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95 TechnikNorm
B-VG Art83 Abs2 B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall IngenieurkammerG §51 Abs2Leitsatz
Gesetzmäßige Zusammensetzung der belangten Behörde; Anlaßfallwirkung der Aufhebung eines Punktes der Standesregeln für Ziviltechniker sowie der Feststellung der Gesetzwidrigkeit eines Teils einer Verordnung der Bundes-IngenieurkammerSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Die Bundes-Ingenieurkammer ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihrer Vertreter die mit je S 27.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Der Beschwerdeführer des zu B398/87 protokollierten Verfahrens wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten bei der Bundes-Ingenieurkammer vom 23. Februar 1987 schuldig erkannt, durch Unterschreitung der verbindlich erklärten Gebührenordnung durch Abgabe eines Angebotes betreffend die Ausschreibung von Ziviltechnikerleistungen gegen Punkt 3,6. der Standesregeln verstoßen und ein Disziplinarvergehen gemäß §48 Abs1 Z2 Ingenieurkammergesetz, BGBl. 71/1969, begangen zu haben, weswegen über den Beschwerdeführer gemäß §49 Ingenieurkammergesetz eine Geldstrafe von insgesamt S 14.970,-- verhängt wurde.
b) Der Beschwerdeführer des zu B623/87 protokollierten Verfahrens wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten bei der Bundes-Ingenieurkammer vom 2. März 1987 schuldig erkannt, durch Unterschreitung der von der Ingenieurkammer festgesetzten Mindestgebühren bei der Angebotslegung einen Vermessungsauftrag erhalten zu haben, weswegen als Disziplinarstrafe gemäß §49 Abs1 Z1 Ingenieurkammergesetz der schriftliche Verweis ausgesprochen wurde.
2. Gegen diese Bescheide wenden sich die Beschwerden, in denen sich die Beschwerdeführer unter anderem wegen Anwendung näher bezeichneter rechtswidriger genereller Normen in ihren Rechten verletzt erachten und die Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragen.
3. Die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten bei der Bundes-Ingenieurkammer legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in den Gegenschriften, den Beschwerden keine Folge zu geben.
4.a) Mit Beschluß vom 17. März 1988 hat der Verfassungsgerichtshof diese Beschwerdeverfahren unterbrochen und gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§40 Abs5 und 51 des Bundesgesetzes vom 22. Jänner 1969 über die Ingenieurkammern (Ingenieurkammergesetz), BGBl. 71, eingeleitet.
Mit Erkenntnis vom 12. Dezember 1988, G108,109,133,134/88, hat der Verfassungsgerichtshof (lediglich) die Worte "- oder Ruhe" in §51 Abs2 Ingenieurkammergesetz als verfassungswidrig aufgehoben. Zugleich sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß §40 Abs5 des Ingenieurkammergesetzes nicht verfassungswidrig ist; im übrigen wurde das Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.
b) Der Abs2 des §51 Ingenieurkammergesetz hat nach Aufhebung der Worte "- oder Ruhe" nunmehr folgenden Wortlaut:
"Die Berufungskommission besteht aus einem Vorsitzenden, dessen Stellvertreter, die beide Richter des Aktivstandes sein müssen, und aus fünfzehn Beisitzern. Der Vorsitzende (Stellvertreter) ist vom Bundesministerium für Bauten und Technik im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Justiz zu bestellen. Die Beisitzer sind vom Kammertag aus den Reihen der aktiv wahlberechtigten Mitglieder der Länderkammern, die ihre Befugnis ausüben, zu wählen. Sie dürfen nicht gleichzeitig Mitglieder eines Disziplinarausschusses sein."
Die belangte Behörde war bei Erlassung der beiden angefochtenen Bescheide dem Gesetz entsprechend zusammengesetzt, da die bekämpften Bescheide von der Berufungskommission unter dem Vorsitz eines aktiven Richters (des damaligen Hofrates und nunmehrigen Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. H K) erlassen wurden. Die Beschwerdeführer sind daher - auch gemessen an der bereinigten Rechtslage - nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. die ständige Rechtsprechung zu diesem Grundrecht bei Kollegialbehörden, zB VfSlg. 8731/1980, 10022/1984).
5. Im fortgesetzten Beschwerdeverfahren hat der Verfassungsgerichtshof unter anderem aus Anlaß dieser Beschwerdefälle gemäß Art139 B-VG beschlossen, die Gesetzmäßigkeit folgender Verordnungsbestimmungen von Amts wegen zu prüfen:
a) des zweiten Satzes des Punktes 2. der 26. Verordnung der Bundes-Ingenieurkammer vom 16. Mai 1975, Z1064/75, kundgemacht in den Amtlichen Nachrichten der Bundeskammer und der Länderkammern am 22. Mai 1975, sowie
b) der Standesregel 3,6. der Ziviltechniker, Verordnung der Bundes-Ingenieurkammer vom 27. Juni 1972, Z1130/72, bzw. vom 30. Oktober 1973, Z2090/73, kundgemacht in den Amtlichen Nachrichten der Bundeskammer und der Länderkammern am 19. März 1974.
6. In dem zu V38-41/89, V42,43/89 protokollierten Verfahren zur Prüfung dieser Verordnungsbestimmungen kamen dem Verfassungsgerichtshof Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit ihrer gesetzlichen Grundlagen. Er beschloß daher aus Anlaß dieses Verordnungsprüfungsverfahrens, gemäß Art140 B-VG die Verfassungsmäßigkeit folgender Bestimmungen des Ingenieurkammergesetzes zu prüfen:
a) der Worte "und verbindlich erklärten Gebührenordnungen (§31)" in §6 Abs3;
b)
des Wortteils "Mindest" im ersten Satz des §31 Abs1;
c)
des zweiten Satzes des §31 Abs1;
d)
des Absatzes 2 des §31;
e)
des Absatzes 3 des §31;
f)
der Z2 des §48 Abs1.
7. Mit Erkenntnis vom 3. Oktober 1990, G40-45/90 hob der Verfassungsgerichtshof diese gesetzlichen Bestimmungen als verfassungswidrig auf.
Da damit den unter 5. genannten Verordnungsbestimmungen die gesetzliche Grundlage entzogen war, stellte der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 3. Oktober 1990, V38-41/89, V42,43/89 fest, daß die oben unter a) zitierte (nicht mehr in Kraft stehende) Verordnungsbestimmung gesetzwidrig war, und hob die oben unter b) angeführte Verordnungsbestimmung als gesetzwidrig auf.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die belangte Behörde hat bei Erlassung der angefochtenen Bescheide gesetzwidrige Verordnungsbestimmungen angewendet. Es ist nach Lage der Fälle offenkundig, daß ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.
2. Die Beschwerdeführer wurden also durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt (vgl. zB VfSlg. 10414/1985).
Die Bescheide sind daher aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von je
S 4.500,-- enthalten.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Ziviltechniker, Ingenieurkammer, Behördenzusammensetzung, Kollegialbehörde, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / VerfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:B398.1987Dokumentnummer
JFT_10098989_87B00398_00