Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §45 Abs2;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 92/03/0275Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Dr. Leukauf und Dr. Kremla als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Werner, über die Beschwerde des Dr. P, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 12. November 1992, Zl. 11-75 Fe 19-1992, betreffend Übertretungen der StVO, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem nunmehr angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 12. November 1992 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 7. März 1990 einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw gegen 6.45 Uhr im Gemeindegebiet Mürzhofen/Allerheiligen i.M. - St. Marein/St. Lorenzen auf der S 6 aus Richtung Mürzzuschlag kommend in Richtung Bruck an der Mur fahrend gelenkt und dabei auf dem Streckenabschnitt, beginnend nach der Abfahrt Allerheiligen i.M. bis Abfahrt St. Marein, als ihn der Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Busses auf der Überholspur überholen wollte, 1) den Fahrstreifen gewechselt, ohne sich davon überzeugt zu haben, daß dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich sei, sodaß er den Buslenker zum starken Abbremsen gezwungen habe, und 2) beim Überholtwerden die Fahrgeschwindigkeit erhöht, obwohl ihm der Überholvorgang angezeigt wurde, bzw. er den Überholvorgang nach den Verkehrsverhältnissen wahrgenommen haben mußte, und dadurch Verwaltungsübertretungen nach § 11 Abs. 1 und § 15 Abs. 5 StVO begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO wurden über ihn Geldstrafen von S 1.000,-- und S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von einem Tag bzw. zwei Tagen) verhängt. Mit dem in einer gemeinsamen Ausfertigung weiters ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 12. November 1992 wurde das Straferkenntnis erster Instanz in Ansehung einer Verwaltungsübertretung nach § 102 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 KFG aufgehoben und das Verfahren insoweit eingestellt. Zur Begründung verwies die belangte Behörde darauf, sie sei nach Durchsicht des Akteninhaltes in Einklang mit der Behörde erster Instanz zur Auffassung gelangt, daß der Sachverhalt hinreichend erwiesen sei. - Die Erstbehörde hatte den Schuldspruch auf Grund der Privatanzeige des Lenkers des Autobusses, dessen Zeugenaussage und der Aussagen von drei Autobuspassagieren als gegeben erachtet. - Es sei eine Erfahrungstatsache, daß private Verkehrsteilnehmer nur bei eklatanten Verstößen gegen die Verkehrsvorschriften bereit seien, sich der Mühe einer Privatanzeige zu unterziehen. Im vorliegenden Fall würden die Angaben des Anzeigers noch durch drei weitere unbeteiligte Zeugen unterstützt. Auch die Einwendungen hinsichtlich des "Tachographenschaublattes" seien unbeachtlich, weil es nicht darum gehe, mit welcher Geschwindigkeit der Anzeiger unterwegs gewesen sei, sondern darum, ob die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Delikte als erwiesen anzusehen seien.
Gegen den Bescheid der Landesregierung, also nur insoweit, als der Beschwerdeführer wegen Übertretungen der StVO schuldig erkannt und bestraft wurde, richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bekämpft die maßgebenden Feststellungen der belangten Behörde, indem er deren Beweiswürdigung rügt und in diesem Zusammenhang Verfahrensmängel, insbesondere die Unterlassung weiterer Beweisaufnahmen, geltend macht. Diesem Vorbringen kommt unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften Berechtigung zu.
Gemäß § 39 Abs. 2 AVG (§ 24 VStG) haben die Behörden - wenn wie vorliegend die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthalten - von Amts wegen vorzugehen. Der im § 45 Abs. 2 AVG (§ 24 VStG) normierte Grundsatz der freien Beweiswürdigung schließt eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle nicht in der Richtung aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Gemäß § 25 Abs. 2 VStG sind die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden. Dabei kommt gemäß § 46 AVG als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Dem Verwaltungsverfahren ist eine antizipative Beweiswürdigung fremd. Die Behörde darf einen Beweis nur dann von vornherein ablehnen, wenn er, objektiv gesehen, nicht geeignet ist, über den maßgebenden Sachverhalt einen Beweis zu liefern. Eine Würdigung von Beweisen hinsichtlich ihrer subjektiven Glaubwürdigkeit ist nur nach Aufnahme der Beweise möglich (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, die zu § 45 Abs. 2 AVG unter E 72 ff, S. 311, und zu § 25 Abs. 2 VStG unter E 8, S. 846, wiedergegebene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).
Die belangte Behörde hat die maßgebenden Feststellungen, daß der Beschwerdeführer gegen § 11 Abs. 1 und § 15 Abs. 5 StVO verstoßen habe, auf die Privatanzeige und die Aussage des Anzeigers sowie die Zeugenaussagen mehrerer Autobusinsassen gestützt. Es ist der belangten Behörde beizupflichten, daß verschiedene Verdachtsmomente für ein strafbares Verhalten des Beschwerdeführers in der genannten Richtung sprechen. Der Beschwerdeführer hat jedoch von Anfang an jedes strafbare Verhalten bestritten und schon im Verfahren vor der Behörde erster Instanz die Beischaffung des Tachographenschaublattes des Autobusses sowie dessen Auswertung durch einen Sachverständigen zum Beweise dafür, daß er keineswegs den Anzeiger zu einem abrupten Bremsmanöver gezwungen habe, und daß der Buslenker schneller als 100 km/h gefahren sei, beantragt. Die Behörde erster Instanz hat zwar das Tachographenschaublatt noch im November 1990 beigeschafft (eine Kopie erliegt im Strafakt), jedoch dem Beschwerdeführer hiezu kein Parteiengehör eingeräumt, geschweige denn einen Sachverständigen zur Auswertung beigezogen. Sodann hat die Behörde erster Instanz 1 Jahr und 9 Monate, jedenfalls nach der Aktenlage, ohne weitere Erhebungen verstreichen lassen, bis sie das Straferkenntnis vom 17. August 1992 erließ. Es hätte aber einer weiteren Klärung des Sachverhaltes, insbesondere der Frage der Glaubwürdigkeit der vernommenen Zeugen, der Auswertung des Tachographenschaublattes durch einen Sachverständigen in dem vom Beschwerdeführer aufgezeigten Umfang (nur eine derartige Auswertung läßt eine sichere Beurteilung zu) bedurft, da nicht von vornherein gesagt werden konnte, daß dieses Beweismittel - auch objektiv gesehen - nicht geeignet sei, über den maßgebenden Sachverhalt einen Beweis zu liefern. Gegen die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung bestehen bei der derzeitigen Aktenlage Bedenken. Die bisher vorliegenden Erhebungsergebnisse lassen einen Schuldspruch mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nicht zu.
Da der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf bzw. Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Ablehnung eines Beweismittels Beweismittel Skizzen Audio-Visuelle Medien Beweismittel Urkunden Beweiswürdigung Wertung der BeweismittelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992030274.X00Im RIS seit
12.06.2001