TE Vwgh Beschluss 1993/3/26 93/17/0065

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Veröffentlicht am 26.03.1993
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des L in W, vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in W, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung der der Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 26. März 1992, Zl. GA 7 - 741/92, betreffend Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer Rückstandsanzeige gemäß Art. 11 Abs. 2 BGBl. Nr. 249/1955 (hg. Zlen. 92/17/0272, AW 92/17/0043) anhaftenden Mängel, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

Mit Berichterverfügung vom 19. November 1992 wurde die zu hg. Zlen. 92/17/0272, AW 92/17/0043 erhobene Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid gemäß § 34 Abs. 2 VwGG dem Beschwerdeführer zu Handen des bestellten Verfahrenshelfers unter anderem mit der Aufforderung zurückgestellt, eine weitere Ausfertigung der Urbeschwerde für die belangte Behörde beizubringen. Diese Verfügung wurde dem Verfahrenshelfer am 7. Dezember 1992 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 22. Dezember 1992, zur Post gegeben am 23. Dezember 1992, wurden zwar die übrigen der Beschwerde anhaftenden Mängel behoben, nicht jedoch eine weitere Ausfertigung der Urbeschwerde für die belangte Behörde beigebracht.

Aus diesem Grunde wurde mit Beschluß vom 22. Jänner 1993 das Verfahren eingestellt.

Mit Schriftsatz vom 16. Februar 1993 stellt der Beschwerdeführer den aus dem Spruch ersichtlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Darin wird im wesentlichen vorgebracht, mit dem gegenständlichen Akt sei in der Kanzlei des Verfahrenshelfers die verläßliche Konzipientin Dr. Karin G. betraut gewesen. Diese habe erst am späten Nachmittag des 21. Dezember 1992 durch den Beschwerdeführer erfahren, daß er eine Ergänzung seiner mangelhaften Urbeschwerde vom 11. November 1992 wünsche. Am 22. Dezember 1992 sei sodann der ergänzende Schriftsatz dem Verfahrenshelfer zur inhaltlichen Kontrolle vorgelegt worden. Nach Unterfertigung sei die Unterschriftenmappe wieder an die zuständige Konzipientin gegangen, die sich anläßlich der Weitergabe an ihre Sekretärin, Frau Sonya M., nochmals vergewissert habe, daß die Beilagen - also auch die Urbeschwerde - in erforderlicher Anzahl vorhanden gewesen seien. Frau Dr. G. habe Frau M., die sehr zuverlässig und tüchtig sei und ihre Aufgaben bisher fehlerfrei bewältigt habe, instruiert, dem ergänzenden Schriftsatz "zwei Beilagen der mangelhaften Urbeschwerde" beizulegen. Auf den übermäßigen Arbeitsanfall in der Vorweihnachtszeit sei es zurückzuführen, daß Frau M. die Urbeschwerde bei der Postabfertigung versehentlich offenbar nur einfach dem ergänzenden Schriftsatz vom 22. Dezember 1992 beigelegt habe. Dieses Versehen sei erst entdeckt worden, als am 8. Februar 1993 der Einstellungsbeschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Jänner 1993 eingegangen sei.

Diesem Antrag sind Eidesstättige Erklärungen von Dr. Karin G. und Frau Sonya M. beigelegt, in denen die obigen Angaben als richtig bestätigt werden.

Gemäß § 46 Abs. 2 VwGG idF. des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 564/1985 ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten des Parteienvertreters demjenigen der Partei oder des Rechtsanwaltes nicht schlechterdings gleichgesetzt werden darf. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Ein Verschulden trifft den Rechtsanwalt jedenfalls dann nicht, wenn sich zeigt, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des betreffenden Kanzleiangestellten beruht, ohne daß ein eigenes Verschulden des Rechtsanwaltes hinzugetreten wäre. Unterläuft einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach Kontrolle desselben durch den Parteienvertreter im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Die regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen (vgl. hiezu etwa die hg. Beschlüsse vom 28. Juni 1989, Zl. 88/16/0223, vom 20. Juni 1990, Zl. 90/16/0042, vom 25. Oktober 1990, Zl. 90/16/0163, und vom 17. Mai 1991, Zl. 91/17/0021). Anders kann es sich verhalten, wenn schon aus dem vom Parteienvertreter unterfertigten Schriftsatz hervorgeht, daß damit dem Mängelbehebungsauftrag nur unvollständig entsprochen würde (Beschlüsse vom 21. November 1986, Zl. 86/17/0168, und vom 15. Dezember 1988, Zl. 88/08/0278).

Der Verwaltungsgerichtshof geht im vorliegenden Fall auf Grund des durch die beigelegten Eidesstättigen Erklärungen erhärteten Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag sachverhaltsmäßig davon aus, daß jener Beschwerdemangel, der zur Einstellung des Beschwerdeverfahrens geführt hatte, durch ein weisungswidriges Verhalten der Kanzleiangestellten des Beschwerdevertreters, nämlich durch die Unterlassung des Anschlusses einer zweiten Ausfertigung der Urbeschwerde, verursacht wurde. Ein Anhaltspunkt für ein gleichzeitiges Verschulden des Beschwerdevertreters selbst hat sich nicht ergeben. Das im Zusammenhang maßgebende Hindernis bestand in der Unkenntnis dieses Verhaltens; es erscheint glaubhaft, daß dieses Hindernis erst mit der Zustellung des Einstellungsbeschlusses des Verwaltungsgerichtshofes weggefallen ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluß eines verstärkten Senates vom 21. Juni 1988, Slg. Nr. 12.742/A, dargetan hat, wird bei einem gemäß § 34 Abs. 2 VwGG erteilten Mängelbehebungsauftrag die Frist zur Verbesserung nicht nur dann versäumt, wenn jenem Auftrag innerhalb der Frist überhaupt nicht, sondern auch dann, wenn ihm nur unvollständig (mangelhaft, teilweise) entsprochen wurde.

Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher gemäß § 46 Abs. 1 und 4 VwGG stattzugeben. Dem stand auch nicht entgegen, daß die oben wiedergegebenen, einleitenden Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag offenbar unzutreffend sind. Tatsächlich war in der Kanzlei des Beschwerdevertreters nämlich schon seit der am 7. Dezember 1992 erfolgten Zustellung des Verbesserungsauftrages vom 19. November 1992 bekannt, daß ein Verbesserungsschriftsatz einzubringen war.

Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren gemäß § 46 Abs. 5 VwGG in jene Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

Schlagworte

FristMängelbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993170065.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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