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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §17;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 19. August 1991, Zl. UVS-06/18/00113/91, betreffend Zurückweisung einer Berufung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Bundespolizeidirektion Wien nahm am 26. Juli 1991 mit einer Mitarbeiterin des Beschwerdevertreters folgende Niederschrift auf:
"Betreff: B § 83 StGB
Niederschrift aufgen. mit Fr. M für Rechtsanwalt Dr. H. Ich nehme zur Kenntnis, daß mir anläßlich meiner heutigen Vorsprache die Akteneinsicht in den Akt Kr 2307-L/91/Au betreffend B wegen § 83 StGB verweigert wurde. Auf die alleinige Zulässigkeit der Akteneinsicht bei Gericht wurde ich hingewiesen."
Gegen diesen Vorgang erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er vertrat die Auffassung, der von der Behörde erster Instanz gesetzte Akt sei nach seinem Inhalt als Bescheid zu qualifizieren. Im vorliegenden Verfahren nach Art. V EGVG sei die Verweigerung der Akteneinsicht im Instanzenzug anfechtbar. In einem Verwaltungsverfahren im Dienste der Strafrechtspflege sei § 17 AVG anzuwenden; Gründe, die nach dieser Vorschrift der Akteneinsicht entgegenstünden, lägen nicht vor.
Mit dem Bescheid vom 19. August 1991 wies der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) Wien durch eines seiner Mitglieder die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 in Verbindung mit § 17 Abs. 4 AVG als unzulässig zurück. Er vertrat die Auffassung, es liege lediglich eine Niederschrift vor, der keine Bescheidqualität zukäme.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhobene und von diesem nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdeverfahren besteht Übereinstimmung darüber, daß die Bundespolizeidirektion Wien im vorliegenden Fall bei ihrer Ermittlungstätigkeit im Dienste der Strafjustiz im Sinne des Art. V EGVG tätig wurde (vgl. hiezu auch das - den gegenüber dem Beschwerdeführer ergangenen Ladungsbescheid betreffende - hg. Erkenntnis vom 13. November 1991, Zl. 91/01/0135). Dafür, daß im Beschwerdefall eine die Zurechnung des strittigen Vorganges zur Gerichtsbarkeit bewirkende konkrete Anordnung eines Gerichtes (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 1982, Slg. 10.870/A) vorläge, besteht kein Anhaltspunkt.
Es ist für den Beschwerdefall daher davon auszugehen, daß der strittige Vorgang der Verwaltungsbehörde (und nicht dem Gericht) zuzurechnen war. Zur Entscheidung über das gegen diesen Verwaltungsvorgang erhobene Rechtsmittel war somit jene Behörde zuständig, die der Bundespolizeidirektion im konkreten Fall im Instanzenzug übergeordnet ist.
Der Einwand der Unzuständigkeit der belangten Behörde (UVS), den der Beschwerdeführer auf den Umstand stützt, daß der UVS durch eines seiner Mitglieder (und nicht durch eine aus drei Mitgliedern bestehende Kammer) entschieden habe, ist nicht begründet. Die Zuständigkeit des UVS (die zwischen den Parteien nicht strittig ist) beruhte im Beschwerdefall auf § 51 Abs. 1 VStG (Art. 129a Abs. 1 Z. 1 B-VG) in Verbindung mit Art. V EGVG (Art. 129a Abs. 1 Z. 3 B-VG). Die zuletzt zitierte Vorschrift ordnet (sofern sich aus den Vorschriften über das strafgerichtliche Verfahren nicht anderes ergibt) die sinngemäße Anwendung der Bestimmungen des VStG über das Verwaltungsstrafverfahren auch auf die Amtshandlungen an, die von Verwaltungsbehörden im Dienste der Strafjustiz vorzunehmen sind. Gegenstand der vorliegenden Berufung war ein Verwaltungshandeln im Rahmen einer Amtshandlung der Bundespolizeidirektion, die im Dienste der Strafjustiz vorzunehmen war; die Anordnung der sinngemäßen Geltung der Bestimmungen des VStG über das Verwaltungsstrafverfahren erfaßt in einem solchen Fall auch jene Vorschriften, die die Zuständigkeit des UVS normieren. Dies hat auch für jene verfahrensrechtlichen Bescheide zu gelten, die in einem solchen Verfahren ergehen.
Die Zusammensetzung des UVS regelt § 51c VStG: Danach entscheiden die UVS über Berufungen durch Kammern, die aus drei Mitgliedern bestehen, nur dann, wenn im angefochtenen Bescheid eine primäre Freiheitsstrafe oder eine S 10.000,-- übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, sonst aber durch eines ihrer Mitglieder. Daraus folgt, daß Berufungen über verfahrensrechtliche Bescheide (mit denen regelmäßig keine Strafen verhängt werden) durch Einzelmitglieder zu erledigen sind (vgl. Walter-Mayer, Verwaltungsverfahren5, Rz 931; Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate2 228). Der - auf die im Beschwerdefall im Hinblick auf die lex specialis des § 51c VStG nicht anwendbare Vorschrift des § 67a Abs. 2 AVG gestützte - Unzuständigkeitseinwand der Beschwerde ist daher verfehlt.
Auch der auf das Unterbleiben einer mündlichen Berufungsverhandlung gestützte Vorwurf der Verletzung von Verfahrensvorschriften ist nicht berechtigt, weil die belangte Behörde schon im Hinblick auf die Zurückweisung der Berufung keine mündliche Verhandlung anzuordnen hatte (vgl. § 51e Abs. 1 erster Halbsatz VStG).
Der Beschwerde ist aber auch in ihrer Auffassung, die strittige Erledigung stelle einen Bescheid dar, nicht zu folgen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Verfahren über Nachforschungen und vorbereitende Anordnungen im Dienste der Strafjustiz über die Verweigerung der Akteneinsicht ein im Instanzenzug anfechtbarer Bescheid zu ergehen (vgl. das Erkenntnis vom 10. September 1981, Zl. 81/10/0057, und die dort zitierte Vorjudikatur; vgl. hiezu Kranewitter, Sicherheitsbehörden und Strafjustiz, 85 f). Diese Auffassung wird - jedenfalls für den hier vorliegenden Fall des Handelns einer Verwaltungsbehörde ohne konkreten Auftrag eines Gerichtes - aufrechterhalten.
Damit ist aber über die im Beschwerdefall zu lösende Frage, ob die strittige Erledigung einen solchen (über ein Begehren auf Akteneinsicht ergangenen) Bescheid darstellt, nichts ausgesagt.
Nach ständiger, auf den Beschluß eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg. Nr. 9458/A, zurückgehender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dann, wenn eine an eine bestimmte Person gerichtete Erledigung die Bezeichnung der Behörde, den Spruch und die Unterschrift oder auch die Beglaubigung enthält, das Fehlen der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung unerheblich. Auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid kann aber nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, daß die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, daß sie normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend eine Angegelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. Der normative Inhalt muß sich aus der Formulierung der behördlichen Erledigung, also in diesem Sinne auch aus der Form der Erledigung, ergeben; nur dann, wenn der Inhalt einer behördlichen Erledigung, also ihr Wortlaut, sowie ihre sprachliche Gestaltung keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß die Behörde die Rechtsform des Bescheides gewählt hat, ist die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid nach der für sich allein gesehen unabdingbaren Norm des § 58 Abs. 1 AVG für das Vorliegen eines Bescheides nicht wesentlich. An eine behördliche Erledigung, die nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet ist, muß hinsichtlich der Wertung als Bescheid nach ihrem Inhalt ein strenger Maßstab angelegt werden (vgl. z.B. die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 1992, Zl. 92/12/0025, und vom 26. Juni 1992, Zl. 92/17/0127, 0149).
Die vorliegende, nicht an eine bestimmte Person gerichtete Erledigung der Bundespolizeidirektion ist nicht als Bescheid, sondern als Niederschrift bezeichnet; sie weist weder ihrer Form noch ihrem Inhalt nach einen zweifelsfrei normativen Abspruch über ein von der Partei gestelltes Begehren auf. Sie enthält vielmehr - in Form des "Zurkenntnisnehmens" - die Darstellung eines Verfahrensvorganges (der Verweigerung der Akteneinsicht) und die Mitteilung der Rechtsansicht der Behörde (wonach die Akteneinsicht nicht von dieser, sondern vom Gericht zu gewähren sei). Nach der Aktenlage und den Beschwerdebehauptungen wurde auch kein Antrag gestellt, über ein Begehren auf Akteneinsicht bescheidmäßig abzusprechen. Bei dieser Sachlage kann die nicht als Bescheid bezeichnete Erledigung nicht als Bescheid gewertet werden.
Gemäß § 62 Abs. 1 AVG können Bescheide, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, auch mündlich erlassen werden. Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle sind der Inhalt und die Verkündigung des mündlichen Bescheides, wenn die Verkündigung bei einer mündlichen Verhandlung erfolgt, am Schluß der Verhandlungsschrift, in anderen Fällen in einer besonderen Niederschrift zu beurkunden. Von der mündlichen Verkündung eines Bescheides kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann gesprochen werden, wenn der Verwaltungsakt von dem behördlichen Organ, das zur Erlassung solcher Bescheide berufen ist, in formeller, das heißt in einer solchen Weise gesetzt worden ist, daß der Partei sein formeller Charakter zum Bewußtsein kommen mußte (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. September 1985, Zlen. 84/10/0228, 85/10/0051). Im Beschwerdefall handelt es sich weder nach dem Inhalt noch nach der Form der Erledigung um einen Bescheid; denn es liegt weder eine normative (den Bescheidcharakter begründende), über ein konkretes Begehren der Partei absprechende Entscheidung vor, noch wurde die Erledigung in einer formellen Art und Weise gesetzt. Die vorliegende Niederschrift stellt somit auch nicht die Beurkundung eines mündlich verkündeten Bescheides dar.
Die belangte Behörde hat daher die Berufung wegen des Fehlens der Bescheidqualifikation der bekämpften Erledigung mit Recht zurückgewiesen.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Beurkundungen und BescheinigungenBescheidcharakter BescheidbegriffAnspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive BescheideZurechnung von OrganhandlungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992010402.X00Im RIS seit
25.01.2001Zuletzt aktualisiert am
13.02.2011