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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
KOVG 1957 §1 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 29. Juli 1992, Zl. OB. 117-291777-007, betreffend Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die im Jahre 1923 geborene Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin. Sie stellte am 25. Februar 1991 beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland (LIA) den Antrag auf Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz (KOVG 1957). Sie habe sich vom 24. Dezember 1944 bis zum 6. August 1947 in russischer Kriegsgefangenschaft befunden und habe sich bei der dort zu leistenden Schwerarbeit bestimmte Gesundheitsschädigungen zugezogen. Im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens ergänzte die Beschwerdeführerin dazu, sie sei vor ihrer Gefangenschaft gesund gewesen und habe in ihrer jugoslawischen Heimat in der Landwirtschaft gearbeitet. Sie sei gefangen genommen und nach Rußland (Kohlengrube Stalinov) gebracht worden, weil sie einen deutschen Namen gehabt habe und weil sie auch Deutsche sei. Im September 1944 habe sich die Front in der Nähe ihrer Heimat befunden, weshalb sie wie viele andere geflohen sei und bis Weihnachten in einem Spital in Sombor gearbeitet habe. Die Partisanen hätten sie und viele andere Personen gefangen genommen und dann den Russen übergeben. Im Verfahren vor dem LIA wurde auch der Gatte der Beschwerdeführerin als Zeuge vernommen, ferner wurden Erhebungen über den Leidenszustand der Beschwerdeführerin und dessen Ursachen durchgeführt.
Mit Bescheid vom 21. Jänner 1992 wies das LIA den Antrag der Beschwerdeführerin auf Anerkennung der geltend gemachten Gesundheitsschädigungen als Dienstbeschädigungen und auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gemäß §§ 1, 2 und 4 KOVG 1957 ab. Dazu stellte das LIA auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens fest, die Beschwerdeführerin sei in der Zeit von September 1944 bis zum 25. Dezember 1944 freiwillig in dem damals Ungarn unterstehenden Krankenhaus Sombor tätig gewesen. Am 26. Dezember 1944 sei sie von Partisanen gefangen genommen und in ein Lager bei Stalinov (Rußland) gebracht worden. Weder die Tätigkeit im Krankenhaus noch eine Verschickung als Zwangsarbeiterin bzw. Anhaltung im Lager bei Stalinov stelle eine Verwicklung in militärische Handlungen oder eine militärische Maßnahme dar. Es fehlten daher die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Ansprüche der Beschwerdeführerin nach dem KOVG 1957.
Gegen diese Entscheidung brachte die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung vor, sie sei in X etwa 14 km von Sombor entfernt aufgewachsen und sei aus Angst vor Gewaltaktionen gegen deutschstämmige Personen nach Sombor geflohen, als sich die Front genähert habe. Sie sei jedoch von Partisanen aufgegriffen, den Russen übergeben und in ein Lager gebracht worden, was sicherlich eine Verwicklung in militärische Handlungen darstelle.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29. Juli 1992 gab die belangte Behörde dieser Berufung ohne weitere Ermittlungsschritte keine Folge. Die belangte Behörde habe die Berufungsangelegenheit geprüft und festgestellt, daß die Entscheidung des LIA den gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Die Beschwerdeführerin sei nicht dem Personenkreis zuzuzählen, der im Sinne der §§ 1 und 2 KOVG 1957 versorgungsberechtigt sei. Sie sei von September bis 25. Dezember 1944 freiwillig im Krankenhaus Sombor tätig gewesen und anschließend von Partisanen gefangengenommen, den Russen übergeben und in ein russisches Lager gebracht worden. Bei dieser Sachlage könne weder von militärischen Handlungen noch von einer militärischen Maßnahme gesprochen werden.
Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin die vorliegende Beschwerde eingebracht, in der sie Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Sie erachtet sich in ihrem Recht "auf richtige Anwendung der Bestimmungen des Kriegsopferversorgungsgesetzes" verletzt und beantragt (ohne Antrag auf Kostenzuspruch) die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht die Beschwerdeführerin geltend, die belangte Behörde habe nicht alle angebotenen Beweise aufgenommen und habe den Sachverhalt nicht vollständig festgestellt. Er erübrigt sich jedoch schon deshalb darauf weiter einzugehen, weil die belangte Behörde ohnedies von dem von der Beschwerdeführerin behaupteten und ihrem Anspruch auf Leistungen nach dem KOVG 1957 zugrunde gelegten Sachverhalt ausgegangen ist. Unbeachtlich ist auch der Hinweis der Beschwerdeführerin auf die angebliche positive Erledigung vergleichbarer Fälle durch die Versorgungsbehörden, weil derartige Erledigungen auf keinen Fall für die Vorgangsweise im Beschwerdefall bindende Wirkung entfalten konnten.
In rechtlicher Hinsicht ist die von den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unterschiedlich beantwortete Frage zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin ausgehend von dem festgestellten Sachverhalt nach dem KOVG 1957 dem Grunde nach versorgungsberechtigt ist oder nicht.
Bei der Beurteilung dieser Frage kommt dem Umstand, daß die Beschwerdeführerin erst Jahre nach dem schädigenden Ereignis die österreichische Staatsbürgerschaft erlangt hat (§ 3 KOVG 1957), keine ihrem Anspruch entgegenstehende Bedeutung zu (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 1960, Zl. 809/56, vom 21. Oktober 1974, Zl. 741/74, und vom 29. Oktober 1980, Zl. 2605/80).
Gemäß § 1 Abs. 1 KOVG 1957 ist versorgungsberechtigt, wer für die Republik Österreich, die vormalige österreichisch-ungarische Monarchie oder deren Verbündete oder nach dem 13. März 1938 als Soldat der ehemaligen deutschen Wehrmacht militärische Dienste geleistet und hiedurch oder durch die vormilitärische Ausbildung eine Gesundheitsschädigung (Dienstbeschädigung) erlitten hat. Hat das schädigende Ereignis den Tod verursacht, so sind die Hinterbliebenen versorgungsberechtigt. § 1 Abs. 2 KOVG 1957 stellt verschiedene näher umschriebene Personenkreise den nach Abs. 1 Versorgungsberechtigten gleich. Gemäß § 1 Abs. 3 KOVG 1957 stehen schließlich auch die Angehörigen der Kriegsgefangenen und Vermißten den Hinterbliebenen gleich.
Weder das Vorbringen der Beschwerdeführerin noch das Ermittlungsverfahren geben verwertbare Hinweise darauf, daß die Beschwerdeführerin unter eine der im § 1 KOVG 1957 genannten Personengruppen zu zählen wäre.
Nach dem ersten Satz des § 2 Abs. 1 KOVG 1957 wird aber auch eine Gesundheitsschädigung, die ohne Zusammenhang mit einem schädigenden Ereignis im Sinne des § 1 durch unverschuldete Verwicklung in militärische Handlungen oder durch unverschuldete Einwirkung von Waffen und sonstigen Kampfmitteln als Folge militärischer Maßnahmen eingetreten ist, wie eine Dienstbeschädigung entschädigt.
Die belangte Behörde hat in Übereinstimmung mit dem in erster Instanz eingeschrittenen LIA ausgeführt, weder die (freiwillige) Tätigkeit der Beschwerdeführerin im Krankenhaus in Sombor noch ihre Verschickung in das Lager bei Stalinov in Rußland habe eine "unverschuldete Verwicklung in militärische Handlungen" dargestellt. Dem kann der Verwaltungsgerichtshof nur hinsichtlich der - wenn auch bereits durch das Näherrücken der Front ausgelösten - Tätigkeit der Beschwerdeführerin im genannten Krankenhaus folgen. Aus dieser Tätigkeit leitet die Beschwerdeführerin aber ihre Ansprüche nicht ab, sie führt die nach dem KOVG 1957 geltend gemachten Gesundheitsschädigungen vielmehr ausschließlich auf die Folgen ihres Aufenthaltes in Stalinov zurück.
Bei dem festgestellten Sachverhalt kann kein Zweifel daran aufkommen, daß die Beschwerdeführerin in jene Ereignisse, die zu ihrer Verschickung nach Stalinov geführt haben, unverschuldet verwickelt worden ist. Fraglich kann nur sein, ob es sich dabei um eine Verwicklung in "militärische Handlungen" gehandelt hat. Dies könnte hinsichtlich der Gefangennahme der Beschwerdeführerin durch Partisanen zu Weihnachten 1944 in Zweifel gezogen werden, zumal Feststellungen darüber fehlen, ob die damals eingeschrittenen Partisanen als reguläre Truppen anzusehen waren oder nicht (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. März 1967, Zl. 1132/66 = Slg. 7100/A).
Als militärisch sind nur solche Handlungen und Maßnahmen zu
werten, die von einer Institution militärischen Charakters
vorgenommen werden (vgl. dazu die Erkenntnisse des
Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Juni 1954, Zl. 2669/51
= Slg. 3422/A, und vom 18. Juni 1959, Zl. 775/56
= Slg. 4998/A). Zu solchen Handlungen ist es im Beschwerdefall
offenbar spätestens mit der Übergabe der Gefangenen durch die Partisanen an "die Russen" gekommen, worunter nach den Gegebenheiten offenkundig nur die in der Zwischenzeit durch Frontverlegung herangerückten russischen Truppen, somit Institutionen militärischen Charakters, verstanden werden können. In der Übernahme der Beschwerdeführerin durch diese Truppen und in der hierauf erfolgten Verbringung der Beschwerdeführerin nach Stalinov ist somit jene Verwicklung in militärische Handlungen zu erblicken, aus der sich die Beschwerdeführerin nicht lösen konnte und deren gesundheitliche Spätfolgen sie nunmehr mit ihrem Antrag auf Versorgungsleistungen nach dem KOVG 1957 geltend macht (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. Juni 1959, Zl. 3004/58 = Slg. 4991/A).
Die belangte Behörde hat daher im angefochtenen Bescheid in Verkennung der Rechtslage die Anspruchsberechtigung der Beschwerdeführerin dem Grunde nach verneint, weshalb dieser Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben war. Ob und in welchem Ausmaß allenfalls die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Gesundheitsschädigungen kausal auf das schädigende Ereignis (Zwangsarbeit während der "Gefangenschaft" in Stalinov) zurückzuführen sind, konnte vom Verwaltungsgerichtshof mangels entsprechender Feststellungen im angefochtenen Bescheid noch keiner Prüfung unterzogen werden (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. September 1977, Zl. 82/77, und vom 29. Juni 1988, Zl. 87/09/0265, u.a.).
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992090304.X00Im RIS seit
11.07.2001