TE Vwgh Erkenntnis 1993/3/31 92/01/0883

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Veröffentlicht am 31.03.1993
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §66 Abs4;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des H in G, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. August 1992, Zl. 4.331.163/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. August 1992 wurde ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer - einem türkischen Staatsangehörigen, der am 10. November 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist - kein Asyl gewähre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der (bereits damals anwaltlich vertretene) Beschwerdeführer hat seinen schriftlichen Asylantrag vom 20. November 1991 damit begründet, "der politisch in der Türkei verfolgten Minderheit der Kurden" anzugehören. Seit seiner Jugend setze er sich für die politischen Anliegen der Kurden, wie die Anerkennung der kurdischen Kultur und Sprache, ein. Im Zusammenhang mit dem Krieg gegen den Irak sei es in der Türkei zu verstärkten Unterdrückungsmaßnahmen und Verfolgungen der Kurden gekommen. Die Kurden hätten sich dagegen gewehrt. Er habe unter anderem an politischen Demonstrationen teilgenommen und politische Zeitschriften verteilt. In seinem Heimatdorf seien Kurden geschlagen, gefoltert und stundenweise angehalten worden. Seit 1990 sei er etwa 15 Mal vom türkischen Militär festgehalten worden. Man habe ihm die Kleider vom Leib gerissen, und er habe am ganzen Körper Schläge mit dem Gewehrkolben und mit Holzstöcken erhalten, wodurch es zu Prellungen und Blutunterlaufungen gekommen sei. Ihm und seinen Mitstreitern sei vorgeworfen worden, die kurdische Arbeiterpartei zu unterstützen. Die Vernehmungen und Mißhandlungen hätten auch "dazu gedient, Mitarbeiter und Mitglieder der kurdischen Arbeiterpartei zu verraten". Er selbst sei nie Mitglied dieser Partei gewesen. Er habe jedoch die politischen Ziele der Kurden stets unterstützt und auch an entsprechenden politischen Kundgebungen teilgenommen. Am Schluß der Mißhandlungen und Folterungen habe man ihm jedes Mal erklärt, daß er wieder angehalten, mißhandelt und gefoltert würde, wenn er sich neuerlich für die Anliegen der Kurden einsetze. Man habe ihm auch mit Verhaftung und Gefängnis gedroht. Zuletzt sei er im Herbst 1991 angehalten, mißhandelt und gefoltert worden, und er habe damit rechnen müssen, wieder verhaftet zu werden. Um sich diesen "Mißhandlungen, Folterungen usw." zu entziehen, habe er (mit Hilfe einer Schlepperorganisation) die Türkei verlassen. Im Zuge der Folterungen und Vernehmungen sei er von den Militärbeamten auch angeschrieen, beschimpft und bedroht worden. Im Hinblick auf seine Furcht "vor weiteren Verfolgungen, Verhaftungen und Folterungen", derentwegen er zunächst in der Türkei "untergetaucht" sei und auch seine Familie (Frau und drei Kinder) in der Türkei zurückgelassen habe, sei er nicht mehr in der Lage, wieder in sein Heimatland zurückzukehren. Es sei für ihn wegen seiner "Dazugehörigkeit zur Minderheit der Kurden", seiner politischen Gesinnung und seiner Religion - und nicht etwa wegen der allgemeinen Schwierigkeiten - nicht möglich, in der Türkei eine ordnungsgemäße Arbeitsstelle zu finden. Wegen der genannten Gründe werde er von den Behörden mit politischer Verfolgung konfrontiert und benachteiligt. Geringste Ordnungswidrigkeiten, die bei Nichtkurden keinerlei Sanktionen hervorriefen, führten bei Kurden zu Anhaltungen, Verhören, Mißhandlungen und Folterungen. Es lägen daher die Voraussetzungen für die Gewährung des Asyls vor.

Anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung am 17. Jänner 1992 wies der Beschwerdeführer neuerlich auf seine kurdische Abstammung hin. Er gab an, nicht Mitglied einer politischen Partei gewesen zu sein, aber seit ungefähr 1986 an verschiedenen Aktivitäten von kurdischen Organisationen in seinem Heimatdorf teilgenommen zu haben. Dort habe er Flugblätter verteilt und Plakate aufgehängt, die politische Anliegen der Kurden zum Inhalt gehabt hätten. "Diese Veranstaltungen" seien meistens nicht genehmigt oder angemeldet gewesen. Zirka Ende März 1987 sei er vom türkischen Militär für ein paar Stunden festgenommen und gefoltert worden, indem er "mit dem Gewehrschaft" geschlagen, auf ihn aber auch mit Händen und Füßen eingeschlagen worden sei. Er sei hiebei auch für den Fall der weiteren Teilnahme an "derartigen kurdischen Veranstaltungen" mit ärgeren Repressalien bedroht worden. Seit diesem Zeitpunkt sei er öfters - wie oft, könne er nicht sagen - abgeholt und geschlagen worden. Dazu sei gekommen, daß er von PKK-Kämpfern aufgesucht und gebeten worden sei, ihnen zu essen zu geben. Dies habe er aber aus Angst vor weiterer Folter durch das türkische Militär abgelehnt, worauf ihm die PKK erklärt habe, daß er mit ihnen für die Kurden kämpfen solle. In dieser Situation habe er keinen anderen Ausweg als die Flucht gesehen. Auf Grund der derzeitigen Lage in der Türkei könne er nicht dorthin zurückkehren. Von Bekannten sei ihm geschrieben worden, daß er von der türkischen Regierung gesucht werde, weil er sich durch Verteilen von Flugblättern und Plakatieren strafbar gemacht habe.

In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 24. Jänner 1992 wiederholte der Beschwerdeführer sein Vorbringen im Asylantrag und legte auch die "Ausschreibung" der Oberstaatsanwaltschaft Nazimiye vom 21. August 1991 samt Übersetzung ins Deutsche vor, aus der hervorgeht, daß der Beschwerdeführer "vom Staatssicherheits-Gericht Istanbul wegen Aufhängen von Plakaten, Beschriften der Wände und Verteilung von Flugblättern gesucht" werde, die Ermittlungen gegen ihn aber erfolglos geblieben seien und seine Anschrift nicht habe festgestellt werden können.

Die belangte Behörde ist auf Grund des "gesamten Vorbringens" des Beschwerdeführers davon ausgegangen, daß er sich nicht aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 (dessen Bestimmungen sie bei Erlassung ihres Bescheides bereits anzuwenden hatte) außerhalb seines Heimatlandes befinde. Ihr ist zwar - im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - darin beizupflichten, daß die allgemein gehaltenen Angaben des Beschwerdeführers über die Situation der Kurden in der Türkei eine Asylgewährung nicht rechtfertigten. Ihre Auffassung, das durchgeführte Ermittlungsverfahren habe keine Anhaltspunkte für eine konkrete Verfolgung des Beschwerdeführers aus einem asylrechtlich relevanten Grund durch die Behörden seines Heimatlandes ergeben, kann aber im Sinne des Beschwerdevorbringens nicht geteilt werden.

Richtig ist, daß aus der Tatsache der vorübergehenden Festnahmen des Beschwerdeführers und seiner Vernehmungen zufolge Teilnahme an verbotenen Demonstrationen (oder auch an sonstigen politischen Kundgebungen) noch nicht auf eine Verfolgungsmotivation der staatlichen Behörden seines Heimatlandes geschlossen werden kann (vgl. unter anderem das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Februar 1993, Zl. 92/01/0835, mit weiteren Judikaturhinweisen). Dies trifft allerdings - abgesehen davon, daß er sich nicht darauf beschränkt hat, nur solche Anlässe für gegen ihn gerichtete Maßnahmen anzuführen - hinsichtlich des vom Beschwerdeführer vorgebrachten weiteren Umstandes, daß er oftmals "mißhandelt und gefoltert" sowie bedroht worden sei, nicht zu. Die belangte Behörde hat dieses Vorbringen lediglich mit der Begründung abgetan, daß die vom Beschwerdeführer behaupteten Mißhandlungen als - aufs Schärfste zu verurteilende - Übergriffe einzelner Organe der türkischen Behörden und damit nicht als systematische Verfolgung durch die Behörden als solche zu werten seien, ohne daß aber daraus hervorgeht, auf welcher Sachverhaltsgrundlage diese Ansicht beruht. Sie hat eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die vom Beschwerdeführer behaupteten (von ihr gar nicht in Abrede gestellten) Mißhandlungen und Bedrohungen eine Situation geschaffen haben, daß die Furcht des - demnach den staatlichen Behörden seines Heimatlandes wegen seiner politischen Gesinnung bereits bekannten - Beschwerdeführers, aus diesem Grunde verfolgt zu werden, wohlbegründet und dadurch aus objektiver Sicht ein weiterer Verbleib in seinem Heimatland für ihn unerträglich gewesen sei, unterlassen. Ob es für diese Beurteilung im Hinblick darauf, daß die Angaben des Beschwerdeführers - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - einen deutlichen Hinweis auf einen Sachverhalt enthielten, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (in Übereinstimmung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) in Betracht kam, auch noch erforderlich gewesen wäre, gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 ergänzende Ermittlungen durchzuführen (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Februar 1993, Zl. 92/01/0835), hängt davon ab, ob einer der hiefür vorgesehenen Fälle des § 20 Abs. 2 leg. cit. vorlag, welche Frage von der belangten Behörde ebenfalls zu prüfen gewesen wäre.

Da somit jedenfalls Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992010883.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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