TE Vfgh Erkenntnis 1990/11/26 B1271/89

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Veröffentlicht am 26.11.1990
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art94
DSt 1872
DSt 1872 §2
RAO §9
RL-BA 1977 §10
DSt 1872 §2a

Leitsatz

Kein Verstoß gegen den Gewaltentrennungsgrundsatz durch die Anordnung der Anwendung bestimmter Verfahrensvorschriften auf ein anderes Verfahren; keine Verletzung des Gleichheitsrechtes durch die Verhängung von Disziplinarstrafen wegen Verletzung der anwaltlichen Rechnungslegungspflicht und der Aufklärungspflicht gegenüber der unvertretenen Partei; eigene Verjährungsregelung im Disziplinarrecht für Rechtsanwälte

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Zur Vorgeschichte der vorliegenden Beschwerde genügt es, auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 11776/1988 zu verweisen. Mit diesem Erkenntnis wurde das in der gleichen Rechtssache ergangene Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 13. Oktober 1987 wegen Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz aufgehoben. Hiezu wurde insbesondere ausgeführt:

"Einer Verurteilung nach §2 DSt muß ... - verfassungskonform im Sinne des Art7 MRK - zu Grunde liegen, daß sie wegen einer Verletzung von Berufspflichten oder wegen eines Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes erfolgt, die sich aus gesetzlichen Regelungen oder aus verfestigten Standesauffassungen (wozu allenfalls Richtlinien oder die bisherige (Standes-)Judikatur Bedeutung besitzen; ...) ergeben, die in einer dem Klarheitsgebot ensprechenden Bestimmtheit feststehen."

2. Mit dem aufgrund dieser Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes ergangenem (Ersatz-)Erkenntnis der OBDK vom 7. April 1989, Zlen. Bkd 108/86 und 56/87, wurde der Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrates der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 13. Juni 1986, Z D 22/84, teilweise Folge gegeben: Er wurde von einer Anschuldigung freigesprochen; im übrigen wurde das genannte Disziplinarerkenntnis bestätigt und in Neubemessung der Disziplinarstrafe für den verbleibenden Schuldspruch eine (verminderte) Geldbuße verhängt. Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das am 19. Dezember 1986 zu D 8/86 ergangene Disziplinarerkenntnis des Disziplinarrates der Tiroler Rechtsanwaltskammer wurde keine Folge gegeben.

Demnach wurde der Disziplinarbeschuldigte für schuldig erkannt:

a) Das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, daß er

"trotz mehrfacher Aufforderung bis zur Einschränkung der Honorarklage seiner ehemaligen Klientin A P kein detailliertes Leistungsverzeichnis, das seiner Honorarnote von S 159.898,79 zugrunde liegt, und keine Abrechnung über allfällige Eingänge seitens des Prozeßgegners übermittelt hat." (D 22/84)

b) Die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, daß er von potentiellen Verhandlungspartnern seiner Klienten Kostenersatzerklärungen zugunsten seiner Mandanten unterfertigen ließ, wodurch sie ihrem

"Verhandlungspartner, ... alle in der Kanzlei (des) Rechtsanwaltes

Dr. C ... im Zusammenhang mit diesen Verhandlungen auflaufenden

Kosten und Gebühren ... ersetzen und dies gerade für den Fall des

Scheiterns der Verhandlungen, denn im anderen Fall ist ja die Kosten- und Gebührentragenspflicht ohnehin im Vertrag selbst enthalten. ..." (D 8/86)

Hiefür wurde der Disziplinarbeschuldigte zu D 22/84 zu einer (herabgesetzten) Geldbuße von S 5.000,-- und zu D 8/86 zu einer Geldbuße in Höhe von S 8.000,-- verurteilt.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen betreffend das Disziplinarverfahren vor der OBDK sowie die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht werden und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Zurückweisung der Beschwerde, allenfalls deren Abweisung beantragt.

Der Beschwerdeführer hat hierauf repliziert.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit erwogen:

4.1. Die belangte Behörde beantragt zunächst die Beschwerde zurückzuweisen, weil ihr weder das angefochtene Erkenntnis noch der Umfang der Anfechtung entnommen werden könne, zumal die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses insgesamt beantragt werde, obwohl die Beschwerdelegitimation hinsichtlich des Freispruches nicht gegeben sei.

4.2. Der belangten Behörde ist wohl beizupflichten, daß der Beschwerdeantrag nicht audrücklich erklärt, daß die angefochtene Entscheidung im freisprechenden Teil nicht bekämpft werde. Das Beschwerdevorbringen läßt jedoch zweifelsfrei erkennen, daß sich die Beschwerde nur gegen den schuldigsprechenden Teil des Erkenntnisses wendet; insofern ist die Beschwerdelegitimation des Disziplinarbeschuldigten jedenfalls gegeben. Da auch die Beschwerde keinen Zweifel offen läßt, daß das Erkenntnis der OBDK vom 17. April 1989 bekämpft wird, und die sonstigen Prozeßvoraussetzungen erfüllt sind, ist die Beschwerde zulässig.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat in der Sache selbst erkannt:

5.1.1. Der Beschwerdeführer behauptet zunächst die Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen über das Disziplinarverfahren vor der OBDK, weil das Disziplinarstatut - Gesetz vom 1. April 1872, RGBl. 40, betreffend die Handhabung der Disziplinargewalt über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: DSt) einerseits das disziplinarrechtliche Verfahren selbst regle, andererseits aber anordne, daß auch Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG 1950 und des Verwaltungsstrafgesetzes - VStG 1950 sowie Bestimmungen der für gerichtliche Strafverfahren maßgeblichen Strafprozeßordnung (im folgenden: StPO) anzuwenden seien, was Bedenken "aus dem Gesichtspunkt der Trennung von Verwaltung und Gerichtsbarkeit" erwecke. Systemwidrig sei weiters, daß der Oberstaatsanwaltschaft Rechtsmittelbefugnisse eingeräumt seien. Auch die Bestimmungen über das Aufsichtsrecht des Bundesministers für Justiz (§45 DSt) dürften einer Überprüfung nicht Stand halten.

5.1.2. Hiezu ist zunächst zu bemerken, daß §45 DSt im vorliegenden Fall gar nicht angewendet wurde, sodaß ein Eingehen auf diese Bestimmung schon mangels Präjudizialität nicht in Frage kommt. Welche Verfassungswidrigkeit darin gelegen sein sollte, daß dem (jeweiligen) Oberstaatsanwalt nach den §§40, 47, 50, 52 und 53 DSt Rechtsmittelbefugnisse eingeräumt werden, läßt die Beschwerde völlig offen. Dem Verfassungsgerichtshof sind aus der Sicht der vorliegenden Beschwerde verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmungen nicht erkennbar. Gleiches gilt auch für die Bestimmungen des DSt, die in näher bezeichneten Fällen anordnen, daß das AVG und das VStG oder die StPO anzuwenden sind. Der verfassungsrechtliche Gewaltentrennungsgrundsatz hindert nicht, daß der Gesetzgeber die Anwendung bestimmter Verfahrensvorschriften auf ein anderes Verfahren anordnet. Wenn in der Beschwerde schließlich die Ansicht vertreten wird, daß ein Nebeneinander von Bestimmungen, die verschiedenen Verfahrensordnungen angehören, "zu argen Ungereimtheiten" führe, ist auch hieraus eine Verfassungswidrigkeit nicht erkennbar. Soweit den in Rede stehenden Bestimmungen überhaupt Präjudizialität im vorliegenden Verfahren zukommt, sieht der Verfassungsgerichtshof aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles auch insofern keine Veranlassung, ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten.

5.2.1. Ein willkürliches Vorgehen wirft der Beschwerdeführer der belangten Behörde vor, weil im angefochtenen Bescheid das im Verfahren D 8/86 (Kostenersatzerklärung) disziplinär angelastete Verhalten als fortgesetztes Delikt qualifiziert werde und eine solche Wertung eine "Überschreitung der Anklage" (gemeint wohl: des Einleitungsbeschlusses) bedeute. Auch die Schlüsse, die die belangte Behörde aus einer die Kostenersatzverpflichtungserklärung betreffenden Entscheidung des Bezirksgerichtes Innsbruck ziehe, liefen auf einen aktenwidrigen Vorhalt hinaus.

5.2.2. Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985).

Derartiges liegt offenkundig nicht vor. Soweit die Beschwerde den Einleitungsbeschluß einer Anklage gleichsetzt, verkennt sie an sich die Rechtslage. Hiezu genügt es, auf die Vorjudikatur (insbesondere VfSlg. 9425/1982, 10944/1986, 11350/1987, 11448/1987 und zuletzt VfGH 27.9.1990 B1660/88) zu verweisen. In der Wertung des dem Verfahren D 8/86 zugrundeliegenden disziplinären Verhaltens als fortgesetztes Delikt kann jedenfalls ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler keineswegs erblickt werden. Auch sonst kann ein solcher Vorwurf der belangten Behörde aufgrund der dargelegten Rügen nicht zur Last gelegt werden; ob die OBDK richtig vorgegangen ist, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

5.3.1. Der Beschwerdeführer behauptet weiters, dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid der OBDK sei die gleiche Verfassungswidrigkeit anzulasten, die zur Aufhebung der im ersten Rechtsgang erfolgten Entscheidung mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 11776/1988 geführt habe: Die Verurteilung lasse nicht mit einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit erkennen, gegen welche gesetzliche Regelung oder verfestigte Standesauffassung das Verhalten des Beschwerdeführers verstoßen habe.

5.3.2. Auch dieser Vorwurf ist nicht berechtigt:

Zu D 22/84 legt die belangte Behörde dar, daß ein Rechtsanwalt nach Abschluß seiner Tätigkeit unter allen Umständen dem Auftraggeber gegenüber verpflichtet sei, seine Leistungen in Rechnung zu stellen, und zwar in einer solchen Art, daß der Klient ausreichend Aufschluß über die getätigten Leistungen erhalte. Hiezu wird die ständige Rechtsprechung der belangten Behörde detailliert dargelegt und abschließend festgestellt, daß der Beschuldigte, wenn er dieser Standesverpflichtung nicht entsprochen habe, gegen die Rechnungslegungspflicht und die aus §10 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977) erfließende Treuepflicht verstoßen habe, sodaß er Ehre und Ansehen des Standes verletzt habe.

Zu D 8/86 führt das angefochtene Erkenntnis sinngemäß aus, nach ständiger, auf verfestigter Standesauffassung beruhender Rechtsprechung in Disziplinarsachen der Rechtsanwälte dürfe der Rechtsanwalt eine unvertretene Partei bei Vertragsverhandlungen nicht unaufgeklärt lassen oder rechtswidrig übervorteilen. Auch hiezu wird die Vorjudikatur eingehend dargestellt und zusammenfassend auf die grundsätzliche Pflicht des Rechtsanwaltes nach §9 der Rechtsanwaltsordnung verwiesen, wonach der Rechtsanwalt Rechte und Interessen seiner Partei mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten habe, jedoch Angriffs- und Verteidigungsmittel nur in jener Weise gebrauchen dürfe, die der Vollmacht, dem Gewissen und dem Gesetz nicht widersprechen; die vorliegende Textierung der Kostenersatzerklärung sei auch im Hinblick auf §879 Abs3 ABGB zu betrachten, wonach bei Verwendung von gröblich benachteiligenden Klauseln in einem Formblatt Sittenwidrigkeit vorliege.

Der Verfassungsgerichtshof kann diesen Ausführungen aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegentreten. Die belangte Behörde ist im Ersatzbescheid offenkundig unter Bedachtnahme auf die Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes im bereits zitierten Erkenntnis vorgegangen, sodaß ihr eine neuerliche Verletzung des Gleichheitssatzes nicht zum Vorwurf gemacht werden kann.

5.4. Der Beschwerdeführer behauptet schließlich, der angefochtene Bescheid verletze ihn auch deshalb im Gleichheitsrecht, weil die ihm zur Last gelegten Disziplinarvergehen - wie sich aus dem VStG ergebe - inzwischen verjährt seien.

Dieser Vorwurf geht schon deshalb ins Leere, weil das DSt im §2a eigene Verjährungsregelungen enthält, ohne insofern auf das VStG zu verweisen. Von einer gehäuften Verkennung der Rechtslage kann offenkundig nicht gesprochen werden.

6. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Gewaltentrennung, Anwendbarkeit Verfahrensvorschriften, Verjährung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B1271.1989

Dokumentnummer

JFT_10098874_89B01271_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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