TE Vfgh Erkenntnis 1990/10/10 B334/90

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Veröffentlicht am 10.10.1990
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Index

14 Organisationsrecht
14/02 Gerichtsorganisation

Norm

B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Rechtsverletzung Anlaßfallwirkung iSd Art140 Abs7 B-VG aufgrund des Einlangens der Beschwerde noch vor dem Zeitpunkt das Stattfindens der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren. Anlaßfallwirkung der Aufhebung des §15 Abs2 OGHG mit E v 28.06.90, G315/89, G67/90. Anlaßfallwirkung der Aufhebung des §15 Abs2 OGHG auch in E v 27.09.90, B1438/88.

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 15.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer stellte beim Präsidenten des Obersten Gerichtshofes den Antrag, ihm die Einsichtnahme in sämtliche seit dem Jahre 1970 ergangenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zu gewähren und ihm von solchen - noch zu bezeichnenden - Entscheidungen Vervielfältigungen zu überlassen.

Der Präsident des Obersten Gerichtshofes teilte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. Dezember 1989 mit, daß eine Einsichtnahme in nichtveröffentlichte Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes "mangels gesetzlicher Grundlage" nicht möglich sei.

Der Bundesminister für Justiz wies die gegen diese Erledigung gerichtete Berufung des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 8. Jänner 1990 mit der Begründung als unzulässig zurück, daß das Schreiben des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes der Bescheidqualität ermangle. Der Begründung wurde die Bemerkung beigefügt, daß selbst dann, wenn dieses Schreiben einen Bescheid darstelle, der Berufung ein Erfolg versagt werden müßte, weil die (durch §15 Abs2 des Bundesgesetzes über den Obersten Gerichtshof, BGBl. 328/1968, geschaffene) Möglichkeit der Gewährung von Einsicht in Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes nur für eine bestimmte Kategorie von Universitätsprofessoren gelte und daher eine analoge Anwendung dieser Bestimmung (auf Rechtsanwälte) nicht möglich sei.

2. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, mit der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie (der Sache nach) die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Der Bundesminister für Justiz als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (vgl. VfGH 27. 9. 1990 B1438/88) - Beschwerde erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis G315/89, G67/90 vom 28. Juni 1990 §15 Abs2 des Bundesgesetzes über den Obersten Gerichtshof, BGBl. 328/1968, als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist darum so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall im engeren Sinn (anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) sind all jene Fälle gleichzuhalten, die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung) bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985).

3. Die mündliche Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren fand am 21. Juni 1990 statt.

Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 13. März 1990 - also noch vor der Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren - eingelangt.

Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.

4. Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig befundene Vorschrift an. Nach der Lage des Falles ist es offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.

Es ist daher auszusprechen, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid wegen der Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt wurde sowie daß der Bescheid aufgehoben wird (vgl. etwa VfSlg. 10.736/1985).

5. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.

6. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B334.1990

Dokumentnummer

JFT_10098990_90B00334_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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