Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Baumann als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 19. Juni 1992, Zl. UVS-03/19/01451/92, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 26. Juni 1991 um 9.10 Uhr in W, E-Straße 10, ein Kraftfahrzeug nicht zur Durchführung einer Ladetätigkeit abgestellt, obwohl an dieser Stelle ein durch das Vorschriftszeichen "Halten und Parken verboten" kundgemachtes Halte- und Parkverbot ("Ladezone") besteht. Er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 24 Abs. 1 lit. a StVO begangen. Es wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.
Hiegegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren nie bestritten, daß sein Kraftfahrzeug zur Tatzeit am Tatort abgestellt war. Vielmehr hat er bereits im Einspruch gegen die erstinstanzliche Strafverfügung geltend gemacht, die gegenständlichen Vorschriftszeichen seien vor vielen Jahren angebracht worden, als sich im Hause E-Straße 10 eine Firma XY niedergelassen habe, bei der es ein ständiges An- und Abfahren von Lkws gegeben habe. Diese "Firma" sei vor mehr als fünf Jahren in Konkurs gegangen. Seither befinde sich im Hause E-Straße 10 niemand mehr, zu dessen Gunsten ein Halte- und Parkverbot existieren könne. Vielmehr handle es sich um ein reines Übersehen der zuständigen Behörde, daß sie trotz "Verlust der Existenz" der Firma XY eine Ladezone weiter belassen habe, die keinen Sinn mehr habe. Der Beschwerdeführer beantragte hierüber Beweise aufzunehmen, insbesondere die Verordnung MA 46-V 1-76/61 beizuschaffen und die Frage zu prüfen, ob und ab welchem Zeitpunkt die Ladezone mangels Berechtigter ihren Sinn verloren habe.
Die belangte Behörde wies diese Beweisanträge ab, weil ihre Durchführung an ihrem "Kalkül" nichts hätte ändern können. Aus der Behauptung des Beschwerdeführers, der Grund der seinerzeitigen Verordnungserlassung sei zwischenzeitlich weggefallen, sei kein entlastendes Moment zu gewinnen; dies insbesondere im Hinblick darauf, daß ein formeller Aufhebungsakt durch die Behörde nach der Erlassung der Verkehrsbeschränkung bislang nicht vorgenommen worden sei.
Mit diesen Ausführungen hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt: Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kann eine straßenpolizeiliche Verordnung durch Änderung des Sachverhaltes gesetzwidrig werden, mag sie auch im Zeitpunkt ihrer Erlassung gesetzmäßig gewesen sein. Zwar muß die Anpassung einer Verordnung an den geänderten Sachverhalt nicht unverzüglich erfolgen. Vielmehr ist dem Verordnungsgeber hiefür eine gewisse Zeitspanne zuzubilligen. Die Verzögerung ist jedoch im allgemeinen nur so lange tolerabel, bis der Verordnungsgeber von der Änderung des Sachverhaltes Kenntnis erlangte oder erlangen mußte und es ihm sodann zumutbar ist, die Anpassung der Norm vorzunehmen. Dafür, daß sich der Verordnungsgeber von einer möglichen Änderung des Sachverhaltes innerhalb angemessener Zeiträume informiert, sorgt § 96 Abs. 2 StVO. Danach hat die Behörde alle zwei Jahre unter Beiziehung des Straßenerhalters alle angebrachten Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs daraufhin zu überprüfen, ob sie noch erforderlich sind; nicht mehr erforderliche Einrichtungen dieser Art sind zu entfernen. Daraus ergibt sich einerseits die Verpflichtung der Behörde, alle zwei Jahre von Amts wegen (auch ohne daß besondere Hinweise vorliegen) zu überprüfen, ob die seinerzeit für die Erlassung etwa eines Halteverbotes gegebenen Voraussetzungen weiterhin vorliegen; andererseits aber, daß eine derartige Verordnung zwei Jahre hindurch (ab ihrer Erlassung oder ihrer letzten Überprüfung) vom Gesetz regelmäßig auch dann gedeckt ist, wenn die zum Zeitpunkt ihrer Erlassung gegebenen Voraussetzungen in der Folge wegfallen; es sei denn, daß der Behörde früher auf Grund besonderer Umstände bekannt war oder bekannt sein mußte, der der Verordnung zugrunde liegende Sachverhalt habe sich geändert. Die Verletzung der durch § 96 Abs. 2 StVO ausgesprochenen Verpflichtung der Behörde begründet für sich allein aber noch keine Gesetzwidrigkeit jener Verordnungen zur Regelung oder Sicherung des Verkehrs, bei denen die Kontrolle nach § 96 Abs. 2 StVO unterblieben ist (vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 2. März 1990, V 34/89, und VfSlg. 9588/1982).
Das im Verwaltungsverfahren erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers war nun dahin zu verstehen, daß die betreffende Verordnung gesetzwidrig sei, weil sie zur Tatzeit im Sinn des § 43 Abs. 1 lit. c StVO von den dort aufgezählten Voraussetzungen her (seit mehr als fünf Jahren) nicht mehr erforderlich war. Eine Befassung mit diesem Vorbringen hat die belangte Behörde für entbehrlich gehalten. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar ausgesprochen, es gebe keine Bestimmung, welche die Behörde verpflichte, sich mit der Frage der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung auseinanderzusetzen, darüber Beweise abzuführen und in diesem Zusammenhang ihre Erwägungen in die Bescheidbegründung aufzunehmen. Eine dem Art. 89 Abs. 2 B-VG, wonach ein Gericht, wenn es gegen die Anwendung einer Verordnung aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken hat, den Antrag auf Aufhebung dieser Verordnung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen hat, entsprechende Regelung in bezug auf Verwaltungsbehörden sei der österreichischen Rechtsordnung fremd (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1982, Zl. 82/02/0164, sowie auch das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 1990, Zl. 89/18/0193). Aus dieser Rechtsprechung ist für die belangte Behörde aber in Hinblick auf die nunmehrige Rechtslage nichts zu gewinnen. Bei der belangten Behörde handelt es sich nämlich um einen unabhängigen Verwaltungssenat, für welchen gemäß Art. 129a Abs. 3 B-VG die Bestimmung des Art. 89 B-VG sinngemäß gilt. Der Beschwerdeführer hat zwar kein subjektives Recht darauf, daß der unabhängige Verwaltungssenat von seinem Anfechtungsrecht Gebrauch macht. Eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides könnte daher darin, daß der unabhängige Verwaltungssenat Bedenken des Beschwerdeführers gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung nicht teilt, nicht gelegen sein. Im Beschwerdefall ist der Beschwerdeführer in seinen Rechten aber dadurch verletzt worden, daß die belangte Behörde sein Vorbringen in Verkennung ihres Anfechtungsrechtes überhaupt für unbeachtlich gehalten hat. Damit wurde die rechtliche Position des Beschwerdeführers insoweit nachteilig berührt, als die Möglichkeit einer - die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens nach sich ziehenden - Aufhebung der Verordnung durch den Verfassungsgerichtshof bereits anläßlich des Berufungsverfahrens von vornherein ausgeschlossen wurde.
Da Feststellungen zu den maßgeblichen Umständen, etwa zum behaupteten Wegfall des Unternehmens der Firma XY (diese scheint im Verordnungsakt zur Zl. MA 46-V 1-67/73 als Antragstellerin auf; anläßlich der Erlassung der betreffenden Verordnung wurde die vom Beschwerdeführer genannte, zur Zl. MA 46-V 1-67/61 erlassene Verordnung aufgehoben) oder zum Vorhandensein anderer umliegender Unternehmungen, die ein erhebliches wirtschaftliches Interesse im Sinne des § 43 Abs. 1 lit. c StVO haben könnten, fehlen, sieht sich der Verwaltungsgerichtshof zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht in der Lage, bereits von sich aus mit einer Antragstellung gemäß Art. 139 Abs. 1 B-VG vorzugehen oder eine solche Notwendigkeit abschließend zu verneinen.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz war abzuweisen, da es nur der einfachen Vorlage des angefochtenen Bescheides bedurfte.
Schlagworte
Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Rechtslage Rechtsgrundlage RechtsquellenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992020237.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
29.03.2013