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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des D in W, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesminister für Inneres vom 11. Mai 1992, Zl. 4.307.650/2-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, nach seinen Angaben ein "russischer" Staatsbürger, der sich zuletzt in Kiew aufhielt, reiste am 22. September 1990 mit einem Flug der Linie Aeroflot nach Österreich ein, wobei er sich im Besitz eines am 16. Juni 1985 vom Innenministerium in Kiew ausgestellten, bis 16. Juni 1994 gültigen Reisepasses und eines von der österreichischen Botschaft in Moskau am 21. September 1990 ausgestellten Sichtvermerkes befand. Er stellte am 26. November 1990 einen Asylantrag und brachte bei seiner am 22. Dezember 1990 durch die Sicherheitsdirektion Niederösterreich im Beisein eines Dolmetschers durchgeführten niederschriftlichen Befragung im wesentlichen folgendes vor:
Er sei bereits 1988 im Zuge einer Privatreise in Österreich gewesen; in Mödling wohne nämlich eine Tante von ihm.
Er habe kein religiöses Bekenntnis und sei in seiner Heimat bei keiner militärischen oder politischen Organisation gewesen. Den Militärdienst habe er nicht ableisten müssen, weil sein Cousin Oberst in der Armee sei und ihm dies ermöglicht habe.
Er habe in den Jahren 1965 bis 1975 die Grund- und Mittelschule in Kiew besucht und von 1982 bis 1986 ein "Autotransportstudium" mit Abschluß in Kiew absolviert; er sei "Dipl.-Ing. für Autotransport und Autospengler". Von 1976 bis 1979 habe er als Automechaniker in Kiew gearbeitet, von 1980 bis 1985 als Mechaniker bei einer Tankstelle in Kiew und von 1986 bis 1990 als Hausmeister an der Universität in Kiew. Er sei zwar jüdischer Abstammung, in seinem Reisepaß stehe aber, daß er russischer Abstammung sei. Weil er jüdischer Abstammung sei, sei er in seinem Land "von jedem gemieden und verfolgt" worden.
1985 habe er mit fünf weiteren jüdischen Arbeitern in einem staatlichen Betrieb gearbeitet. Dort seien ihnen immer wieder "Prügel zwischen die Beine" geworfen worden. Sie seien beschuldigt worden, Arbeiten absichtlich schlecht auszuführen oder von anderen Firmen Geld für die schlechte Arbeitsausführung bekommen zu haben.
Im Dezember 1985 seien sie zur Direktion vorgeladen worden, wo sie gezwungen worden seien, selbst Kündigungen zu schreiben. Drei seiner Mitarbeiter hätten in die USA ausreisen dürfen, dem Beschwerdeführer sei dies aber nicht gestattet worden, weil er laut Paß russischer Abstammung und mit einer Russin verheiratet gewesen sei. Er habe keine Arbeit mehr in seinem Beruf bekommen, sei aber über Intervention an der Universität Kiew als Hausarbeiter aufgenommen worden. Da er dort nur 70 Rubel verdient habe, sei er gezwungen gewesen, als Automechaniker schwarz zu arbeiten, um seine Familie erhalten zu können.
Anfang 1990 habe die Miliz des Bezirkes Zeleznodorovski von seiner Schwarzarbeit erfahren. Er sei deshalb ständig zu den Behörden vorgeladen worden und habe auch Geldstrafen bezahlen müssen. Im Mai 1990 sei die Garage, in der er seine Arbeiten durchgeführt habe, von einer Spezialeinheit der Polizei ausgeforscht worden. Die Garage sei gestürmt und die Autos, die der Beschwerdeführer in Arbeit gehabt habe, seien demoliert worden. Dem Beschwerdeführer habe man gedroht, man werde ihn ebenso zusammenschlagen wie die Autos, wenn er seine Schwarzarbeit nicht einstelle.
Im September 1990 habe ihn sein Cousin aus Österreich besucht. Dieser habe bemerkt, daß die Spezialeinheit der Polizei wieder eine Razzia in der Garage durchführen wolle und den Beschwerdeführer gewarnt. Der Beschwerdeführer sei geflüchtet, indem er mit einem Auto auf die Polizisten losgefahren sei. Diese hätten zu schießen begonnen und einige Male das Auto getroffen. Der Beschwerdeführer habe sich anschließend bei Verwandten versteckt. Dort sei er abermals von seinem Cousin aus Österreich besucht worden. Weil der Beschwerdeführer Angst vor einer Festnahme gehabt habe, habe er seinen Cousin ersucht, das Auto (offenbar jenes, mit dem der Beschwerdeführer vor der Polizei geflüchtet war) seinem Eigentümer zurückzubringen. Der Cousin des Beschwerdeführers sei dabei von der Polizei festgenommen, geschlagen und in Handfesseln abtransportiert worden. Als die Polizei entdeckt habe, daß sie den Cousin des Beschwerdeführers mit dem Beschwerdeführer verwechselt habe, sei dieser entlassen worden und habe ein Spital aufgesucht. Er sei dort wegen einer Gehirnerschütterung, Blutergüssen an der Stirn, Hämatomen am Hinterkopf und am linken Fuß vom 6. bis 10. September 1990 stationär behandelt worden. Darüber existiere eine schriftliche Bestätigung, in der auch festgehalten sei, daß der Cousin des Beschwerdeführers von Polizisten bewußtlos geschlagen worden sei. Als er sich darüber bei der Polizei beschwert habe, sei ihm erklärt worden, er habe Rußland sofort zu verlassen und solle nach Österreich gehen.
Der Beschwerdeführer habe bereits seit dem Frühjahr 1990 eine Einladung seiner Tante zu einem Besuch in Österreich gehabt und sich nach den Vorfällen mit seinem Cousin sowie auf Grund der Tatsache, daß er als Jude keine Arbeit mehr bekomme, entschlossen, Rußland zu verlassen.
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich stellte darauf hin mit Bescheid vom 28. Februar 1991 fest, daß beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention nicht zuträfen. Dagegen berief der Beschwerdeführer, wobei er abgesehen von teilweisen Wiederholungen seiner erstinstanzlichen Angaben folgendes vorbrachte:
Der Antisemitismus sei schon in der Zeit, als er noch studiert habe, "ins Unermeßliche" gestiegen, was für Juden ständige Kontrollen und Schikanen durch die Polizei bedeutet habe. Er habe ab 1986 nur mehr als Straßenkehrer Arbeit finden können, weil es nur eine einzige staatliche "Autofirma" gegeben habe. Diese habe den Beschwerdeführer wegen seiner jüdischen Abstammung aber nicht angestellt. 1990 habe in Kiew erstmals eine private "Autoreparaturfirma" eröffnet, für die er gearbeitet habe. Es seien aber ständig Mitglieder der "OMON" und der russischen Mafia gekommen, um Schutzgelder zu erpressen. Er habe sich geweigert, zu bezahlen. Gleichzeitig sei der antisemitische Druck auf den Beschwerdeführer gestiegen. Man habe ihn ständig aufgefordert, doch in sein "geliebtes Israel" zu verschwinden.
Die Zerstörung des Autos in der Werkstatt sei von Polizisten der "OMON (mit dem schwarzen Barett)" vorgenommen worden. Als der Beschwerdeführer den Vorfall mit seinem Cousin bei der Polizei anzeigen habe wollen, sei dies abgelehnt worden, weil die "OMON-Leute" in Zivil gewesen seien und es keine Zeugen gegeben habe. Der Beschwerdeführer habe daher so schnell wie möglich sein Land verlassen, da sein Leben bedroht gewesen sei.
Die belangte Behörde wies die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, er sei nicht Flüchtling i.S. des Asylgesetzes. Sie sprach dabei nach Wiedergabe der maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes und der Genfer Flüchtlingskonvention den divergierenden Angaben des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit ab und betonte, daß Asylwerber erfahrungsgemäß gerade bei der ersten Befragung spontan jene Angaben machten, die der Wahrheit am nächsten kämen. Behauptete Fluchtgründe könnten aber dann nicht als glaubwürdig angesehen werden, wenn ein Asylwerber die Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder gar widersprüchlich darstelle. Der Beschwerdeführer habe keine konkrete Verfolgung seiner Person darlegen können. Auch die Tatsache, daß ihm eine legale Ausreise gestattet worden sei, spreche gegen eine Verfolgung. Außerdem könne in Anbetracht der tiefgreifenden Änderungen im Heimatland des Beschwerdeführers nicht davon ausgegangen werden, daß er sich derzeit aus wohlbegründeter Furcht vor einer Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Aufenthaltsberechtigung verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde wendet sich zunächst gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung und betont, es sei der Vertreterin des Beschwerdeführers wiederholt mitgeteilt worden, daß es "eben nicht gerade die besten Dolmetscher (seien), die sich bereit fänden, in Traiskirchen zu übersetzen". Die Vertreterin des Beschwerdeführers habe selbst wiederholt in Erfahrung gebracht, daß es zu eklatanten Fehlübersetzungen gekommen sei. Es sei daher nicht zu akzeptieren, daß die belangte Behörde Widersprüchlichkeiten konstruiert habe.
Dem ist zu entgegnen, daß der Beschwerdeführer weder in seiner Berufung noch jetzt in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde näher darlegt, in welchen konkreten Punkten allenfalls eine unrichtige Übersetzung seines erstinstanzlichen Vorbringens erfolgt wäre. Der erhobene Einwand der schlechten Qualität der im Asylverfahren eingesetzten Dolmetscher entbehrt sohin jeder Konkretisierung in Richtung des Falles des Beschwerdeführers und ist daher von vornherein nicht von Relevanz.
Angesichts der Aktenlage kann aber der belangten Behörde keinesfalls vorgeworfen werden, sie hätte Widersprüche in den Angaben des Beschwerdeführers konstruiert. Solche Widersprüche sind vielmehr, wie dem oben eingehend wiedergegebenen Vorbringen des Beschwerdeführers in beiden Instanzen des Verwaltungsverfahrens unschwer zu entnehmen ist, in durchaus auffälliger Art und Weise vorhanden: Während der Beschwerdeführer in erster Instanz für die Zeit von 1986 bis 1990 eine Arbeit als Hausmeister an der Universität Kiew nannte behauptete er in der Berufung, ab 1986 nur mehr als Straßenkehrer Arbeit gefunden zu haben und 1990 für eine private "Autoreparaturfirma", die damals eröffnet habe, gearbeitet zu haben. Von Schwarzarbeit, wie in erster Instanz ausgeführt, war in der Berufung keine Rede mehr. Schließlich liegt auch im Bereich der unmittelbaren Gründe für die Ausreise des Beschwerdeführers aus seiner Heimat eine Diskrepanz in seinen Angaben vor. In erster Instanz nannte der Beschwerdeführer nämlich als Grund für seine Ausreise eine vorliegende Einladung seiner Tante für einen Besuch nach Österreich, die Vorfälle mit seinem Cousin und die Tatsache, daß er als Jude keine Arbeit mehr bekomme. In der Berufung hingegen brachte der Beschwerdeführer (ohne weitere Konkretisierung) vor, sein Leben sei bedroht gewesen.
Angesichts dieser erheblichen Widersprüche im Vorbringen des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde frei von Unschlüssigkeit den Argumenten des Beschwerdeführers insgesamt die Glaubwürdigkeit versagt.
Aus diesem Grund muß auch die erhobene Verfahrensrüge scheitern, die der belangten Behörde vorwirft, nicht durch gezielte Fragestellungen und Hinterfragungen die "ausschlaggebende Gesamtsituation" herausgearbeitet zu haben. Die belangte Behörde war angesichts des in sich grob widersprüchlichen Vorbringens des Beschwerdeführers nicht gehalten, weitere Ermittlungen in der jetzt vom Beschwerdeführer gewünschten Art anzustellen, weil es nach ständiger hg. Judikatur dem Asylwerber obliegt, alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtstellung vorzubringen (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1992, Zl. 92/01/0708, uva.). Dazu hatte der Beschwerdeführer aber insbesondere in seiner Berufung ausreichend Gelegenheit. Zu all dem kommt, daß der Beschwerdeführer auch jetzt in seiner Verwaltungsgerichtshofbeschwerde nicht aufzeigt, was er bei der von ihm vermißten weiteren Befragung bzw. Hinterfragung noch vorgebracht hätte.
In der Rechtsrüge behauptet der Beschwerdeführer, der angefochtene Bescheid nehme eine denkunmögliche Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention vor und wendet sich insbesondere dagegen, daß die belangte Behörde das Vorliegen wohlbegründeter Furcht damit umschrieben habe, daß davon erst dann gesprochen werden könne, wenn die Zustände im Heimatland eines Asylwerbers auch aus objektiver Sicht dergestalt seien, daß ein weiterer Verbleib des Asylwerbers in seiner Heimat aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen unerträglich geworden sei. Da sich die belangte Behörde mit dieser Rechtsauffassung im Einklang mit der ständigen hg. Judikatur befindet (vgl. dazu die bei Steiner, Österreichisches Asylrecht, S. 27 vorletzter Absatz und in FN 65 referierte hg. Judikatur; zuletzt z.B. das hg. Erkenntnis vom 16. September 1992, Zl. 92/01/0181, uva.) und nicht zu ersehen ist, wieso diese Auslegung des Begriffes der wohlbegründeten Furcht (gemäß Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) denkunmöglich sein sollte, haftet dem angefochtenen Bescheid diesbezüglich ebensowenig eine Rechtswidrigkeit an, wie hinsichtlich der Aussage, der Beschwerdeführer habe keine konkrete Verfolgung seiner Person aus Konventionsgründen darlegen können. Selbst dann, wenn man die in erster Instanz aufgestellten Behauptungen des Beschwerdeführers als bescheinigt ansehen wollte, wären die gegen ihn gesetzten Maßnahmen (so hart sie auch gewesen sein mögen) nicht aus Gründen seiner Rasse, sondern wegen der vom Beschwerdeführer entfalteten Schwarzarbeit gesetzt worden, worin aber keine Verfolgung aus einem der Gründe der Genfer Flüchtlingskonvention gelegen sein kann. Davon daß der Beschwerdeführer wegen seiner jüdischen Abstammung derartige Schwierigkeiten gehabt hätte, daß von einer massiven Bedrohung seiner Lebensgrundlage gesprochen werden könnte (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 4. November 1992, Zl. 92/01/0786 und die dort zitierte hg. Vorjudikatur) kann keine Rede sein.
Schon aus diesem Grund erweist sich daher der angefochtene Bescheid jedenfalls als frei von den vom Beschwerdeführer behaupteten inhaltlichen Rechtswidrigkeiten, sodaß dem - den angefochtenen Bescheid im übrigen gar nicht entscheidend tragenden - Argument der belangten Behörde betreffend allfällige tiefgreifende Änderungen im Heimatland des Beschwerdeführers kein besonderes Gewicht mehr zukommt. Auf die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen brauchte daher nicht weiter eingegangen zu werden.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen, wobei von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden konnte.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992010878.X00Im RIS seit
20.11.2000