Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt B-VG Art144 Abs3 StGG Art8 StPO §140 Abs2 StPO §175 Abs1 Z2 StPO §177 Abs1 Z2Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Festnahme, Anhaltung und Personsdurchsuchung; Vorliegen eines Tatverdachtes aufgrund der Aussagen einer Zeugin und Fluchtgefahr; vertretbare Unterlassung der Einholung eines richterlichen Befehls auch bezüglich der PersonsdurchsuchungSpruch
Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß er am 16. Mai 1987 von Beamten des Gendarmeriepostens Lienz festgenommen und darauffolgend angehalten sowie einer Personsdurchsuchung unterzogen wurde, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Soweit sich die Beschwerde gegen die Personsdurchsuchung richtet, wird sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer in sonstigen Rechten verletzt wurde; im übrigen wird der Abtretungsantrag abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer (ein in der Bundesrepublik Deutschland wohnhafter deutscher Staatsangehöriger) wurde mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 14. August 1987 des Verbrechens des Raubes nach §142 Abs2 StGB schuldig erkannt, weil er (wie im Urteilstenor festgehalten ist) am 16. Mai 1987 in Lienz der A G dadurch, daß er sie festhielt und aus ihrer Manteltasche zwei Geldscheine im Wert von zusammen 150 S entnahm, mit Gewalt gegen deren Person mit Bereicherungsabsicht fremde bewegliche Sachen weggenommen hat, wobei der Raub ohne Anwendung erheblicher Gewalt an Sachen geringen Wertes begangen wurde und die Tat nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat. Das Landesgericht verhängte über ihn eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Die gegen dieses Urteil vom Beschwerdeführer ergriffenen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg.
Im gerichtlichen Strafverfahren wurde der Beschwerdeführer, welcher gemäß einem vom Untersuchungsrichter am 16. Mai 1987 um 19,15 Uhr dem Gendarmerieposten Lienz fernmündlich erteilten Auftrag (am folgenden Tag) in das Gefangenenhaus des Landesgerichtes Innnsbruck eingeliefert worden war, aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach §180 Abs2 Z1 StPO in Untersuchungshaft angehalten.
2. Mit der vorliegenden Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wendet sich der Beschwerdeführer gegen diesem gerichtlichen Strafverfahren unmittelbar vorangegangene (nicht auf einem richterlichen Befehl beruhende) Amtshandlungen von Beamten des Gendarmeriepostens Lienz im Dienst der Strafjustiz, nämlich einerseits gegen seine Festnahme am 16. Mai 1987 um 10,15 Uhr und die darauffolgende Anhaltung (bis zur Erteilung des richterlichen Befehls auf Einlieferung) sowie andererseits gegen die um etwa 10,30 Uhr am Gendarmerieposten vorgenommene Durchsuchung seiner Person. Er bestreitet, daß der Festnehmungsgrund der Fluchtgefahr gegeben war, und hält sowohl die Festnehmung als auch die Durchsuchung seiner Person unter dem Aspekt für rechtswidrig, daß richterliche Befehle hiezu nicht eingeholt worden waren.
In sachverhaltsmäßiger Hinsicht bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, daß er zum schon angeführten Zeitpunkt in Lienz am Bahnhof von Insp. F vorläufig in Verwahrung genommen worden sei, weil er vom verhaftenden Beamten für verdächtig gehalten worden sei, am selben Tag um etwa 5,30 Uhr zum Nachteil der A G in Lienz einen Raub an ihr begangen und hiebei 150 S erbeutet zu haben. Dieser Verhaftung sei ein Hinweis des Taxifahrers J F an die Beamten des Gendarmeriepostens Lienz vorausgegangen, daß jener den Beschwerdeführer auf der Kärntnerstraße in Richtung Postamt gehen gesehen habe. Diese Verständigung habe um etwa 10,05 Uhr stattgefunden. Dem sei ein Gespräch dieses Taxifahrers mit den Beamten O und W des Gendarmeriepostens Lienz vorausgegangen, in dem J F den Gendarmen gegenüber geäußert habe, er habe am Vortag, sohin am 15. Mai 1987, um etwa 5,45 Uhr einen (wie es in der Strafanzeige heiße) "verdächtigen Typen" mit schwarzer Jacke, Jeanshose und Kappe gesehen, der der Fußgängerin A G nachgeschaut habe. Er würde diesen Burschen wiedererkennen und unverzüglich die Gendarmerie verständigen, wenn er diesen sehe.
Etwa um 10,30 Uhr habe der Beschwerdeführer am Gendarmerieposten aufgrund der Aufforderung durch die Beamten seine Taschen geleert und hiebei auch sein Bargeld vorgelegt, das aus 14 Stück zusammengerollten 1.000 S-Banknoten und je einer klein zusammengefalteten 100 S- und 50 S-Banknote (- G habe behauptet, daß beide ihr geraubten Banknoten klein zusammengefaltet gewesen seien -) bestanden habe. Dennoch sei sodann eine Durchsuchung seiner Person durchgeführt worden.
3. Die Bezirkshauptmannschaft Lienz als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in welcher die Abweisung der Beschwerde begehrt wird.
II. Die Beschwerde ist, weil sämtliche Prozeßvoraussetzungen im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. zB VfSlg. 9384/1982) gegeben sind, zulässig. Sie erweist sich jedoch aufgrund folgender Erwägungen als nicht gerechtfertigt:
1. Was die Festnahme und darauffolgende Anhaltung des Beschwerdeführers anlangt, stimmt seine Sachverhaltsschilderung zwar mit der Darstellung durch die belangte Behörde und mit dem Inhalt des vom Verfassungsgerichtshof beigeschafften Aktes des Landesgerichtes Innsbruck (24 Vr 1880/87-Hv 129/87) überein, ist aber in einem wesentlichen Punkt unvollständig. Die Zeugin G, an welcher der Raub begangen worden war, gab nicht bloß eine genaue Personsbeschreibung des Täters, sondern erklärte darüber hinaus diesen als identisch mit jenem Mann, der sie am Morgen des vorangegangenen Tages in einer auffallenden, auch vom Zeugen F wahrgenommenen Weise beobachtet hatte. Wenn dieser Zeuge die Beamten des Gendarmeriepostens (mittelbar, nämlich über den Taxifunk und sein Dienstgeberunternehmen) im Hinblick auf das von den Gendarmeriebeamten früher geäußerte Ersuchen auf den von ihm neuerlich wahrgenommenen Beschwerdeführer hinwies, so enthielt dieser Hinweis sohin der Sache nach die Verständigung vom Aufenthaltsort des vermeintlichen Täters. Zieht man nun in Betracht, daß überdies die von der Zeugin G gegebene Beschreibung der Bekleidung des Täters auf den Beschwerdeführer zutraf, so kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Beschwerdeführer als Verdächtiger anzusehen war. Nach den damals gegebenen Umständen, nämlich daß der Gendarmeriebeamte dem Beschwerdeführer allein gegenüberstand, der Beschwerdeführer sich auf den Bahnhof begeben hatte sowie daß er eines schwerwiegenden Deliktes, und zwar des Verbrechens des Raubes, verdächtig war, war Fluchtgefahr im Sinne des §175 Abs1 Z2 StPO gegeben und es erschien die Einholung eines richterlichen Befehls zur Verhaftung wegen Gefahr im Verzug gemäß §177 Abs1 Z2 (§10 Z1) StPO nicht tunlich. Die Festnahme des Beschwerdeführers und seine (die gesetzliche Dauer nicht überschreitende) Anhaltung war somit gesetzmäßig, weshalb die Beschwerde - da auch eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm nicht in Betracht kommt - insoweit abzuweisen ist.
2. Was die Personsdurchsuchung des Beschwerdeführers betrifft, bedarf es keiner näheren Darlegungen darüber, daß die Gendarmeriebeamten im Hinblick auf den Gegenstand des Raubes bestrebt sein mußten, alle in der Verfügungsgewalt des Beschwerdeführers befindlichen Banknoten im Wert von 100 S und 50 S sicherzustellen; sie konnten sich demnach nicht darauf verlassen, daß der Beschwerdeführer (- folgt man diesbezüglich seiner Sachverhaltsdarstellung -) bereits sämtliche Banknoten dieses Wertes herausgegeben hatte. Bei dieser Sachlage ist die Handhabung des §140 Abs2 StPO (demzufolge die (Persons-)durchsuchung in der Regel (nur) kraft richterlichen Befehls unternommen werden darf) durch die einschreitenden Gendarmeriebeamten jedenfalls vertretbar. Ein in die Verfassungssphäre reichender Vollzugsfehler (etwa eine willkürliche Gesetzesanwendung, wodurch das Gleichheitsrecht verletzt würde) hat somit nicht stattgefunden. Anhaltspunkte für die Annahme, daß eine rechtswidrige generelle Norm angewendet wurde, bestehen nicht.
Die Beschwerde ist daher auch insoweit abzuweisen, als sie sich gegen die Personsdurchsuchung richtet.
3. Dem hilfsweise gestellten Antrag auf Beschwerdeabtretung an den Verwaltungsgerichtshof war bloß hinsichtlich der Personsdurchsuchung, nicht jedoch bezüglich der Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers stattzugeben (s. dazu die ständige Rechtsprechung, zB VfSlg. 9384/1982).
III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.
Schlagworte
Festnehmung, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Personsdurchsuchung, VfGH / AbtretungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:B638.1987Dokumentnummer
JFT_10099076_87B00638_00