TE Vwgh Erkenntnis 1993/4/14 93/18/0061

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Veröffentlicht am 14.04.1993
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Index

19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z1;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z2;
FrPolG 1954 §4;
MRK Art8 Abs2;
StGB §105 Abs1;
StGB §142 Abs1;
StGB §164 Abs1 Z1;
StGB §229 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 28. August 1992, Zl. SD 155/92, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 28. August 1992 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen chilenischen Staatsangehörigen, gemäß § 3 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 575/1987, (FrPolG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das "Bundesgebiet der Republik Österreich" erlassen.

Begründend ging die belangte Behörde in sachverhaltsmäßiger Hinsicht davon aus, daß der Beschwerdeführer, der sich seit 1980 in Österreich aufhalte, am 8. Mai 1990 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen Raubes, Nötigung, Urkundenunterdrückung und Hehlerei zu zwei Jahren Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden sei. Damit seien die gesetzlichen Voraussetzungen i.S. des § 3 Abs. 2 Z. 1 und damit auch jene des § 3 Abs. 1 FrPolG gegeben.

Im Rahmen der Interessenabwägung führte die belangte Behörde aus, es sei klar, daß die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer, der bereits im Alter von zehn Jahren nach Österreich gekommen sei, hier als Flüchtling anerkannt worden sei und seitdem mit seiner Familie im Bundesgebiet lebe, einen massiven Eingriff in sein Privat- und Familienleben darstelle. Angesichts der Tatsache, daß der Beschwerdeführer zahlreiche Delikte gegen die verschiedensten Rechtsgüter begangen habe - aufgrund der vorgenannten Verurteilung sei ihm auch die Flüchtlingseigenschaft aberkannt worden -, erscheine die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes dennoch dringend geboten. Im Zuge der gerichtlichen Erhebungen sei auch festgestellt worden, daß der Beschwerdeführer Verbindungen zu einer chilenischen Diebsbande gehabt habe, für die er gestohlene Gegenstände, die nach Chile geschickt werden sollten, verwahrt und hiefür von einem Bandenmitglied Geld erhalten habe. Aufgrund des verstärkten Auftretens von Diebsbanden in jüngster Zeit bestehe gerade an der Bekämpfung bzw. Hintanhaltung des organisierten Verbrechens ein eminentes öffentliches Interesse. Auch das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verbrechen des Raubes, bei dem das Opfer nicht nur verletzt, sondern vom Beschwerdeführer und dessen Bruder mit dem Umbringen bedroht worden sei, zeige deutlich, daß der Beschwerdeführer vor Gewaltanwendung nicht zurückschrecke. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnenswert, daß der Beschwerdeführer bereits im Jahr 1988 vom Jugendgerichtshof wegen versuchten Diebstahls unter Vorbehalt der Strafe verurteilt worden sei. Daß dieses Urteil beim Beschwerdeführer keinen Eindruck hinterlassen habe, zeige die neuerliche gerichtliche Verurteilung sehr deutlich. Die Feststellung des Gerichtes in der Urteilsbegründung, der Beschwerdeführer habe auf das Gericht einen verlogenen Eindruck gemacht und es sei von der Möglichkeit des § 43a StGB mit Rücksicht auf das einschlägige Vorleben des Täters und die Vielzahl der begangenen Delikte nicht Gebrauch gemacht worden, rundeten letztlich nur den negativen Eindruck ab, den die belangte Behörde vom Beschwerdeführer gewonnen habe. Der Hinweis, er habe sich seit seiner Haftentlassung im Dezember 1990 wohlverhalten, sei jedenfalls nicht geeignet, eine andere Entscheidung der belangten Behörde herbeizuführen. Angesichts des gegebenen Sachverhaltes wögen die berührten öffentlichen Interessen auch unter Berücksichtigung der sicherlich gegebenen Integration des Beschwerdeführers und seiner Familienangehörigen in Österreich weitaus schwerer als die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Von einer beruflichen Beeinträchtigung könne nicht gesprochen werden, da der Beschwerdeführer in Österreich nie einer Beschäftigung nachgegangen sei.

Das Aufenthaltsverbot sei auf unbestimmte Zeit auszusprechen gewesen, da aufgrund des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers in Österreich der Zeitraum, innerhalb dessen der Beschwerdeführer eine andere - positive - Einstellung zu den Gesetzen und Vorschriften des Gastlandes gewinnen werde, derzeit nicht absehbar sei.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde ab (Beschluß vom 1. Dezember 1992, B 1557/92-7) und trat sie anschließend über nachträglich gestellten Antrag des Beschwerdeführers dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluß vom 29. Jänner 1993, B 1557/92-9). In seiner an den Verwaltungsgerichtshof erstatteten Beschwerdeergänzung macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des § 3 Abs. 1, Abs. 2 Z. 1 und Abs. 3 FrPolG lauten:

§ 3 (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

1. von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist; einer solchen Verurteilung ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht dann gleichzuhalten, wenn sie den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.

(3) Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

2.

die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;

3.

die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.

              2.              Die von der belangten Behörde aufgrund der rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen §§ 142 Abs. 1, 229 Abs. 1, 105 Abs. 1, 164 Abs. 1 Z. 1 StGB zu zwei Jahren Freiheitsstrafe angenommene Verwirklichung des Tatbestandes des § 3 Abs. 2 Z. 1 (erster Fall) FrPolG und das von ihr daraus abgeleitete Vorliegen einer "bestimmten Tatsache im Sinne des Abs. 1" (des § 3 FrPolG), mit der Folge, daß sie die in der zuletzt genannten Bestimmung näher umschriebene Annahme für gerechtfertigt erachtete, erweist sich als zutreffende, mit der ständigen hg. Rechtsprechung in Einklang stehende rechtliche Beurteilung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. Jänner 1993, Zl. 92/18/0475, und die dort zitierten Entscheidungen).

              3.              Der Gerichtshof vermag auch die von der belangten Behörde im Grunde des § 3 Abs. 3 FrPolG vorgenommene Interessenabwägung nicht als rechtswidrig zu erkennen. Mit Recht hat die belangte Behörde dem im Beschwerdefall maßgeblichen öffentlichen Interesse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer besonders großes Gewicht beigemessen. Die gerichtliche Verurteilung im Jahr 1990 wegen mehrerer schwerwiegender Delikte macht die negative Einstellung des Beschwerdeführers zu den Rechtsgütern der körperlichen Integrität und des Eigentums deutlich. Die solcherart objektivierte Haltung wird hinsichtlich des zuletzt genannten Rechtsgutes durch die keineswegs zu vernachlässigende jugendgerichtliche Verurteilung im Jahr 1988 noch unterstrichen, wobei die belangte Behörde zutreffend bemerkt hat, daß diese Verurteilung - ausgehend von jener im Jahr 1990 - auf den Beschwerdeführer offensichtlich "keinerlei Eindruck" hinterlassen habe. Die somit negative Entwicklung des Sozialverhaltens des Beschwerdeführers, aber auch die im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen, in der Beschwerde nicht bestrittenen, für den Beschwerdeführer durchaus ungünstigen Feststellungen des Gerichtes, welche dieses sogar von der bedingten Nachsicht auch nur eines Teiles der zweijährigen Freiheitsstrafe Abstand nehmen ließ, und schließlich die besondere Rücksichtslosigkeit des Beschwerdeführers gegenüber dem Rechtsgut von Leib und Leben Dritter - er bedrohte nach der unwidersprochen gebliebenen Feststellung im bekämpften Bescheid das Raubopfer mit dem Umbringen - boten der belangten Behörde eine hinreichende Grundlage, um eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie der Rechte und Freiheiten anderer, aber auch die Gefahr der Begehung weiterer strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer in einem Maß annehmen zu können, welches die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über ihn dringend erforderlich macht.

Gegenüber diesem eminenten Interesse am Schutz von für den einzelnen und die Gemeinschaft wesentlichen Rechtsgütern treten die privaten (familiären) Interessen des Beschwerdeführers - obgleich, wie von der belangten Behörde zutreffend gewürdigt, keinesfalls von geringem Gewicht - deutlich zurück. Dies gilt sowohl hinsichtlich seines langjährigen Aufenthaltes als auch den seiner Familienmitglieder in Österreich. Zu Recht hat die belangte Behörde auch darauf hingewiesen, daß das "Wohlverhalten" des Beschwerdeführers seit seiner Haftentlassung im Dezember 1990 nicht geeignet sei, eine für den Beschwerdeführer günstigere Entscheidung zu treffen, ist doch dieser Zeitraum (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides) - wie auch die Verurteilung des Beschwerdeführers im Jahr 1990 nach jener im Jahr 1988 zeigt - viel zu kurz, um die Gefahr weiterer strafbarer Handlungen des Beschwerdeführers als nicht mehr gegeben ansehen zu können.

Der belangten Behörde kann schließlich auch nicht entgegengetreten werden, wenn sie "aufgrund des bisherigen Verhaltens" des Beschwerdeführers die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes für angebracht hielt, war sie doch unter Bedachtnahme auf die mehrfachen Gesetzesverstöße und die sich darin manifestierende Neigung des Beschwerdeführers zu einem die österreichische Rechtsordnung kontinuierlich mißachtendem Verhalten nicht in der Lage vorherzusehen, wann die Gründe für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes wegfallen würden (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1992, Zl. 92/18/0341).

              4.              Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtswidrigkeit nicht vorliegt, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993180061.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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