TE Vfgh Erkenntnis 1990/9/28 G126/90

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Veröffentlicht am 28.09.1990
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Index

L3 Finanzrecht
L3703 Lustbarkeitsabgabe, Vergnügungssteuer

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz B-VG Art91 B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität Wr VergnügungssteuerG 1987 §19

Leitsatz

Präjudizialität einer, eine nicht trennbare Einheit bildenden Bestimmung; Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer landesrechtlichen, finanzstrafrechtlichen Norm mangels gerichtlicher Zuständigkeit bei aufgrund der vorgesehenen Strafhöhe in den Kernbereich der Strafgerichtsbarkeit fallenden Delikten; Verletzung des Gleichheitsrechtes

Spruch

§19 des Vergnügungssteuergesetzes 1987, LGBl. für Wien Nr. 43, war verfassungswidrig.

Diese Gesetzesstelle ist nicht mehr anzuwenden.

Der Landeshauptmann von Wien ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem Erkenntnis G6/89 (und weitere Zahlen) vom 27. September 1989 sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß §35 des (zufolge §21 des Vergnügungssteuergesetzes 1987, LGBl. f Wien 43, mit 1. Jänner 1988 außer Kraft getretenen) Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963, LGBl. 11, (idF der Novellen LGBl. 37/1976 und 16/1981) verfassungswidrig war. Die geprüfte Gesetzesvorschrift verstieß sowohl gegen die aus Art91 B-VG abzuleitenden Grundsätze als auch gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot. Mit der gleichen Begründung befand der Gerichtshof in seinem Erk. G314/89 (und weitere Zahlen) vom 1. März 1990 §9 des Wiener Anzeigenabgabegesetzes 1983, LGBl. 22, als verfassungswidrig und hob diesen Paragraphen idF der Novelle LGBl. 29/1984 als verfassungswidrig auf.

Er setzte diese Rechtsprechung sodann mit dem Erk. G32/90 vom 18. Juni 1990 fort und hob damit (unter dem Aspekt des Art91 B-VG) §132 des (Vorarlberger) Abgabenverfahrensgesetzes, LGBl. 23/1984, als verfassungswidrig auf.

Der unter der Überschrift "Strafbestimmungen" stehende §19 des Vergnügungssteuergesetzes 1987, LGBl. f Wien 43, (im folgenden auch: VGSG) hat - zum Vergleich dem §35 des Vergnügungssteuergesetzes für Wien 1963 (idF der erwähnten Novellen) gegenübergestellt - folgenden Wortlaut:

§35 VergnügungssteuerG           VergnügungssteuerG 1987

f Wien 1963

(1) Handlungen oder Unter-        §19. (1) Handlungen oder

lassungen, durch die die          Unterlassungen, durch die die

Abgabe hinterzogen oder           Steuer verkürzt wird, sind als

fahrlässig verkürzt wird,         Verwaltungsübertretungen mit

sind als Verwaltungsüber-         Geldstrafen bis zum Dreißigfachen

tretungen mit Geld bis zum        des Verkürzungsbetrages zu

Dreißigfachen des Verkürzungs-    bestrafen. Im Falle der

betrages zu bestrafen. Läßt       Uneinbringlichkeit tritt an

sich das Ausmaß der Steuer-       Stelle der Geldstrafe eine

verkürzung oder -gefährdung       Freiheitsstrafe bis zu drei

nicht feststellen, so hat der     Monaten.

im Steuerbescheid festge-

setzte Steuerbetrag die Grund-    (2) Die sonstigen Übertretungen

lage für die Bemessung der        der Vorschriften dieses Gesetzes

Strafe zu bilden. Im Falle        oder der dazu erlassenen

der Uneinbringlichkeit tritt      Verordnungen werden mit

an Stelle der Geldstrafe          Geldstrafen bis zu 6 000 S, im

eine Freiheitsstrafe bis zu       Falle der Uneinbringlichkeit mit

drei Monaten.                     einer Freiheitsstrafe bis zu

                                  14 Tagen, geahndet.

(2) Die sonstigen Übertre-

tungen der Vorschriften dieses    (3) Mit der Strafe kann

Gesetzes oder der dazu er-        gleichzeitig der Verfall der

lassenen Durchführungsvor-        Gegenstände, die mit der

schriften werden mit Geld-        Verwaltungsübertretung im

strafen bis zu 6 000 S, im        ursächlichen Zusammenhang stehen,

Falle der Uneinbringlich-         ausgesprochen werden.

keit mit einer Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen, geahndet.

(3) Mit der Strafe kann

gleichzeitig der Verfall der Gegenstände, die mit der Verwaltungsübertretung im

ursächlichen Zusammenhang

stehen, ausgesprochen werden.

Der eben wiedergegebene §19 VGSG erhielt durch ArtXVI Z1 und 3 des Gesetzes vom 26. Juni 1990, LGBl. für Wien 44, mit dem abgabenrechtliche Strafbestimmungen geändert werden, eine neue, zufolge ArtXIX Abs1 dieses Gesetzes seit 28. August 1990 geltende Fassung.

2. Der Magistrat Wien befand den Beschwerdeführer des Anlaßbeschwerdeverfahrens B221/90 mit Straferkenntnis vom 13. Dezember 1988 einer Verwaltungsübertretung nach §19 Abs1 VGSG iVm §9 Abs1 VStG 1950 schuldig und verhängte über ihn eine Geldstrafe von 960.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe von 42 Tagen), weil er es als vertretungsbefugtes Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft in näher beschriebener Weise unterlassen habe, Vergnügungssteuer im Betrag von 480.000 S einzubekennen und zu entrichten, und dadurch die Vergnügungssteuer mit diesem Betrag verkürzt habe. Der dagegen erhobenen Berufung gab die Wiener Landesregierung mit Bescheid vom 8. Jänner 1990 keine Folge. In der Begründung dieser Rechtsmittelentscheidung führte die Berufungsbehörde zur Strafbemessung im wesentlichen aus, im Hinblick darauf, daß §19 Abs1 VGSG für Handlungen oder Unterlassungen, durch die die Steuer verkürzt wird, Strafen bis zum Dreißigfachen des Verkürzungsbetrages vorsehe, erscheine die verhängte Strafe von 960.000 S, die dem zweifachen verkürzten Steuerbetrag entspreche, nicht hoch und nehme auf die bisherige Unbescholtenheit als mildernden Umstand Bedacht. Allerdings sei die Verkürzungsabsicht (Hinterziehung) als erschwerend zu werten. Immerhin sei das Interesse, dem die Strafdrohung diene (ordnungsgemäße Steuergebarung), erheblich gefährdet gewesen und sei doch das strafbare Verhalten erst durch die Tätigkeit der Behörde beendet worden. Selbst im Falle der Vermögenslosigkeit, ungünstiger Einkommensverhältnisse und erheblicher Sorgepflichten sei daher eine Strafherabsetzung nicht zu vertreten.

II. Aus Anlaß der Beschwerdesache B221/90 beschloß der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §19 VGSG einzuleiten.

Der Gerichtshof ging davon aus, daß er über die vorliegende Beschwerde, der Verfahrenshindernisse anscheinend nicht entgegenstünden, meritorisch zu entscheiden und hiebei §19 VGSG anzuwenden hätte. Die Absätze 1 bis 3 dieses Paragraphen bildeten - von dem in der Beschwerdesache heranzuziehenden Abs1 her gesehen - anscheinend eine nicht trennbare Einheit (hiezu wies der Gerichtshof auf Punkt IV des Erk. G6/89 sowie - zur vergleichbaren Regelung im Wiener AnzeigenabgabeG 1983 - Punkt V/2 des Erk. G314/89 und den Beschluß G28,29/89 vom 5. Dezember 1989 hin).

Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bedenken bezog sich der Verfassungsgerichtshof auf sein die Verfassungsmäßigkeit des §35 im VergnügungssteuerG f Wien 1963 betreffendes Erk. G6/89 und verwies überdies auf sein die Verfassungsmäßigkeit des §9 im Wiener AnzeigenabgabeG 1983 behandelndes Erk. G314/89; die in diesen Entscheidungen unter dem Aspekt des Art91 B-VG und des Gleichheitsgebotes dargelegten Rechtsauffassungen ließen auch die in Prüfung genommene Vorschrift des VGSG als verfassungsrechtlich bedenklich erscheinen.

III. Die Wiener Landesregierung erstattete im Prüfungsverfahren eine Äußerung, in der sie im wesentlichen auf die Novellierung des §19 VGSG durch das (zum Zeitpunkt ihrer Äußerung noch nicht kundgemachte) Gesetz LGBl. 44/1990 hinwies.

IV. 1. Die Prozeßvoraussetzungen des eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens sind gegeben. Der Verfassungsgerichtshof hält insbesondere an der im Einleitungsbeschluß mit Bezugnahme auf seine Vorjudikatur dargelegten Auffassung fest, daß §19 VGSG zur Gänze präjudiziell ist.

2. Auch die verfassungsrechtlichen Bedenken erweisen sich als begründet. Der Gerichtshof bleibt auf dem Standpunkt, den er in seiner bisherigen Rechtsprechung (G 6/89 ua. vom 27.9.1989, G314/89 ua. vom 1.3.1990 sowie G32/90 vom 18.6.1990) eingenommen hat. §19 VGSG verstößt sowohl gegen die aus Art91 B-VG abzuleitenden Grundsätze als auch gegen das auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgebot.

Es war somit auszusprechen, daß der (zufolge der Novelle LGBl. 44/1990 bereits außer Kraft getretene) §19 des VergnügungssteuerG 1987 verfassungswidrig war.

Die übrigen Aussprüche stützen sich auf Art140 Abs7 zweiter Satz und Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG.

V. Von einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG abgesehen.

Schlagworte

Strafgerichtsbarkeit (Kernbereich), Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Finanzstrafrecht, Strafbemessung, Zuständigkeit der Gerichte, Vergnügungssteuer

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:G126.1990

Dokumentnummer

JFT_10099072_90G00126_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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