweis darauf, daß der Vertreter des Beschwerdeführers der ihm insoweit obliegenden Überwachungspflicht nachgekommen wäre bzw. das Bestehen einer solchen Pflicht überhaupt erkannt hätte. Daß die Fristversäumung im konkreten Fall auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten der betreffenden Kanzleiangestellten beruht hätte, wurde ebenfalls nicht behauptet. Der Wiedereinsetzungsantrag läßt somit nicht erkennen, daß der Vertreter des Beschwerdeführers ohne sein Verschulden bzw. aus einem einen minderen Grad des Versehens nicht übersteigenden Verschulden verhindert war, die Frist zur Erhebung der Beschwerde einzuhalten. Der Wiedereinsetzungsantrag war daher abzuweisen.

Damit war die gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebrachte Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist des § 26 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. ohne weiteres Verfahren mit Beschluß zurückzuweisen.

Es erübrigt sich daher ein Abspruch über den zur Zl. AW 92/01/0280 protokollierten Antrag des Beschwerdeführers, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992011062.X00

Im RIS seit

03.04.2001

Zuletzt aktualisiert am

02.07.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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