TE Vwgh Erkenntnis 1993/1/20 92/01/0740

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Veröffentlicht am 20.01.1993
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §46;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des T in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. April 1992, Zl. 4.310.120/2-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 27. Februar 1991 ab und sprach aus, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Ghanas, der am 4. Februar 1991 in das Bundesgebiet eingereist sei, habe am 5. Februar 1991 einen Asylantrag gestellt. Schon bei diesem Anlaß sowie bei seiner niederschriftlichen Befragung am 24. Februar 1991 und in seiner Berufung habe er angegeben, Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas zu sein. Am 20. Mai 1989 sei diese Religionsgemeinschaft von der ghanaesischen Militärdiktatur verboten worden. Am selben Tag seien deren "Priester", in der Folge auch Mitglieder verhaftet worden. Da der Beschwerdeführer gehört habe, daß viele von ihnen getötet worden seien, habe er beschlossen, sein Land zu verlassen. Obwohl er einen Paß besessen habe, sei er im Mai 1989 illegal nach Nigeria gereist, wo er sich bis 28. Jänner 1991 aufgehalten und gehofft habe, wieder in seine Heimat zurückkehren zu können. Da jedoch eine Besserung nicht zu erwarten gewesen sei und er in Nigeria damit habe rechnen müssen, abgeschoben zu werden, weil es sich um ein befreundetes Regime handle, sei er nach Österreich gekommen. Nach Darlegung der Rechtslage stellte die belangte Behörde fest, daß nach Berichten von Amnesty International im Zusammenhang mit dem Verbot der Zeugen Jehovas keine Menschenrechtsverletzungen bekannt geworden seien, d.h. es lägen keine Informationen über eine Inhaftierung von Anhängern dieser Religionsgemeinschaft, die Anwendung von Folter oder die Verhängung der Todesstrafe vor. Die Polizei schreite nur dann ein und verhänge Geldstrafen, wenn "ein Meeting" gegen das Gesetz verstoße. Diejenigen Verhaftungen, die zu Anfang Aufsehen erregt hätten und in den Zeitungen gemeldet worden seien, hätten sich auf "dubiose" Ausländer beschränkt, die des Landes verwiesen worden seien. Auch der Beschwerdeführer selbst habe eine Verfolgung seiner eigenen Person konkret nicht behauptet, sondern sei lediglich auf Grund von Beobachtungen bzw. Berichten Dritter ausgereist. Es müßten jedoch konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden, solche habe er aber nicht anführen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Dem Beschwerdeführer ist schon insoweit zuzustimmen, als er in der Bezugnahme der belangten Behörde auf Berichte von Amnesty International - welche in den vorgelegten Verwaltungsakten nicht enthalten sind - einen Verfahrensmangel erblickt. Solche Berichte hätte die belangte Behörde, wenn sie ihren Bescheid darauf stützen wollte, jedenfalls dem Beschwerdeführer zur Kenntnis bringen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme hiezu bieten müssen. Dazu wäre die belangte Behörde umso mehr verhalten gewesen, als der UN Hochkommissär für die Flüchtlinge in einem Schreiben vom 15. März 1991 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß die angeführte Religionsgemeinschaft in Ghana seit 1989 nicht mehr geduldet werde, und der Beschwerdeführer in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid zum Beweis für die Richtigkeit seines Vorbringens hinsichtlich der Verfolgung von Anhängern der angeführten Religionsgemeinschaft seine neuerliche Einvernahme ausdrücklich beantragt hat.

Durch das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ist somit keineswegs klargestellt, daß die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Furcht vor Verfolgung von vornherein als unbegründet angesehen werden müßte. So hat die belangte Behörde selbst die Angaben des Beschwerdeführers über das Verbot der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas im Heimatland des Beschwerdeführers als zutreffend erkannt. Unter Zugrundelegung der unwiderlegten Angaben des Beschwerdeführers, denenzufolge er, unmittelbar nachdem ihm die Mißhandlungen und Tötungen seiner Glaubensgenossen bekannt geworden waren, sein Heimatland, obwohl er im Besitz eines Reisepasses gewesen war, illegal verlassen hat, kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Ausreise aus seinem Heimatland im Zeitpunkt der Flucht auf begründeter Furcht, aus Gründen der Religion verfolgt zu werden, beruhte. Daß aber diese Furcht auf Grund einer mittlerweile eingetretenen Änderung der Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mehr berechtigt gewesen wäre, hat die belangte Behörde nicht stichhältig dargetan. Die in der Heranziehung von für die konkrete Situation des Beschwerdeführers allein nicht aussagekräftigen Unterlagen und in der Verletzung des Parteiengehörs gelegenen Verfahrensmängel erweisen sich sohin als wesentlich.

Da der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil der Beschwerdeführer im Rahmen der ihm gewährten Verfahrenshilfe von der Verpflichtung zur Entrichtung von Stempelgebühren befreit worden ist.

Schlagworte

Beweismittel Auskünfte Bestätigungen Stellungnahmen Parteiengehör Parteiengehör Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992010740.X00

Im RIS seit

27.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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