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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der D in V, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Juni 1992, Zl. 4.284.746/10-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. Juni 1992 wurde ausgesprochen, daß Österreich der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, die mit ihren beiden mj. Kindern am 7. September 1989 in das Bundesgebiet eingereist ist, kein Asyl gewähre.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerdeführerin hat anläßlich ihrer Erstbefragung am 30. Oktober 1989 bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich angegeben, sie sei kurdischer Volkszugehörigkeit und ohne religiöses Bekenntnis. Sie habe keiner politischen Partei oder Gruppierung angehört. Ihr Ehemann sei in der Türkei inhaftiert, nach 21 Tagen wieder entlassen worden und in die Schweiz geflüchtet. Seit diesem Zeitpunkt sei sie mehrmals von Polizisten in ihrer Wohnung aufgesucht und über den Aufenthalt ihres Mannes befragt worden. Die Besuche hätten sich mehrmals pro Woche gehäuft. Auch seien Hausdurchsuchungen durchgeführt worden, da man offensichtlich gehofft habe, Post von ihrem Mann zu finden. Man habe sie nie körperlich mißhandelt, jedoch psychisch unter Druck gesetzt. Durch Bestechung habe sie einen Reisepaß erhalten und sei im Frühjahr 1989 ausgereist. Da sie jedoch an der österreichischen Grenze zurückgewiesen worden sei, sei sie in die Türkei zurückgekehrt. Dort sei sie nach dem Grund ihrer Ausreise befragt und ständig unter Druck gehalten worden. Ihr Mann sei schließlich in die Türkei zurückgekehrt und habe die Beschwerdeführerin und ihre beiden Kinder außer Landes nach Österreich gebracht.
Gegen den ihren Asylantrag abweisenden Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 21. Dezember 1989 erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie ausführte, sie habe während der oftmaligen Hausdurchsuchungen auf dem Boden liegen müssen und sei Schmähungen ausgesetzt gewesen. Ihr Vater sei geschlagen worden. Sie und ihre Familie seien in der Folge in ihrer Heimatstadt sozial geächtet worden, dies auch deshalb, da sie keine praktizierenden Moslems seien.
Am 30. April 1991 gab der Ehemann der Beschwerdeführerin in deren Namen vor der Behörde erster Instanz niederschriftlich einen Berufungsverzicht ab. Am 23. Juli 1991 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens, da der Berufungsverzicht lediglich von ihrem Gatten unterfertigt worden sei. Dieser sei jedoch nicht bevollmächtigt gewesen, auch sei sie selbst bei der Anfertigung der Niederschrift nicht anwesend gewesen, weshalb die Berufungsverzichtserklärung vollkommen unwirksam sei.
Nach Darlegung der Rechtslage sowie nach der Feststellung, daß am 1. Juni 1992 beim Bundesministerium für Inneres anhängige Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 zu Ende zu führen seien, vertrat die belangte Behörde die Auffassung, daß das Vorbringen, durch Hausdurchsuchungen psychisch unter Druck gesetzt worden zu sein, nicht als Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 qualifiziert werden könne. Es fehle nicht nur an der nötigen Intensität, sondern es wären die beschriebenen Maßnahmen auch nicht aus einem im Asylgesetz genannten Grund erfolgt. Dem über die erstinstanzlichen Angaben hinausgehenden Berufungsvorbringen komme keine Glaubwürdigkeit zu, weil Asylwerber erfahrungsgemäß gerade bei der ersten Befragung spontan jene Angaben machten, die der Wahrheit am nächsten kämen.
Auch das Vorbringen, den Reisepaß durch Bestechung erhalten zu haben, sei unglaubwürdig, da Personen, an denen der Staat Interesse habe, keinesfalls einen Reisepaß erhalten würden. Da die Beschwerdeführerin nach ihrem ersten Ausreiseversuch in die Türkei zurückgekehrt sei, erscheine das Vorliegen von Verfolgung unwahrscheinlich.
Die Beschwerdeführerin rügt zunächst als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, daß die belangte Behörde den vom Gatten der Beschwerdeführerin abgegebenen, unwirksamen Berufungsverzicht nie zur Kenntnis hätte nehmen dürfen. Zum Zeitpunkt dieses "Berufungsverzichtes" sei der Bescheid zweiter Instanz bereits ausgefertigt, jedoch nur noch nicht zugestellt gewesen. Entgegen dem angefochtenen Bescheid sei die damals beabsichtigte Entscheidung positiv im Sinne der Asylgewährung gewesen. Der Beschwerdeführerin wäre daher, hätte die belangte Behörde den angeblichen Berufungsverzicht nicht berücksichtigt, ein positiver Bescheid zugestellt worden. Außerdem wäre das nunmehrige Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl. Nr. 8/1992, nicht zur Anwendung gekommen, was für ihren Rechtsstandpunkt ebenfalls eine Erleichterung bedeutet hätte. Da sich die Verhältnisse seit April 1991 nicht geändert hätten, sei nicht einzusehen, daß die belangte Behörde, trotz Vorliegens einer positiven Stellungnahme des Hochkommissärs der Vereinten Nationen, den Antrag auf Gewährung von Asyl nun abweise.
Zunächst ist der Beschwerdeführerin entgegenzuhalten, daß ihre Behauptung, ein positiv lautender Bescheid sei bereits ausgefertigt gewesen, in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten keine Deckung findet. Im übrigen treten die Rechtswirkungen eines schriftlichen Bescheides gemäß § 62 Abs. 1 AVG gegenüber einer Person erst dann ein, wenn er dieser gegenüber erlassen ist (vgl. Beschluß des VwGH vom 18. Februar 1988, Zl. 88/09/0002). Erlassen ist ein Bescheid aber erst mit Zustellung an die Partei (vgl. Beschluß vom 14. August 1991, Zl. 91/17/0039). Erst dann ist die Behörde daran gebunden, sofern besondere Vorschriften nichts anderes regeln. Durch Änderungen an einem Bescheidentwurf kann der Bescheidadressat nicht in seinen Rechten verletzt sein.
Aus dem von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Zuwarten mit der Berufungsentscheidung ist für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen, weil auch in Fällen, in denen die Rechtsmittelbehörde ihrer Entscheidung eine seit dem Ergehen des erstinstanzlichen Bescheides geänderte Gesetzeslage zugrunde zu legen hat, dem Umstand, daß sie in der Lage gewesen wäre, ihre Entscheidung zu einem früheren Zeitpunkt zu treffen und dadurch eine für den Rechtsmittelwerber günstigere Gesetzeslage zu verwerten, für die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung keine Bedeutung zukommt
(vgl. hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 1956, Zl. 3043/53). Somit kann auch ungeprüft bleiben, ob die Anwendung der alten Gesetzeslage, nämlich des Asylgesetzes (1968), tatsächlich eine Verbesserung des "Rechtsstandpunktes" der Beschwerdeführerin gebracht hätte.
Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, der Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge habe einer positiven Erledigung des Asylansuchens zugestimmt, hat dieser vielmehr eine ergänzende Befragung der Beschwerdeführerin befürwortet, die am 3. September 1990 über Veranlassung der belangten Behörde durchgeführt wurde.
Die Beschwerdeführerin hat das Vorliegen einer Gruppenverfolgung der nicht assimilierten Kurden in der Türkei geltend gemacht und diesbezüglich auf das Urteil des Verwaltungsgerichtes Stade vom 15. April 1991, Zl. 4 A 418/90, verwiesen. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt es bei der Beurteilung des Vorliegens von Fluchtgründen immer auf die konkrete Situation des jeweiligen Asylwerbers, nicht aber auf die allgemeinen politischen Verhältnisse an (vgl. z.B. Erkenntnis vom 20. Mai 1992, Zlen. 91/01/0353, 92/01/0259, u.v.a.). Insbesondere genügt der Hinweis auf die allgemeine Lage der Kurden in der Türkei nicht, sondern müssen konkrete, den Asylwerber selbst betreffende Umstände behauptet und bescheinigt werden, aus denen die in Art. 1 Abschn. A Z. 2 Flüchtlingskonvention geforderte Furcht rechtlich ableitbar ist (vom 5. Dezember 1990, Zl. 90/01/0202, und vom 16. Dezember 1992, Zl. 92/01/0897).
Der belangten Behörde ist auch insoweit zuzustimmen, als Hausdurchsuchungen und Befragungen hinsichtlich des Aufenthaltsortes des aus politischen Gründen geflüchteten Ehemannes der Beschwerdeführerin nicht als gegen die Beschwerdeführerin selbst gesetzte Verfolgungsakte angesehen werden können (vgl. etwa Erkenntnis vom 22. Februar 1989, Zl. 88/01/0325, vom 13. April 1988, Zl. 87/01/0332) und haben die geschilderten Maßnahmen auch nicht jene Intensität erreicht, daß von einer Verfolgung im Sinne der Konvention, die eine massive Bedrohung der Lebensgrundlagen voraussetzt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1991, Zl. 91/01/0146, vom 18. März 1992, Zl. 91/01/0192), gesprochen werden könnte.
Soweit die Beschwerdeführerin erst in ihrer Berufung sowie nun in der Beschwerde behauptet, die erwähnten Hausdurchsuchungen hätten lediglich dazu gedient, die Beschwerdeführerin als Angehörige eines aus politischen Gründen Geflüchteten unter Druck zu setzen und zu bestrafen, da im totalitären türkischen Regime Familien- bzw. Sippenhaftung herrsche, so ist ihr entgegenzuhalten, daß die belangte Behörde, die gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen hatte, zu Recht nicht auf dieses erstmals in der Berufung erstattete Vorbringen eingegangen ist. Dies gilt umsomehr, als die Beschwerdeführerin bei ihrer Ersteinvernahme nicht einmal Andeutungen in Richtung einer Sippenhaftung machte, sondern lediglich vermutete, man habe bei den Hausdurchsuchungen Post von ihrem Mann finden wollen. Angesichts dieser Gesetzeslage ist die Beschwerdeführerin auch nicht dadurch in ihren Rechten verletzt worden, daß die belangte Behörde das übrige Berufungsvorbringen im Hinblick auf die darin enthaltene Steigerung gegenüber den erstinstanzlichen Behauptungen als unglaubwürdig erachtet hat.
Der belangten Behörde ist auch insoweit beizupflichten, als sie die Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihr Heimatland, nachdem ihr Versuch, nach Österreich einzureisen, gescheitert war, als Indiz gegen eine bis zum Zeitpunkt der Rückkehr bestehende Verfolgung herangezogen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1992, Zlen. 91/01/0207, 0208).
Wohl ist der Beschwerdeführerin darin zuzustimmen, daß im angefochtenen Bescheid durch keine stichhältige Begründung dargelegt wurde, weshalb ihre Angaben, sie hätte einen Reisepaß nur durch Bestechung erhalten, von der belangten Behörde als unglaubwürdig angesehen wurden. Doch kann auch dieses Vorbringen der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, weil die Beschwerdeführerin keinerlei gegen ihre Person gerichteten behördlichen Aktivitäten vorgebracht hat, die als Verfolgung im Sinne der Konvention hätten gewertet werden können, sodaß der aufgezeigte Begründungsmangel nicht als wesentlicher Verfahrensfehler angesehen werden kann.
Die sich sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche EntscheidungenMaßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und BeweiseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992010745.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
23.02.2011