TE Vwgh Erkenntnis 1993/2/19 89/17/0222

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Veröffentlicht am 19.02.1993
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Index

L03507 Gemeindewahl Bürgermeisterwahl Tirol;
L10017 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt Tirol;
L34007 Abgabenordnung Tirol;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §68 Abs4 lita;
AVG §68 Abs4 Z1;
AVG §7 Abs1 Z5;
AVG §7 Abs1;
BAO §299 Abs1 lita;
B-VG Art130 Abs2;
GdO Tir 1966 §38 Abs3;
GdO Tir 1966 §38;
GdWO Tir §67 Abs4;
LAO Tir 1984 §222 Abs1 lita;
LAO Tir 1984 §56 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):89/17/0223

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Puck, Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schidlof, über die Beschwerden des S in P, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in I, gegen die Bescheide der Tiroler Landesregierung je vom 20. September 1989, Zlen. Ib-8434/2 (hg. Zl. 89/17/0222) und Ib-8454/1 (hg. Zl. 89/17/0223), beide betreffend Wasserleitungsgebühren (mitbeteiligte Partei: Gemeinde P), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 23.320,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde schrieb dem Beschwerdeführer mit Abgabenbescheid Nr. 182 vom 19. Oktober 1987 (für das Jahr 1987) und mit Bescheid Nr. 178 vom 13. Oktober 1988 (für das Jahr 1988) unter anderem Wasserleitungsgebühren in der Höhe von S 3.641,40 bzw. S 2.781,20 zur Zahlung vor.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer jeweils Berufung und verwies darin auf den Beschluß des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 10. April 1949, womit dem Hof P Nr. 1 das Recht auf kostenlose Wasserversorgung aus der Gemeindeleitung zugesagt worden sei.

Nachdem ein erster Berufungsbescheid vom 30. November 1988 von der Vorstellungsbehörde aufgehoben worden war, wies der Gemeindevorstand der Gemeinde P mit Bescheid vom 12. Juli 1989 auf Grund eines in der Sitzung vom 10. Juli 1989 gefaßten Beschlusses die Berufung gegen den erstgenannten Bescheid als unbegründet ab. Laut Niederschrift über die Sitzung des Gemeindevorstandes vom 10. Juli 1989 waren hiebei der Bürgermeister, der Vizebürgermeister und zwei "Gemeindevorstände" anwesend. Hinsichtlich der Berufung des Beschwerdeführers heißt es in der Niederschrift:

"Der Bürgermeister übergibt den Vorsitz wegen Befangenheit an den Vizebürgermeister.

Der Gemeindevorstand stellt fest, daß der Bescheid vom 30. November 1988, Zl. 929-0-0465/1988, falsch verfaßt wurde. Der Bescheid hat zu lauten "der Gemeindevorstand weist den Abgabenbescheid Nr. 182 vom 19. Oktober 1987 als unbegründet zurück"."

In einem mit 11. Jänner 1990 datierten "Nachtrag zum Gemeindevorstandsprotokoll vom 10. Juli 1989" heißt es:

"Der Beschluß müßte richtig lauten, daß DIE BERUFUNG GEGEN den Abgabenbescheid Nr. 182 vom 19. Oktober 1987 als unbegründet ABgewiesen wird (statt Zurückgewiesen wird).

Es wird festgehalten, daß der Gemeindevorstand den Beschluß einstimmig mit 3 Stimmen gefaßt hat.

Es wird festgehalten, daß der Bürgermeister sich an der Beratung und der Abstimmung nicht beteiligt hat."

Die Berufung des Beschwerdeführers gegen den zweitgenannten Bescheid des Bürgermeisters wurde mit dem auf Grund des in der Gemeindevorstandssitzung vom 26. Jänner 1989 gefaßten Beschlusses mit Bescheid vom 12. Juli 1989 als unbegründet abgewiesen. Laut Niederschrift über die Sitzung des Gemeindevorstandes vom 26. Jänner 1989 waren hiebei dieselben Personen wie in der oben genannten Sitzung vom 10. Juli 1989 anwesend. In dieser Niederschrift heißt es betreffend die Berufung des Beschwerdeführers:

"Der Bürgermeister übergibt den Vorsitz wegen Befangenheit an den Vizebürgermeister.

Der Gemeindevorstand beschließt mit 2 Jastimmen und 1 Neinstimme die Vorstellung gegen den Abgabenbescheid Nr. 178 vom 13.10.1988 als unbegründet abzuweisen."

In einem mit 11. Jänner 1990 datierten Nachtrag zum Protokoll vom 26. Jänner 1989 heißt es:

"Der Beschluß müßte richtig lauten, daß die BERUFUNG (statt: Vorstellung) gegen den Abgabenbescheid Nr. 178 vom 13.10.1988 als unbegründet abgewiesen wird. Der Gemeindevorstand hat sich im Ausdruck vergriffen.

Es wird festgehalten, daß der Bürgermeister sich an der Beratung und der Abstimmung nicht beteiligt hat."

Gegen die beiden genannten Berufungsbescheide erhob der Beschwerdeführer Vorstellung. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wies die Tiroler Landesregierung die Vorstellungen als unbegründet ab, weil die privatrechtliche Vereinbarung laut Gemeinderatsbeschluß vom 10. April 1949 und der öffentlich-rechtliche Gebührenanspruch der Gemeinde voneinander unabhängig seien.

Gegen diese beiden Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden. Nach dem gesamten Inhalt seines Vorbringens erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht verletzt, daß die gegenständlichen Wasserleitungsgebühren ihm nicht vorgeschrieben werden. Er beantragt, die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde erstattete jeweils eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerden als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres engen persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und hierüber erwogen:

Unter dem Gesichtspunkt einer "Unzuständigkeit" rügt der Beschwerdeführer, die erstinstanzlichen Bescheide seien vom Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde erlassen worden. Wie sich aus dem Protokoll über die Sitzung des Gemeindevorstandes vom 10. Juli 1989 ergebe, habe der Bürgermeister auch an der Sitzung teilgenommen, bei der über die Berufung gegen den erstgenannten Bescheid beraten und abgestimmt worden sei. Es genüge nicht, wenn der Bürgermeister lediglich den Vorsitz dem Vizebürgermeister übergebe. Die Berufungsbehörde sei daher nicht gesetzmäßig zusammengesetzt gewesen und habe daher als unzuständig zu gelten.

Weiters sei der Bürgermeister, wie sich aus der Niederschrift über die Gemeindevorstandssitzung vom 26. Jänner 1989 ergebe, auch bei der Beschlußfassung und Entscheidung über die zweitgenannte Berufung anwesend gewesen, sodaß der Gemeindevorstand nicht gesetzmäßig zusammengesetzt gewesen sei. Für die Unzuständigkeit und unrichtige Zusammensetzung des Gemeindevorstandes genüge die Anwesenheit des Bürgermeisters.

Zu diesem Vorbringen ist zunächst zu bemerken, daß dann, wenn die Vorstellungsbehörde eine etwaige Unzuständigkeit der obersten Gemeindeinstanz nicht wahrgenommen hätte, dies richtigerweise zur Aufhebung der Vorstellungsbescheide wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts (und nicht wegen Unzuständigkeit) führen müßte. Davon abgesehen zieht die Mitwirkung eines befangenen Organes in einer Kollegialbehörde nicht die Unzuständigkeit dieser Behörde nach sich (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Jänner 1990, Zl. 88/12/0069, und die dort angeführte weitere Rechtsprechung).

Aus anderen Gründen liegt allerdings in beiden Beschwerdefällen Unzuständigkeit des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vor.

Gemäß § 56 Abs. 2 TLAO kann bei Entscheidungen über Berufungen gegen Bescheide des Bürgermeisters durch den Gemeindevorstand (Stadtrat) an Stelle des befangenen Bürgermeisters von diesem ein Mitglied des Gemeinderates seiner Gemeinderatspartei (Wahlgemeinschaft) zu den Sitzungen des Gemeindevorstandes (Stadtrates) einberufen werden. In Ausübung dieser Aufgabe kommen diesem Gemeinderatsmitglied die Befugnisse eines weiteren Vorstandsmitgliedes zu.

Eine gleichartige Vorschrift betreffend Bescheide des Bürgermeisters im eigenen Wirkungsbereich enthielt § 67 Abs. 4 der (laut § 89 Abs. 2 der Tiroler Gemeindewahlordnung 1991, LGBl. Nr. 79, mit 1. Dezember 1991 außer Kraft getretenen) Tiroler Gemeindewahlordnung 1973, LGBl. Nr. 63 (TGWO 1973).

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes liegt es nun nicht etwa im Ermessen des Bürgermeisters, ob er - unter der Voraussetzung, daß mindestens ein Mitglied des Gemeinderates seiner Gemeinderatspartei (Wahlgemeinschaft) existiert - dieses Mitglied zur Sitzung des Gemeindevorstandes einberuft oder nicht. Vielmehr bezweckt das Gesetz offenbar, in Befangenheitsfällen die Beschlußfähigkeit des Gemeindevorstandes tunlichst aufrecht zu erhalten und hiebei auch die in der Mitgliedschaft zum Gemeinderat zum Ausdruck kommenden politischen Kräfteverhältnisse wenn möglich nicht zu verändern. Dem Worte "kann" im § 56 Abs. 2 TLAO kommt also die Bedeutung von "muß" zu (vgl. hiezu etwa Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht2, 238).

Vom selben Verständnis des Wortes "kann" in § 67 Abs. 4 der Tiroler Gemeindewahlordnung 1973 ist der Verwaltungsgerichtshof auch in seinen Erkenntnissen vom 19. Juni 1986, Zl. 85/06/0035, und vom 22. September 1988, Zlen. 88/06/0034 u.a., ausgegangen. Er hat insbesondere in seinem zuerst genannten Erkenntnis dargetan, daß er sich der Meinung des damaligen Beschwerdeführers, es sei die Beschlußfassung gemäß § 38 Abs. 3 letzter Satz der Tiroler Gemeindeordnung 1966, LGBl. Nr. 4 idF. VOR der Novelle LGBl. Nr. 98/1991 (TGO) wegen Befangenheit der Mehrheit der Gemeindevorstandsmitglieder auf den Gemeinderat übergegangen, nicht anschließen könne, weil zunächst - nach der Vorschrift des § 67 Abs. 4 TGWO 1973 als lex specialis zu § 38 TGO - an die Stelle des Mandates des Bürgermeisters das von ihm einberufene Mitglied des Gemeinderates zu treten HABE.

Es ist daher auch in den beiden Beschwerdefällen davon auszugehen, daß der Bürgermeister ein Mitglied des Gemeinderates seiner Gemeinderatspartei (Wahlgemeinschaft) zu den gegenständlichen Sitzungen des Gemeindevorstandes hätte einberufen müssen. Da dies nicht geschehen ist, war der Gemeindevorstand in beiden Fällen unrichtig zusammengesetzt. Dies hatte zur Folge, daß der Gemeindevorstand als unzuständige Behörde anzusehen war (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 583, angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

Da die belangte Behörde diesen Umstand nicht zum Anlaß der Aufhebung der beiden Berufungsbescheide nahm, hat sie - wie bereits angedeutet - ihre Bescheide ihrerseits mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu deren Aufhebung führen mußte. Auf das weitere Beschwerdevorbringen war daher nicht mehr einzugehen; insbesondere konnten allfällige Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der den gegenständlichen Gebührenvorschreibungen zugrundeliegenden Gemeindeverordnungen aus dem Grunde der Nichtberücksichtigung des Beschlusses vom 10. April 1949 (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1992, V 93, 94/21-28) nicht aufgegriffen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere auch auf deren Art. III Abs. 2.

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen Befangenheit offenbare UnrichtigkeitenErmessenEinfluß auf die SachentscheidungBefangenheit der Mitglieder von Kollegialbehörden

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1989170222.X00

Im RIS seit

03.04.2001

Zuletzt aktualisiert am

03.08.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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