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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 29. September 1992, RegZl: 6-DK/48/92, betreffend Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach § 123 Abs. 1 BDG 1979, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer steht als Abteilungsinspektor der Gendarmerie in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Er ist Kommandant der Verkehrsabteilung-Außenstelle
X.
Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte der Kommandant der Verkehrsabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Tirol als unmittelbarer Dienstvorgesetzter am 29. Mai 1992 an seine Dienstbehörde gegen den Beschwerdeführer Anzeige wegen Verdachtes der Verletzung von Dienstpflichten erstattet. Darin war im wesentlichen ausgeführt worden, es bestehe der Verdacht, daß der Beschwerdeführer die vom stellvertretenden Kommandanten der Verkehrsabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Tirol verfügte Dienstplanänderung wissentlich nicht zur Kenntnis genommen und damit eine Weisung nicht befolgt habe. Außerdem sei der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung zur Wahrnehmung der Dienstaufsicht als Außenstellenkommandant nicht in der erforderlichen Form nachgekommen und habe damit eine weitere Dienstpflichtverletzung begangen.
Diese Disziplinaranzeige war in der Folge am 10. Juni 1992 von der Dienstbehörde gemäß § 110 Abs. 1 Z. 2 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (BDG 1979) an den Vorsitzenden der Disziplinarkommission weitergeleitet worden.
In zwei an den Bundesminister für Inneres gerichteten Schreiben vom 15. und 23. Juni 1992 gerichteten Schreiben nahm der Beschwerdeführer unter anderem zu den in dieser Disziplinaranzeige erhobenen Vorwürfen Stellung; er bezeichnete (mit jeweils näherer Begründung) die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen als haltlos und erhob den Verdacht, daß sie "im Sinne einer Falle vorgeplant worden sein könnten".
Die belangte Behörde beschloß daraufhin ohne Vornahme weiterer Erhebungsschritte in ihrer nichtöffentlichen Sitzung vom 4. September 1992 gegen den Beschwerdeführer gemäß § 123 Abs. 1 BDG ein Disziplinarverfahren einzuleiten (Einleitungsbeschluß). Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der angeschuldigte Sachverhalt gründe sich auf die vom Landesgendarmeriekommando für Tirol vorgelegte Disziplinaranzeige vom 10. Juni 1992 samt den dazugehörigen Beilagen, welche dem Beschwerdeführer gemäß § 109 Abs. 3 BDG ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Der Beschwerdeführer habe als Kommandant der Autobahn-Außenstelle X am 25. April 1992 die von ihm erstellten Dienstpläne für den Monat Mai 1992 dem Kommando der Verkehrsabteilung zur Kontrolle vorgelegt. Weil die Planung für den 1. Mai 1992 gravierende Fehler aufgewiesen habe, habe der stellvertretende Kommandant der Verkehrsabteilung den Originaldienstplan abgeändert. Außerdem sei mittels eines dem geänderten Dienstplan beigefügten Handzettels auf diese Änderung hingewiesen worden. Als Ergebnis dieser Änderung hätten zwei Beamte am 1. Mai 1992 anstelle von zehnstündigen Überstundendiensten zehnstündige Plandienste und eine weiterer Beamter anstelle eines zehnstündigen Überstundendienstes am 1. Mai 1992 überhaupt keinen Dienst mehr zu verrichten gehabt. Obgleich der Beschwerdeführer den geänderten Dienstplan am 30. April 1992 bei seinem Dienstantritt um 09.00 Uhr auf seinem Schreibtisch vorgefunden und offensichtlich auch festgestellt habe, daß Änderungen vorgenommen worden waren, habe er nicht in der erforderlichen Form reagiert, sodaß der stellvertretende Kommandant der Verkehrsabteilung am 1. Mai 1992 um 09.15 Uhr den Gendarmerierevierinspektor D als in der Dienststelle anwesend vorgefunden habe, obgleich er auf Grund der erfolgten Dienstplanänderung keinen Dienst zu verrichten gehabt hätte. Es bestehe der Verdacht, daß der Beschwerdeführer die vom stellvertretenden Kommandanten der Verkehrsabteilung verfügte Planänderung wissentlich nicht zur Kenntnis genommen und solcherart eine Weisung nicht befolgt habe. Weiters hätten sich, als der stellvertretende Kommandant der Verkehrsabteilung die Dienststelle des Beschwerdeführers am 1. Mai 1992 um 09.15 Uhr kontrollierte, sowohl die vier für den Außendienst vorgesehenen Beamten (Dienstbeginn 07.00 Uhr) als auch die vier für einen Radareinsatz zusätzlich eingeteilten Beamten (Dienstbeginn 08.00 Uhr) noch auf der Dienststelle befunden, sodaß von acht für den Verkehrsüberwachungsdienst vorgesehenen Beamten kein einziger auch tatsächlich auf der Autobahn gewesen sei und dies, obwohl der Beschwerdeführer am 1. Mai 1992 selbst ab 07.00 Uhr auf der Dienststelle anwesend gewesen sei und Dienst gehabt habe. Es bestehe daher der Verdacht, daß der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung zur Wahrnehmung der Dienstaufsicht als Außenstellenkommandant nicht in der zu erwartenden Weise nachgekommen sei und solcherart eine weitere Dienstpflichtverletzung begangen habe. Zur rechtlichen Begründung ihres Vorgehens verwies die belangte Behörde in der Folge auf die Bestimmungen der §§ 43 Abs. 1, 44 ABs. 1 und 45 Abs. 1 BDG 1979.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht darauf verletzt, daß gegen ihn ein Disziplinarverfahren nicht ohne Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere eines begründeten Verdachtes, eine Dienstpflichtverletzung begangen zu haben, eingeleitet werde. Insbesondere sei dem Spruch des angefochtenen Einleitungsbeschlusses nicht zu entnehmen, welches den Verdacht einer Dienstpflichtverletzung darstellende Verhalten dem Beschwerdeführer zur Last gelegt werde. Auch aus der Begründung sei das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verhalten nicht ersichtlich und es lasse nicht erkennen, warum sich ein Verdacht aus welcher angeblichen Dienstpflichtverletzung ergebe. Es werde lediglich ganz allgemein ausgeführt, was unter einer Weisung zu verstehen sei. Nicht ersichtlich sei jedoch, gegen welche Rechtsnorm der Beschwerdeführer konkret durch welches Verhalten verstoßen haben solle. Die belangte Behörde habe sich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, wann der Beschwerdeführer den geänderten Dienstplan vorgefunden habe und somit feststellen konnte, daß Änderungen vorgenommen worden seien. Sie habe sich auch nicht mit der Rechtfertigung des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Insbesondere könne aus dem im angefochtenen Einleitungsbeschluß dargestellten Sachverhalt keine Übertretung der zitierten Rechtsnormen erkannt werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Der Beschwerdeführer hat hiezu eine Replik erstattet.
Der Gerichtshof hat über die Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
Gemäß § 91 BDG 1979 ist der Beamte, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, nach diesem Abschnitt (d.h. dem neunten Abschnitt dieses Gesetzes) zur Verantwortung zu ziehen.
§ 118 Abs. 1 BDG 1979 sieht vor, daß das Disziplinarverfahren mit Bescheid einzustellen ist, wenn
1) der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Dienstpflichtverletzung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit ausschließen,
2) die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Dienstpflichtverletzung darstellt,
3)
Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen, oder
4)
die Schuld des Beschuldigten gering ist, die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Beschuldigten von der Verletzung der Dienstpflichten abzuhalten oder der Verletzung von Dienstpflichten durch andere Beamte entgegenzuwirken.
Nach § 123 Abs. 1 BDG 1979 hat der Vorsitzende der Disziplinarkommission nach Einlangen der Disziplinaranzeige die Disziplinarkommission zur Entscheidung darüber einzuberufen, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist. Notwendige Ermittlungen sind von der Dienstbehörde im Auftrag der Disziplinarkommission durchzuführen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben Ermittlungen der Disziplinarbehörde vor der Einleitung eines Disziplinarverfahrens das Ziel, zu klären, ob die Voraussetzungen für die Einleitung gegeben sind, oder ob allenfalls offenkundige Gründe für eine sofortige Verfügung der Einstellung des Disziplinarverfahrens vorliegen. Für die Einleitung des Verfahrens reicht es aus, wenn genügende Verdachtsgründe gegen den Beamten vorliegen, welche die Annahme einer Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Ein Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen gegeben erscheinen lassen. Verdacht ist mehr als eine bloße Vermutung, er setzt die Kenntnis von Tatsachen voraus, aus denen nach der Lebenserfahrung auf ein Vergehen geschlossen werden kann. Die Disziplinarkommission muß bei Fällung eines Einleitungsbeschlusses noch nicht völlige Klarheit darüber haben, ob ein bestimmter Beamter eine Dienstpflichtverletzung begangen hat; dies ist erst in dem der Einleitung des Verfahrens nachfolgenden Ermittlungsverfahren aufzuklären. Ebensowenig muß im Einleitungsbeschluß das dem Beamten zur Last gelegte Verhalten bereits abschließend rechtlich gewürdigt werden. Die dem Einleitungsbeschluß nach § 123 BDG 1979 zukommende rechtliche Bedeutung ist in erster Linie darin gelegen, dem beschuldigten Beamten gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird, was insbesondere für die Frage einer allfälligen Verjährung von ausschlaggebender Bedeutung ist vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Oktober 1990, Zl. 90/09/0044, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Für den Einleitungsbeschluß nach § 123 BDG 1979 kommen die Bestimmungen des § 58 Abs. 1 und 2 AVG insofern zur Anwendung, als er - neben der Rechtsmittelbelehrung - einen Spruch und eine Begründung zu enthalten hat. Im Spruch des Einleitungsbeschlusses ist das dem Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten, das als Dienstpflichtverletzung erachtet wurde, nur in groben Umrissen zu beschreiben. Die einzelnen Fakten müssen nicht bestimmt, d.h. in dem für eine Subsumtion relevanten Einzelheiten beschrieben werden. In der Begründung des Einleitungsbeschlusses ist darzulegen, warum sich nach dem geschilderten Verhalten der Verdacht einer Dienstpflichtverletzung ergibt (ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, vgl. beispielsweise Erkenntnis vom 30. Oktober 1991, Zl. 90/09/0192 mit weiteren Judikaturhinweisen). Typisch für den Verdacht ist, daß die dem Beschuldigten zur Last gelegte Dienstpflichtverletzung noch nicht nachweisbar ist, trotzdem aber so starke Verdachtsmomente bestehen, daß nach der Lebenserfahrung auf eine Dienstpflichtverletzung geschlossen werden kann.
Wie dem Spruch des angefochtenen Einleitungsbeschlusses zu entnehmen ist, entspricht dieser nicht den gerade dargelegten Erfordernissen, weil er sich lediglich auf die Aussage, daß gegen den Beschwerdeführer ein Disziplinarverfahren durchzuführen sei, beschränkt.
Rechtlich zutreffend weist aber die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift darauf hin, daß der Spruch eines Bescheides nicht für sich allein, sondern in Verbindung mit der Begründung zu beurteilen ist, insoweit sich aus dieser der von der Behörde angenommene maßgebende Sachverhalt, der als Anknüpfungspunkt für die rechtliche Beurteilung zu dienen hat, ergibt.
Die Begründung des Einleitungsbeschlusses beschränkt sich keineswegs auf die bloße Wiedergabe der dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebrachten Disziplinaranzeige; aus der oben wiedergegebenen Begründung ist vielmehr zu entnehmen, worin die belangte Behörde den Verdacht der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen sieht, nämlich darin, daß er die von seinem unmittelbaren Dienstvorgesetzten verfügte Dienstplanänderung nicht zur Kenntnis genommen und damit eine Weisung nicht befolgt habe sowie seiner Verpflichtung zur Wahrnehmung der Dienstaufsicht als Außenstellenkommandant nicht in der von ihm zu erwartenden Weise nachgekommen sei. Es ist somit klar ersichtlich, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzungen ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist. Der Grund für die Einleitung ist sowohl in sachverhaltsmäßiger als auch in rechtlicher Hinsicht dargelegt. Die oben wiedergegebenen Beschuldigungen genügen aber auch noch den an die Formulierung von Anschuldigungspunkten zu stellenden Anforderungen. Es werden die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen mit den Merkmalen, die für die Individualisierung und Konkretisierung erforderlich und für den Verdacht des Verstoßes gegen die Dienstpflichten von Bedeutung sind, ebenso angegeben, wie die Dienstpflichten, deren Verletzung dem Beschwerdeführer zur Last gelegt werden.
Was letztlich das Vorbringen betrifft, die belangte Behörde hätte sich mit den Einwendungen des Beschwerdeführers zur Disziplinaranzeige auseinandersetzen müssen, ist ihm zu erwidern, daß dies, zumal keine offenkundigen Einstellungsgründe im derzeitigen Stadium des Verfahrens erkennbar sind, Aufgabe der mündlichen Disziplinarverhandlung sein wird. In dieser wird das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verhalten nach weiterer Beweisaufnahme einer abschließenden rechtlichen Beurteilung zu unterziehen sein.
Auf dem Boden der oben dargelegten Rechtslage reichen im Beschwerdefalle die in der Disziplinaranzeige und im angefochtenen Bescheid enthaltenen Tatsachen sowie die darin gegen den Beschwerdeführer erhobenen Beschuldigungen für die berechtigte Annahme der belangten Behörde aus, gegen den Beschwerdeführer liege ein für die Einleitung des Disziplinarverfahrens ausreichender Tatverdacht vor.
Im übrigen können Verfahrensmängel nur dann zu einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen, wenn die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Mängel zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. Dies ist im vorliegenden Fall, bezogen auf die eingangs dargestellte Funktion des Einleitungsbeschlusses und ausgehend von den gegen den Beschwerdeführer erhobenen Beschuldigungen, nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht möglich.
Solcherart mußte aus den dargelegten Gründen die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abgewiesen werden.
Schlagworte
Spruch und Begründung"zu einem anderen Bescheid"Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992090309.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
17.11.2016