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L37039 Lustbarkeitsabgabe Vergnügungssteuer Wien;Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schidlof, über die Beschwerde der L in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 20. Dezember 1991, Zl. UVS-05/27/00139/91, betreffend Aussetzung eines Verwaltungsstrafverfahrens in einer Vergnügungssteuerangelegenheit, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien
- Magistratsabteilung 4/7 - vom 24. Juli 1991 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe es als Geschäftsführerin der N-Gesellschaft m.b.H. unterlassen, die Vergnügungssteuer für einen näher bezeichneten Spielapparat "für die Monate Juni bis Oktober 1990 rechtzeitig mit dem richtigen Steuersatz von 14.000 S einzubekennen und zu entrichten". Die Beschwerdeführerin habe dadurch "die Vergnügungssteuer für Juni bis Oktober 1990 in der Zeit vom 1. bis 22. Oktober 1990 mit dem Betrag 58.000 S und in der Zeit vom 23. Oktober 1990 bis 10. Dezember 1990 mit dem Betrag von 44.000 S verkürzt"; sie habe dadurch § 19 Abs. 1 Vergnügungssteuergesetz (in der Folge: Wr VGSG) idF. LGBl. für Wien Nr. 44/1990 verletzt. Über die Beschwerdeführerin wurde eine Geldstrafe in der Höhe von S 58.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: sechs Wochen) verhängt.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung.
Die belangte Behörde erstattete mit Schreiben vom 20. Dezember 1991 (u.a.) gegen die Beschwerdeführerin Anzeige an die Staatsanwaltschaft Wien wegen des Verdachtes der Hinterziehung von Vergnügungssteuer mit einem die gerichtliche Zuständigkeit begründenden Gesamtbetrag.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom selben Tag setzte die belangte Behörde das Strafverfahren gemäß § 30 Abs. 2 VStG bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Strafgerichtes aus. Zur Begründung wurde - nach Wiedergabe des § 19 Abs. 1 Wr VGSG (offenbar in der Fassung LGBl. für Wien Nr. 73/1990) und des § 30 Abs. 2 VStG - ausgeführt:
"Der Magistrat der Stadt Wien erließ gegen eine Mitbeschuldigte mehrere Straferkenntnisse, in denen ihr vorgeworfen wurde, sie habe Vergnügungssteuer, die in der Summe den Betrag von S 300.000,-- überschreitet, hinterzogen. Es ist daher in diesem anderen Strafverfahren zweifelhaft, ob die Verwaltungsbehörde oder das Strafgericht zuständig ist.
Im Hinblick auf das im § 13 Abs. 1 Vergnügungssteuergesetz normierte Gesamtschuldverhältnis und da gemäß § 56 Abs. 1 StPO dann, wenn sich mehrere Personen an derselben strafbaren Handlung beteiligt haben, das Strafverfahren gegen alle diese Personen bei demselben Gericht gleichzeitig zu führen ist, bestehen auch hinsichtlich des gegenständlichen Strafverfahrens Zweifel an der verwaltungsbehördlichen Zuständigkeit.
Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden."
Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluß vom 25. Februar 1992, B 160-174/92-3, ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Liegen einem Beschuldigten von verschiedenen Behörden zu ahndende Verwaltungsübertretungen oder eine Verwaltungsübertretung und eine andere von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndende strafbare Handlung zur Last, so sind gemäß § 30 Abs. 1 VStG die strafbaren Handlungen unabhängig voneinander zu verfolgen, und zwar in der Regel auch dann, wenn die strafbaren Handlungen durch eine und dieselbe Tat begangen worden sind.
Ist aber eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlungen bildet, und ist es zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat nach Abs. 2 dieses Paragraphen die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über diese Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.
Vorauszuschicken ist zunächst, daß auch die Berufungsbehörde nach § 30 Abs. 2 VStG vorzugehen hat, wenn ein Berufungsverfahren anhängig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. September 1986, Zl. 86/09/0086).
Soweit die Beschwerdeführerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unter anderem geltend macht, die Anwendung des § 13 Abs. 1 Wr VGSG und des § 56 Abs. 1 StPO sei im vorliegenden Fall rechtswidrig, ist sie im Ergebnis im Recht:
Der Verdacht einer vom Gericht als Finanzvergehen zu ahndenden strafbaren Handlung nach § 19 Abs. 1 Wr VGSG in der Fassung der Novelle LGBl. für Wien Nr. 73/1990 kann auf der rechtlichen Grundlage des § 56 StPO - die Behörde ist offenbar von einer, sachverhaltsmäßig freilich nicht näher dargelegten subjektiven Konnexität im Sinne dieser Bestimmung ausgegangen - nicht angenommen werden. § 56 StPO lautet:
"(1) Liegen demselben Beschuldigten mehrere strafbare Handlungen zur Last oder haben sich an derselben strafbaren Handlung mehrere Personen beteiligt oder hat eine von Ihnen auch noch in Verbindung mit anderen Personen strafbare Handlungen begangen, so ist in der Regel das Strafverfahren gegen alle diese Personen und wegen aller dieser strafbaren Handlungen bei demselben Gerichte gleichzeitig zu führen und über alle zusammentreffenden Strafsachen ein Endurteil zu fällen.
(2) Zu diesem Verfahren ist das unter den dabei in Frage kommenden Gerichten zuständig, das den anderen zuvorgekommen ist. Gehört jedoch eine der zusammentreffenden Strafsachen vor einen Gerichtshof, so gibt sie für die Zuständigkeit den Ausschlag, wenngleich ein Bezirksgericht zuvorgekommen ist. Die Hauptverhandlung und Entscheidung obliegt dem Geschwornengericht, wenn auch nur eine der zusammentreffenden Strafsachen eine strafbare Handlung zum Gegenstand hat, deren Aburteilung dem Geschworenengericht zukommt.
(3) Gehören die zusammentreffenden Strafsachen vor verschiedene Gerichte gleicher Ordnung, kann aber über eine davon ihrer Art nach nur eines der Gerichte entscheiden, so gibt diese Strafsache für die Zuständigkeit ohne Rücksicht auf das Zuvorkommen eines anderen Gerichtes den Ausschlag."
Schon der Wortlaut des § 56 StPO läßt keinen Zweifel daran, daß diese Bestimmung die gemeinsame Führung mehrerer zusammentreffender Strafverfahren hinsichtlich solcher strafbarer Handlungen, deren Aburteilung den Gerichten zugewiesen ist, zum Gegenstand hat. So heißt es etwa im § 56 Abs. 2 erster Satz StPO, daß zu diesem Verfahren "das unter den dabei in Frage kommenden Gerichten" zuständig ist, das den anderen zuvorgekommen ist. Ebenso geht die Regelung des § 56 Abs. 3 StPO davon aus, daß die zusammentreffenden Strafsachen "vor verschiedene Gerichte" (gleicher Ordnung) gehören.
Der von der belangten Behörde herangezogene § 56 Abs. 1 StPO ist somit nicht geeignet, den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlungen anzunehmen und aus diesem Grund das Strafverfahren auszusetzen.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Da im Falle der Abtretung einer Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren obsiegenden beschwerdeführenden Partei kein Ersatz der Stempelgebühren gebührt, die sie im vorangegangenen Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof entrichten mußte (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 21. September 1983, Zl. 83/17/0145), war das diesbezügliche Mehrbegehren abzuweisen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992170087.X00Im RIS seit
05.04.2001