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L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art141 Abs1 litaLeitsatz
Anfechtung der Wahl einer Gemeindevertretung; keine Stattgabe; rechtsrichtige Bewertung eines Wahlvorschlags als nicht eingebracht mangels gesetzmäßiger Unterzeichnung desselbenSpruch
Der Wahlanfechtung wird nicht stattgegeben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom 9. Oktober 1989, LGBl. 81/1989, wurden die allgemeinen Wahlen der Mitglieder des Gemeinderates für die Gemeinden des Landes Steiermark mit Ausnahme der Landeshauptstadt Graz für den 25. März 1990 ("Wahltag") ausgeschrieben.
1.2.1. Am 4. März 1990, 12 Uhr 50 - somit innerhalb der um 13 Uhr dieses Tages ablaufenden Frist (§42 Abs1 Satz 1 GWO) brachte die Murauer Bürgerliste (MBL) (künftig: MBL) bei der Gemeindewahlbehörde der Stadtgemeinde Murau einen Gemeindewahlvorschlag ein, der eine unterscheidende Parteibezeichnung in Worten (und eine Kurzbezeichnung in Buchstaben), die Nennung des zustellungsbevollmächtigten Vertreters und eine vierzehn Personen umfassende Parteiliste (ohne Unterschriften) enthielt. Außerdem lagen diesem Vorschlag vierzehn Blätter bei, deren jedes die "Zustimmungserklärung" eines Bewerbers iSd §42 Abs4 GWO aufwies.
1.2.2. Diese "Zustimmungserklärungen" - in Form handschriftlich ausgefüllter Formulare - waren von je einem der in der Parteiliste aufscheinenden Bewerber unterschrieben und hatten folgenden vorgedruckten Wortlaut:
"ZUSTIMMUNGSERKLÄRUNG
Ich, .........................................................
Vor- u. Zuname, Geb.Dat. Adresse/Anschrift
gebe gemäß §42 der Gemeindewahlordnung 1960 hiermit meiner Aufnahme als Bewerber in den Wahlvorschlag der wahlwerbenden Partei
'MURAUER BÜRGERLISTE'
die Zustimmung.
Ort und Datum Unterschrift"
1.3.1. Mit Schreiben vom 8. März 1990 verständigte der Gemeindewahlleiter den zustellungsbevollmächtigten Vertreter der MBL, Ing. E P, daß die Gemeindewahlbehörde in ihrer Sitzung vom 7. März 1990 beschlossen habe, den Wahlvorschlag der MBL gemäß §45 Abs2 GWO als nicht eingebracht anzusehen, weil er "nicht die erforderliche Zahl von Unterschriften (§45 Abs2 GWO) nebst den im §42 Abs2 GWO geforderten Daten" trage.
1.3.2. Der Wahlvorschlag der MBL wurde dementsprechend wahlbehördlich nicht veröffentlicht (§48 GWO) und lag somit der Wahl zum Gemeinderat der Stadtgemeinde Murau am 25. März 1990 nicht zugrunde.
1.4. Der zustellungsbevollmächtigte Vertreter der MBL erhob am 9. April 1990 gemäß §81 GWO Einspruch wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens, den er ua. wie folgt begründete:
"Die Gemeindewahlbehörde ließ sich bei ihrem Beschluß offensichtlich vom Wortlaut des §42 Abs3 GWO irreführen. Demgemäß muß jeder Wahlvorschlag ua. die sogenannte Parteiliste und dazu die erforderlichen Unterschriften der darauf aufscheinenden Wahlberechtigten enthalten (§42 Abs4 GWO). Wenn §42 Abs3 Z4 GWO zudem für Murau zehn sogenannte 'Unterstützungsunterschriften' von Wahlberechtigten verlangt, so kann dieses zusätzliche Erfordernis nur insofern Bedeutung erlangen, wenn ein Wahlvorschlag nicht mindestens soviele Bewerber samt Zustimmungsunterschriften enthält, wie gemäß §42 Abs2 GWO für die sogenannten 'Unterstützungsunterschriften' vorgeschrieben sind . . ."
1.5.1. Die Landeswahlbehörde für die Gemeinderatswahl 1990 gab diesem Einspruch mit Bescheid vom 10. Mai 1990, Z 7-5 I Mu 1/18 1990, nicht Folge; eine Ausfertigung ihres Bescheides wurde dem zustellungsbevollmächtigten Vertreter der MBL am 15. Mai 1990 zugestellt.
1.5.2. In der Begründung dieses Bescheides heißt es ua. wörtlich:
". . . Diese 'Zustimmungserklärungen' sind zweifelsfrei als Erklärung eines Bewerbers iSd §42 Abs4 GWO anzusehen. Eine Liste von Wahlberechtigten, womit diese erklären, den Wahlvorschlag zu unterstützen, war jedoch nicht angeschlossen. Aus der wörtlichen Formulierung der relevanten Gesetzesstellen (gemeint: §42 Abs2 bis 4 GWO) ist klar zu entnehmen (verschiedene Absätze bzw.
ziffernmäßige Unterteilung), daß der Gesetzgeber sehr wohl die
Unterscheidung einer 'Zustimmungserklärung' und einer
'Unterstützungserklärung' verlangt. Unbestritten ist, daß ein
Bewerber quasi 'sich selbst unterstützen' kann, doch muß dies
entweder durch eine oder zwei Unterschriften und durch eine
entsprechende Formulierung des Textes der Erklärung zum Ausdruck
gebracht werden. Der Meinung des Einspruchswerbers, daß die
Erklärung zur Kandidatur 'selbstverständlich' auch als
'Unterstützung' zu werten sei, kann nicht beigepflichtet
werden . . . Weist nun ein Wahlvorschlag nicht die erforderliche
Anzahl von (unterstützenden) Unterschriften gemäß §42 Abs2 GWO
auf, so gilt er gemäß §45 Abs2 GWO als nicht eingebracht . . .
Die Entscheidung der Gemeindewahlbehörde vom 7. März 1990 erscheint daher im Lichte der aufgezeigten Sach- und Rechtslage und in Anlehnung an die vom Verfassungsgerichtshof geforderte strenge Bindung an die Formalvorschriften der Wahlordnung als nicht unrechtmäßig."
1.6.1.1. Mit der vorliegenden, auf Art141 B-VG gegründeten Wahlanfechtung beantragt die MBL, "das Verfahren zur Wahl des Gemeinderates der Stadtgemeinde Murau am 25. März 1990 ab einschließlich der Prüfung der eingelangten Wahlvorschläge durch die Gemeindewahlbehörde als rechtswidrig auf(zu)heben."
1.6.1.2. Begründend wird in der Anfechtungsschrift ausgeführt:
". . . Form und notwendiger Inhalt des Wahlvorschlags wird
ausschließlich in §42 Abs3 GWO festgelegt. §42 Abs3 Z4 GWO
sagt mit keinem Wort, an welcher Stelle des Wahlvorschlags die
erforderlichen Unterschriften plaziert sein müssen . . . ."
1.6.2. Die Landeswahlbehörde für die Gemeinderatswahl 1990 legte die Wahlakten vor und beantragte - unter Verzicht auf die Erstattung einer Gegenschrift -, die Wahlanfechtung als unbegründet abzuweisen.
1.7.1. Die Absätze 2, 3 und 4 des mit "Gemeindewahlvorschlag" betitelten §42 Steiermärkische Gemeindewahlordnung 1960 (GWO), LGBl. 6/1960 idF 10/1985, haben folgenden Wortlaut:
"(2) Der Wahlvorschlag muß in Gemeinden bis 1000 Einwohnern von mindestens 5 Wahlberechtigten, in Gemeinden von 1001 bis 3000 Einwohnern von mindestens 10 Wahlberechtigten, in Gemeinden von 3001 bis 5000 Einwohnern von mindestens 15 und in Gemeinden über 5000 Einwohnern von mindestens 20 Wahlberechtigten unterschrieben sein. Die Wahlberechtigten haben hiebei ihren Zu- und Vornamen, das Geburtsjahr und die Wohnungsanschrift anzuführen. Eine Zurückziehung einzelner Unterschriften nach Einlangen des Wahlvorschlages bei der Gemeindewahlbehörde ist von dieser nicht zur Kenntnis zu nehmen, es sei denn, daß der Gemeindewahlbehörde glaubhaft gemacht wird, daß ein Unterzeichner des Wahlvorschlages durch einen wesentlichen Irrtum oder durch arglistige Täuschung oder Drohung zur Leistung der Unterschrift bestimmt worden ist und die Zurückziehung der Unterschrift spätestens am 14. Tag vor dem Wahltag erfolgt ist.
(3) Der Wahlvorschlag muß eine einheitliche, zusammenhängende Eingabe sein und hat zu enthalten:
1.
Die unterscheidende Parteibezeichnung in Worten und eine allfällige Kurzbezeichnung in Buchstaben;
2.
Die Parteiliste, das ist ein Verzeichnis von höchstens doppelt so vielen Bewerbern, als in der Gemeinde Gemeinderäte zu wählen sind, in der beantragten, mit Ziffern bezeichneten Reihenfolge unter Angabe des Zu- und Vornamens, Geburtsjahres, Berufes und
der Wohnungsanschrift jedes Bewerbers;
3.
die Bezeichnung des zustellungsbevollmächtigten Vertreters (Zu- und Vorname, Beruf, Wohnungsanschrift);
4.
die gemäß Abs2 erforderlichen Unterschriften der Wahlberechtigten.
(4) In den Wahlvorschlag darf ein Bewerber nur dann aufgenommen werden, wenn er hiezu seine Zustimmung schriftlich erklärt hat. Die Erklärung ist auf dem Wahlvorschlag anzubringen oder diesem anzuschließen."
1.7.2. §45 Abs2 GWO bestimmt:
"(2) Weist ein Wahlvorschlag nicht die erforderliche Zahl von Unterschriften nebst den im §42 Abs2 geforderten Daten auf, so gilt er als nicht eingebracht. Bewerber, die nicht wählbar sind oder deren schriftliche Erklärungen (§42 Abs4) nicht vorliegen, werden im Wahlvorschlag gestrichen. In beiden Fällen ist der zustellungsbevollmächtigte Vertreter der Partei entsprechend zu verständigen."
2. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:
2.1.1.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über die Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, so auch über die Anfechtung einer Gemeinderatswahl (zB VfSlg. 8973/1980). Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.
2.1.1.2. Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheids eingebracht werden.
2.1.1.3. Ein derartiger, die unmittelbare Anfechtung der Wahl zum Gemeinderat der Stadtgemeinde Murau beim Verfassungsgerichtshof ausschließender Instanzenzug ist gemäß der Bestimmung des §81 Abs1 GWO vorgesehen: Danach kann eine Wahl ua. wegen behaupteter Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens binnen zwei Wochen - vom Ablauf des ersten Kundmachungstages (des Wahlergebnisses) an gerechnet vom zustellungsbevollmächtigten Vertreter jeder wahlwerbenden Partei schriftlich mit Einspruch bekämpft werden.
Über den bei der Gemeindewahlbehörde schriftlich zu erhebenden Einspruch entscheidet in erster und letzter Instanz die Landeswahlbehörde (§81 Abs4 und 6 GWO).
2.1.2.1. Wie sich aus den Ausführungen zu Punkt 1.5.1. ergibt, wurde der vom zustellungsbevollmächtigten Vertreter der MBL am 9. April 1990 gemäß §81 GWO wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens ergriffene Einspruch mit Bescheid der Landeswahlbehörde vom 10. Mai 1990 als unbegründet abgewiesen.
2.1.2.2. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufs der vierwöchigen Frist zur Anfechtung der in Rede stehenden Gemeinderatswahl vor dem Verfassungsgerichtshof ist somit der 15. Mai 1990, das ist der Tag der Zustellung des Bescheids der Landeswahlbehörde an Ing. Edwin Ploder (siehe schon Abschnitt 1.5.1.).
Die am 12. Juni 1990 zur Post gegebene Wahlanfechtung wurde also rechtzeitig eingebracht.
2.1.3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.
2.2.1.1. Nach §42 Abs2 GWO (s. Punkt 1.7.1.) muß ein Wahlvorschlag jeder wahlwerbenden Partei in Gemeinden von 1001 bis 3000 Einwohnern - so auch in der Stadtgemeinde Murau - von mindestens 10 Wahlberechtigten unterschrieben sein. Gemäß §42 Abs4 GWO darf ein Bewerber nur dann in den Wahlvorschlag aufgenommen werden, wenn er hiezu seine Zustimmung schriftlich erklärt hat, eine Erklärung, die auf dem Wahlvorschlag anzubringen oder ihm anzuschließen ist. Nach §45 Abs1 GWO hat die Gemeindewahlbehörde (ua.) unverzüglich zu prüfen, ob die eingelangten Wahlvorschläge von der erforderlichen Zahl von Wahlberechtigten unterschrieben sind.
Die Anfechtungswerberin wendet nun der Sache nach ein, daß ihr Wahlvorschlag die Anforderung des §42 Abs2 GWO erfülle, weil ihn die auf der Parteiliste aufscheinenden Bewerber mit Unterzeichnung der "Zustimmungserklärungen" unterstützt hätten.
2.2.1.2. Dem kann nicht beigepflichtet werden.
2.2.1.2.1. Nach der in ständiger Rechtsprechung vertretenen Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofs sind alle - die Wahlbehörden streng bindenden - Formalvorschriften der Wahlordnungen strikt nach ihrem Wortlaut auszulegen (VfSlg. 6750/1972, 8848/1980 und die dort angeführte Vorjudikatur). Nun ist das Ergebnis der Wortinterpretation des §42 Abs2 GWO durchaus eindeutig: Nach dem Gesetzestext muß nämlich "der Wahlvorschlag" selbst . . . "unterschrieben" sein. Dieser Wortlaut schließt es aus, daß die notwendigen Unterschriften nicht auf einer - die Bedingungen eines Wahlvorschlags erfüllenden - einheitlichen, zusammenhängenden Eingabe (§42 Abs3 GWO; vgl. VfSlg. 2893/1955, 10610/1985; VfGH 1.3.1990 WI-3/89), sondern auf anderen einzelnen - Papieren aufscheinen; er läßt es also keineswegs zu, einen mit der erforderlichen Zahl von Unterschriften zu versehenden "Wahlvorschlag" - wie hier - durch eine nicht unterschriebene "Parteiliste" samt einem ebensowenig unterfertigten Vorschlagsblatt und durch eine Reihe von Blättern zu ersetzen, auf denen jeweils bloß ein Bewerber die Zustimmung zur Aufnahme seiner Person in den Wahlvorschlag (der MBL) erteilt (sh. dazu auch: VfSlg. 10610/1985, VfGH 1.3.1990 WI-3/89). Dazu kommt, daß die dem Wahlvorschlag der MBL beigelegten "Zustimmungserklärungen" jedwede Bezugnahme auf ein vollständiges Bewerberverzeichnis, die "Parteiliste", vermissen lassen, die gemäß §42 Abs3 Z2 GWO integrierender Bestandteil des Wahlvorschlags ist. Es handelt sich hier also um bloße zusätzlich zum Wahlvorschlag erforderliche - Erklärungen iSd §42 Abs4 GWO ("Zustimmungserklärungen"), die den Umständen nach keine Gewähr dafür bieten, daß die Unterschriebenen den der Wahlbehörde (am 4. März 1990) zugeleiteten Vorschlag mit der gesamten "Parteiliste" wirklich gekannt und genehmigt haben (vgl. dazu: VfSlg. 315/1924, 1480/1932, 2893/1955, 2894/1955, 6750/1972, 10.610/1985; VfGH 1.3.1990 WI-3/89).
Die Rechtslage nach der GWO unterscheidet sich gerade in dem hier maßgebenden Punkt etwa von der nach der NRWO 1971, BGBl. 391/1970, idgF, die es gemäß §45 Abs2 - anders als die durch dieses Gesetz abgelöste NRWO 1970, BGBl. 61/1970 - genügen läßt, wenn ein Kreiswahlvorschlag von einer bestimmten Zahl von Wahlberechtigten "unterstützt" wird. Daß diese Personen den Vorschlag "unterschreiben", ist nicht mehr erforderlich (vgl. dazu die EB zur RV NRWO 1971, 139 BlgNR XII. GP S 40: "Die Regelung des Abs3 (gemeint wohl: Abs2) sieht, sofern der Wahlvorschlag nicht von wenigstens drei Mitgliedern des Nationalrates unterstützt wird, nicht mehr die Unterschriftsleistung der 500 Wahlberechtigten, die eine Wahlbewerbung unterstützen wollen, auf dem Wahlvorschlag selbst vor. Die Wahlberechtigten haben vielmehr lediglich eine Unterstützungserklärung eigenhändig zu unterfertigen. . . ").
2.2.1.2.2. Demgemäß stellte die Landeswahlbehörde für die Gemeinderatswahl 1990 rechtsrichtig fest, daß der Wahlvorschlag der MBL - weil er nicht die erforderliche Zahl von Unterschriften aufwies - als nicht eingebracht zu gelten hatte (§45 Abs2 Satz 1 GWO).
2.2.2. Da somit die geltend gemachte Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens nicht gegeben ist, war der Wahlanfechtung nicht stattzugeben.
Schlagworte
Wahlen, WahlvorschlagEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:WI2.1990Dokumentnummer
JFT_10098997_90W00I02_00