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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des M in N, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. Juli 1992, Zl. 4.334.512/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120.-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG erlassenen, nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers, eines jugoslawischen Staatsangehörigen albanischer Nationalität, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 27. Februar 1992 ab und versagte dem Beschwerdeführer die Gewährung von Asyl.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Der Beschwerdeführer erachtet sich "in seinem Recht auf Feststellung bzw. Anerkennung seines Flüchtlingsstatus" verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Daß ein Asylwerber durch einen Bescheid wie den angefochtenen - entsprechend dem vom Beschwerdeführer bezeichneten Beschwerdepunkt gemäß § 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG - in seinem gesetzlich gewährleisteten Recht auf "Feststellung bzw. Anerkennung seines Flüchtlingsstatus" auch auf dem Boden des Asylgesetzes 1991 verletzt sein kann, hat der Verwaltungsgerichtshof zu einem ähnlich formulierten Beschwerdepunkt bereits in seinem Erkenntnis vom 14. Oktober 1992, Zl. 92/01/0834, dargetan.
Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 4. Februar 1992 ausgeführt, er sei seit 1981 mit 20 weiteren Personen im Rahmen der Nationalen Front der Kosovo-Albaner für eine eigene demokratische Republik tätig gewesen, wobei diese Gruppe Demonstrationen organisiert und versucht habe, die Landbevölkerung für sich zu gewinnen. Im Zuge des Eingreifens der Miliz bei solchen Demonstrationen sei es auch vorgekommen, daß Gesinnungsgenossen des Beschwerdeführers getötet worden seien. Im Jahre 1984 seien die Organisatoren der Nationalen Front - darunter auch der Beschwerdeführer - verhaftet und zu Haftstrafen von drei bis vierzehn Jahren verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe von der über ihn verhängten dreijährigen Freiheitsstrafe zwei Jahre in den Gefängnissen von Pristina und von Belgrad verbüßt und sei infolge einer Amnestie vorzeitig entlassen worden. Nach seiner Entlassung sei er ein "abgestempeltes Blatt" gewesen, habe keine Arbeit bekommen und daher "schwarz" arbeiten müssen, um seine Familie ernähren zu können. Auch nach der Haft sei der Beschwerdeführer für die Befreiung der Kosovo-Albaner und für eine eigene Republik aktiv gewesen. Er sei wegen Organisation bzw. Teilnahme an einer Demonstration am 18. und 19. November 1988 von der Miliz verhaftet und stundenlang verhört worden. Am 28. März 1989 habe er in seinem Heimatdorf eine Demonstration veranstaltet, bei der die Miliz drei Menschen getötet habe. Seit 1990 sei der Beschwerdeführer Mitglied der Demokratischen Union Kosovo und seit 1991 Kontaktmann der neu im Untergrund gebildeten Nationalen Front der Kosovo-Albaner, der viele frühere Mitglieder angehörten. Der Beschwerdeführer habe als Kontaktmann gewußt, wo Waffen und Personen "aufzutreiben" waren, die "griffbereit" gewesen wären. Die Serben hätten diese Organisation aufgegriffen und ab Mitte Dezember 1991 die Anführer - darunter auch einen Freund des Beschwerdeführers - sowie fast alle Mitglieder verhaftet und verurteilt. Auch Mitwisser und Helfer seien verhaftet worden bzw. würde nach ihnen gefahndet. Der Beschwerdeführer wisse bestimmt, daß auch nach ihm gefahndet werde, wobei er im Fall seiner Rückkehr mit einer Freiheitsstrafe von zehn bis fünfzehn Jahren zu rechnen habe.
In seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung hat der Beschwerdeführer diese Angaben im wesentlichen bekräftigt und ergänzend angeführt, er habe sich ab Anfang des Jahres 1992 bei Freunden verstecken müssen, weil seine Verhaftung unmittelbar bevor gestanden sei. Seine Frau habe ihm berichtet, daß in dieser Zeit die Miliz dreimal an seiner Wohnadresse nach ihm gesucht habe.
Die belangte Behörde hat die Abweisung des Asylantrages damit begründet, daß einerseits die Verurteilung im Jahre 1984 in keinem zeitlichen Naheverhältnis zur Ausreise des Beschwerdeführers stehe und daß andererseits Beschränkungen der Abhaltung und der Organisation von Demonstrationen sowie der Verbreitung antikommunistischen Materials alle Bewohner in gleichem Ausmaß träfen, wobei damit in Zusammenhang stehende polizeiliche Maßnahmen (Festnahmen und Befragungen) keine Verfolgungshandlungen darstellten. Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Verhaftungen und Verhöre stellten sich als verhältnismäßig kurze Beschränkungen der Bewegungsfreiheit bzw. als "Routinevorkommnisse" von geringer Eingriffsdauer dar, aus denen dem Beschwerdeführer keine weiteren Nachteile erwachsen seien. Auch hätten sich all diese Vorfälle mehrere Monate bzw. Jahre vor der Ausreise des Beschwerdeführers ereignet. Die geltend gemachte Festnahme von Mitgliedern der Nationalen Front der Kosovo-Albaner im Dezember 1991 lasse nicht den zwingenden Schluß zu, auch der Beschwerdeführer wäre davon bedroht gewesen. Soweit sich der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Tätigkeit für die letztgenannte Organisation kriminelle Handlungen habe zuschulden kommen lassen, könne die Furcht vor deswegen drohender staatlicher Verfolgung "einen Asylwerber nicht zum Flüchtling" machen. Daß die staatlichen Maßnahmen darauf abzielten, den Beschwerdeführer in seiner Gesinnung zu treffen, könne seinem Vorbringen nicht entnommen werden, obwohl es den Behörden, denen seine politischen Aktivitäten schon lange bekannt gewesen seien, ein Leichtes gewesen wäre, ihn Verfolgungshandlungen auszusetzen. Die Befürchtung des Beschwerdeführers, im Fall seiner Rückkehr mit einer langjährigen Freiheitsstrafe belegt zu werden, habe er nicht glaubhaft machen können und stelle sich als bloße Annahme dar.
Dem Vorbringen des Beschwerdeführers zufolge war ausschlaggebender Grund für das Verlassen seines Heimatlandes die ihm seiner Ansicht nach drohende Verhaftung wegen seiner Aktivitäten für die Nationale Front der Kosovo-Albaner, deren Anführer und überwiegender Teil der Mitglieder kurz vor seiner Ausreise verhaftet worden waren bzw. nach denen noch gefahndet wurde. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kann im Fall des Beschwerdeführers, dessen auch nach Beendigung seiner Freiheitsstrafe fortgeführte politische Betätigung für die albanische Minderheit und für eine eigenständige Republik Kosovo - wie die belangte Behörde selbst ausführt - den Behörden bekannt war und deretwegen der Beschwerdeführer ja auch 1988 neuerlich - wenn auch kurzzeitig - inhaftiert worden war, nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, seine Furcht, so wie die anderen Mitglieder der angeführten Organisation verhaftet und bestraft zu werden, könne nicht in Zusammenhang mit in der Flüchtlingskonvention aufgezählten Gründen gebracht werden. Die langjährigen, den Behörden bekannt gewordenen politischen Aktivitäten des Beschwerdeführers legen in Verbindung mit dem Umstand, daß der im Jahre 1991 wieder gegründeten Nationalen Front der Kosovo-Albaner größtenteils die Personen angehörten, die bereits 1984 wegen der Zugehörigkeit zur Vorgängerorganisation verurteilt worden waren, durchaus den Schluß nahe, daß die Behörden im Heimatland des Beschwerdeführers nunmehr im Zuge der Zerschlagung dieser neuerlich gebildeten Organisation bestrebt waren, auch seiner Person habhaft zu werden. Daß bei Verhören der bereits in Polizeigewahrsam befindlichen Mitglieder der Organisation auch nach dem Beschwerdeführer als bekanntem Mitglied der Vorgängerorganisation geforscht würde und daß hiebei sein Aufenthaltsort bekannt werden könnte, kann nicht von der Hand gewiesen werden. Auch kann entgegen der Ansicht der belangten Behörde die Befürchtung des Beschwerdeführers, es drohe ihm im Fall seiner Ergreifung bzw. seiner Rückkehr eine mehrjährige Freiheitsstrafe, nicht als bloße Annahme gewertet werden, weil er angesichts der politisch angespannten Lage im Kosovo und als "Wiederholungstäter" kaum mit einer zurückhaltenden Vorgangsweise der Behörden in seiner Heimat rechnen könnte.
Soweit die belangte Behörde die Fahndung nach dem Beschwerdeführer als Folge der Begehung eines "gemeinstrafrechtlichen" Deliktes - nämlich der Ansammlung von Kampfmitteln - gewertet hat, liegen dieser Wertung keine sich aus dem Akteninhalt ergebenden Feststellungen, die Anhaltspunkte für das Vorliegen eines kriminellen Verhaltens des Beschwerdeführers bieten könnten, zugrunde.
Die Abweisung des den Fluchtgrund der politischen Verfolgung in den Vordergrund stellenden Asylantrages des Beschwerdeführers steht sohin nicht im Einklang mit der Rechtslage. Der angefochtene Bescheid mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992010983.X00Im RIS seit
20.11.2000