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55 WirtschaftslenkungNorm
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz ViehwirtschaftsG 1983 §13Leitsatz
Keine sachliche Rechtfertigung der Schlechterstellung von Angehörigen des Inhabers eines landwirtschaftlichen Betriebes hinsichtlich der für sie geltenden weiteren Einschränkungen bei der (bewilligungspflichtigen) Tierhaltung gemäß dem ViehwirtschaftsgesetzSpruch
Die Wortfolge "der Ehegatte des Betriebsinhabers," sowie im Anschluß an das Wort "großjährigen" die Wortfolge "Kinder und" in §13 Abs3 des Viehwirtschaftsgesetzes 1983 in der Fassung der Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1987, BGBl. Nr. 325/1987, ferner dieselben Wortfolgen in §13 Abs6 des Viehwirtschaftsgesetzes 1983 in der Fassung der Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1988, BGBl. Nr. 332/1988, sowie die Wortfolgen "des Ehegatten" und (im Anschluß an das Wort "großjährigen") "Kinder und" in ArtIV Abs2 der Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1987, BGBl. Nr. 325/1987, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt verpflichtet.
Im übrigen wird das Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B714/89 die Beschwerde eines Ehepaares und ihres großjährigen Sohnes gegen einen Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft anhängig, mit dem die Abweisung eines von den Beschwerdeführern als "Wahrungsantrag aufgrund des neuen Betriebsinhaberbegriffes" bezeichneten Tierhaltungsantrages bestätigt wurde. Der Antrag wurde gemäß ArtIV Abs2 der Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1987, BGBl. Nr. 325, in Verbindung mit §13 Viehwirtschaftsgesetz 1983 in der Fassung der Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1987, BGBl. Nr. 325, und der Novelle 1988, BGBl. Nr. 332, abgewiesen.
2.a. Der Verfassungsgerichtshof beschloß aus Anlaß der geschilderten Beschwerde, von Amts wegen gemäß Art140 Abs1 B-VG das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der nachfolgend wiedergegebenen (und im Prüfungsumfang hervorgehobenen) Gesetzesbestimmungen einzuleiten.
§13 Abs3 Viehwirtschaftsgesetz 1983 in der Fassung der Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1987, BGBl. Nr. 325/1987:
"Mehrere Personen, die einen Betrieb gemeinsam bewirtschaften oder Einrichtungen, die der Tierhaltung dienen, gemeinsam benützen, sowie der Ehegatte des Betriebsinhabers, die minderjährigen Kinder und Wahlkinder des Betriebsinhabers sowie die am selben Betrieb lebenden großjährigen Kinder und Wahlkinder des Betriebsinhabers gelten als ein Betriebsinhaber im Sinne der Abs1 und 2. Ebenso gilt eine Person die mehrere Betriebe bewirtschaftet, als ein Betriebsinhaber im Sinne der Abs1 und 2. Das gemeinsame Bestoßen von Almen oder anderen Weideflächen durch Tiere verschiedener Besitzer gilt nicht als gemeinsame Bewirtschaftung im Sinne des ersten Satzes."
§13 Abs6 Viehwirtschaftsgesetz 1983 in der Fassung der Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1988, BGBl. Nr. 332/1988:
"Mehrere Personen, die einen Betrieb gemeinsam bewirtschaften oder Einrichtungen, die der Tierhaltung dienen, gemeinsam benützen, sowie der Ehegatte des Betriebsinhabers, die minderjährigen Kinder und Wahlkinder des Betriebsinhabers sowie die am selben Betrieb lebenden volljährigen Kinder und Wahlkinder des Betriebsinhabers gelten als ein Betriebsinhaber im Sinne der Abs1 und 3. Ebenso gilt eine Person, die mehrere Betriebe bewirtschaftet, als ein Betriebsinhaber im Sinne der Abs1 und 3. Das nur für einen bestimmten Zeitraum während eines Kalenderjahres gemeinsame Bestoßen von Almen und anderen Weideflächen durch Tiere verschiedener Besitzer gilt nicht als gemeinsame Bewirtschaftung im Sinne des ersten Satzes."
ArtIV Abs2 der Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1987, BGBl. Nr. 325/1987:
"Anträge auf Erteilung einer Bewilligung nach §13 Abs2 in der Fassung des ArtII dieses Bundesgesetzes, die bis 31. Dezember 1987 beim zuständigen Landeshauptmann infolge der Zusammenrechnung der Tierbestände des Ehegatten des Betriebsinhabers, seiner minderjährigen Kinder und Wahlkinder sowie seiner am selben Betrieb lebenden großjährigen Kinder und Wahlkinder (§13 Abs3 in der genannten Fassung) gestellt werden, sind vom Landeshauptmann nach Maßgabe der in den jeweiligen Betrieben vorhandenen Standplätze im bewilligungsfreien Umfang der nach §13 Abs1 in der genannten Fassung gehaltenen Tierarten sowie unter Wahrung der für diese Betriebe bereits erteilten Bewilligungen zu erteilen. Abs1 vorletzter und letzter Satz gelten sinngemäß."
b. Der Verfassungsgerichtshof hegte das Bedenken, daß die in den anzuwendenden Gesetzesbestimmungen enthaltenen (und unter a. hervorgehobenen) Wortfolgen dem Gleichheitssatz widersprechen, weil die Tierhaltung eines Betriebsinhabers lediglich wegen seines Ehe- oder Angehörigenverhältnisses zu anderen Betriebsinhabern dadurch beschränkt werde und der Gerichtshof in ständiger Judikatur aus dem Gleichheitssatz ableite, daß das Angehörigenverhältnis für sich allein nicht ausreiche, eine derartige, vom Gesetzgeber vorgenommene Schlechterstellung sachlich zu begründen.
3. Die Bundesregierung hat von einer Äußerung in der Sache selbst abgesehen. Zum Umfang der Aufhebung vertritt sie die Auffassung, daß es genüge, jeweils ausschließlich die Wortfolge "Kinder und" aufzuheben, da der Fall der Wahlkindschaft im vorliegenden Fall nicht präjudiziell sei und die Aufhebung der gesamten in Prüfung gezogenen Wortfolge "am selben Betrieb lebenden großjährigen Kinder und" eine in sich sowohl sprachlich als auch verfassungsrechtlich bedenkliche Regelung übrigließe, "weil sie generell Wahlkinder des Betriebsinhabers, nicht aber wie bisher nur die am selben Betrieb lebenden volljährigen Wahlkinder des Betriebsinhabers erfassen würde".
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die den Anlaß zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bildende Beschwerde ist zulässig.
Die belangte Behörde hatte bei Erlassung des angefochtenen Bescheides - ebenso wie der Verfassungsgerichtshof bei dessen Kontrolle - nicht nur ArtIV Abs2 der Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1987 (und dabei insbesondere die in Prüfung gezogenen Wortfolgen innerhalb dieser Gesetzesbestimmung) anzuwenden, sondern auch §13 Abs3 Viehwirtschaftsgesetz 1983 in der Fassung der Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1987. Lediglich in dieser Bestimmung wird nämlich die Zusammenrechnung der Tierbestände von Ehegatten und ihren am selben Betrieb lebenden großjährigen Kindern angeordnet, von deren (im Anlaßfall begehrter) Bewilligung dann ArtIV Abs2 der Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1987 handelt.
Aber auch §13 Abs6 des Viehwirtschaftsgesetzes 1983 in der Fassung der Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1988 ist präjudiziell, weil ohne die darin enthaltene, inhaltlich dem §13 Abs3 Viehwirtschaftsgesetz 1983 in der Fassung der Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1987 entsprechende Zusammenrechnungsvorschrift der am 11. Mai 1989 (sohin zu einem Zeitpunkt, zu dem die Viehwirtschaftsgesetz-Novelle 1988 gemäß im ArtIV Abs1 bereits in Kraft stand) erlassene, zu B714/89 vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtene (Berufungs-)Bescheid - möglicherweise - anders gelautet hätte; (sofern nämlich dann die Tierhaltung im begehrten Umfang - aufgeteilt auf die drei Betriebe der Beschwerdeführer - nicht länger bewilligungspflichtig wäre.)
2. Die im Prüfungsbeschluß dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken treffen zu.
Gemäß §13 Abs3 Viehwirtschaftsgesetz 1983 in der Fassung der Novelle 1987 bzw. §13 Abs6 Viehwirtschaftsgesetz 1983 in der Fassung der Novelle 1988 gelten nicht nur "mehrere Personen, die einen Betrieb gemeinsam bewirtschaften oder Einrichtungen, die der Tierhaltung dienen, gemeinsam benützen" als ein Betriebsinhaber, sondern gemeinsam mit dem Betriebsinhaber auch dessen Ehegatte sowie "die am selben Betrieb lebenden großjährigen (in §13 Abs6 Viehwirtschaftsgesetz 1983 in der Fassung der Novelle 1988:
'volljährigen') Kinder". Diese Regelungen bewirken, daß die Tierbestände des Ehegatten sowie der am selben Betrieb lebenden großjährigen (volljährigen) Kinder jedenfalls, d.h. auch dann mit dem Tierbestand des Betriebsinhabers zusammenzurechnen sind, wenn der Ehegatte oder die am selben Betrieb lebenden großjährigen (volljährigen) Kinder jeweils eigene landwirtschaftliche Betriebe bewirtschaften. Die auf jeweils einen Betriebsinhaber abgestellte Grenze für die Erhaltung bewilligungsfreier Tierbestände gemäß §13 Abs1 Viehwirtschaftsgesetz 1983 in der Fassung der Novelle 1987 bzw. der Novelle 1988 gilt sohin gemäß §13 Abs3 Viehwirtschaftsgesetz 1983 in der Fassung der Novelle 1987 bzw. §13 Abs6 Viehwirtschaftsgesetz 1983 in der Fassung der Novelle 1988 nicht nur für einen Betrieb, der von mehreren Personen gemeinsam bewirtschaftet wird, sondern auch für mehrere Betriebe mehrerer Betriebsinhaber, wenn die weiteren Betriebsinhaber der Ehegatte oder die am selben Betrieb lebenden großjährigen (volljährigen) Kinder des ersten Betriebsinhabers sind. Es bedarf keiner näheren Begründung, daß durch diese gesetzlichen Regelungen nicht nur verheiratete Betriebsinhaber und Betriebsinhaber mit großjährigen (volljährigen), am Betrieb lebenden Kindern, sondern auch der Ehegatte des Betriebsinhabers und die am selben Betrieb lebenden großjährigen (volljährigen) Kinder gegenüber sonstigen Personen benachteiligt sind, deren Tierbestände in einem selbständigen, von diesen bewirtschafteten landwirtschaftlichen Betrieb mit denen eines anderen Betriebsinhabers keinesfalls, also auch dann nicht zusammengerechnet werden, wenn jene Personen mit diesem am selben Betrieb leben.
Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß das Angehörigenverhältnis für sich allein nicht ausreicht, eine steuerliche oder sozialversicherungsrechtliche Schlechterstellung sachlich zu begründen. Wegen Widerspruchs zum Gleichheitsgebot wurden daher Bestimmungen im Gewerbesteuergesetz 1953 (VfSlg. 3863/1960, 4571/1963 und 4824/1964), einkommensteuerrechtliche Bestimmungen (VfSlg. 5252/1966, 7280/1974 und 8709/1979) sowie Vorschriften des ASVG und GSPVG (VfSlg. 5319/1966, 5750/1968, 5984/1969, 6345/1970, 6772, 6773 und 6948/1972) aufgehoben, die jeweils eine derartige, ausschließlich auf ein bestimmtes Angehörigenverhältnis abstellende Regelung betrafen. Der Gerichtshof hat ferner in seinem Erkenntnis VfSlg. 8485/1979 ausgesprochen, daß den zitierten Erkenntnissen Überlegungen allgemeiner Art zugrundelagen, die nicht auf das Steuer- und Sozialversicherungsrecht beschränkt sind.
Auch bei den angeführten Regelungen des Viehwirtschaftsrechtes ist es sachlich nicht gerechtfertigt, die Tierhaltung im (selbständigen) Betrieb eines Ehegatten des Inhabers eines anderen landwirtschaftlichen Betriebes oder in (selbständigen) Betrieben großjähriger (volljähriger) Kinder eines Betriebsinhabers (mögen diese Kinder auch "am selben Betrieb" wie ihre Eltern "leben") weiter einzuschränken als bei Personen mit einem landwirtschaftlichen Betrieb, die in keinem Ehe- oder Angehörigenverhältnis zu einem Betriebsinhaber stehen.
Mangels sachlicher Rechtfertigung gleichheitswidrig sind die im Spruch umschriebenen Wortfolgen aber auch deswegen, weil sie zur Folge haben, daß ein verheirateter Betriebsinhaber oder ein Betriebsinhaber mit großjährigen (volljährigen), am selben Betrieb lebenden Kindern hinsichtlich der für seinen Betrieb geltenden Tierbestandsgrenzen schlechtergestellt ist als ein unverheirateter Betriebsinhaber oder ein Betriebsinhaber ohne derartige Kinder:
jener muß sich nämlich im Gegensatz zu diesem gefallen lassen, daß die vom Ehegatten oder von den Kindern in deren selbständig bewirtschafteten Betrieben gehaltenen Tierbestände zur Folge haben, daß die für ihn geltenden Tierbestandsgrenzen entsprechend herabgesetzt werden.
Diese Schlechterstellung kann auch - entsprechend der bisherigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. insbesondere VfSlg. 3863/1960, 5319/1966 und 10157/1984) - nicht damit sachlich gerechtfertigt werden, daß Ehegatten oder großjährige (volljährige) Kinder eines Betriebsinhabers die Möglichkeit besitzen, selbständige Betriebe lediglich vorzutäuschen und auf diese Weise den Tierbestand des Ehepartners oder der Eltern widerrechtlich zu vergrößern.
3. Hinsichtlich des Aufhebungsumfanges war der Anregung der Bundesregierung Rechnung zu tragen, weil die Aufhebung der Wortfolge "Kinder und" im Anschluß an die Wortfolge "am selben Betrieb lebenden großjährigen" genügt, um die für den Anlaßfall präjudiziellen Gesetzesstellen zu beseitigen. Im übrigen war sohin das Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen.
Der zweite und dritte Absatz des Spruches gründen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG 1953 abgesehen werden.
Schlagworte
Viehwirtschaft, Ehe und Verwandtschaft, AngehörigenverhältnisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:G72.1990Dokumentnummer
JFT_10099071_90G00072_00