TE Vfgh Erkenntnis 1990/10/12 G66/90

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Veröffentlicht am 12.10.1990
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Index

30 Finanzverfassung, Finanzausgleich
30/02 Finanzausgleich

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz F-VG 1948 §4 FAG 1989 §8 FAG 1989 §10 FAG 1989 §20, §21, §22, §23

Leitsatz

Keine Gleichheitswidrigkeit der aufgrund des "abgestuften Bevölkerungsschlüssels" erfolgten Verteilung der Abgabenerträge des Bundes an die Gemeinden; weiter Gestaltungsspielraum des Finanzausgleichsgesetzgebers; Unabdingbarkeit der Finanzausgleichsverhandlungen zwischen den Gebietskörperschaften; nur schrittweise Änderung nicht mehr sachgerechter finanzausgleichsrechtlicher Regelungen; keine eindeutige Klärung der Zusammenhänge zwischen den einer Gemeinde erwachsenden Kosten und der Bevölkerungszahl; künftige Abänderung der Tarifsprünge an den Stufenübergängen bzw Abgehen vom "abgestuften Bevölkerungsschlüssel" möglich; keine verfassungswidrige Benachteiligung der Zweitwohnsitzgemeinden

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Niederösterreichische Landesregierung stellt aufgrund ihres Beschlusses vom 27. März 1990 gemäß Art140 Abs1 B-VG den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle die folgenden Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 29. November 1988, BGBl. 687, mit dem der Finanzausgleich für die Jahre 1989 bis 1992 geregelt wird und sonstige finanzausgleichsrechtliche Bestimmungen getroffen werden (Finanzausgleichsgesetz 1989 - FAG 1989), aufheben:

    §8 Abs2 Z2

    §8 Abs2 Z4

    §8 Abs2 Z5

    §8 Abs2 Z7

    §8 Abs2 Z8

    §8 Abs2 Z9

    §8 Abs3

    §9 letzter Satz

    §10 Abs2 letzter Satz

    §10 Abs3

    §20 Abs1

    §21 Abs1 zweiter Satz

    §21 Abs2 Z2

    §21 Abs5

    §21 Abs6

    §21 Abs8

    §22 Abs1 Z2 zweiter Satz

    §22 Abs1 Z5 zweiter und dritter Satz

    §23 Abs4.

2. Die angefochtenen Bestimmungen des FAG 1989 lauten in ihrem Zusammenhang (die bekämpften Vorschriften sind hervorgehoben):

"§8. (1) Die Erträge der im §7 Abs1 angeführten gemeinschaftlichen Bundesgaben mit Ausnahme des Kulturgroschens, der Energieverbrauchsabgabe und der Spielbankabgabe werden zwischen dem Bund, den Ländern (Wien als Land) und den Gemeinden (Wien als Gemeinde) in folgendem Hundertsatzverhältnis geteilt:

                                       Bund   Länder  Gemeinden

Veranlagte Einkommensteuer

einschließlich Abzugsteuer            48,582  27,385   24,033

Lohnsteuer                            63,167  20,649   16,184

Kapitalertragsteuer I                 19,891  13,352   66,757

Kapitalertragsteuer II                47,000  30,000   23,000

Umsatzsteuer                          69,412  18,793   11,795

Biersteuer                            17,000  57,000   26,000

Abgabe von alkoholischen Getränken    40,000  30,000   30,000

Mineralölsteuer                       88,559   8,638    2,803

Erbschafts- und Schenkungssteuer      70,000  30,000     --

Grunderwerbsteuer                      4,000    --     96,000

Bodenwertabgabe                        4,000    --     96,000

Kraftfahrzeugsteuer                   50,000  50,000     --

Kunstförderungsbeitrag                70,000  30,000     --

(2) Die Teile der Erträge der gemeinschaftlichen Bundesabgaben, die gemäß Abs1 auf die Länder und Gemeinden entfallen, werden auf die Länder und länderweise auf die Gemeinden nach den folgenden Schlüsseln aufgeteilt:

1. bei der veranlagten Einkommensteuer einschließlich Abzugsteuer auf die Länder 26,702 Hundertteile nach dem örtlichen Aufkommen und 0,683 Hundertteile nach den länderweisen Anteilen der Gemeinden an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben ohne Spielbankabgabe; auf die Gemeinden zu drei Fünfteln nach dem länderweisen Aufkommen an dieser Steuer und zu zwei Fünfteln nach dem länderweisen Aufkommen an Gewerbesteuer (nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital);

2. bei der Lohnsteuer auf die Länder 20,229 Hundertteile nach der Volkszahl und 0,420 Hundertteile nach den länderweisen Anteilen der Gemeinden an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben ohne Spielbankabgabe; auf die Gemeinden nach dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel;

3. bei der Kapitalertragsteuer I auf die Länder und Gemeinden, bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer und bei der Kraftfahrzeugsteuer auf die Länder und bei der Grunderwerbsteuer und der Bodenwertabgabe auf die Gemeinden nach dem örtlichen Aufkommen;

4. bei der Kapitalertragsteuer II auf die Länder 21 Hundertteile nach der Volkszahl und 9 Hundertteile nach dem örtlichen Aufkommen an veranlagter Einkommensteuer einschließlich Abzugsteuer; auf die Gemeinden nach dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel;

5. bei der Umsatzsteuer auf die Länder 17,978 Hundertteile nach der Volkszahl, 0,545 Hundertteile zu einem Sechstel auf Wien als Land und zu fünf Sechsteln auf die Länder ohne Wien nach der Volkszahl und 0,270 Hundertteile nach den länderweisen Anteilen der Gemeinden an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben ohne Spielbankabgabe; auf die Gemeinden 4,616 Hundertteile nach der Volkszahl, 5,897 Hundertteile nach dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel und 1,282 Hundertteile nach dem länderweisen Aufkommen an Gewerbesteuer (nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital);

6. bei der Biersteuer auf die Länder und Gemeinden nach dem länderweisen Verbrauch von Bier;

7. bei der Abgabe von alkoholischen Getränken auf die Länder und Gemeinden nach der Volkszahl;

8. bei der Mineralölsteuer auf die Länder und Gemeinden zu je einem Viertel nach der Volkszahl und der Gebietsfläche und zu je einem Sechstel a) nach dem länderweisen Aufkommen an Kraftfahrzeugsteuer, b) nach dem länderweisen Aufkommen an Gewerbesteuer (nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital) und schließlich c) unter Zugrundelegung folgender Straßenkilometer des befestigten und unbefestigten Straßennetzes - ohne Bundesstraßen und ohne Geh- und Wanderwege -, und zwar: Burgenland 3 436, Kärnten 5 398, Niederösterreich 22 278, Oberösterreich 14 215, Salzburg 3 051, Steiermark 11 472, Tirol 5 022, Vorarlberg 1 862 und Wien 2 068, sohin zusammen 68 802 km;

9. beim Kunstförderungsbeitrag auf die Länder nach der Volkszahl.

(3) Die Volkszahl bestimmt sich nach dem vom Österreichischen Statistischen Zentralamt auf Grund der letzten Volkszählung festgestellten Ergebnis. Dieses Ergebnis wirkt mit dem Beginn des dem Stichtag der Volkszählung nächstfolgenden Kalenderjahres. Der abgestufte Bevölkerungsschlüssel wird folgendermaßen gebildet:

Die ermittelte Volkszahl der Gemeinden wird bei Gemeinden mit höchstens

10 000 Einwohnern mit                            1 1/3,

bei Gemeinden mit 10 001 bis 20 000

Einwohnern mit                                   1 2/3,

bei Gemeinden mit 20 001 bis 50 000

Einwohnern und bei Städten mit eigenem Statut

mit höchstens 50 000 Einwohnern mit              2

und bei Gemeinden mit über 50 000

Einwohnern und der Stadt Wien mit                2 1/3

vervielfacht. Für die Gemeinden, die auf Grund des Gebietsänderungsgesetzes, BGBl. Nr. 110/1954, an das Bundesland Niederösterreich rückgegliedert worden sind, ist in jedem Fall der für die Stadt Wien geltende Vervielfältiger anzuwenden. Die länderweise Zusammenzählung der so ermittelten Gemeindezahlen ergibt die abgestuften Bevölkerungszahlen der Länder.

(4) Zur Feststellung des länderweisen örtlichen Verbrauches von Bier haben die Inhaber von Herstellungsbetrieben (§9 des Biersteuergesetzes 1977, BGBl. Nr. 297) und die Inhaber von Bearbeitungsbetrieben (§12 des Biersteuergesetzes 1977) sowie Unternehmer, die Bier importieren, die Biermengen, die zum Verbrauch im Inland abgesetzt werden, gesondert nach Ländern aufzuzeichnen. Aus den Aufzeichnungen müssen die Biermengen und das Land, in das diese verbracht wurden, zu ersehen sein. Als abgesetzt gelten auch die in den Herstellungsbetrieben oder Bearbeitungsbetrieben verbrauchten Biermengen.

(5) Die Biermengen gelten als in dem Land zum Verbrauch abgesetzt, in das diese vom Inhaber des Herstellungsbetriebes oder des Bearbeitungsbetriebes, vom Importeur oder bei Abholung aus dem Herstellungsbetrieb oder dem Bearbeitungsbetrieb vom gewerblichen Abnehmer verbracht werden.

(6) Die Aufzeichnungen sind jeweils mit dem letzten Tag eines jeden Monates abzuschließen und die Abschlußzahlen monatlich in eine Nachweisung nach einem vom Bundesministerium für Finanzen zu bestimmenden Muster zu übertragen. Die Nachweisungen sind zweifach auszufertigen. Eine Ausfertigung ist spätestens bis zum 25. des folgenden Monates an die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vorzulegen. Die andere Ausfertigung ist mindestens drei Jahre aufzubewahren.

(7) Die Inhaber von Herstellungsbetrieben und die Inhaber von Bearbeitungsbetrieben sowie Unternehmer, die Bier importieren, sind verpflichtet, den von der Abgabenbehörde hiezu beauftragten Organen Einsicht in die Geschäftsaufzeichnungen zu gewähren und jene Auskünfte zu erteilen, die erforderlich sind, um die gemäß Abs4 und 6 zu führenden Aufzeichnungen auf ihre Richtigkeit zu prüfen.

(8) Der Reinertrag der Spielbankabgabe ist auf den Bund, auf die Länder (Wien als Land) und auf die Gemeinden (Wien als Gemeinde) aufzuteilen. Die Aufteilung auf die Länder und Gemeinden hat hiebei nach dem örtlichen Aufkommen zu erfolgen, wobei die Aufteilung des Gemeindeanteiles an der Spielbankabgabe ausschließlich auf jene Gemeinden zu beschränken ist, in denen eine Spielbank betrieben wird. Es erhalten der Bund 60 vH, die Länder 5 vH und die Gemeinden 35 vH bis zu einem jährlichen Aufkommen je Gemeinde von 10 Millionen Schilling; von dem darüberliegenden Aufkommen erhalten der Bund 70 vH, die Länder 15 vH und die Gemeinden 15 vH."

"§9. Wenn die Summe der Ertragsanteile Wiens als Land und Gemeinde an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben 33 vH der entsprechenden Ertragsanteile der Länder und Gemeinden einschließlich Wien übersteigt, fällt der Mehrbetrag je zur Hälfte den Ländern außer Wien und den Gemeinden außer Wien zu. Ein Betrag zwischen 30,4 und 33 vH wird in jedem Fall zu einem Viertel auf die Länder außer Wien und zu einem Viertel auf die Gemeinden außer Wien aufgeteilt. Die Aufteilung erfolgt auf die Länder nach der Volkszahl, auf die Gemeinden nach dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel."

"§10. (1) Zum Zwecke der Ermittlung der Ertragsanteile der Gemeinden an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben mit Ausnahme der Spielbankabgabe werden zunächst - nach Ausscheidung der auf Wien als Gemeinde entfallenden Quote - die Ertragsanteile auf die Gemeinden länderweise unter Beachtung der im §8 Abs2 angeführten Schlüssel rechnungsmäßig aufgeteilt. Von den so länderweise errechneten Beträgen sind 13,5 vH auszuscheiden und den Ländern zu überweisen; sie sind für die Gewährung von Bedarfszuweisungen an Gemeinden und Gemeindeverbände bestimmt (zweckgebundene Landesmittel).

(2) Die restlichen 86,5 vH sind als Gemeindeertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben durch die Länder an die einzelnen Gemeinden nach folgendem Schlüssel aufzuteilen: Vorerst erhalten jene Gemeinden, deren Finanzkraft im Vorjahr den Finanzbedarf nicht erreicht hat, 30 vH des Unterschiedsbetrages zwischen Finanzbedarf und Finanzkraft. Die verbleibenden Ertragsanteile sind nach dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel (§8 Abs3 dritter Satz) auf alle Gemeinden des Landes zu verteilen.

(3) Der Finanzbedarf jeder Gemeinde wird ermittelt, indem die Landesdurchschnittskopfquote der Finanzkraft des Vorjahres mit der abgestuften Bevölkerungszahl der Gemeinde (§8 Abs3 dritter Satz) vervielfacht wird. Die Landesdurchschnittskopfquote ergibt sich aus der Finanzkraft (Abs4) aller Gemeinden des Landes, geteilt durch die Volkszahl des Landes (§8 Abs3 erster Satz).

(4) Die Finanzkraft wird ermittelt durch Heranziehung

1. der Grundsteuer für Steuergegenstände gemäß §1 Abs2 Grundsteuergesetz 1955, BGBl. Nr. 149, unter Zugrundelegung der Meßbeträge des Vorjahres (Abs3) und eines Hebesatzes von 300 vH;

2. von 83 vH der tatsächlichen Erträge der Gewerbesteuer (nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital) in den Monaten Jänner bis September des Vorjahres und Oktober bis Dezember des zweitvorangegangenen Jahres."

"§20. (1) Wenn die Summe der Ertragsanteile eines Landes an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben für ein Jahr, auf den Kopf der Bevölkerung berechnet (Landeskopfquote), hinter dem Betrag zurückbleibt, der sich als Durchschnittskopfquote für die Gesamtheit der Länder mit Wien als Land ergibt, so werden die Ertragsanteile des betreffenden Landes aus Bundesmitteln auf den der Durchschnittskopfquote entsprechenden Betrag ergänzt. Dieser Ergänzungsbetrag gebührt im nachfolgenden Haushaltsjahr (Kalenderjahr).

(2) . . .".

"§21. (1) Der Bund gewährt Gemeinden (Wien als Gemeinde) einen Betrag in der Höhe von 1,4 vH der ungekürzten Ertragsanteile der Gemeinden (Wien als Gemeinde). Dieser Betrag ist länderweise nach der Volkszahl aufzuteilen und von den Ländern nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen den Gemeinden als Finanzzuweisung zur Bewältigung der ihnen obliegenden Aufgaben zu überweisen. Die Überweisung des Bundes an die Länder hat bis spätestens 15. Juli eines jeden Jahres zu erfolgen.

(2) Auf die Finanzzuweisung haben jene Gemeinden (ohne Wien) Anspruch, die eine solche Finanzzuweisung zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichtes im Haushalt benötigen. Diese Voraussetzung ist dann gegeben, wenn

1. eine Gemeinde jeweils alle Abgaben im höchstmöglichen Ausmaß erhebt, zu deren Erhebung sie berechtigt wäre, und sofern diese Abgaben zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichtes oder zur Deckung bestimmter Erfordernisse im Haushalt geeignet sind und dessenungeachtet

2. eine Gemeinde innerhalb der Größenklasse mit einer ermittelten Volkszahl (§8 Abs3) bis höchstens 2 500 Einwohner, von 2 501 bis 10 000 Einwohner, von 10 001 bis 20 000 Einwohner, von 20 001 bis 50 000 Einwohner und über 50 000 Einwohner eine Finanzkraft aufweist, die auf den Kopf der Bevölkerung der Gemeinde berechnet (Gemeindekopfquote) mit mehr als 10 vH unter der Bundesdurchschnittskopfquote der Finanzkraft (Abs4) aller Gemeinden ausgenommen Wien derselben Größenklasse liegt.

(3) Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Höhe der bereitzustellenden Bundesmittel sind die Ertragsanteile der Gemeinden im Sinne dieses Bundesgesetzes, die sich aus den im jeweiligen Bundesfinanzgesetz enthaltenen gemeinschaftlichen Bundesabgaben ohne Spielbankabgabe ergeben.

(4) Die Finanzkraft einer Gemeinde wird ermittelt aus der Summe der ausschließlichen Gemeindeabgaben, ohne die Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen und ohne die Interessentenbeiträge von Grundstückseigentümern und Anrainern, jedoch unter Einbeziehung der Gewerbesteuer und der den Gemeinden zugekommenen Ertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben ohne Spielbankabgabe.

(5) Die Summe der Finanzkraft (Abs4) der Gemeinden der im Abs2 Z2 genannten Größenklassen für ein Jahr auf den Kopf der Bevölkerung der Gemeinden in dieser Größenklasse berechnet, bildet die Bundesdurchschnittskopfquote einer Größenklasse.

(6) Der Bund hat für die Gemeinden auf Grund der jeweils letzten vom Österreichischen Statistischen Zentralamt nach den Ergebnissen der vom Bundesministerium für Finanzen veranlaßten Erhebung über die Gemeindegebarung zur Veröffentlichung vorgesehenen Beiträge zur Österreichischen Statistik die Höhe der negativen Abweichungen von der Bundesdurchschnittskopfquote (Abs5) gesondert nach Größenklassen zu ermitteln und den Ländern bis spätestens 30. April eines jeden Jahres mitzuteilen. Die Länder haben die Finanzzuweisung nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel den Gemeinden des Landes bis spätestens 15. August eines jeden Jahres zu überweisen. Die Finanzzuweisung darf je berechtigte Gemeinde nicht größer sein als der Differenzbetrag zwischen ihrer Finanzkraft und 90 vH der mit der Volkszahl der Gemeinde vervielfältigten Bundesdurchschnittskopfquote der betreffenden Größenklasse und darf außerdem den Betrag von 300 000 S und 10 vH eines verbleibenden Differenzbetrages nicht übersteigen. Differenzen zwischen den vorhandenen Mitteln und dem Bedarf sind von den Ländern in der Weise auszugleichen, daß bei einem Mehrbedarf die Finanzzuweisung jeder einzelnen Gemeinde im Verhältnis des Gesamtbedarfs zu den vorhandenen Mitteln zu kürzen ist.

(7) Soweit nach Durchführung des Verteilungsvorganges gemäß Abs6 den Ländern noch Finanzzuweisungsmittel zur Verfügung stehen, sind diese in einem weiteren Verteilungsvorgang auf die Gemeinden so aufzuteilen, daß deren Finanzkraft (Abs4) möglichst auf den Landesdurchschnitt angehoben wird. Heranzuziehen sind hiebei die letzten verfügbaren Rechnungsunterlagen. Wird der Landesdurchschnitt erreicht, ist ein verbleibender Betrag auf die Gemeinden des Landes aufzuteilen. Für diese Verteilungsvorgänge haben die Länder Richtlinien zu erlassen und zu veröffentlichen. Über die Mittelverteilung ist dem Bundesministerium für Finanzen unter Anschluß der Richtlinien bis Ende eines jeden Jahres Mitteilung zu machen.

(8) Die Finanzzuweisung gemäß Abs6 ist in jenen Bundesländern, in denen auch ein Verteilungsvorgang gemäß Abs7 stattfindet, der Finanzkraft gemäß §10 Abs2 der betreffenden Gemeinden hinzuzurechnen.

(9) Der Bund und die Länder sind berechtigt, die von den Gemeinden bekanntgegebenen Gebarungsergebnisse (Abs6) bei den Gemeinden zu überprüfen. Von den Gemeinden zu Unrecht bezogene Finanzzuweisungen sind an das Land zurückzuzahlen, das diese Mittel nach eigenem Ermessen für die Gemeinden zu verwenden hat."

"§22. (1) Der Bund gewährt den Ländern und Gemeinden die nachstehenden Zweckzuschüsse, wenn die empfangenden Gebietskörperschaften eine Grundleistung mindestens in der Höhe des Zweckzuschusses erbringen:

    1. . . .

    2. den Gemeinden zur Förderung und Pflege des Fremdenverkehrs,

sofern es sich nicht um gesamtösterreichische Belange handelt, im

Ausmaß von insgesamt 70 Millionen Schilling jährlich. Der den

Gemeinden zukommende Zweckzuschuß ist auf diese länderweise nach

der Volkszahl aufzuteilen. . . .

5. den Ländern und Gemeinden zur Förderung des Umweltschutzes, insbesondere der Errichtung und Verbesserung von Müllbeseitigungsanlagen, unter Bedachtnahme auf den Umfang, die Lage und Gefährdung der Wohngebiete und der Erholungsgebiete, im Ausmaß von insgesamt je 70 Millionen Schilling jährlich. Der den Ländern zukommende Zweckzuschuß ist auf diese länderweise zur Hälfte nach der Volkszahl und je zu einem Viertel linear und nach der Gebietsfläche aufzuteilen. Der den Gemeinden zukommende Zweckzuschuß ist auf diese länderweise zur Hälfte nach der Volkszahl und zur Hälfte nach dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel aufzuteilen;

    6. . . .".

    "§23. (1) . . .

(4) Ab dem Außerkrafttreten der Vereinbarung gemäß Art15a B-VG über die Krankenanstaltenfinanzierung und die Dotierung des Umwelt- und Wasserwirtschaftsfonds, BGBl. Nr. 619/1988, sind bei der Umsatzsteuer

a) die für den Krankenanstalten-Zusammenarbeitsfonds gemäß §7 Abs2 Z2 lita bestimmten Anteile iHv 0,459 vH und

b) von den für den Umwelt- und Wasserwirtschaftsfonds gemäß §7 Abs2 Z2 litb bestimmten Anteilen iHv 0,762 vH Anteile iHv 0,183 vH

den Gemeindeertragsanteilen gemäß §8 Abs1 hinzuzurechnen. Soweit Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, insbesondere §4, §8 Abs2 und 3, §§9 bis 11, §21 und §23 Abs3, auf Ertragsanteile der Gemeinden an der Umsatzsteuer Bezug nehmen, sind diese Bestimmungen auch auf die hinzugerechneten Ertragsanteile anzuwenden.

(5) . . .".

3. Der Verfassungsgerichtshof leitete mit Beschluß vom 23. Juni 1989, A1-137/89, aus Anlaß von Klagen, die von nahezu allen burgenländischen Gemeinden gegen das Land Burgenland und den Bund erhoben worden waren, gemäß Art140 Abs1 B-VG Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§8 und 21 FAG 1985 ein. Mit diesem Beschluß - auf den die antragstellende Landesregierung verweist - wurden u.a. Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des im §8 FAG 1985 (gleich wie im §8 FAG 1989) vorgesehenen abgestuften Bevölkerungsschlüssels ausgebreitet.

In dem mit dem erwähnten Beschluß zu G89-225/89 eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren erstattete die Bundesregierung eine Äußerung, in der sie Argumente zur Widerlegung der geäußerten Bedenken vorbrachte.

Zu einer Sachentscheidung kam es in all diesen Verfahren nicht. Infolge der Zurückziehung der Klagen wurden mit Beschlüssen des Verfassungsgerichtshofes vom 27. September 1989 sowohl die Klageals auch das Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.

4.a) Die Niederösterreichische Landesregierung begründet ihren Antrag zunächst damit, daß die angefochtenen Bestimmungen in eklatanter Weise gegen das in §4 F-VG normierte Sachlichkeitsgebot verstießen. Sie führt hiezu im einzelnen aus:

"1. Kostentragung und Regelung der Besteuerungsrechte

Nach dem unter der Überschrift 'Finanzausgleich' stehenden §2 F-VG 1948 tragen der Bund und die übrigen Gebietskörperschaften, 'sofern die zuständige Gesetzgebung nichts anderes bestimmt, den Aufwand, der sich aus der Besorgung ihrer Aufgaben ergibt'. Unter 'ihren Aufgaben' sind sowohl solche der Hoheitsverwaltung als auch der Privatwirtschaftsverwaltung und auch jene des (vom Bund oder vom Land) übertragenen Wirkungsbereiches zu verstehen (VfGH A24/87 vom 16.3.1988 und A10/88 vom 15.12.1988).

Die im §2 F-VG angeführten 'Aufgaben' stellen somit einen Verweis auf alle jene Normen dar, welche die Tätigkeit der am Finanzausgleich beteiligten Gebietskörperschaften (Bund, Länder und Gemeinden) regeln.

Zur Bedeckung der mit der Besorgung der Aufgaben verbundenen Kosten sieht §3 F-VG vor: 'Die Bundesgesetzgebung regelt die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge zwischen dem Bund und den Ländern (Gemeinden) und kann außerdem diesen Gebietskörperschaften aus allgemeinen Bundesmitteln Finanzzuweisungen für ihren Verwaltungsaufwand überhaupt und Zuschüsse für bestimmte Zwecke gewähren.'

2. Die Einnahmen müssen den Aufgaben angemessen sein

Die Besteuerungsrechte und die Abgabenerträge, also die Einnahmen der Gebietskörperschaften, müssen den sie aus der Besorgung ihrer Aufgaben treffenden Kosten angemessen sein. Dies sieht der hinsichtlich der finanziellen Beziehungen der Gebietskörperschaften 'spezielle Gleichheitssatz' des §4 F-VG 1948 vor: 'Die in den §§2 und 3 (F-VG 1948) vorgesehene Regelung hat in Übereinstimmung mit der Verteilung der Lasten der öffentlichen Verwaltung zu erfolgen und darauf Bedacht zu nehmen, daß die Grenzen der Leistungsfähigkeit der beteiligten Gebietskörperschaften nicht überschritten werden.'

In ähnlicher Weise ordnet §8 Abs2 F-VG 1948 hinsichtlich der finanziellen Beziehungen zwischen den Ländern und den Gemeinden an, daß die Landesgesetzgebung bei einer Regelung, ausschließliche Landes-(Gemeinde-)abgaben, Zuschlagsabgaben und Abgaben von demselben Besteuerungsgegenstand dem Land vorzubehalten, sie zwischen dem Land und den Gemeinden (dieses Landes) zu teilen oder den Gemeinden zu überlassen 'nicht nur auf die finanzielle Lage des Landes, sondern auch auf die Erhaltung der finanziellen Lebensfähigkeit der Gemeinden Rücksicht zu nehmen hat'.

Zu diesen Normen traf der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 10633/1985 folgende Feststellungen:

§4 F-VG 1948 stellt als 'spezieller Gleichheitssatz' - wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 9280/1981 festgestellt hat - 'nur eine Konkretisierung des Gleichheitssatzes für das Gebiet des Finanzausgleiches' dar.

§4 F-VG 1948 ist insoferne - wie hinsichtlich des Verhältnisses von Ländern und Gemeinden §8 Abs2 zweiter Satz F-VG 1948 - Ausdruck eines allgemeinen Sachlichkeitsgebotes (Gerechtigkeitsgebotes) im Bereich des finanzausgleichsrechtlichen Regelungssystems.

Wie der Gerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 9280/1981 festgestellt hat, stellt 'die Regelung des Finanzausgleiches ... das Ergebnis rechtspolitischer - hier finanzpolitischer - Überlegungen dar, bei denen der Gesetzgeber zwar an die Bestimmungen des F-VG 1948 gebunden ist, die ihm aber durch das verfassungsgesetzliche Gleichheitsgebot nicht verwehrt sind, solange er sich im Rahmen vertretbarer Zielsetzungen bewegt und keinen Exzess begeht.'

'Dem §4 in Verbindung mit den §§2 und 3 F-VG 1948 zufolge hat der Finanzausgleichsgesetzgeber die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge sowie der Finanzzuweisungen und Finanzzuschüsse in Übereinstimmung mit den Lasten der öffentlichen Verwaltung zu regeln. Das kann nach dem offenkundigen Sinn dieser Bestimmung zwar nicht bedeuten, daß jede überdurchschnittliche finanzielle Last, die eine einzelne Gemeinde oder eine Gruppe von Gemeinden trifft, schon zu einer (ausdrücklichen) Berücksichtigung im Finanzausgleich zwingen würden. Jedenfalls aber dann, wenn bestimmte Gemeinden bzw. Gruppen von Gemeinden, die aufgrund der positiven Rechtsordnung als mit besonderen Agenden betraut definierbar sind und die sich deshalb von anderen Gemeinden bzw. Gruppen von Gemeinden typischerweise durch eine höhere Kostenbelastung unterscheiden, ist der Finanzausgleichsgesetzgeber gemäß §4 F-VG 1948 verhalten, für sie eine Regelung zu treffen.'

3. Folgerungen

Folgt man der Argumentation des Verfassungsgerichtshofes, so kann davon ausgegangen werden, daß die Art und der Umfang der von den Gemeinden zu besorgenden Aufgaben und damit die den Gemeinden erwachsenden Kostenbelastungen unterschiedlich sind. Dies gilt sowohl für den Bereich der Hoheitsverwaltung (vgl. VfSlg. 10633/1985) als auch für den Bereich der Daseinsvorsorge. Die Kosten der öffentlichen Verwaltung sind den Gemeinden lastenadäquat abzugelten. Dabei ist es unerheblich, 'ob alle, mehrere oder ganz wenige Gemeinden mit bestimmten lastenrelevanten Aufgaben betraut sind' (VfSlg. 10633/1985).

Ausgehend von dieser von der Wissenschaft ebenso wie der empirischen Wahrnehmung bestätigten Feststellung stellt sich zunächst die Frage, ob ein geeignetes Instrumentarium zur Verfügung steht, den Gemeinden eine den Kosten der Besorgung ihrer Aufgaben adäquate Abgeltung zu gewährleisten.

Dazu darf vorerst festgehalten werden, daß §4 F-VG 1948 den Gesetzgeber verpflichtet, 'die einfachgesetzliche Rechtslage dieser Verfassungsbestimmung entsprechend zu gestalten; Adressat dieser Bestimmung ist also nur der Gesetzgeber, nicht die Vollziehung'. Zur Regelung ist grundsätzlich das Finanzausgleichsgesetz berufen (vgl. VfSlg. 10633/1985, VfGH A24/87-7 vom 16.3.1988).

Diesem Verfassungsgebot ist der Gesetzgeber mit dem (derzeit in Geltung stehenden) Finanzausgleichsgesetz 1989, BGBl. Nr. 687/1988, - wie die folgenden Ausführungen zeigen - nur in ungenügender Weise nachgekommen. Mittels einer Reihe unterschiedlicher Aufteilungsmodalitäten werden die Erträge der zwischen Bund und Ländern (Gemeinden) geteilten Abgaben auf die einzelnen Gebietskörperschaften aufgeteilt und Finanzzuweisungen und Zuschüsse im Sinne des §3 F-VG vorgesehen.

Eine Vielzahl der Aufteilungskriterien orientiert sich an der Volkszahl und am abgestuften Bevölkerungsschlüssel. Diese beiden Verteilungsschlüssel haben - wie noch auszuführen sein wird - Einfluß auf die Gesamteinnahmen der Gemeinden, wie dies auch der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluß vom 23.6.1989, A1-137/89-13 - unter Bezugnahme auf die Literatur - angenommen hat."

b) Die Behauptung, die Regelungen über den abgestuften Bevölkerungsschlüssel seien verfassungswidrig, begründet die antragstellende Niederösterreichische Landesregierung wie folgt:

"Nach §8 Abs3 FAG 1989 wird der abgestufte Bevölkerungsschlüssel durch Vervielfachung der Volkszahl der Gemeinden gebildet. Für die Festsetzung des Multiplikators teilt der Finanzausgleichsgesetzgeber die Gemeinden in vier Größenklassen (nach der Volkszahl) ein und weist jeder Klasse einen gesonderten Faktor zu.

Bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung ergeben sich drei Ansatzpunkte:

1. die Sachgerechtigkeit des abgestuften Bevölkerungsschlüssels für die Verteilung der Ertragsanteile bzw. für die Mittelzuweisungen an die Gebietskörperschaften überhaupt,

2. die Sachgerechtigkeit der konkret festgesetzten Größenklassen und

3. die Sachgerechtigkeit des gewählten Multiplikators.

1. Zur mangelnden Sachgerechtigkeit des abgestuften Bevölkerungsschlüssels

Der abgestufte Bevölkerungsschlüssel stellt das zentrale Instrument des Finanzausgleiches auf Gemeindeebene dar. Die Einnahmen der Gemeinden aus den Ertragsanteilen spielen - wie die folgende auf Niederösterreich und auf den gesamtösterreichischen Durchschnitt bezogene Aufstellung zeigt - in der Finanzausstattung der Gemeinde eine wesentliche Rolle (Quelle: Lehner, Die finanzielle Situation der niederösterreichischen Gemeinden, Zwischenbericht einer Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung im Auftrag der Niederösterreichischen Landesregierung, Wien, Februar 1990, ...).

Einnahmenstruktur

Anteil an den Gesamteinnahmen in %

                 1970   1980   1987     1970   1980   1987

                  Niederösterreich      Summe der Gemeinden

Gemeindeabgaben   18,1   15,2   15,3     22,2  20,6   19,4

Gebühren für die

Benützung von

Gemeindeein-

richtungen         3,3    4,8    7,2      3,7   4,9    6,2

Ertragsanteile

an gemeinschaft-

lichen Bundes-

abgaben           21,4   20,4   23,0     23,8  25,0   25,6

Transfers von

Gebietskörper-

schaften           4,7    8,6   10,7       5,8  8,0    8,9

Bedarfszu-

weisungen          2,4    1,7    1,7       3,4  3,1    3,4

Sonstige Ein-

nahmen            39,2   36,9   34,2      31,3  29,0  28,8

Kreditauf-

nahmen            11,0   12,3    7,9       9,7   9,4   7,7

Gesamtein-

nahmen           100,0  100,0   100,0    100,0  100,0 100,0

Die Verwendung der bevölkerungsbezogenen Maßzahl des abgestuften Bevölkerungsschlüssels geht vom sogenannten Bedarfsprinzip aus. Dieses Prinzip knüpft nicht am erzielten Abgabenerfolg, sondern am (aufgabenbedingten) Ausgabenbedarf an. Dieses Prinzip setzt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Ausgabenbedarf einer Gemeinde und ihrer Einwohnerzahl voraus. Während bei der Volkszahl eine proportionale Abhängigkeit des Aufwandes von der in Einwohnern gemessenen Gemeindegröße angenommen wird, wird bei der abgestuften Bevölkerungszahl von einer progressiven Abhängigkeit ausgegangen.

Diesen Ausgangspunkt zeigt bereits der erste Vorläufer des abgestuften Bevölkerungsschlüssels, das Gemeindeüberweisungsgesetz, StGBl. Nr. 364/1920. So führte der damalige Berichterstatter Dr. Danneberg (Stenographisches Protokoll der Konstituierenden Nationalversammlung der Republik Österreich am 22. Juli 1920, S. 3290) zur Rechtfertigung eines abgestuften Schlüssels aus:

'Je größer eine Gemeinde ist, je mehr Einwohner sie zählt, umso größer wird ihr Personalaufwand, umso größer wird ihr Bauaufwand, umso größer wird ihr Aufwand für soziale Fürsorgemaßnahmen, ... und umso größer wird daher auch das Mißverhältnis der Gemeindeausgaben im allgemeinen gegenüber den Gemeindeeinnahmen.'

Obwohl das System der Bemessung der einmaligen Dotation im §4 des Gemeindeüberweisungsgesetzes, StGBl. Nr. 106/1920, sieben Verteilungsschlüssel vorsah (unter 1 000 Einwohner, über 1 000 bis 2 000 Einwohner, über 2 000 bis 5 000 Einwohner, über 5 000 bis 10 000 Einwohner, über 10 000 bis 20 000 Einwohner, über 20 000 bis 50 000 Einwohner und über 50 000 Einwohner), wies der Berichterstatter Dr. Danneberg auf die Schwierigkeiten hin, einen gerechten Schlüssel zu finden: 'Man müßte die Finanzlage der einzelnen Gemeinden bis ins Detail berücksichtigen, ihren Personalaufwand, ihre Umlagen von heute, man müßte untersuchen, ob der Personalaufwand notwendig ist, den eine Gemeinde hat oder nicht, ob sie ihr Umlagensystem entsprechend ausgebaut hat oder nicht, und nur ein Vergleich aller Gemeinden in diesen Hinsichten könnte dann dazu führen, daß man einen Schlüssel herausbringt, der befriedigend wäre.'

Man war sich also bereits bei der Schaffung des Vorläufers des abgestuften Bevölkerungsschlüssels darüber im Klaren, daß der damals gefundene Kompromiß nicht unbedingt eine sachgerechte Lösung des Finanzproblems der Gemeinden bedeutete.

In der Literatur wird zur Rechtfertigung für die Angemessenheit eines abgestuften Schlüssels als Kriterium der Mittelverteilung auf das Ergebnis einer empirischen Untersuchung des deutschen Finanzwissenschafters A. Brecht (Internationaler Vergleich der öffentlichen Ausgaben, 1932) verwiesen. Diese später als 'Brecht'sches Gesetz' bezeichnete Hypothese behauptet eine 'progressive Parallelität zwischen Ausgaben und Bevölkerungsmassierung'. Diesem Gesetz zufolge steigen die Ausgaben der Länder und Gemeinden je Einwohner mit zunehmender Bevölkerungsdichte und Verstädterung. Als Ursache für dieses Phänomen hat Brecht vor allem höhere Kosten der Aufgabenerfüllung in den Städten gegenüber den weniger dicht besiedelten ländlichen Regionen angenommen (Obermann, Zur Diskussion über den abgestuften Bevölkerungsschlüssel im Österreichischen Finanzausgleich, ZfV 1981/6, S. 531 ff., Smekal-Theurl, Finanzkraft und Finanzbedarf der österreichischen Gebietskörperschaften, 1990, S. 240).

Die im Anschluß an die nunmehr klassische Arbeit von Brecht und auch von Popitz (Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, 1932) durchgeführten zahlreichen empirischen Studien kommen zu dem Ergebnis, 'daß die von Brecht und Popitz behaupteten Zusammenhänge zwischen Gemeindegröße und Wirtschaftsstruktur einerseits und den Aufgaben und Ausgaben andererseits auch heute, obgleich in modifizierter Form, gültig sind. Modifiziert deshalb, weil sich die Unterschiede in der Art und Zahl der Aufgaben zwischen großen und kleinen sowie zwischen Industrie- und Agrargemeinden durch die wirtschaftliche Entwicklung (Verstädterungsprozeß) und den Wandel in den sozialen Beziehungen und den Wertvorstellungen verringert haben. Modifiziert auch deshalb, weil - zum Unterschied von der Situation vor 40 Jahren - heute die Städte und Ballungsräume Verkehrsprobleme und Bodenknappheit ebenso zu meistern haben, wie die Erhaltung der natürlichen Umwelt und die Schaffung erträglicher Lebensbedingungen (Schutz vor Lärm, Luft- und Wasserverschmutzung), Probleme die in kleineren Gemeinden und weniger dicht besiedelten Gebieten sowie in landwirtschaftlich genutzten Räumen zwar auch, aber doch meist in gemilderter Form gegeben sind' (Littmann, Öffentliche Ausgaben II:

Die Gesetze ihrer langfristigen Entwicklung in Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften I (1977) S. 360).

Auf Grund der Untersuchungsergebnisse scheint somit festzustehen, daß auch in Österreich die Bevölkerungsmassierung im allgemeinen mit zunehmenden Pro-Kopf-Ausgaben der Gemeinden verbunden auftritt. Ungeachtet der prinzipiellen Belegbarkeit des im Brecht'schen Gesetz festgeschriebenen Ansatzes entspricht der im §8 Abs3 FAG 1989 festgelegte Stufentarif dieser Zielsetzung insoferne nicht, als er den Gemeinden keine ihren Ausgaben adäquate Mittelzuweisung an Ertragsanteilen sichert. Er leistet daher die oben ausgeführte erforderliche Modifikation des Zusammenhangs zwischen Gemeindegröße, Aufgaben und Ausgaben nicht. So führt zunächst die Anwendung des abgestuften Bevölkerungsschlüssels in der Oberverteilung zwischen den Ländern auf Grund der bestehenden länderweisen Unterschiede in der Besiedelungsstruktur zu einer ungleichen Behandlung der Gemeinden. Damit wird bewirkt, daß Gemeinden mit gleicher Bevölkerungszahl je nach Land pro Kopf unterschiedliche Ertragsanteile erhalten.

Innerhalb der einzelnen Gemeindegrößenklassen bleibt bei dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel in Form des §8 Abs3 FAG 1989 die Pro-Kopf-Zuweisung konstant, womit dieser Schlüssel mit der Forderung nach einer überproportionalen Mittelzuweisung nicht im Einklang stehen kann. Die aus dem Brecht'schen Gesetz hervorleuchtende Forderung nach einer exponentiellen Entwicklung des Multiplikators - und damit der Mittelzuweisung - auch innerhalb der Größenklassen wird damit nicht erfüllt. Ferner wird bei den Gemeinden in den höheren Größenklassen deren gesamte Bevölkerungszahl mit dem erhöhten Vervielfacher multipliziert, wodurch der höhere Vervielfachungsfaktor dieser Stufe auf alle Einwohner der Gemeinde anzuwenden ist. Diesem Umstand könnte nur dadurch begegnet werden, indem nur für die über die Einwohnerzahl einer Größenklasse hinausgehenden Einwohner der Vervielfacher der nächsthöheren Größenklasse angewendet wird. Andernfalls enthält das System eine 'stille Progression erheblichen Ausmaßes, die auch mit dem sog. Brecht'schen Gesetz nicht mehr im Einklang steht' (vgl. Obermann, a.a.O, S 535).

Vergleicht man nun die theoretischen Ansatzpunkte des abgestuften Bevölkerungsschlüssels mit der Realität der Pro-Kopf-Ausgaben der niederösterreichischen Gemeinden, so wird die in der Literatur erhobene Kritik am abgestuften Bevölkerungsschlüssel bestätigt.

1970 zeigt die Aufgliederung der Pro-Kopf-Ausgaben nach Gemeindegrößenklassen noch eine eindeutige Tendenz. Die Pro-Kopf-Ausgaben der niederösterreichischen Gemeinden nahmen damals noch mit der Zahl der Einwohner durchgehend zu. Sie waren damals in den Gemeinden zwischen 10.001 bis 20.000 Einwohner mehr als dreimal so hoch (7.698) wie in den Gemeinden bis 500 Einwohner und von 501 bis 1.000 Einwohner (2.208 und 2.362). Der abgestufte Bevölkerungsschlüssel scheint also in den sechziger Jahren noch seine volle Berechtigung gehabt zu haben.

In den siebziger Jahren hat sich das Bild jedoch geändert. Die Ausgaben pro Einwohner sind in den kleineren Gemeinden viel stärker gestiegen als in den großen, dadurch haben sich zumindest die Unterschiede stark verringert.

In den achtziger Jahren hat sich diese Entwicklung fortgesetzt. Fast genau in umgekehrter Reihenfolge zur Gemeindegröße entwickeln sich die Zuwachsraten der Ausgaben. In den kleineren Gemeinden wuchsen die Ausgaben deutlich stärker als in den größeren. Damit hat sich 1987 auch bereits die Rangordnung der Pro-Kopf-Ausgaben nach Gemeindegrößen entscheidend verschoben.

Im Jahre 1987 hatten die kleinsten Gemeinden (bis 500 Einwohner und 501 bis 1.000 Einwohner) bereits höhere Pro-Kopf-Ausgaben (14.446 und 13.921) als die Gemeinden von 1.001 bis 2.500 und von

2.501 bis 5.000 Einwohner (11.967 und 13.689).

Erst in den Gemeinden über 5.000 Einwohner zeigt sich ein sprunghafter Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben. In den folgenden Größenklassen haben sich dann mit steigender Einwohnerzahl auch die Pro-Kopf-Ausgaben erhöht. Erstaunlicherweise sind in den großen Gemeinden (über 50.000 Einwohner) die Pro-Kopf-Ausgaben aber wieder deutlich niedriger (20.605 gegenüber 32.755 bei Gemeinden über 20.000 bis 50.000 Einwohner).

Die Realität der Pro-Kopf-Ausgaben der niederösterreichischen Gemeinden zeigt, daß die theoretischen Ansatzpunkte des abgestuften Bevölkerungsschlüssels immer weniger zutreffen. Vor allem die kleinsten Gemeinden sind benachteiligt. Diese Nachteile werden sich verschärfen, wenn die bisherige Tendenz anhält.

Konnte man in den sechziger Jahren vielleicht noch von einer progressiven Abhängigkeit des Aufwandes von der in Einwohnern gemessenen Gemeindegröße ausgehen, so ergibt der empirische Befund der Pro-Kopf-Ausgaben, daß das System des abgestuften Bevölkerungsschlüssels dem im §4 F-VG 1948 festgeschriebenen Prinzip der Lastenadäquanz der Mittelzuweisung spätestens seit den achtziger Jahren widerspricht. Der Finanzausgleichsgesetzgeber des Jahres 1988 hätte dieser Entwicklung Rechnung tragen und ein geeignetes Instrumentarium zur Verfügung stellen müssen, um den Gemeinden eine den Kosten der Besorgung ihrer Aufgaben adäquate Abgeltung zu gewährleisten. Indem er dies unterlassen hat, hat er das FAG 1989 mit Verfassungswidrigkeit belastet.

In der Literatur wird jedenfalls übereinstimmend davon ausgegangen, daß für die Ermittlung des Finanzbedarfes ein einzelnes Kriterium (Einwohnerzahl) nicht ausreicht und daher ein mehrdimensionaler Index heranzuziehen wäre, der neben der Einwohnerzahl noch andere - durch die jeweilige Aufgabenverteilung bestimmte - Maßstäbe berücksichtigen soll. Eine empirisch ausreichend abgesicherte abgestufte Bevölkerungszahl kann in einem derartigen Bedarfsindex sicherlich enthalten sein und mit Berechtigung verteidigt werden. Allerdings bestehen ernste Bedenken, ob es angesichts der Mängel, die dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel in Form des §8 Abs3 FAG 1989 anhaften, zweckmäßig ist, einen derart großen Teil der kommunalen Ertragsanteile allein nach diesem Kriterium zu bemessen.

Aus den in diesem Zusammenhang erhobenen Kritikpunkten (siehe Obermann, a.a.O., S 536) ist auch zu ersehen, daß der abgestufte Bevölkerungsschlüssel die Aufgabenstruktur der Gemeinden nur unzulänglich erfassen kann. Die vorhandenen empirischen Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, daß zwischen den österreichischen Gemeinden teilweise erhebliche Unterschiede in der Art der Aufgaben, ihrer Erfüllung und deren Kosten bestehen und daß je nach Aufgabenbereich verschiedene Faktoren zur Erklärung der beobachteten Unterschiede herangezogen werden müssen (wie z.B. Einwohnerzahl, Fläche des Gemeindegebietes, Wirtschaftsstruktur). Die Inhomogenität der Gemeinden läßt daher gar keine eindimensionale Betrachtung von Gemeindekategorien rein nach der Bevölkerungszahl sinnvoll erscheinen, sondern würde eher eine mehrdimensionale Erfassung verlangen.

Diese in der Literatur erhobene Kritik wird auch durch die Realität der Ausgaben nach Aufgabenbereichen je Einwohner in den niederösterreichischen Gemeinden belegt.

Schon in der (engeren) Verwaltung haben die kleineren Gemeinden recht hohe Pro-Kopf-Ausgaben (1.085 und 1.200 bei Gemeinden von 0 bis 500 und von 501 bis 1.000 Einwohner gegenüber 1.021 bei Gemeinden über 50.000 Einwohner). Die Ursache dürfte darin liegen, daß auch in kleineren Gemeinden hochqualifiziertes Verwaltungspersonal eingesetzt werden muß. Im Aufgabenbereich 'Soziales' hingegen nehmen die Pro-Kopf-Ausgaben mit der Gemeindegrößeklasse deutlich zu (34 und 47 bei Gemeinden bis 1.000 Einwohner gegenüber 564 und 379 bei Gemeinden zwischen 20.001 bis 50.000 und über 50.000 Einwohner). Im Aufgabenbereich 'Straßen' wiederum sind die kleineren, dünn besiedelten Gemeinden deutlich benachteiligt (1.656 und 1.667 bei Gemeinden bis 1.000 Einwohner gegenüber 1.237 bei Gemeinden über

50.000 Einwohner). Sie haben aufgrund ihrer oft großen Fläche für ein ausgedehntes Straßennetz aufzukommen.

Auch in den kommunalen Dienstleistungen läßt sich kein Ausgabenverhalten feststellen, das den theoretischen Grundlagen des abgestuften Bevölkerungsschlüssels entspricht. Bei den öffentlichen Einrichtungen sind die Pro-Kopf-Ausgaben der Gemeinden bis 1.000 Einwohner (2.710 und 2.069) kaum geringer als in Gemeinden über 50.000 Einwohner (2.770). Hingegen scheinen mittlere Gemeinden überproportional belastet (z.B. 3.829 bei Gemeinden zwischen 5.001 und 10.000 Einwohnern). Dies dürfte damit zusammenhängen, daß mittlere Gemeinden zum Teil auch Einrichtungen bereitstellen müssen, die von den Bewohnern benachbarter kleinerer Gemeinden mitbenützt werden. Im Aufgabenbereich 'Wasserversorgung' haben die kleinsten Gemeinden unverhältnismäßig hohe Ausgaben je Einwohner (im Extremfall 1.132 bei Gemeinden mit bis zu 500 Einwohnern gegenüber 782 bei Gemeinden über 50.000 Einwohner). Im Aufgabenbereich 'Abwasserbeseitigung' ist eine progressive Abhängigkeit des Aufwandes von der in Einwohnern gemessenen Gemeindegröße ebenfalls nicht festzustellen (924 und 1.115 bei Gemeinden unter 1.000 Einwohnern gegenüber 1259 bei Gemeinden über 50.000 Einwohner).

Diese Überlegungen zeigen, daß das derzeitige System des abgestuften Bevölkerungsschlüssels insgesamt dem Verfassungsgebot des §4 F-VG 1948 widerspricht.

2. Zur mangelnden Sachgerechtigkeit der Größenklassen

Dazu kommt noch, daß §8 Abs3 FAG 1989 für die Zuordnung des Multiplikators die Gemeinden nach ihrer Einwohnerzahl in insgesamt nur 4 Größenklassen einteilt.

Im Lichte des im §4 F-VG 1948 festgeschriebenen Prinzipes der Lastenadäquanz der Mittelzuweisung könnte diese Regelung nur dann bestehen, wenn die Wahl dieser Größenklassen mit dem Umfang der von den Gemeinden zu bewältigenden Lasten und damit dem adäquaten Mittelbedarf in Einklang stünde.

Zunächst steht die Reduzierung auf nur 4 Klassen mit dem zugrundegelegten Prinzip der exponentiellen Zunahme des Mittelbedarfes in auffallendem Widerspruch. Je geringer die Anzahl der Klassen wird, umso mehr muß sich das System zwangsläufig von diesem Prinzip entfernen. In der Literatur bildet gerade die getroffene Wahl der Größenklassen den Kernpunkt der Kritik am abgestuften Bevölkerungsschlüssel (Obermann, a.a.O., S. 535; Smekal-Theurl, Finanzkraft und Finanzbedarf von Gebietskörperschaften, S. 239 ff.). So hat der sogenannte 'Dannebergschlüssel' bereits 7 Stufen aufgewiesen. Besonders fällt zum Unterschied von §8 Abs3 FAG 1989 auf, daß er bis zu einer Einwohnerzahl von 10.000 insgesamt 4 Abstufungen aufgewiesen hat (bis 1.000, über 1.000 bis 2.000, über 2.000 bis 5.000 und über 5.000 bis 10.000 Einwohner).

Ein weiteres bei dieser Klassifizierung zu beachtendes Kriterium stellt die tatsächliche Gemeindestruktur dar. Eine Klassifizierung der österreichischen Gemeinden nach ihrer Einwohnerzahl auf der Basis von - ebenso willkürlich - gewählten neun Stufen führt nach dem Ergebnis der Volkszählung 1981 zu folgender Verteilung (Smekal-Theurl, a.a.O., S. 272):

Einwohner                         Anzahl der Gemeinden

bis 1.000                                581

1.001 bis 1.500                          567

1.501 bis 2.000                          391

2.001 bis 3.000                          380

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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