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60/02 Arbeitnehmerschutz;Norm
ASchG 1972 §22 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner die Hofräte Dr. Stoll,
Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der X-Gesellschaft m.b.H. in G, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 14. Mai 1992, Zl. 61.021/35-3/92, betreffend betriebsärztliche Betreuung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales (der belangten Behörde) vom 14. Mai 1992 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 27. Februar 1991 - dieser ist nicht Bestandteil der dem Gerichtshof vorgelegten Akten - auf Entbindung von der Verpflichtung zur Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung gemäß § 22 Abs. 2 zweiter Satz des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972, (ASchG) abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen folgendes aus: Die Beschwerdeführerin habe ihren Antrag vom 27. Februar 1991 mit geringen Gesundheitsgefährdungen der Arbeitnehmer sowie deren örtlich dislozierten Arbeitsstellen begründet. Die Erstbehörde habe diesen Antrag mit der Begründung abgewiesen, daß nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens von einer normalen Gesundheitsgefährdung der Arbeitnehmer auszugehen sei, und daß bei 600 Arbeitnehmern eine betriebsärztliche Betreuung unbedingt notwendig sei.
Die belangte Behörde schloß sich dieser Beurteilung unter Hinweis auf die §§ 22 Abs. 1 erster Satz, 1 Abs. 5 und 1 Abs. 2 ASchG an. Es sei zwar nach § 22 Abs. 2 zweiter Satz leg. cit. die Möglichkeit der Zulassung einer Ausnahme von der gesetzlichen Verpflichtung zur Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung vorgesehen; allerdings sei die Zulassung einer solchen Ausnahme von der Erfüllung zweier Voraussetzungen abhängig: Sowohl der Umfang des Betriebes als auch Ausmaß und Grad der Gesundheitsgefährdung der Arbeitnehmer müßten so beschaffen sein, daß eine Ausnahme von der besagten Verpflichtung geboten sei. Eine Ausnahmerteilung könne daher bereits dann nicht mehr in Betracht gezogen werden, wenn auch nur eines der beiden Kriterien nicht gegeben sei. Im gegenständlichen Betrieb seien 600 Arbeitnehmer beschäftigt; damit werde die gesetzliche Schlüsselzahl um 350 (140 %) überschritten. Eine derartige Überschreitung sei jedenfalls als erheblich zu bezeichnen. Die betrieblichen Verhältnisse ließen daher eine Ausnahmebewilligung bereits allein bei Berücksichtigung des Betriebsumfanges nicht zu. Der Berufung sei demnach der Erfolg zu versagen gewesen. Im Betrieb der Beschwerdeführerin sei eine dem § 22 Abs. 1 erster Satz ASchG entsprechende betriebsärztliche Betreuung einzurichten.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht werden und der Antrag gestellt wird, aus diesen Gründen den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.
3. Die belangte Behörde hat die (nicht vollständigen) Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Bestimmungen des § 22 Abs. 1 und 2 ASchG - soweit im Beschwerdefall von Belang - lauten:
"§ 22 (1) In jedem Betrieb, in dem regelmäßig mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigt sind, ist vom Arbeitgeber eine dem Umfang des Betriebes, der Zahl der Beschäftigten sowie dem Ausmaß und Grad der Gefährdung der Gesundheit der Arbeitnehmer entsprechende betriebsärztliche Betreuung einzurichten. Dies gilt auch für Unternehmungen, die mehrere Betriebe im Sinne dieses Bundesgesetzes umfassen oder die mehrere getrennte Arbeitsstellen aufweisen, in denen zwar jeweils weniger als 250, insgesamt jedoch mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigt werden, wenn für einen erheblichen Teil der Arbeitnehmer eine besondere Gefährdung besteht ...
(2) Bei Betrieben, in denen auf Grund ihrer Eigenart für die Arbeitnehmer besondere Gefahren für die Gesundheit bestehen, hat das Arbeitsinspektorat bei einer geringeren Zahl von Arbeitnehmern dem Arbeitgeber durch Bescheid aufzutragen, innerhalb einer angemessenen Frist, die nicht mehr als sechs Monate betragen darf, eine entsprechende betriebsärztliche Betreuung einzurichten. Das Arbeitsinspektorat kann auf Antrag des Arbeitgebers, wenn es die betrieblichen Verhältnisse unter Berücksichtigung des Ausmaßes und des Grades der Gefährdung der Gesundheit der Arbeitnehmer sowie unter Berücksichtigung des Umfanges des Betriebes geboten erscheinen lassen, durch Bescheid zulassen, daß erst bei einer höheren Zahl als 250 Arbeitnehmer eine betriebsärztliche Betreuung einzurichten ist ..."
2. Die belangte Behörde vertrat im angefochtenen Bescheid - so dessen Begründung auf die Kernaussage zusammengefaßt - die Rechtsansicht, die Beschwerdeführerin sei im Hinblick darauf, daß die Zulassung einer Ausnahme gemäß § 22 Abs. 2 zweiter Satz ASchG nicht in Betracht komme, im Grunde des § 22 Abs. 1 erster Satz leg. cit. zur Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung verpflichtet. Wie dieser Aussage, aber auch den übrigen Begründungspassagen zu entnehmen ist, klammerte die belangte Behörde die Bestimmung des § 22 Abs. 1 ZWEITER Satz ASchG aus ihren Erwägungen zur Gänze aus. Dies ungeachtet des Umstandes, daß ihr - folgt man dem sowohl im erstinstanzlichen Bescheid wie auch im bekämpften Bescheid insoweit vorbehaltlos wiedergegebenen Vorbringen im Antrag der Beschwerdeführerin - bekannt war, daß deren Betrieb mehrere (örtlich stark dislozierte) Arbeitsstellen aufweist, und weiters auch ohne Rücksicht darauf, daß ihr die Behörde erster Instanz mit Schreiben vom 4. November 1991 berichtete, daß das Unternehmen der Beschwerdeführerin "sich zwar mit einer relativ hohen Arbeitnehmerzahl (darstellt), die aber in einer Vielzahl von Arbeitsstellen verstreut über ein ganzes Bundesland arbeitet. (Dzt. ca. 122 Arbeitsstellen, nur zwei mit ca. 60 AN, aber ca. 60 Arbeitsstellen mit nur 1 AN)".
Indem die belangte Behörde diesen, von ihr hinsichtlich seiner Richtigkeit nicht in Zweifel gezogenen Schverhalt dem ersten, anstatt dem zweiten Satz des § 22 Abs. 1 ASchG subsumierte, verkannte sie die Rechtslage (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1992, Zl. 92/18/0287).
3. Da - dies als Hinweis für das fortzusetzende Verfahren - der erstinstanzliche Bescheid die von der belangten Behörde im bekämpften Bescheid übernommene Feststellung enthält, daß "nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens von einer normalen Gesundheitsgefährdung der Arbeitnehmer auszugehen ist", mithin keine "besondere Gefährdung" i.S. des § 22 Abs. 1 zweiter Satz ASchG gegeben ist, läge - bei Aufrechterhalten dieser maßgeblichen Sachverhaltsannahme - eine gesetzliche Verpflichtung der Beschwerdeführerin zur Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung in ihrem Betrieb nicht vor. Von daher gesehen wäre der Antrag der Beschwerdeführerin vom 27. Februar 1991 auf Zulassung einer Ausnahme von der sie vermeintlich treffenden besagten Verpflichtung ins Leere gegangen; er würde demnach zurückzuweisen sein (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis Zl. 92/18/0287).
4. Nach dem Gesagten (II.2.) erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Stempelgebühren betreffenden Mehrbegehrens beruht darauf, daß zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung die Einbringung der Beschwerde lediglich in zweifacher Ausfertigung erforderlich war.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992180292.X00Im RIS seit
01.06.2001