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L40019 Anstandsverletzung Lärmerregung Wien;Norm
B-VGNov 1974 Art11 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 28. Juli 1992, Zl. UVS-03/02/00594/92, betreffend Übertretungen nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 und Art. VIII EGVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Übertretung des Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, hinsichtlich der Übertretung des Art. VIII EGVG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) und die Bundeshauptstadt (Land) Wien haben dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 5.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 28. Juli 1992 wurde der Beschwerdeführer unter anderem schuldig erkannt, er habe am 2. Jänner 1991 in der Zeit von 6.52 Uhr bis 7.03 Uhr in W "sich ungeachtet vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht, während sich dieses in rechtmäßiger Ausübung des Dienstes befand, ungestüm benommen, durch lautes Schreien der Worte "Du Rotzbua, wos holtst midoda auf" und heftiges Herumgestikulieren mit den Händen vor dem Gesicht des Sicherheitswachebeamten und gleichzeitigem Einschreien auf diesen der vorgenannten Worte" sowie "durch lautes Schreien vorgenannter Worte ungebührlicherweise störenden Lärm erregt" und dadurch Verwaltungsübertretungen nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG sowie Art. VIII zweiter Fall EGVG begangen. Es wurden zwei Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
I. Zur Übertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG:
Nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer sich ungeachtet vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während sich diese Personen in rechtmäßiger Ausübung des Amtes oder Dienstes befinden, ungestüm benimmt.
Aus der von einem Organ der öffentlichen Aufsicht gegen den Beschwerdeführer erstatteten Anzeige vom 2. Jänner 1991 geht hervor, daß der Beschwerdeführer das ihm als Übertretung des Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG zur Last gelegte Verhalten - Schreien der Worte "Du Rotzbua Was holtst midoda auf" - zu einem Zeitpunkt gesetzt hat, als noch keine Abmahnung vorlag. Das dem Beschwerdeführer im angefochtenen Bescheid konkret zur Last gelegte Verhalten kann daher mangels Erfüllung des Tatbestandsmerkmales der vorangegangenen Abmahnung nicht unter Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG subsumiert werden.
Der die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Übertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG aussprechende Teil des angefochtenen Bescheides leidet daher an einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
II. Zur Übertretung nach Art. VIII zweiter Fall EGVG:
Nach Art. VIII (in der als landesgesetzliche Vorschrift in Wien in Geltung stehenden Fassung) EGVG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer den öffentlichen Anstand verletzt (erster Fall) oder ungebührlicherweise störenden Lärm erregt (zweiter Fall).
Der Beschwerdeführer bringt vor, nach Art. IV Abs. 2 der Kundmachung, BGBl. Nr. 50/1991, werde Art. VIII EGVG "als nicht mehr geltend festgestellt".
Art. IV Abs. 2 der Kundmachung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 50/1991, mit der das Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen wiederverlautbart wird, lautet:
"Art. VIII steht, soweit er nicht durch Art. I Z. 7 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 232/1977 aufgehoben worden ist, auf Grund des Art. XI Abs. 1 der Bundes-Verfassungsgesetznovelle 1974, BGBl. Nr. 444, nicht mehr als Bundesgesetz in Geltung und wird insoweit als nicht mehr geltend festgestellt."
Damit wird entsprechend der durch die B-VG-Novelle 1974, BGBl. Nr. 444/1974 geschaffenen Rechtslage lediglich festgestellt, daß Art. VIII EGVG nicht mehr Bestandteil des BUNDESRECHTS ist. Die Bestimmung gilt jedoch für Wien als landesgesetzliche Vorschrift.
Angelegenheiten der Abwehr ungebührlicherweise hervorgerufenen störenden Lärmes wurden durch die B-VG-Novelle 1974, BGBl. Nr. 444, in Gesetzgebung und Vollziehung in die Zuständigkeit der Länder Übertragen. Mit dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der B-VG-Novelle 1974
(1. Jänner 1975) sind daher die diese Angelegenheiten betreffenden Regelungen des Art. VIII EGVG gemäß Art. XI Abs. 1 der B-VG-Novelle 1974 zu Landesrecht transformiert worden. Art. VIII EGVG gilt in jenen Ländern, die, wie das in Wien der Fall ist, eine eigenständige landesgesetzliche Regelung des Gegenstands nicht getroffen haben, als Landesgesetz. Art. VIII EGVG gilt daher zwar nicht mehr als Bundesrecht, wohl aber als landesgesetzliche Regelung. Der Einwand des Beschwerdeführers geht somit ins Leere.
Lärm ist dann störend, wenn er seiner Art und/oder seiner Intensität nach geeignet ist, das Wohlbefinden normal empfindener Menschen zu beeinträchtigen. Lärm wird ungebührlicherweise erregt, wenn das Verhalten, das zur Erregung des Lärms führt, jene Rücksicht vermissen läßt, die im Zusammenleben verlangt werden kann. Strafbarkeit ist bereits dann gegeben, wenn die Lärmerregung - nach einem objektiven Maßstab - geeignet erscheint, von anderen, nicht beteiligten Personen als ungebührlich und störend empfunden zu werden (so die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes; vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Oktober 1987, Zl. 87/10/0116, und die dort angeführte Vorjudikatur).
Lautes Schreien mit einem Polizeibeamten verstößt gegen die Anforderungen an ein Verhalten, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden kann und erfüllt daher das Tatbestandselement des Ungebührlichen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. April 1992, Zl. 90/10/0039, und die dort angeführte Vorjudikatur).
Was das Tatbestandselement des Störenden anlangt, so ist im angefochtenen Bescheid ausgeführt, die diesbezüglichen Aussagen des Meldungslegers hätten durch nichts widerlegt werden können, schon gar nicht durch das Vorbringen des Beschwerdeführers, daß es infolge des Verkehrslärms im Bereich Kärntner
Straße - Lothringerstraße schon faktisch unmöglich sei, einen ungebührlicherweise störenden Lärm zu erzeugen, sowie daß er allenfalls kritische Bemerkungen gegenüber dem Polizisten in normaler Lautstärke vorgetragen habe. Mit diesen Ausführungen hat die belangte Behörde aber nicht ausreichend begründet, daß der Beschwerdeführer STÖRENDEN Lärm im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung erregt hat. Es finden sich keine entsprechenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid, aus denen zweifelsfrei auf die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmales des "störenden Lärms" geschlossen werden könnte. Die von der belangten Behörde gegebene Begründung entspricht nicht dem § 60 AVG. Die belangte Behörde hat daher den die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Übertretung nach Art. VIII zweiter Fall EGVG betreffenden Teil ihres Bescheides mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. An Stempelgebühren waren lediglich S 480,-- für vier Ausfertigungen der Beschwerde sowie S 180,-- für EINE Ausfertigung des angefochtenen Bescheides zu entrichten. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren war daher abzuweisen.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992100389.X00Im RIS seit
03.12.2001Zuletzt aktualisiert am
12.05.2009