TE Vfgh Erkenntnis 1990/10/9 G68/90

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Veröffentlicht am 09.10.1990
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/02 Kraftfahrgesetz 1967

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz KFG-Nov 12, ArtII Abs1 KFG 1967 §109 Abs5 KFG 1967 §110

Leitsatz

Gleichheitswidrige Schlechterstellung der eine Fahrschulkonzession zugunsten bestimmter Angehöriger zurücklegenden Personen durch das Verbot der Erteilung einer anderen Fahrschulkonzession nach Wegfall der Bedarfsprüfung; gleicher Anspruch auf Konzessionserteilung bei Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen

Spruch

ArtII Abs1 des Bundesgesetzes vom 23. Juni 1988, BGBl. Nr. 375, mit dem das Kraftfahrgesetz 1967 geändert wird (12. Kraftfahrgesetz-Novelle), wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Bundesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Dem §110 Abs1 litb Kraftfahrgesetz 1967 (KFG) in der Stammfassung zufolge durfte eine Fahrschulbewilligung nur erteilt werden, wenn an dem in Aussicht genommenen Standort ein Bedarf nach einer Fahrschule der beantragten Art bestand.

Gemäß §110 Abs2 KFG in dieser Fassung war die Voraussetzung des §110 Abs1 litb bei Erteilung einer neuen Fahrschulbewilligung für denselben Standort an einen Ehegatten oder an Nachkommen ersten Grades gemäß §109 Abs5 nicht erforderlich.

§109 Abs5 KFG idF BGBl. 631/1982 lautete:

"(5) Erlischt eine Fahrschulbewilligung durch Zurücklegung, so sind bei gewerbsmäßig betriebenen Fahrschulen ein Ehegatte und Nachkommen ersten Grades, auch wenn sie die im Abs1 lita und c bis h angeführten Voraussetzungen nicht erfüllen, bei der Bewerbung um eine neue Fahrschulbewilligung vor anderen Bewerbern zu berücksichtigen. Wenn dem Ehegatten oder Nachkommen unter Anwendung dieser Bestimmung eine Fahrschulbewilligung erteilt wurde, ist die Erteilung einer Fahrschulbewilligung für einen anderen Standort an die Person, die die ursprüngliche zurückgelegt hatte, unzulässig. Das gleiche gilt, wenn bei einer gewerbsmäßig betriebenen Fahrschule die Fahrschulbewilligung nach dem Tod ihres Besitzers für dessen Nachkommen ersten Grades weitergegolten hat und diese sich nach Vollendung ihres 24. Lebensjahres um eine neue Fahrschulbewilligung bewerben."

2.a) Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis VfSlg. 11276/1987 (kundgemacht im BGBl. 173/1987) §110 Abs1 litb und Abs2 KFG id Stammfassung (wegen Verletzung des Rechts auf Erwerbsausübungsfreiheit) als verfassungswidrig auf.

b) Mit der 12. Kraftfahrgesetz-Novelle, BGBl. 375/1988, wurden sodann u.a. die Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrschulbewilligung geändert. Diese Bestimmungen traten mit Ablauf des 15. Juli 1988 in Kraft (ArtV Abs1).

Eine Bedarfsprüfung wurde nicht (wieder) vorgesehen.

§109 Abs5 wurde aufgehoben (ArtI Z76).

Dafür bestimmt ArtII Abs1 der 12. KFG-Novelle:

"Artikel II

(1) Wenn einem Ehegatten oder Nachkommen unter Anwendung des §109 Abs5 erster Satz KFG 1967 eine Fahrschulbewilligung erteilt wurde, ist die Erteilung einer Fahrschulbewilligung für einen anderen Standort an die Person, die die ursprüngliche zurückgelegt hatte, unzulässig."

Die Erläuterungen zur die nachmalige 12. KFG-Novelle betreffenden Regierungsvorlage (618 BlgNR, 17. GP) motivieren den Entfall des §109 Abs5 KFG wie folgt:

"Erlischt eine Fahrschulbewilligung durch Zurücklegung, so sind nach der derzeitigen Rechtslage ein Ehegatte und Nachkommen ersten Grades bei der Bewerbung um eine neue Fahrschulbewilligung vor anderen Bewerbern zu berücksichtigen, selbst wenn sie die persönlichen Voraussetzungen - ausgenommen die Vertrauenswürdigkeit - nicht erfüllen. Dies soll in Hinkunft nicht mehr möglich sein."

ArtII Abs1 wird in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (nach einem Verweis auf die soeben zitierten Ausführungen) wie folgt begründet:

"Diese Bestimmung ist erforderlich, um die materielle Weitergeltung von §109 Abs5 zweiter Satz zu sichern."

II. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu Zl. B1236/89 das Verfahren über eine (auf Art144 B-VG gegründete) Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrundeliegt:

Der Landeshauptmann von Steiermark bewilligte mit Bescheid vom 29. Jänner 1973 dem Beschwerdeführer die Errichtung einer Fahrschule mit dem Standort in Graz, Schönaugasse 19. Am 24. März 1987 legte der Beschwerdeführer die Fahrschulbewilligung "zugunsten seiner Gattin" zurück. Mit rechtskräftigem Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 30. März 1987 wurde sodann antragsgemäß der Ehefrau des Beschwerdeführers gemäß §108 Abs3 iVm §109 Abs5 KFG in der damals geltenden Fassung die Fahrschulbewilligung erteilt.

Am 10. Mai 1988 stellte der Beschwerdeführer den Antrag, ihm die Errichtung und den Betrieb einer Fahrschule am Standort Rosental, Hauptstraße 5, zu bewilligen.

Der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr gab mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 12. September 1989 gemäß ArtII Abs1 der 12. KFG-Novelle diesem Antrag keine Folge.

Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die erwähnte Verfassungsgerichtshofbeschwerde.

2. Aus Anlaß dieser Beschwerde beschloß der Verfassungsgerichtshof am 1. März 1990, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen die Verfassungsmäßigkeit des ArtII Abs1 der 12. KFG-Novelle (Text s.o. I.2.b) zu prüfen.

Er äußerte im Einleitungsbeschluß das Bedenken, daß diese bundesgesetzliche Bestimmung dem - auch den Gesetzgeber bindenden - Gleichheitsgrundsatz widerspreche, weil sie eine Gruppe von Personen (nämlich jene, die seinerzeit - unter der Geltung des KFG idF vor der 12. KFG-Novelle - ihre Fahrschulbewilligung zugunsten des Ehegatten oder der Nachkommen ersten Grades zurückgelegt haben) schlechter stelle als den anderen Personenkreis, auf den diese Voraussetzungen nicht zutreffen und weil diese Differenzierung sachlich nicht begründbar zu sein scheine. Hiezu wird im Einleitungsbeschluß näher ausgeführt:

"Mag sein, daß nach der alten Rechtslage, die eine Bedarfsprüfung und die erleichterte Weitergabemöglichkeit der Fahrschulbewilligung an die Ehegatten und die Kinder (eine diesen Personenkreis privilegierende Regelung) im Wege der Zurücklegung der Konzession vorsah, das Verbot, dem Zurücklegenden eine andere Fahrschulbewilligung zu erteilen, sachlich gerechtfertigt war, um Mißbräuche auszuschließen.

Nach dem Wegfall der Bedarfsprüfung scheint jedoch eine solche erleichterte Weitergabe wenigstens in solchen Fällen faktisch nicht mehr interessant zu sein, in denen die Ehefrau oder die Kinder ohnehin die persönlichen Voraussetzungen erfüllen. Weshalb dann aber nach dem Inkrafttreten der 12. KFG-Novelle der §109 Abs5 zweiter Satz KFG 'materiell weitergelten' soll (das ist nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage der einzige Zweck der in Prüfung gezogenen Vorschrift), ist dem Verfassungsgerichtshof zumindest für den Regelfall vorerst nicht einsichtig. Nach dem Wegfall der Bedarfsprüfung scheint es für die Erteilung einer Fahrschulbewilligung völlig unerheblich zu sein, ob eine bestehende Konzession zurückgelegt wird oder nicht und ob der Zurückleger mit dem Übernehmer der Fahrschule verheiratet oder verwandt ist. Unter diesen Umständen kann der Verfassungsgerichtshof vorerst keinen Grund für diese Schlechterstellung erkennen (vgl. die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Frage, ob es zulässig ist, eine besondere rechtliche Behandlung nur deshalb vorzusehen, weil eine enge familiäre Beziehung besteht: zB VfSlg. 8485/1979, 8539/1979, 8723/1979, 9261/1981, 9624/1983, 10036/1984, 10157/1984; VfGH 3.3.1989 G138/88 u.a. Zlen.)."

3. Die Bundesregierung erstattete im Gesetzesprüfungsverfahren eine Äußerung, in der sie beantragt, die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

Sie stellt die Rechtslage vor dem Inkrafttreten der 12. KFG-Novelle (s.o. I.1.) dar und führt dann zu dem damaligen §109 Abs5 und §110 Abs2 KFG aus:

"Diese Regelung bewirkte ..., daß die Inhaber einer Fahrschulbewilligung ihren Ehegatten oder Nachkommen ersten Grades durch die Zurücklegung der Fahrschulbewilligung einen wirtschaftlichen und sozialen Vorteil gegenüber allen anderen Bewerbern um die Bewilligung einer Fahrschule verschaffen konnten. Durch ihren Verzicht konnten sie ein Recht auf Personen übertragen, dessen diese ansonsten in der Regel nicht teilhaftig geworden wären, da sie die hiefür erforderlichen fachlichen und sonstigen Qualifikationen nicht mitbrachten.

Diese Privilegierung wurde dem Zurückleger bzw. seinen ihm nahestehenden Verwandten mit der Einschränkung eingeräumt, daß er selbst keine einschlägige Bewilligung mehr erhalten konnte. Das Zurücklegen der Bewilligung wird und wurde vom Gesetzgeber offenbar als freiwilliger Verzicht auf eine neuerliche Erteilung einer solchen Bewilligung durch den Zurückleger verstanden. Mit anderen Worten bedeutet das, daß das Zurücklegen einer Bewilligung zugunsten bestimmter Angehöriger mit der Auflage erfolgt, daß der Zurückleger auf ein eigenes Ausüben einer solchen Bewilligung für die Zukunft verzichtet.

Die neue Rechtslage hat nach Auffassung der Bundesregierung nun auf den Umstand keinen Einfluß, daß die nach der alten Rechtslage zurückgelegten Bewilligungen nur unter der Bedingung des Verzichtes des Zurücklegers auf eine neuerliche einschlägige Bewilligung erfolgt sind. Dieses Anliegen des Gesetzgebers kommt in der in Prüfung gezogenen Bestimmung zum Ausdruck.

Ohne die in Prüfung gezogene Regelung hätten im übrigen die ursprünglichen Inhaber von Fahrschulbewilligungen und ihre Angehörigen sowohl das Privileg des nach der alten Rechtslage bestehenden Weitergaberechts an ansonsten nicht qualifizierte Angehörige gehabt, als sie auch in den Genuß des Vorteils des den durch die 12. KFG-Novelle geschaffenen erleichterten Zugangs zu Fahrschulbewilligungen gekommen wären.

Was die vom Verfassungsgerichtshof vor allem im Hinblick auf die Angehörigen, die die Voraussetzungen für den Betrieb einer Fahrschule erfüllen, geäußerten Bedenken betrifft, ist weiters folgendes auszuführen:

Es darf nicht übersehen werden, daß das System nach der in Prüfung gezogenen Bestimmung insofern nicht zwingend, sondern flexibel ist, als diese Angehörigen eine Bewilligung zum Betrieb der Fahrschule selbst beantragen können. Die in Prüfung gezogene Regelung würde in diesem Fall für den Zurückleger nicht mehr zum Tragen kommen."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde, die den Anlaß zur Einleitung dieses Gesetzesprüfungsverfahrens bildete, ist zulässig. Der Verfassungsgerichtshof wird daher über sie in der Sache zu entscheiden haben. Hiebei hätte er den (den angefochtenen Bescheid vornehmlich tragenden) ArtII Abs1 der 12. KFG-Novelle anzuwenden.

Da außer der Präjudizialität auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das (von Amts wegen eingeleitete) Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. Die im Einleitungsbeschluß geäußerten Bedenken (s.o. II.2.) haben sich als zutreffend erwiesen. Die Äußerung der Bundesregierung (s.o. II.3.) waren nicht geeignet, die Bedenken zu zerstreuen:

ArtII Abs1 der 12. KFG-Novelle erfaßt seinem klaren und eindeutigen - eine andere Auslegung ausschließenden - Wortlaut nach alle Fälle, in denen seinerzeit eine Fahrschulbewilligung zugunsten bestimmter naher Angehöriger zurückgelegt und denen sodann eine Fahrschulkonzession in Anwendung des §109 Abs5 erster Satz KFG erteilt wurde.

Unerörtert kann hier bleiben, ob die Vorgängerbestimmung des ArtII Abs1 der 12. KFG-Novelle - nämlich §109 Abs5 zweiter Satz KFG idF BGBl. 631/1982 - im seinerzeitigen rechtlichen Umfeld verfassungsmäßig war. Immerhin konnte seinerzeit die (durch §109 Abs5 erster Satz und §110 Abs2 leg.cit. gewährte) bevorzugte Berücksichtigung des Angehörigen des die Konzession zurücklegenden Fahrschulinhabers aufgrund der damals vorgeschriebenen Bedarfsprüfung die Benachteilung anderer Bewerber um eine neue Konzession bewirken, sodaß das Verbot, dem die Konzession zurücklegenden Fahrschulinhaber in der Folge eine andere Fahrschulkonzession zu erteilen, als vertretbarer Ausgleich angesehen werden konnte.

Unter dem seit dem Wegfall der Bedarfsprüfung und seit der Erlassung der 12. KFG-Novelle geltenden rechtlichen Regime kann jedoch keinerlei sachlicher Zusammenhang zwischen dem seinerzeitigen Verzicht auf eine Fahrschulkonzession zugunsten bestimmter Angehöriger einerseits und dem Ausschluß von der Verleihung einer neuen Fahrschulbewilligung andererseits gesehen werden; hat doch heute jeder, der die persönlichen Voraussetzungen erfüllt, in gleicher Weise Anspruch auf Konzessionserteilung, sodaß aus der seinerzeitigen, oben erwähnten Privilegierung nach der heutigen Rechtslage niemandem ein Nachteil erwächst.

Die in Prüfung gezogene Bestimmung war sohin wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz aufzuheben.

3. Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.

Schlagworte

Kraftfahrrecht, Fahrschulen (Konzessionserteilung), Konzessionserteilung (Fahrschulen), Ehe und Verwandtschaft, Angehörigenverhältnis, Bedarfsprüfung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:G68.1990

Dokumentnummer

JFT_10098991_90G00068_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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