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60/04 Arbeitsrecht allgemein;Norm
AZG §11 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des W in Wien, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 23. September 1992, Zl. UVS-07/01/00085/92, betreffend Bestrafung wegen Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den nn. Bezirk, vom 27. Februar 1992 war der Beschwerdeführer schuldig erkannt worden, er habe es als Inhaber eines näher bezeichneten Bewachungsunternehmens und somit als Arbeitgeber zu verantworten, daß die gemäß § 5 Abs. 1 des Arbeitszeitgesetzes (AZG) festgelegte Tagesarbeitszeit von höchstens zwölf Stunden bzw. die Wochenarbeitszeit von höchstens 60 Stunden in bezug auf fünf namentlich genannte Arbeitnehmer in einem im einzelnen angeführten Ausmaß überschritten worden sei (Punkte 1)a bis e); daß § 11 Abs. 1 AZG insofern nicht erfüllt worden sei, als in bezug auf zehn namentlich genannte Arbeitnehmer die Arbeitszeit bei einer Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit von mehr als sechs Stunden nicht durch eine Pause von einer halben Stunde unterbrochen worden sei (Punkte 2)a bis j); und daß § 12 Abs. 1 AZG insofern nicht erfüllt worden sei, als einem namentlich genannten Arbeitnehmer nach Beendigung der (im einzelnen angeführten) Tagesarbeitszeit keine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden gewährt worden sei (Punkt 3). Wegen dieser Übertretungen waren über den Beschwerdeführer insgesamt 16 Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt worden.
2. Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 23. September 1992 insofern Folge, als er das Straferkenntnis in den Punkten 1)c und d behob und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG einstellte (Spruchpunkt I); im übrigen bestätigte er das Straferkenntnis mit der Maßgabe, daß sämtliche verbleibenden (14) Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) in unterschiedlichem Ausmaß herabgesetzt wurden.
In der die Aufrechterhaltung der Schuldsprüche betreffenden Begründung wies die belangte Behörde - soweit für die Erledigung der Beschwerde von Belang - in Auseinandersetzung mit dem diesbezüglichen Berufungsvorbringen und unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zusammenfassend darauf hin, daß ihrer Ansicht nach der Bereitschaftsdienst der in Rede stehenden Arbeitnehmer dadurch gekennzeichnet sei, daß jene Kriterien, welche für eine Qualifikation dieses Dienstes als Arbeitsbereitschaft sprächen, gegenüber den Kriterien einer Rufbereitschaft eindeutig im Vordergrund stehen und überwiegen würden.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde, mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Die Beschwerde - die im übrigen den dem Beschwerdeführer spruchmäßig angelasteten Übertretungen jeweils zugrunde liegenden, von der Behörde als maßgeblich festgestellten Sachverhalt unbestritten läßt - führt unter dem Titel inhaltlicher Rechtswidrigkeit aus, daß im Bewachungsgewerbe die Arbeitnehmer im Rahmen ihrer täglichen Arbeitszeit einen bezahlten Bereitschaftsdienst absolvierten, der in "keinster Weise der "Arbeitsbereitschaft" gleichgesetzt werden kann". Es handle sich bei diesem Bereitschaftsdienst vielmehr um "Rufbereitschaft" bzw. spreche man "in der Praxis lediglich von einer etwas "eingeschränkten" Ruhepause". Die Behörde habe unberücksichtigt gelassen, daß die besagten Arbeitnehmer ("Standposten") sehr wohl einen Spielraum besäßen, was die Wahl ihrer "Entspannungstätigkeit" anlange (so sei ein kurzes Entfernen von der Arbeitsstätte gestattet). Die für die Rufbereitschaft charakteristischen Merkmale, daß der Arbeitnehmer den Ort des Bereitseins selbst wählen könne und damit, weil ihm ein Aufenthalt im privaten Bereich offen stehe, über die Verwendung der von der Bereitschaft erfaßten Zeit im großen und ganzen auch selbst befinden könne, träfen auch auf die "Standposten des Bewachungsunternehmens" zu. Diesem Umstand werde auch durch die Kollektivvertragspartner Rechnung getragen, indem sie davon ausgegangen seien, daß für den Standpostendienst im Bewachungsgewerbe "Zeiten der Arbeitsbereitschaft im Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit erheblich und bei dieser Tätigkeit regelmäßig im Sinne von "typisch" sind, wobei der Begriff "typisch" im vorliegenden Fall mit "branchenüblich" gleichgesetzt werden kann".
1.2. Abgesehen davon, daß dieses Vorbringen in sich widersprüchlich und schon deshalb nicht geeignet ist, den Standpunkt des Beschwerdeführers zu stützen, es habe sich bei den Bereitschaftszeiten zwischen den Kontrollgängen um Rufbereitschaft und damit nicht um Arbeitszeit gehandelt, steht es in sachverhaltsmäßiger Hinsicht mit der vom Beschwerdeführer vor der belangten Behörde gegebenen, in der Beschwerde nicht bestrittenen, Darstellung nicht in Einklang.
Im Rahmen seiner Einvernahme als Beschuldigter machte der Beschwerdeführer folgende für die rechtliche Subsumtion der Bereitschaftszeit der besagten Arbeitnehmer relevante Angaben:
Während der 12stündigen Arbeitszeit absolvierten die Standposten - die Bewachung werde jeweils von zwei Männern gleichzeitig durchgeführt - Kontrollgänge in dem von ihnen bewachten Objekt (U-Bahn-Station) im Ausmaß von insgesamt je ca. 1 1/2 Stunden. Die übrige Zeit halte sich ein Mann in der Portierloge, der zweite in einem vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Sozialraum auf; in letzterem könnten Mahlzeiten eingenommen, der Betreffende könne auch lesen oder fernsehen und sich auch kurzzeitig entfernen, um eine "vergessene Mahlzeit" einzukaufen. Es sei hingegen nicht möglich und auch nicht branchenüblich, einen der beiden Männer längere Zeit weggehen zu lassen, da diesfalls die Dienststelle unterbesetzt wäre. Auf ausdrückliches Befragen gab der Beschwerdeführer an, daß sich der zweite Mann auf seine Anweisung hin in dem vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Raum aufhalten müsse; zwar könne er diesen Raum verlassen, müsse jedoch im Bereich des bewachten Objektes und rufbereit bleiben. Selbst wenn sich die Wohnung des Arbeitnehmers in unmittelbarer Nähe des Objektes befände, wäre es nicht branchenüblich, daß sich jener, etwa mit einem Funkgerät ausgerüstet, in seiner Wohnung aufhalten dürfte. Private Besorgungen seien in Ausnahmefällen möglich, für diesen Fall müßte jedoch ein "Ersatzmann" zum bewachten Objekt entsendet werden, da der Auftraggeber ja für die Überwachung durch zwei Männer bezahle. Im übrigen werde in den Dienstbüchern nicht zwischen den Zeiten der Kontrollgänge und den Zeiten der Bereitschaft unterschieden; dies gelte auch in bezug auf die Höhe des Entgeltes.
Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Abgrenzung der Arbeitsbereitschaft (die zur Arbeitszeit zählt) von der Rufbereitschaft (die nicht als Arbeitszeit zu qualifizieren ist) - vgl. etwa die Erkenntnisse vom 2. Dezember 1991, Zlen. 91/19/0248, 0249, 0250, und vom 29. Juni 1992, Zl. 92/18/0169 - kann es im Beschwerdefall keinem Zweifel unterliegen, daß die in Rede stehenden Zeiten der Bereitschaft dem Begriff der Arbeitsbereitschaft zu subsumieren sind: Die Arbeitnehmer ("Standposten") sind - aufgrund ausdrücklicher Anweisung des Arbeitgebers - zum Aufenthalt an einem bestimmten Ort (Raum) im Bereich des zu bewachenden Objektes verpflichtet, um so zur jederzeitigen Arbeitsaufnahme zur Verfügung zu stehen. Ein Sich-Aufhalten und Sich-Bereithalten an einem anderen Ort als dem vom Arbeitgeber bestimmten (etwa in der eigenen Wohnung) ist dem Arbeitnehmer untersagt, und zwar auch dann, wenn dieser andere Ort in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstätte und der Arbeitnehmer mit einem Funkgerät ausgerüstet wäre. Davon, daß die Arbeitnehmer im vorliegenden Fall den Ort des Bereitseins selbst wählen und über die Verwendung der von der Bereitschaft erfaßten Zeit im wesentlichen selbst befinden konnten - die Charakteristika der Rufbereitschaft -, kann somit keine Rede sein. Daran vermochte auch der Umstand nichts zu ändern, daß die Arbeitnehmer während ihres Aufenthaltes in dem nicht ihrer freien Wahl unterliegenden Raum die Möglichkeit hatten, zu essen, zu lesen oder fernzusehen.
2. Mit der Verfahrensrüge, die belangte Behörde habe es unterlassen festzustellen, was "branchenüblich" bzw. "typisch" für die Arbeitszeitregelung im Bewachungsgewerbe sei, und auch verabsäumt, auf die kollektivvertraglichen Bestimmungen näher einzugehen, übersieht der Beschwerdeführer die gerade darauf Bezug nehmenden, von der Behörde als zusätzliches Argument für ihre Rechtsansicht herangezogenen Ausführungen in der Begründung des bekämpften Bescheides, wobei nur noch am Rande erwähnt sei, daß die Beschwerde mit diesen Überlegungen voll übereinstimmt.
3. Da nach dem Gesagten der angefochtene Bescheid nicht mit der behaupteten Rechtswidrigkeit behaftet ist, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992180446.X00Im RIS seit
20.11.2000