TE Vwgh Erkenntnis 1993/2/17 92/01/0605

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Veröffentlicht am 17.02.1993
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
MRK Art13;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des M in G, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 3. April 1992, Zl. 4.325.296/3-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein rumänischer Staatsangehöriger, reiste am 30. Oktober 1991 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Bei der niederschriftlichen Befragung gab er an, er habe seit der Revolution keine Probleme mit den rumänischen Behörden gehabt. Er sei von diesen auch nicht vorgeladen worden. Zwischen Dezember 1989 und Februar 1990 habe er der "NRF" als Mitglied angehört. Nach Auslandsreisen (im März 1990 nach Österreich und im Jahr 1991 mehrmals in die Bundesrepublik Deutschland) sei er immer wieder nach Rumänien zurückgekehrt, weil damals keine Fluchtgründe bestanden hätten. Zur Flucht habe er sich entschlossen, als er am 7. Oktober 1991 von einem Beamten im Zusammenhang mit der beantragten Ausstellung eines Dienstpasses zu einer Spionagetätigkeit aufgefordert worden sei. Für den Fall einer Weigerung sei ihm mit Schwierigkeiten gedroht worden. Deshalb habe er am 29. Oktober 1991 seine Heimat verlassen. Im Falle seiner Rückkehr hätte er wahrscheinlich Schwierigkeiten; er habe jedoch keine Ahnung, welche.

Mit Bescheid vom 31. Oktober 1991 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.

In seiner Berufung äußerte der Beschwerdeführer zunächst allgemeine Kritik an der Praxis des Asylverfahrens und erstattete ein umfangreiches Vorbringen über die allgemeine Lage in Rumänien; darauf kommt er in der Beschwerde nicht mehr zurück. Seine persönliche Situation betreffend brachte er im wesentlichen vor, er habe von 1986 bis 1989 mit seiner Familie ein einziges Zimmer bewohnen müssen, ohne die Wohnung zugesprochen zu bekommen, die ihm zugestanden sei - und zwar deswegen, weil er es abgelehnt habe, Parteimitglied und Informant der Securitate zu werden. Auch nach der Revolution habe er in derselben Enge weiterleben müssen, weil er von Anfang an für die Beseitigung der "Ehemaligen und Korrupten" gekämpft habe. Aus den gleichen politischen Motiven sei vor der Revolution eine Erfindung, die er gemacht habe, erst sechs Monate nach der Anmeldung patentiert worden. Auch nach der Revolution habe er das Patent für eine weitere Erfindung erst ein Jahr nach der Anmeldung erhalten. Es sei ihm unter großen Schwierigkeiten der Aufbau einer Privatfirma gelungen. Ein Visum für eine Geschäftsreise habe er erst mit einmonatiger Verspätung erhalten; die Visaerteilung für zwei Mitarbeiter sei überhaupt abgelehnt worden. Dadurch sei eine geschäftliche Gelegenheit versäumt worden. Nach weiteren Darlegungen über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Rumänien führte der Beschwerdeführer aus, all dies habe ihn nicht dazu bewogen, seine Heimat zu verlassen. Er legte sodann folgendes dar:

"Es sind daher nicht wirtschaftliche Gründe, die uns hierher gebracht haben. In dem Augenblick aber, als mir der Genosse in der Konsulardirektion des Rumänischen Außenministeriums sagte, daß ich einen Paß für Geschäftsreisen nur unter der Bedingung erhalten würde, daß ich mit ihnen zusammenarbeite und falls ich dazu nicht bereit sei, er dafür Sorge tragen werde, daß es mir nicht gut gehe, da wurde mir bewußt, daß es in meiner Heimat für mich keinerlei Chance mehr gibt. Das Verbleiben im Lande hätte einen kurzen Kampf mit einem unsichtbaren Feind bedeutet, welcher sich überall und nirgends befindet, einen Kampf, in dem der Sieger bereits von vornherein feststand - und dieser Sieger wären keinesfalls wir gewesen. Aus diesem Grunde traf ich den verzweifelten Entschluß, Frau und Kinder zusammenzupacken und das Weite zu suchen."

In einer Ergänzung der Berufung, die im wesentlichen eine Wiederholung des Berufungsvorbringens enthält, verweist der Beschwerdeführer darüber hinaus auf eine Tätigkeit im "Stadtrat der Front zur nationalen Rettung (FSN)" in der Zeit vom 22. Dezember 1989 bis 8. oder 9. Jänner 1990. Die Streichung von der Liste der Anwärter für eine Wohnung sei "das Ergebnis dieser Tätigkeiten" gewesen. Deswegen seien auch Schikanen im Betrieb fortgesetzt worden, wie z.B. die Einteilung zur dritten Schicht oder bestenfalls zur zweiten, Zuteilung der schweren Arbeiten, ungerechtfertigte Strafen und das Ausbleiben jeglicher Belohnung für Verbesserungen. Im Oktober 1991 sei die Ausstellung eines Dienstpasses wegen seiner Weigerung, mit der Securitate zusammenzuarbeiten, abgelehnt worden. Diese Weigerung habe der Beamte der Paßabteilung mit der Drohung beantwortet, er werde dafür Sorge tragen, daß es dem Beschwerdeführer nicht gut gehen werde. Diese Drohung habe ihn bewogen, auszureisen. Die Verweigerung des Dienstpasses habe es ihm nämlich unmöglich gemacht, Handel mit Österreich und Deutschland zu treiben und die für die Reparatur von Elektrogeräten benötigten Ersatzteile zu beschaffen. Er habe daher keine Erwerbsmöglichkeit gehabt.

Mit Bescheid vom 3. April 1992 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Nach Darlegung des Verfahrensganges und der Rechtslage vertrat sie die Auffassung, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft dargelegt, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus den in der Genfer Konvention genannten Gründen außerhalb seines Heimatlandes befinde. Verzögerungen bei Visaerteilungen seien nicht dem Heimatstaat des Beschwerdeführers zuzurechnen, da zur Visaerteilung die Vertretungsbehörde des Ziellandes zuständig sei. Die Verweigerung der Ausstellung eines Passes für Geschäftsreisen könne nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führen, da die Reisefreiheit des Beschwerdeführers bereits durch Ausstellung eines gewöhnlichen Reisepasses gewährleistet gewesen sei. Die behauptete pauschale Drohung eines Beamten, es werde dem Beschwerdeführer schlecht gehen, erfülle weder in Qualität noch "Identität" die Erfordernisse einer Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention. Ein Recht auf adäquate Wohnverhältnisse, gerechte Arbeitsbedingungen und eine leistungsgerechte Entlohnung sei in der Genfer Konvention nicht festgeschrieben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat als Grund für das Verlassen seines Heimatlandes ausdrücklich die Weigerung der zuständigen staatlichen Behörde zur Ausstellung eines speziellen Dienstpasses - und zwar wegen der Ablehnung einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit - genannt. Alle anderen von ihm geschilderten Mißstände bezeichnet er als für das Verlassen seines Heimatlandes nicht maßgeblich; diese bedürfen im Beschwerdefall daher keiner weiteren Erörterung.

Der als Fluchtgrund genannte Sachverhalt erweist sich aber weder unter dem Gesichtspunkt der Intensität der Maßnahme (der Schwere des Eingriffes in Rechtsgüter des Asylwerbers) noch unter jenem des Zusammenhanges mit Konventionsgründen als geeignet, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe glaubhaft zu machen.

Als Fluchtgründe kommen unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes nur solche Maßnahmen in Betracht, die den weiteren Verbleib im Heimatland aus objektiver Sicht unerträglich erscheinen lassen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. September 1992, Zl. 92/01/0544). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist selbst die Verweigerung der Ausstellung eines Reisepasses für sich alleine weder als Verfolgung noch als Indiz für drohende künftige Verfolgung zu qualifizieren (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 19. September 1990, Zl. 89/01/0431, und vom 14. Oktober 1992, Zl. 92/01/0345). Umso weniger kann die Weigerung der staatlichen Behörde, dem Beschwerdeführer, der im Besitz eines Reisepasses war, mit dem er legal nach Ungarn ausreisen konnte (vgl. seine Niederschrift vom 31. Oktober 1991), einen speziellen Dienstpaß auszustellen, unter dem Gesichtspunkt der Intensität des Eingriffes in Rechtsgüter als Umstand angesehen werden, der zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung geeignet wäre. Dies gilt auch für die von der Beschwerde hervorgehobenen (vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren gar nicht als Fluchtgründe bezeichneten) "Verzögerungen bei der Ausstellung eines Sichtvermerkes", selbst wenn diese staatlichen Stellen des Heimatlandes des Asylwerbers zuzurechnen gewesen wären.

Soweit die Beschwerde auf die nicht adäquaten Wohn- und Arbeitsverhältnisse des Beschwerdeführers Bezug nimmt, ist (abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer auch diese Umstände als für das Verlassen des Heimatlandes nicht ausschlaggebend bezeichnet hat) darauf zu verweisen, daß Erschwerungen des wirtschaftlichen Fortkommens und eine beengte Wohnsituation unter dem Gesichtspunkt der Intensität des Eingriffes im allgemeinen keine Fluchtgründe darstellen; einen Sachverhalt, der eine massive Bedrohung der Lebensgrundlagen im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 16. September 1992, Zl. 92/01/0181) nach sich gezogen hätte, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet.

Bei seinen Darlegungen (im Berufungsverfahren) über Mißstände des gesellschaftlichen und politischen Systems in Rumänien handelt es sich um Hinweise allgemeiner Natur über die Verhältnisse im Heimatland, die die Flüchtlingseigenschaft ebenfalls nicht begründen können (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 16. September 1992, Zl. 92/01/0181, und die dort zitierte Vorjudikatur); die Gefahr individuell gegen ihn gerichteter, die Intensität einer Verfolgung im Sinne des Asylrechtes erreichende Maßnahmen hat der Beschwerdeführer auch damit nicht geltend gemacht.

Nach der Auffassung der Beschwerde habe die belangte Behörde die politische Komponente, die hinter dem Vorbringen des Beschwerdeführers in erster und zweiter Instanz gestanden sei, überhaupt nicht beachtet; diese bestehe darin, daß der Beschwerdeführer wegen seiner früheren Mitgliedschaft bei der NRF "mundtot" gemacht werden solle. Diesen Darlegungen ist - abgesehen davon, daß sich der angefochtene Bescheid im Ergebnis schon im Hinblick auf die oben dargelegten Gründe als rechtmäßig erweist - entgegenzuhalten, daß der Beschwerdeführer die von ihm allein als Fluchtgrund bezeichnete Verweigerung der Ausstellung eines Dienstpasses im Verwaltungsverfahren nicht mit seiner Tätigkeit bei der "NRF", sondern mit der von ihm behaupteten Ablehnung einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit in Zusammenhang gestellt hat.

Die behauptete Rechtsverletzung liegt somit nicht vor; die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992010605.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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