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L10011 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt Burgenland;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Degischer, Dr. Giendl und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des E in N, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in O, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft G vom 4. Oktober 1990, Zl. X-B-5/13-1990, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. W in N, 2. Gemeinde N, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Burgenland Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 21. Februar 1984 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde dem Rechtsvorgänger der Erstmitbeteiligten die baubehördliche Bewilligung zum Neubau eines Selchhauses (Selchkammer) auf dem Grundstück Nr. 15 der KG X. Zur weiteren Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 12. September 1989, Zl. 85/05/0120, verwiesen, in welchem ein Vorstellungsbescheid aufgrund der Beschwerde des damaligen und nunmehrigen Beschwerdeführers deswegen aufgehoben wurde, weil die Aufsichtsbehörde Verfahrensfehler der Berufungsbehörde (keine Verfahrensergänzung und Entscheidung gemäß § 66 Abs. 4 AVG) nicht wahrgenommen hatte. Dementsprechend hob die Aufsichtsbehörde mit Ersatzbescheid vom 24. Oktober 1989 den Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde N vom 3. Oktober 1984 auf.
Der Gemeinderat als Baubehörde zweiter Instanz hielt am 26. Jänner 1990 eine Bauverhandlung an Ort und Stelle ab, an welcher der Beschwerdeführer mit seinem Vertreter teilnahm. Der beigezogene Bausachverständige beschrieb das Bauvorhaben - die Selchkammer war bereits errichtet worden - nach Art, Lage und Umfang und schlug weitere Auflagen vor. Der als Sachverständiger beigezogene konzessionierte Rauchfangkehrermeister führte aus, daß die Rauchgasentwicklung der Selchanlage nicht über das ortsübliche Maß hinausgehe, wenn sie mit Hartholz und angefeuchteten Sägespänen befeuert werde. Die Rauchentwicklung liege nicht höher als bei herkömmlichem Hausbrand. Er schlug die Auflage vor, daß nur mit Hartholz und befeuchteten Sägespänen beheizt werden dürfe. Der medizinische Sachverständige führte aus, daß bei Einhaltung dieser Auflage eine Gesundheitsgefährdung von Anrainern nicht in Betracht komme. Er schlug die Auflage vor, dem Betreiber der Selchanlage bei Niederdruckwetter den Beginn des Selchvorganges zu untersagen. Der Beschwerdeführer gab zu diesen Gutachten keine Erklärung ab und äußerte sich auch nach Übersendung einer Protokollabschrift nicht.
Mit Bescheid vom 3. April 1990 gab der Gemeinderat der Gemeinde N der Berufung teilweise Folge und änderte den Bescheid des Bürgermeisters vom 21. Februar 1984 insoferne ab, als der damalige Bescheidspruch unter der Überschrift "Baubeschreibung" durch Wiedergabe der von der Baubehörde zweiter Instanz eingeholten Gutachten ergänzt wurde; weiters wurden die im erstinstanzlichen Bescheid in 13 Punkten aufgezählten Bedingungen und Auflagen von der Berufungsbehörde durch die Punkte 14 bis 19 ergänzt.
Punkt 18 lautet:
"Für die Befeuerung der Selchanlage dürfen nur hartes Holz
(Eiche, Buche) und mit Wasser befeuchtete Sägespäne verwendet
werden."
Punkt 19 lautet:
"Der Betreiber der Selchanlage hat bei Niederdruckwetterlage vom Beginn des Selchvorganges Abstand zu nehmen."
In der dagegen erhobenen Vorstellung erachtete sich der Beschwerdeführer dadurch in seinen Rechten verletzt, daß in erster wie in zweiter Instanz der Bürgermeister an der Bescheiderlassung mitgewirkt habe; er sei in seinem Recht auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter verletzt. Der Spruch des Bescheides sei unklar, weil zum Teil eine Aufhebung und zum Teil eine Ergänzung erfolgte und Entscheidungen erster und zweiter Instanz in einem Bescheid vermengt werden. Die erstatteten Gutachten seien unschlüssig und unbegründet. Die Gutachter hätten weder konkrete Messungen der austretenden Schadstoffmengen vorgenommen, noch an Ort und Stelle über die entstehende Rauch- und Gasentwicklung Befunde aufgenommen. Auch die konkreten Auswirkungen der Rauch- und Gasentwicklung auf die Gesundheit der Familie des Beschwerdeführers sei unerörtert geblieben.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Vorstellung keine Folge. Hinsichtlich der Tätigkeit des Bürgermeisters verwies sie darauf, daß als Baubehörde erster Instanz der damalige Bürgermeister J, im Verfahren zweiter Instanz aber der seit 4. Februar 1986 angelobte Bürgermeister E mitwirkte. Hinsichtlich der beigezogenen Sachverständigen wurde bemerkt, daß ein von einem tauglichen Sachverständigen erstelltes Gutachten in seiner Beweiskraft nur durch ein gleichwertiges Gutachten bekämpft werden könne. Im übrigen verwies die Vorstellungsbehörde auf die im wesentlichen zutreffend und ausführlich dargelegten Gründe des vor ihr bekämpften Bescheides, welche durch die Ausführungen in der Vorstellung nicht entkräftet werden konnten.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher "Rechtswidrigkeit" und Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht werden. Die belangte Behörde erstattete unter Vorlage des Gemeindeaktes eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Auffassung des Beschwerdeführers, § 7 Abs. 1 Z. 5 AVG betreffe Organe, also Behörden und nicht Organwalter, ist zu erwidern, daß nur der ORGANWALTER befangen sein kann (Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I, 193; hg. Erkenntnis vom 2. April 1990, Zl. 90/19/0023). Organwalter im Verfahren erster Instanz war aber der Bürgermeister J, während als Mitglied der Berufungsbehörde der nunmehrige Bürgermeister E tätig wurde. Im übrigen hätte der Gemeinderat selbst bei einer Teilnahme des in erster Instanz eingeschrittenen Bürgermeisters das Recht des Beschwerdeführers auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter deshalb nicht verletzt, weil die Mitwirkung befangener Mitglieder an der Erlassung eines Bescheides einer Kollegialbehörde deren Zuständigkeit nicht berührt
(VfSlg. 7082). Das in diesem Zusammenhang zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 21. Juni 1990, VfSlg. 12.397, enthält keine Aussage zu Art. 6 MRK).
Insoweit der Beschwerdeführer eine unzureichende Begründung im Vorstellungsbescheid geltend macht, ist zunächst darauf zu verweisen, daß gemäß Art. II Abs. 2 A Z. 1 EGVG auch für das Vorstellungsverfahren das AVG Anwendung findet (Berchtold, Gemeindeaufsicht, 37). Daher muß die Vorstellungsbehörde die Bestimmung des § 58 Abs. 2 AVG beachten und ihren Bescheid begründen. Erschöpft sich die Begründung des Rechtsmittelbescheides in einer Verweisung auf die Begründung des Bescheides der Unterinstanz, so hat die Rechtsmittelbehörde ihrer Begründungspflicht nur dann entsprochen, wenn die Begründung der Unterinstanz auf alle in dem Rechtsmittel vorgebrachten Tatsachen und Rechtsausführungen bereits eingegangen ist und der Oberinstanz keine Fragen offen geblieben sind (Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, E 8 zu § 58 Abs. 2 AVG).
Gemäß Art. 119a Abs. 7 letzter Satz B-VG (wie auch nach § 79 Abs. 5 der burgenländischen Gemeindeordnung LGBl. Nr. 37/1965) sind die Aufsichtsmittel unter möglichster Schonung Dritter zu handhaben. Allerdings darf die Aufsichtsbehörde nicht jegliche Kontrolle des von der Gemeindebehörde angenommenen Sachverhalts ablehnen, sondern muß untersuchen, ob nicht etwa das Verfahren vor der Gemeindebehörde mangelhaft geblieben ist (Berchtold a.a.O., 45).
Diese Prüfung hat die Aufsichtsbehörde vorgenommen; sie gelangte zum Ergebnis, daß die Gründe des Berufungsbescheides zuträfen. Aber auch bei vollständiger Erfüllung ihrer Begründungspflicht hätte die belangte Behörde zu keinem anderen Ergebnis gelangen können (§ 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG):
Wenn ein Rauchfangkehrermeister nach Befundaufnahme an Ort und Stelle sich gutachtlich dahingehend äußert, daß die Rauchentwicklung dieser einfachen Feuerstelle nicht höher sein werde, als von herkömmlichem Hausbrand, so scheint dieses Beweisergebnis, auch wenn keine Messungen durchgeführt wurden, weder unschlüssig noch mit den Denkgesetzen im Widerspruch. Auf dieser Tatsachengrundlage (keine stärkeren Emissionen als bei einem Hausbrand) konnte auch der medizinische Sachverständige ohne weiteres die Frage einer möglichen Gesundheitsgefährdung beurteilen, sodaß auch diesem Gutachten keine Unschlüssigkeit anhaftet. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß vom Beschwerdeführer keine Stellungnahme zu diesen Gutachten abgegeben wurde, konnte die Berufungsbehörde ohne Verfahrensmangel diese Gutachten ihrer Entscheidung zugrundelegen. Es kann daher auch der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie keinen Verfahrensmangel angenommen hat.
Eine Verletzung des § 45 Abs. 3 AVG kann bei unmittelbarer Beweisaufnahme in Anwesenheit der auch anwaltlich vertretenen Partei nicht in Betracht kommen.
Gemäß § 66 Abs. 4 letzter Satz AVG ist die Berufungsbehörde berechtigt, den Spruch der Unterbehörde NACH JEDER RICHTUNG abzuändern. Ausgehend davon, daß der erstinstanzliche Bescheid in der Berufungsentscheidung aufgeht und daß die Abweisung der Berufung als Erlassung eines mit dem erstinstanzlichen Bescheid übereinstimmenden Bescheides anzusehen ist (siehe die bei Hauer-Leukauf a.a.O. E 200 f zu § 66 Abs. 4 AVG wiedergegebene hg. Judikatur), liegt der gerügte Mangel des Berufungsbescheides nicht vor. Inhalt des Berufungsbescheides ist die nunmehr übernommene Baubewilligung erster Instanz mit den von der Berufungsbehörde vorgenommenen Ergänzungen.
Damit erweist sich die Beschwerde insgesamt als unbegründet, sodaß sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere deren Art. III Abs. 2.
Schlagworte
Abgrenzung der Begriffe Behörde und Organwalter Befangenheit der Mitglieder von Kollegialbehörden Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Inhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung (siehe auch Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz) Parteiengehör Parteienvertreter Parteiengehör Unmittelbarkeit Teilnahme an Beweisaufnahmen Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel Rechtsnatur und Rechtswirkung der Berufungsentscheidung Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Unmittelbarkeitsprinzip Gegenüberstellungsanspruch Fragerecht der Parteien VwRallg10/1/2 Verweisung auf die Entscheidungsgründe der ersten InstanzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1990050224.X00Im RIS seit
06.08.2001