Index
70/05 Schulpflicht;Norm
SchPflG 1985 §8 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des J und der R K in M, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landesschulrates für Niederösterreich vom 11. Februar 1992, Zl. I-27226/3-1991, betreffend Aufnahme in die Sonderschule, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Unterricht und Kunst) hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Über Antrag der Direktion der Volksschule I verfügte der Bezirksschulrat M mit Bescheid vom 14. Februar 1991 gemäß § 8 Abs. 1 und 2 des Schulpflichtgesetzes 1985 die Aufnahme der minderjährigen Schülerin LK, Tochter der Beschwerdeführer, in die Allgemeine Sonderschule M. Nach der Begründung gehe aus dem Bericht des Klassenlehrers bzw. dem Gutachten des Sonderschullehrers hervor, daß die Schülerin in der Sonderschule wesentlich mehr gefördert werden könne.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und der Bescheid des Bezirksschulrates bestätigt. Zur Begründung wurde auf ein zusätzliches Gutachten des schulpsychologischen Dienstes vom 22. Mai 1991 verwiesen, woraus sich die Notwendigkeit der Aufnahme in die Sonderschule ergebe. Als zusätzliche Maßnahme sei die vorübergehende Aufnahme in die Heilpädagogische Station XY angeordnet worden. Diese habe berichtet, daß bei der Tochter der Beschwerdeführer eine gravierende Schwäche in Mathematik bestehe und diese ferner noch viel Einzelbetreuung und Unterstützung brauche. Ein abschließendes Gespräch am 16. Jänner 1992 mit allen Beteiligten habe zur endgültigen Klärung des Sachverhaltes führen sollen. Zusammenfassend werde festgestellt, daß die Tochter der Beschwerdeführer aufgrund aller Testbefunde nicht in der Lage sei, dem Unterricht in der Volksschule zu folgen. Sie sei wegen psychischer Behinderung sonderschulbedürftig und habe ab dem 2. Semester des Schuljahres 1991/92 ihre Schulpflicht in der Allgemeinen Sonderschule M zu erfüllen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 8 Abs. 1 des Schulpflichtgesetzes 1985, Anlage zur Wiederverlautbarungskundmachung BGBl. Nr. 76/1985, haben schulpflichtige Kinder, die infolge physischer oder psychischer Behinderung dem Unterricht in der Volks- oder Hauptschule nicht zu folgen vermögen, aber dennoch schulfähig sind, ihre allgemeine Schulpflicht in einer ihrer Eigenart und Schulfähigkeit entsprechenden Sonderschule oder einer Volks- oder Hauptschule angeschlossenen Sonderschulklasse zu erfüllen, soweit solche Schulen (Klassen) vorhanden sind und der Schulweg den Kindern zumutbar oder der Schulbesuch aufgrund der mit Zustimmung der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes erfolgten Unterbringung in einem der Schule angegliederten oder sonst geeigneten Schülerheim möglich ist.
Nach § 8 Abs. 2 leg. cit. ist die Aufnahme eines Kindes in eine Sonderschule (Sonderschulklasse) auf Antrag der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes, auf Antrag des Leiters der Schule, dem das Kind zur Aufnahme vorgestellt worden ist oder dessen Schule es besucht, oder sonst von Amts wegen vorzunehmen. Der Antrag der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten hat die Art der Sonderschule, die das Kind besuchen soll, zu bezeichnen; gleiches gilt für die amtswegige Aufnahme. Zuständig zur Entscheidung über die Aufnahme ist der Bezirksschulrat, in dessen Bereich die beantragte Art der Sonderschule gelegen ist. Der Bezirksschulrat hat zur Feststellung, ob das Kind der Förderung durch die beantragte Art der Sonderschule bedarf, ein Gutachten des Leiters einer Sonderschule der beantragten Art (des Lehrers einer derartigen Sonderschulklasse), ein schul- oder amtsärztliches Gutachten, ein nach Lage des Falles allenfalls erforderliches sonderpädagogisches Gutachten und mit Zustimmung der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes ein schulpsychologisches Gutachten einzuholen ... Der Bezirksschulrat hat ein eingeholtes Gutachten und das Ergebnis der Beobachtung des Kindes seiner Entscheidung zugrundezulegen.
Nach Art. II Abs. 2 lit. A Z. 8 EGVG ist auf das Verfahren der Landes- und Bezirksschulbehörden das AVG anzuwenden.
Was die Annahme der belangten Behörde anlangt, die Tochter der Beschwerdeführer sei wegen "physischer Behinderung" sonderschulbedürftig, so enthält der angefochtene Bescheid keinerlei Feststellungen in Richtung einer derartigen Behinderung.
Gemäß § 8 Abs. 1 des Schulpflichtgesetzes bilden Feststellungen über das Vorliegen einer physischen oder psychischen Behinderung jedenfalls eine der wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen für die Entscheidung über die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht eines Kindes in einer Sonderschule oder Sonderschulklasse. Es wäre daher Sache der Behörde gewesen, eindeutige Feststellungen hinsichtlich der entscheidungswesentlichen Frage, ob eine Behinderung im Sinne des § 8 Abs. 1 leg. cit. vorliegt, zu treffen. Der angefochtene Bescheid läßt jedoch derartige Feststellungen vermissen.
Gemäß § 37 AVG ist es Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Bescheide sind nach § 58 Abs. 2 AVG zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtslage sind nach § 60 AVG in der Begründung klar und übersichtlich zusammenzufassen.
Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid nicht in ausreichendem Maße gerecht. Von der belangten Behörde wird - zusammenfassend - festgehalten, daß die Tochter der Beschwerdeführer "aufgrund aller Testbefunde" nicht in der Lage sei, dem Unterricht in der Volksschule zu folgen. Richtig ist dabei, daß sich die von Amts wegen eingeholten Gutachten des schulpsychologischen Dienstes (vgl. die Gutachten vom 9. Mai 1990 und vom 22. Mai 1991) im wesentlichen für einen Besuch der Sonderschule aussprechen. Das von der belangten Behörde in der Begründung ihres Bescheides ausdrücklich erwähnte Gutachten vom 22. Mai 1991 hat daneben allerdings auch den Besuch der Heilpädagogischen Station XY empfohlen. Nach Lage der Verwaltungsakten sollten deren Beobachtungen die Grundlage für weitere Maßnahmen der Behörde darstellen. Dem in der Folge erstatteten Bericht der Heilpädagogischen Station ist zu entnehmen, daß bei der Tochter der Beschwerdeführer eine gravierende Schwäche in Mathematik bestehe und sie noch viel Einzelbetreuung und Unterstützung brauche. Ferner heißt es in diesem Bericht, worauf die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides allerdings nicht eingeht, daß eine Befürwortung für einen entsprechenden Schultyp "gegenwärtig noch nicht möglich" sei. Daß im Verlaufe des Verwaltungsverfahrens auch Gutachten erstattet wurden, die sich für den Besuch einer Normalschule ausgesprochen haben (vgl. z. B. den psychologischen Befund des Neurologischen Krankenhauses W-Z vom 2. Mai 1990, der im Besuch der Sonderschule sogar eine Gefahr der Beeiträchtigung der Gesamtentwicklung der Tochter der Beschwerdeführer erblickte), wurde von der belangten Behörde weder erwähnt, noch erfolgte mit diesen eine entsprechende Auseinandersetzung. Bei Vorliegen einander widersprechender ärztlicher Gutachten hat die Behörde aber in der Begründung ihres Bescheides anzugeben, welche Erwägungen maßgebend waren, das eine Beweismittel dem anderen vorzuziehen.
Aufgrund dieser Erwägungen ergibt sich, daß der maßgebende Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben ist und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Da der angefochtene Bescheid nur in einer einzigen Ausfertigung vorzulegen war, konnte für die weitere Ausfertigung kein Stempelgebührenersatz zugesprochen werden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992100059.X00Im RIS seit
20.11.2000