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L92059 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Wien;Norm
ABGB §521;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 10. September 1991, Zl. MA 12 - 13710/91, betreffend Ersatz von Kosten für Sozialhilfeleistungen nach dem Wiener Sozialhilfegesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 10.650,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrates Wien, Magistratsabteilung 17 - Gebührenreferat vom 17. Juni 1991 wurde der Beschwerdeführer unter Anwendung des § 26 Abs. 1 des Wiener Sozialhilfegesetzes, LGBl. für Wien Nr. 11/1973 in der derzeit geltenden Fassung, in Verbindung mit § 1 der Verordnung der Wiener Landesregierung vom 5. Dezember 1989, LGBl. für Wien Nr. 49/89, und vom 19. Dezember 1990, LGBl. für Wien Nr. 69/90, sowie in Verbindung mit § 57 Abs. 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 (AVG 1950), BGBl. Nr. 172/1950 in der derzeit geltenden Fassung, verpflichtet, dem Sozialhilfeträger Wien die für den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Pflegeheim Lainz in der Zeit vom 17. Dezember 1990 bis 30. Juni 1991 aufgewendeten Kosten in der Höhe von S 74.155,-- zu ersetzen. Begründet wurde dieser Bescheid im wesentlichen damit, daß nunmehr bekannt geworden sei, daß der Beschwerdeführer zur Zeit der Hilfeleistung über ein Vermögen von 101/1272 Anteilen an einer Liegenschaft verfügt habe.
Mit Bescheid der Magistratsabteilung 17 vom 16. Juli 1991 wurde die vom Beschwerdeführer fristgerecht erhobene Vorstellung als unbegründet abgewiesen, weil "in Anbetracht des Vermögens von 101/1272 Anteilen an der Liegenschaft", welches der Beschwerdeführer bei Antragsaufnahme nicht angegeben habe, diesem "zur Zeit seines Aufenthaltes im Pflegeheim Lainz daher kein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen" zustünde.
Auf das in der Vorstellung vorgebrachte Argument, diese Liegenschaftsanteile, mit denen das Wohnungseigentum an der Wohnung n2 des Hauses verbunden sei, seien bereits aufgrund des Notariatsaktes vom 31. März 1976 der damals minderjährigen Tochter der Ehegattin des Beschwerdeführers A gegen Einräumung eines lebenslänglichen Wohnungsrechtes schenkungsweise überlassen worden, ging die Behörde nicht ein, obwohl der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers bereits mit Schreiben vom 16. April 1991 den von ihm angesprochenen Notariatsakt vom 31. März 1976 samt weiteren hier nicht relevant erscheinenden Urkunden vorgelegt hatte.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der vom Beschwerdeführer fristgerecht dagegen eingebrachten Berufung nicht Folge. Nach Zitierung der in Anwendung gebrachten gesetzlichen Bestimmungen wiederholte die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung, es sei "nunmehr" bekannt geworden, daß der Beschwerdeführer über ein Vermögen in Form von 101/1272 Anteile an der Liegenschaft verfüge. Mit dem Eigentumsrecht sei das Wohnungseigentum an der Wohnung n2, bestehend aus zwei Zimmern, Küche, Vorraum, Bad und WC, verbunden. Dem Vorbringen in der Berufung hält die belangte Behörde jedoch entgegen, daß es sich bei dem Notariatsakt vom 31. März 1976 lediglich um ein SchenkungsVERSPRECHEN handle, eine Annahme des Versprechens durch die Geschenknehmerin aber nicht aktenkundig sei. Der Grundbuchsauszug weise nach wie vor den Berufungswerber selbst als Wohnungseigentümer aus. Im übrigen werde auf das im Grundbuch zugunsten der Stadt Wien eingetragene Veräußerungsverbot gemäß § 26 Abs. 1 Wohnbauförderungsgesetz (WBFG 1954) verwiesen. Aus dem Pflegegebührenakt sei ersichtlich, daß die Gattin des Beschwerdeführers in Wien, Z-Gasse n3, wohnhaft sei. Einer Verwertung der Eigentumswohnung stehe somit ein dringendes Wohnbedürfnis der Gattin des Beschwerdeführers offenkundig nicht entgegen, was im übrigen auch durch ihn nicht behauptet worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und legte die Verwaltungsakten vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer macht im wesentlichen geltend, die Behörde hätte nach den Grundsätzen der Offizialmaxime und der sich daraus ergebenden materiellen Wahrheit die Pflicht gehabt, über die Behauptung der erfolgten Schenkung Nachforschungen anzustrengen, zumindest aber im Rahmen der Gewährung des Parteiengehörs den Beschwerdeführer vom Umstand in Kenntnis zu setzen, daß der vorgelegte Notariatsakt nur ein Schenkungsversprechen darstelle und es daher an einer für die Rechtsgültigkeit des Zustandekommens einer Schenkung erforderlichen Annahme mangle; er vertritt daher die Ansicht, die belangte Behörde hätte ihn im Rahmen der Amtswegigkeit des Vefahrens davon informieren müssen, daß der von ihm vorgelegte Notariatsakt nach der Rechtsansicht der belangten Behörde zur Dartuung der von ihm aufgestellten Behauptung einer erfolgten Schenkung nicht als ausreichend erachtet wurde. Hätte er davon Kenntnis gehabt, wäre es ihm möglich gewesen, noch im Verwaltungsverfahren ohne Verletzung des Neuerungsverbotes die in Notariatsaktsform errichtete Schenkungsannahme vom 18. April 1977 vorzulegen.
Der in § 39 Abs. 2 AVG vorgesehene Grundsatz der Amtswegigkeit des Verfahrens bedeutet, daß die Behörde im Verwaltungsverfahren grundsätzlich - unbeschadet der die Partei treffenden Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes - von sich aus für die Durchführung der zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen hat (vgl. auch hg. Erkenntnisse vom 24. Oktober 1973, Zl. 517/73, Slg. Nr. 8488/A). Der Beschwerdeführer hatte vor Erlassung des erstinzanzlichen Bescheides eine konkrete Behauptung zur Abwehr des drohenden, von der Behörde gegen ihn geltend zu machenden Anspruchs aufgestellt, nämlich die als "Vermögen" qualifizierte Eigentumswohnung n2 sei bereits im Jahre 1976 an eine dritte Person lediglich unter Einräumung eines lebenslänglichen Wohnungsrechtes verschenkt worden. Weder im Bescheid vom 17. Juni 1991 noch im Bescheid vom 16. Juli 1991 wurde aber auf dieses Argument auch nur mit einem Wort eingegangen. Die von der belangten Behörde erstmals im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebrachte Ansicht, es liege deshalb keine Schenkung vor, weil die vom Beschwerdeführer vorgelegte Urkunde zur Dartuung seines Tatsachenvorbringens nicht ausreichend, eine Annahme des Schenkungsversprechens aber nicht aktenkundig sei, war daher für den Beschwerdeführer "überraschend"; sie verstieß damit gegen das auch im Verwaltungsverfahren anerkannte "Überraschungsverbot", das heißt das Verbot, daß die Behörde in ihre rechtliche Würdigung Sachverhaltselemente einbezieht, die den Parteien nicht bekannt waren (vgl. auch hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1986, Zl. 86/06/0205, vom 29. Februar 1988, Zl. 87/10/0011, sowie Walter-Mayer Grundriß des Österreichischen Verwaltungsrechtes5 105 unter Bezugnahme auf das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 1988, Zl. 84/06/0249). Wollte daher die belangte Behörde die vorgelegte Urkunde nicht als ausreichenden Beweis für die Richtigkeit der Behauptung des Beschwerdeführers über das Vorliegen einer seine Verfügbarkeit über die Eigentumswohnung ausschließenden Schenkung annehmen, so wäre sie verpflichtet gewesen, weitere Erhebungen in Richtung der von ihr als fehlend angesehenen Tatbestandselemente vorzunehmen (vgl. auch hg. Erkenntnis vom 3. Oktober 1990, Zl. 90/02/0117) und den Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs zur Mitwirkung aufzufordern. Nur so wäre er in die Lage versetzt worden, ohne Verletzung des Neuerungsverbotes bereits im Verwaltungsverfahren jene Unterlagen vorzulegen, die er nunmehr erstmals in seinem mit der vorliegenden Beschwerde gleichzeitig erhobenen Wiederaufnahmeantrag vorgelegt hat.
Daß die Behauptung der mangelnden Verfügbarkeit der hier in Rede stehenden Eigentumswohnung durch außerbücherlichen Übertragungsakt an eine dritte Person entgegen der sich am Grundbuchsstand orientierenden Auffassung der belangten Behörde von Relevanz ist, ergibt sich aus Folgendem:
Gemäß § 10 Abs. 1 WSHG kommt es jedenfalls auf die Verwertbarkeit des Vermögens an, die - losgelöst von der Frage des grundbücherlichen Eigentumsrechtes - deshalb zu prüfen ist, weil zwar das grundbücherlich eingetragene Eigentumsrecht in der Regel auch die Verfügbarkeit über die Liegenschaft (Anteile) indizieren mag, jedoch auch Fälle denkbar sind, in denen trotz des grundbücherlich eingetragenen Eigentumsrechtes eine Verfügbarkeit (Verwertbarkeit) der Liegenschaftsanteile nicht mehr gegeben ist. Ein solcher Umstand, nämlich das Fehlen des Verfügungsrechtes über die Eigentumswohnung infolge einer Schenkung an eine dritte Person, wird aber vom Beschwerdeführer behauptet. Er, der mit Notariatsakt vom 31. März 1976 dieser dritten Person gegenüber ein verbindliches Schenkungsversprechen abgab, war - insbesondere in Ermangelung einer Fristsetzung zur Annahme - bis zur formgültigen Annahme dieses Schenkungsversprechens an dieses gebunden und konnte daher ohne Verletzung vertraglicher Verpflichtungen nicht mehr von diesem Schenkungsversprechen Abstand nehmen. Mit Annahme der Schenkung durch den Geschenknehmer ist diese aber im Sinne des § 946 ABGB unwiderruflich geworden, sofern nicht einer der gesetzlichen Widerrufsgründe vorliegt (§§ 947 ff ABGB).
Auch das im Schenkungsvertrag eingeräumte Wohnungsrecht entzieht sich einer Verwertbarkeit, da - zumindest mangels anderer Anhaltspunkte - davon ausgegangen werden muß, daß es sich dabei nur um ein dem Beschwerdeführer und seiner Ehegattin höchstpersönlich zustehendes Wohnungsgebrauchsrecht im Sinne des § 521 erster Fall ABGB handelt.
Da die belangte Behörde zu Unrecht nur von den Eigentumsverhältnissen an der Eigentumswohnung ausging und die Bedeutung der vom Beschwerdeführer behaupteten Schenkung als mögliches Verwertungshindernis - ungeachtet der sachenrechtlichen Verhältnisse - nicht erkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid - abgesehen von den bereits aufgezeigten Verfahrensmängeln - mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Allgemein Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel Sachverhalt Beweiswürdigung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1991080142.X00Im RIS seit
13.07.2001