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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §38;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):92/07/0072Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerden 1. der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in Wien und der Stadt Wien, beide vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W (Zl. 92/07/0071) und 2. der Beschwerde des J in S, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in B (Zl. 92/07/0072), gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 13. Februar 1992, Zl. 3-30 P 231-92/29, betreffend Aussetzung eines Verfahrens gemäß § 38 AVG in einer Wasserrechtssache, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Erstbeschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 11.690,-- und dem Zweitbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.690,--, jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren aller beschwerdeführenden Parteien wird abgewiesen.
Begründung
Im Bereich der sogenannten K-Schütt, einem Schuttkegel in der Gemeinde S, wird seit Jahrzehnten Schotter abgebaut. Für bereits durchgeführte Schotterabbaumaßnahmen liegen wasserrechtliche Bewilligungsbescheide der Bezirkshauptmannschaft Bruck a.d. Mur vom 9. November 1959 und 7. Februar 1979 vor.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck a.d. Mur vom 19. Dezember 1990 wurde dem Zweitbeschwerdeführer die wasserrechtliche Bewilligung für die "Sanierung bzw. Schotterentnahme" auf den Grundstücken Nr. X und Nr. Y, KG. S, im Ausmaß von 480.000 m3 befristet bis 31. Dezember 1995 erteilt. Dieser Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck a.d. Mur wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 26. Juli 1991 gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen. (Bemerkt wird, daß im Zuge des Berufungsverfahrens der Zweitbeschwerdeführer sein ursprünglich Sanierung und Erweiterung des Schotterabbaues betreffendes Bewilligungsansuchen mit Schriftsatz vom 13. Juni 1991 hinsichtlich der Sanierung zurückgezogen hatte.)
Gegen diesen Bescheid des Landeshauptmannes vom 26. Juli 1991 brachte der Zweitbeschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ein, welcher mit Erkenntnis vom 10. Dezember 1991, Zl. 91/07/0117, den Berufungsbescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behob.
Aufgrund dieses Erkenntnisses erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, in dem sie das anhängige Berufungsverfahren gemäß § 38 AVG "bis zur rechtskräftigen Entscheidung der zu klärenden Vorfrage in Zusammenhang mit der rechtlichen und sachlichen Situation im Geländeabschnitt zwischen dem "Sanierungsbereich" und dem "Erweiterungsbereich"" aussetzte.
Begründet wurde dies im wesentlichen damit, daß hinsichtlich des Rechtsbestandes für bereits durchgeführten Schotterabbau wasserrechtliche Bewilligungen der Bezirkshauptmannschaft Bruck a.d. Mur vom 9. November 1959 und 7. Februar 1979 bestünden. Die Bewilligung vom 7. Februar 1979 stelle eine Ergänzung und zugleich Einschränkung des Bewilligungsbescheides aus 1959 dar, wobei zusätzlich mit Bescheid vom 12. Dezember 1979 "zwecks Abrundung" der im Jahr 1979 erhobenen Situation "Sanierungsmaßnahmen" zur Vorschreibung gelangt seien.
Die Bewilligung vom 7. Februar 1979 sei bis zum 31. Dezember 1987 befristet gewesen, und es liege für Schotterentnahmen, welche unbestrittenermaßen durchgeführt worden seien, ab diesem Zeitpunkt kein wasserrechtlicher Konsens vor. Da hinsichtlich der ursprünglich beantragten Sanierung vom Zweitbeschwerdeführer im Zuge des Berufungsverfahrens der Bewilligungsantrag zurückgezogen worden sei, stehe für die berufungsbehördliche Behandlung nur mehr die Erweiterung der Schotterentnahme zur Diskussion. Wie sich anläßlich der Berufungsverhandlungen, insbesondere derjenigen vom 18. Juni 1991, gezeigt habe, beabsichtige der Zweitbeschwerdeführer eine Nachprüfung seines Projektes auf die nun tatsächlich vorliegenden Geländegegebenheiten sowie eine allfällige Projektsabänderung. Desgleichen habe auch der von der belangten Behörde beigezogene wasserbautechnische Amtssachverständige gefordert, aus fachlicher Sicht das Projekt der Erweiterung auf die rechtlich abgedeckte Ausgangssituation (d.h. auf die Bewilligungsbescheide aus 1959 und 1979) abzustimmen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei unklar und bedürfe weiterer Erhebungen und Überprüfungen, "ob die Anknüpfung des Erweiterungsprojektes bei durch die Bescheide 1959 und 1979 auch rechtlich abgedeckter Situation" erfolgt sei, oder ob nicht das Projekt auf Geländegegebenheiten (Sohle und Flanken) aufbaue, welche von der rechtlichen Ausgangslage abwichen. Die Klärung der Ausgangssituation im Bereiche der Anknüpfung zwischen dem "Sanierungsbereich" und dem den Berufungsgegenstand bildenden "Erweiterungsbereich" sei unabdingbare Voraussetzung für eine Beurteilung des zur Bewilligung eingereichten Schotterentnahmeprojektes, und es stellten die in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG dar.
Es sei im Rahmen eines Verfahrens nach § 121 WRG 1959 von der Bezirksverwaltungsbehörde als hiefür zuständige Wasserrechtsbehörde festzustellen, ob die Schotterentnahmen bis zum 31. Dezember 1987 in Entsprechung der hiefür vorliegenden wasserrechtlichen Bewilligungen aus 1959 und 1979 erfolgt seien. Bei Überschreitungen werde der von der erstgenannten den erstbeschwerdeführenden Parteien eingebrachte wasserpolizeiliche Antrag zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes entsprechend zu berücksichtigen sein. Erst nach Abschluß dieses Kollaudierungsverfahrens einschließlich des eingeleiteten wasserpolizeilichen Verfahrens würden die Anknüpfungsmomente für das Erweiterungsprojekt vorliegen. Das Ergebnis der von der Behörde erster Instanz durchzuführenden vorgenannten Verfahren biete sodann die Grundlage für das im Berufungsstadium befindliche Verfahren der Erweiterung der Abbaumaßnahmen. Ohne Klärung der aufgezeigten Vorfrage sei eine Fortsetzung des Berufungsverfahrens nicht möglich, und es wäre, um von vornherein die Möglichkeit von Bindungskonflikten und die Erforderlichkeit von Wiederaufnahmen nach § 69 Abs. 1 lit. c AVG zu vermeiden, spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid wenden sich die vorliegenden Beschwerden der erstbeschwerdeführenden Parteien und der zweitbeschwerdeführenden Partei, mit denen jeweils inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, worin die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:
Gemäß § 38 AVG ist, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrundelegen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
Unter einer Vorfrage im Sinn des § 38 AVG ist eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. Voraussetzung für die Aussetzung gemäß § 38 AVG ist zum einen die Präjudizialität der Entscheidung über die Vorfrage und zum andern die Anhängigkeit des darüber bei der zuständigen Behörde durchzuführenden Verfahrens, wobei es im Ermessen der Behörde liegt, ob sie bei Vorliegen dieser beiden inhaltlichen Erfordernisse dann von der ihr in § 38 Satz zwei AVG eingeräumten Befugnis (Möglichkeit der Aussetzung) Gebrauch macht (vgl. hg. Erkenntnis vom 29. Juli 1992, Zl. 91/12/0295).
Präjudiziell ist nur eine Vorfragenentscheidung, die eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, d.h. eine notwendige Grundlage ist, und die diese Rechtsfrage in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1986, Zl. 86/07/0001). Ob die erstgenannte Voraussetzung zutrifft, hat die zur Hauptfragenentscheidung zuständige Behörde anhand der diesen Verfahrensgegenstand betreffenden Verwaltungsvorschriften zu prüfen.
Im gegenständlichen Fall liegen einerseits rechtskräftige wasserrechtliche Bewilligungen zum Schotterabbau aus 1959 und 1979, andererseits ein im Berufungsstadium befindliches wasserrechtliches Bewilligungsverfahren hinsichtlich Erweiterung des Schotterabbaues des Zweitbeschwerdeführers vor. Die belangte Behörde begründet ihren Aussetzungsbescheid nach § 38 AVG dahin gehend, daß die Klärung der Ausgangssituation im Bereiche der Anknüpfung zwischen "Sanierungsbereich" und dem den Berufungsgegenstand bildenden "Erweiterungsbereich" unabdingbare Voraussetzung für eine Beurteilung des zur Bewilligung eingereichten Schotterentnahmeprojektes sei.
Die "Klärung der Ausgangssituation" ist allerdings keine Rechts- sondern eine Tatfrage (die von der belangten Behörde hervorgehobene Zweckmäßigkeit der Abhandlung dieser Frage im Kollaudierungsverfahren ändert nichts daran, daß es sich weiterhin um eine Tatfrage handelt). Da aber eine bloße Tatfrage niemals eine Vorfrage sein kann, mangelte es bereits an der grundlegenden Voraussetzung zur Erlassung eines Aussetzungsbescheides nach § 38 AVG, womit eine Prüfung der sonstigen Voraussetzungen entfällt.
Soweit die belangte Behörde auf die Durchführung und den rechtskräftigen Abschluß des wasserrechtlichen Kollaudierungsverfahren betreffend die wasserrechtlichen Bewilligungsbescheide aus 1959 und 1979 Bezug nimmt, greift sie damit zwar den im hg. Vorerkenntnis vom 10. Dezember 1991, Zl. 91/07/0117, enthaltenen Hinweis auf, wonach das im § 121 WRG 1959 vorgesehene Verfahrensinstrumentarium geeignet erscheint, die Konsensgemäßheit bisher durchgeführter Maßnahmen des Zweitbeschwerdeführers gegenüber konsenslos erfolgten abzugrenzen und auf diesem Verfahrensergebnis aufbauend das anhängige Bewilligungsverfahren durchzuführen. Dies bewirkt aber nicht, daß die von der belangten Behörde gewählte Vorgangsweise, nämlich diese Frage als Vorfrage zu qualifizieren und das Verfahren bis zu deren Klärung auszusetzen, die von ihr intendierte "Klärung" zu einer Rechtsfrage werden läßt.
Der in Beschwerde gezogene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Bei dieser Sach- und Rechtslage erübrigte sich ein gesonderter Abspruch über den Antrag des Zweitbeschwerdeführers auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991; die Abweisung des Mehrbegehrens der erstbeschwerdeführenden Parteien betrifft den gemäß § 53 Abs. 1 VwGG nur einfach gebührenden, jedoch zweifach geltend gemachten pauschalierten Schriftsatzaufwand sowie - hier auch den Zweitbeschwerdeführer betreffend - Stempelgebühren für zur Rechtsverfolgung nicht erforderliche Beilagen.
Schlagworte
Ermessen VwRallg8European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992070071.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
03.01.2014