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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §1332;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schubert sowie die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Karger, Dr. Baumann und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des G in N, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 4. September 1989, GZ B 185-3/89, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 3.035 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer beantragte am 27. Februar 1989, dem letzten Tag der noch offenen Frist zur Einbringung einer Berufung gegen die nach einer abgabenbehördlichen Prüfung ergangenen Abgabenbescheide für die Jahre 1982 bis 1986, diese Frist bis 30. April 1989 zu verlängern. Das Finanzamt gab diesem Ansuchen bescheidmäßig statt. Ein am 2. Mai 1989 fristgerecht eingebrachtes Ansuchen um weitere Verlängerung der Frist bis 31. Mai 1989 wies das Finanzamt mit Bescheid vom 11. Mai 1989, zugestellt am 16. Mai 1989, mit der Begründung ab, vom Tag der Zustellung der Bescheide am 26. Jänner 1989 bis zum Ende der einmal verlängerten Frist (30. April 1989) sei ausreichend Zeit für die Einbringung einer Berufung gewesen.
Die am 23. Mai 1989 eingebrachte, mangelhafte Berufung gegen die Abgabenbescheide wies das Finanzamt mit Bescheid vom 5. Juni 1989, zugestellt am 7. Juni 1989, als nicht fristgerecht eingebracht zurück.
Am 12. Juni 1989 beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Frist für die Einbringung der Berufung sei versäumt worden, weil diese Frist von der dafür zuständigen Mitarbeiterin in der Kanzlei des Steuerberaters des Beschwerdeführers nicht erfaßt und der das Fristverlängerungsansuchen abweisende Bescheid des Finanzamtes vom 11. Mai 1989 dem dafür zuständigen Steuerberater nicht zurückgegeben worden sei. In der Kanzlei des Steuerberaters des Beschwerdeführers sei folgende Vorgangsweise beim Erfassen der Fristen und der Erledigung der Post vorgesehen:
"Vom Sekretariat wird die Post in Empfang genommen, das Schriftstück mit einem Eingangsstempel versehen, fotokopiert und an den Steuerberater Dr. St weitergeleitet. Dieser vermerkt die Zuständigkeit (Dr. G oder Dr. St) und führt die vorzumerkende Erledigungsfrist handschriftlich an. Danach wird diese Frist in ein Fristenblatt übertragen und das Schriftstück an den zuständigen Sachbearbeiter (Steuerberater und sonstigen Steuersachbearbeiter) zur Erledigung retourniert.
Von der Sekretärin ist der Sachbearbeiter täglich, beginnend drei Tage vor Ablauf der Frist, auf Grund ihres Fristenblattes, an die jeweilige Frist zu erinnern. Sollte eine Erledigung, aus welchen Gründen immer, nicht möglich sein, wird, soweit zulässig, ein Fristverlängerungsansuchen diktiert, geschrieben und an die Behörde geschickt."
Im konkreten Fall sei das Schriftstück irrtümlich in einem anderen Akt abgelegt worden, ohne die vom Steuerberater Dr. St angemerkte Frist in das Fristenblatt einzutragen, und es sei das Schriftstück auch nicht an Dr. St zurückgegeben worden.
Mit Bescheid vom 19. Juni 1989, zugestellt am 20. Juni 1989, wies das Finanzamt den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung ab, das nicht sofortige Bearbeiten dieser Angelegenheit (die Berufung hätte am der Zustellung des Bescheides vom 11. Mai 1989 folgenden Tag eingebracht werden müssen) und die Weiterleitung des Bescheides vom 11. Mai 1989 an die Kanzleikraft im üblichen Postlauf, obwohl keine Frist mehr offen gewesen sei, stelle ein nicht entschuldbares schuldhaftes Verhalten dar.
In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Berufung gab der Beschwerdeführer an, ein Abgehen von der in der Kanzlei seines Steuerberaters gewählten Vorgangsweise sei auch in Ausnahmefällen nicht möglich, weil die Überwachung der Fristen sonst nicht mehr gegeben wäre. Die Bearbeitung des Bescheides vom 11. Mai 1989 sei am Tag seines Einlangens nicht mehr möglich gewesen. Gerade deshalb hätte die Frist festgehalten werden müssen, weil bei einer Verhinderung von Dr. St am nächsten Tag die Erledigung durch den zweiten Steuerberater Dr. G hätte erfolgen müssen. Aus der Weiterleitung des Bescheides an die Kanzleikraft sei jedenfalls ein Verschulden nicht abzuleiten.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung mit der Begründung ab, es liege nicht ein Versehen der Kanzleikraft, sondern vielmehr ein Vergessen des Steuerberaters selbst vor, weil dieser nachweislich am 16. Mai 1989 Kenntnis vom Ablauf der Frist zur Einbringung der Berufung am folgenden Tag erlangt habe, weshalb es ihm durchaus zumutbar gewesen wäre, diese Frist - auch ohne von der Kanzleikraft nochmals daran erinnert zu werden - einzuhalten. Das Vergessen des Steuerberaters könne nicht als Versehen minderen Grades gewertet werden.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 308 Abs 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach übereinstimmender Ansicht von Lehre und Rechtsprechung gibt ein einem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann ab, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Verschulden des Vertreters, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit iSd § 1332 ABGB zu verstehen. Das Verschulden eines Kanzleibediensteten stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis iSd obigen Ausführungen dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleibediensteten nachgekommen ist. Der Vertreter muß die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die richtige Vormerkung von Terminen sichergestellt ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen unter anderem dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Ein Vertreter verstößt demnach auch dann gegen eine Sorgfaltspflicht, wenn er weder im allgemeinen noch im besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind.
Der Steuerberater des Beschwerdeführers hat zwar ausgeführt, wie die Fristen in seiner Kanzlei erfaßt werden. Er hat jedoch nicht behauptet, daß er seine Kanzleiangestellten dabei auch kontrolliert. Es ist dem Beschwerdeführer zwar zuzugestehen, daß selbst in einem Ausnahmefall wie dem vorliegenden, bei dem eine Frist bereits an dem der Zustellung des Bescheides folgenden Tag endet, von der bei der Erfassung der Fristen üblichen Vorgangsweise nicht abgegangen werden sollte. Gerade in einem Fall wie diesem wäre aber eine besondere Kontrolle nach der Sachlage geboten und dem Steuerberater, der mit dem Fall am Tag der Zustellung des Bescheides nachweislich befaßt war, auch zumutbar gewesen. Die Unterlassung der (besonderen) Kontrolle stellt eine grob fahrlässige Pflichtverletzung des Steuerberaters in seiner Stellung als berufsmäßiger Parteienvertreter dar und ist daher nicht als minderer Grad des Versehens im Sinn des § 308 Abs 1 zweiter Satz BAO anzusehen.
Daran vermögen die Beschwerdeausführungen nichts zu ändern. Der Beschwerdeführer stützt sich vor allem darauf, daß "das Delegieren gewisser Tätigkeiten und die Übertragung von Verantwortung in gewissen Bereichen auf gut ausgebildete, gewissenhafte und kompetente Mitarbeiter in einer durchdachten und funktionierenden Kanzleiorganisation" beim Anfall der umfangreichen, vom Steuerberater zu erbringenden Leistungen notwendig sei.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat, ist das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vorgegeben wird (vgl das hg Erkenntnis vom 19. März 1987, 86/16/0236). Es wäre daher am Beschwerdeführer bzw dessen Steuerberater gelegen gewesen, nicht nur auszuführen, warum im vorliegenden Fall nicht von der üblichen Vorgangsweise bei der Erfassung der Fristen abgegangen worden ist, sondern auch, welche besondere Kontrolle auf Grund der dem Steuerberater bekannten kurzen Frist erfolgt ist.
Da der Beschwerdeführer Ausführungen dieser Art unterlassen hat, ist die Wiedereinsetzung zu Recht nicht bewilligt worden.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 104/1991.
Schlagworte
Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1989140254.X00Im RIS seit
21.08.2001Zuletzt aktualisiert am
22.09.2008