Index
L50004 Pflichtschule allgemeinbildend Oberösterreich;Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der Gemeinde N, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 13. Juli 1992, Zl. Bi-070499/1-1992-Re, betreffend Bewilligung des sprengelfremden Schulbesuches (mitbeteiligte Parteien: 1. RH und MH in N, 2. Gemeinde P), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit Bescheid vom 15. Juni 1992 gab die Bezirkshauptmannschaft Rohrbach dem Antrag der Erstmitbeteiligten als Erziehungsberechtigten ihrer schulpflichtigen Tochter JH, betreffend deren Umschulung von der Volksschule N in die sprengelfremde Volksschule P ab Beginn des Schuljahres 1992/93 gemäß § 47 Abs. 5 lit. b des O.ö. Pflichtschulorganisationsgesetzes 1992, Anlage zur Wiederverlautbarungskundmachung LGBl. für Oberösterreich Nr. 35 (im folgenden: Oö PflSchOrgG 1992), nicht statt. Die beantragte Umschulung wurde mit der Begründung versagt, daß die von den erstmitbeteiligten Parteien angeführten Gründe nicht geeignet seien, darzutun, daß die mit dem sprengelfremden Schulbesuch für die Schülerin verbundenen Vorteile die bei der Schulsprengelfestsetzung zu berücksichtigenden Interessen überwiegen.
Die Erstmitbeteiligten erhoben Berufung. Darin machten sie unter anderem geltend, es sei von der Behörde nicht berücksichtigt worden, daß das Kind im Falle der Umschulung die schwierige Phase des Schulstarts in vertrauter Umgebung beginnen könnte. Laut fachärztlichem Gutachten der Dr. U leide das Kind an "Neurodermatitis". Diese Krankheit verschlechtere sich durch Streß oder äußere Bedingungen. In der Volksschule P werde ab Herbst der Schulversuch "gemeinsame Führung der Kinder der Vorschulstufe mit Kindern der Grundstufe I" geführt; in diesem Schulversuchsmodell sei offenes Lernen Voraussetzung; Schulpsychologen sähen gerade in dieser Unterrichtsform eine Streßminderung. In der mit der Berufung vorgelegten "ärztlichen Bestätigung" der genannten Fachärztin für Dermatologie heißt es, die Patientin leide seit dem 3. Lebensjahr an Neurodermitis; aus ärztlicher Sicht würde es den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen, wenn das Kind in vertrauter Umgebung (Volksschule P) die Schullaufbahn begänne; eine zusätzliche psychische Belastung könne zu laufender Verschlechterung des Hautzustandes führen.
1.2. Mit Bescheid vom 13. Juli 1992 gab die Oberösterreichische Landesregierung dieser Berufung Folge und erteilte die Bewilligung zur Aufnahme der Schülerin in die Volksschule P. Nach der Begründung dieses Bescheides lägen die bei der Sprengelfestsetzung zu berücksichtigenden Interessen vor allem in einer ordnungsgemäßen und möglichst gleichmäßigen Zuweisung schulpflichtiger Kinder an die einzelnen Pflichtschulen der betreffenden Schulart. Besonders die Gewährleistung einer solchen Anzahl von Schülern, daß der Unterricht in einer möglichst hohen Organisationsform geführt werden könne, stelle ein gewichtiges öffentliches Interesse bei der Schulsprengelfestsetzung dar. Die dreiklassige Organisationsform der Volksschule der beschwerdeführenden Partei würde durch Genehmigungen von Umschulungen zunehmend in Gefahr geraten. Es werde nicht übersehen, daß durchaus berechtigte öffentliche Interessen daran gegeben seien, daß die Schülerin die sprengelmäßig zuständige Volksschule der beschwerdeführenden Gemeinde besuche, zumal auch der Schulweg für sie durchaus zumutbar wäre.
Andererseits sei den Erstmitbeteiligten zuzustimmen, wenn sie auf den mit dem sprengelfremden Schulbesuch verbundenen Vorteil der Aufsichtsmöglichkeit für ihr Kind verwiesen, wobei vor allem die Aufsicht über das Kind in der Früh in der Zeit von ca. 7.00 bis 8.00 Uhr nicht möglich wäre. Außerdem erscheine es der Berufungsbehörde nach der allgemeinen Lebenserfahrung durchaus einsichtig und von Vorteil zu sein, ein Kind die schwierige Phase des Schulstarts in vertrauter Umgebung beginnen zu lassen; dies umso mehr, wenn es wie hier an Neurodermitis leide, einer Krankheit, die sich bei der zusätzlichen psychischen Belastung verschlechtern könne.
Nach Abwägung sämtlicher zu berücksichtigenden Interessen gelange die Behörde zur Auffassung, daß die mit dem sprengelfremden Schulbesuch für die Schulpflichtige verbundenen Vorteile die bei der Sprengelfestsetzung zu berücksichtigenden Interessen überwögen.
1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. In der Beschwerde wird vorgebracht, der beschwerdeführenden Gemeinde sei im Berufungsverfahren keine Möglichkeit eingeräumt worden, zu dem neuen Vorbringen betreffend die Erkrankung des schulpflichtigen Kindes an Neurodermitis sowie zum vorgelegten fachärztlichen Gutachten Stellung zu nehmen. Andernfalls hätte die Gemeinde die Einholung eines ärztlichen Gutachtens zum Beweis dafür beantragt, daß es für das Kind wegen seiner Erkrankung sogar zweckdienlicher sei, die gemeindeeigene Schule zu besuchen und nicht einen jahrelangen Pendelverkehr in Kauf zu nehmen. Ebenso wäre ein schulpsychologisches Gutachten zum Beweis dafür zu beantragen gewesen, daß der behauptete Schulversuch keinerlei Vorteil für das Kind biete, sondern Nachteile und Probleme mit sich bringe. Im übrigen könne es einem volksschulpflichtigen Kind durchaus zugemutet werden, für eine knappe Stunde unbeaufsichtigt zu bleiben; sonstige Aufsichtsmöglichkeiten seien nicht geklärt worden.
Beaufsichtigungsprobleme sowie Probleme, die bei allen Pendlern auftreten könnten, seien keine besonderen Probleme, die bei der Interessenabwägung nach § 47 Oö PflSchOrgG 1992 zu berücksichtigen seien.
1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete ebenso wie die Erstmitbeteiligten eine Gegenschrift.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. § 47 Oö PflSchOrgG 1992 lautet auszugsweise:
"(1) Der Besuch einer öffentlichen Pflichtschule durch einen dem Schulsprengel nicht angehörigen Schulpflichtigen (sprengelfremder Schulbesuch) ist - sofern es sich nicht um eine öffentliche Berufsschule handelt und nicht Abs. 2 und 3 anzuwenden sind - nur auf Grund einer spätestens zwei Monate vor dem beabsichtigten sprengelfremden Schulbesuch bei der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Bereich die sprengelmäßig zuständige Schule liegt, zu beantragenden Bewilligung zulässig.
...
(4) Die Bewilligung nach Abs. 1 bzw. 3 ist zu versagen, wenn
1.
der gesetzliche Schulerhalter der um die Aufnahme ersuchten sprengelfremden Schule die Aufnahme des Schulpflichtigen verweigert,
2.
in der sprengelmäßig zuständigen Schule eine Klassenzusammenlegung eintreten würde oder eine gesetzlich festgelegte Klassenschülermindestzahl unterschritten würde oder
3.
der beabsichtigte Schulwechsel nicht mit dem Beginn des Schuljahres zusammenfällt; ausgenommen sind Fälle, in denen berücksichtigungswürdige Umstände vorliegen oder einem Schulpflichtigen (auch im Sinne des § 46 Abs. 3) der Beginn der nächstgelegenen Vorschulstufe ermöglicht wird.
(5) Die Bewilligung nach Abs. 1 bzw. 3 kann versagt werden, wenn
1.
in der um die Aufnahme ersuchten sprengelfremden Schule eine Klassenteilung eintreten würde oder
2.
die mit dem sprengelfremden Schulbesuch für den Schulpflichtigen verbundenen Vorteile die bei der Schulsprengelfestsetzung zu berücksichtigenden Interessen nicht überwiegen."
§ 53 Abs. 1 und 2 leg. cit. bestimmt:
"(1) Gastschulbeiträge sind Beiträge von Gebietskörperschaften, die im Sinne der Abs. 2 und 3 an einer öffentlichen Pflichtschule beteiligt sind, ohne daß ihr Gebiet zum Schulsprengel dieser Pflichtschule gehört.
(2) Besuchen Schüler die Schule in einem fremden Schulsprengel, so hat die Gemeinde, in der der Schüler seinen Wohnort hat, dem gesetzlichen Schulerhalter der gemäß § 47 um die Aufnahme ersuchten Schule einen Gastschulbeitrag zu leisten. Die Überwälzung der Gastschulbeiträge auf die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten von Schülern aus welchem Titel immer ist verboten."
Da es sich bei dem dieser Beschwerde zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren um einen Fall behördlicher Verfahren handelt, "die sich in Vollziehung dieses Landesgesetzes ergeben", kommt gemäß § 6 Abs. 1 Oö PflSchOrgG 1992 den gesetzlichen Schulerhaltern sowie den zu einem Schulsprengel gehörenden oder in sonstiger Weise an einer Schule beteiligten Gebietskörperschaften Parteistellung im Sinne des AVG 1991 zu. Dies gilt im vorliegenden Fall auch für die beschwerdeführende Gemeinde.
Gemäß Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges.
Unter Bedachtnahme auf die Regelung der Parteistellung im § 6 Abs. 1 Oö PflSchOrgG 1992 einerseits und wegen der im § 53 Abs. 2 leg. cit. normierten Verpflichtung der Gemeinde des Wohnortes des Schulpflichtigen zur Leistung von Gastschulbeiträgen an den gesetzlichen Schulerhalter der gemäß § 47 um die Aufnahme ersuchten Schule andererseits ist die Beschwerdelegitimation der beschwerdeführenden Gemeinde zu bejahen. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist die Beschwerde zulässig.
2.2. Die Beschwerde ist auch begründet.
Wie sich aus § 47 Abs. 5 Z. 2 Oö PflSchOrgG 1992 ergibt, kann die Bewilligung des sprengelfremden Schulbesuches nach Abs. 1 versagt werden, wenn die mit dem sprengelfremden Schulbesuch für den Schulpflichtigen verbundenen Vorteile die bei der Schulsprengelfestsetzung zu berücksichtigenden Interessen nicht überwiegen. Nur bei diesem Nichtüberwiegen ist der Behörde Ermessen - daß es sich um ein solches handelt, ergibt sich aus der Gegenüberstellung mit Abs. 4 - eingeräumt. Ergibt hingegen diese Interessenabwägung, daß die Vorteile für den Schüler die bei der Sprengelfestsetzung zu berücksichtigenden Interessen überwiegen, darf die Bewilligung nicht versagt werden.
In ihrer Interessenabwägung hat die belangte Behörde als Vorteile für die Schulpflichtige die bessere Aufsichtsmöglichkeit und den Umstand angeführt, ein Kind die schwierige Phase des Schulstarts in vertrauter Umgebung beginnen zu lassen; dies umso mehr, wenn es an Neurodermitis leide, einer Krankheit, die sich bei der zusätzlichen psychischen Belastung verschlechtern könne. Nur diese beiden Sachverhaltsmomente wurden in die Begründung der vorgenommenen Interessenabwägung aufgenommen. Sie bilden daher, zumal es auf ein Überwiegen der Vorteile für die Schulpflichtige ankommt, einen entscheidenden Bestandteil des Abwägungsvorganges. Der Verwaltungsgerichtshof vermag daher der Auffassung der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift nicht zu folgen, das vorgelegte fachärztliche Gutachten sei für die Entscheidung nicht ausschlaggebend gewesen. Baut aber die Interessenabwägung auf den wiedergegebenen Feststellungen auf, dann setzt dies voraus, daß diese auf Grund eines mängelfreien Verfahrens getroffen wurden.
Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Dieser Vorschrift wurde allerdings im Berufungsverfahren entgegen § 67 AVG nicht entsprochen. Der beschwerdeführenden Gemeinde wurde im Berufungsverfahren kein Parteiengehör gewährt, obwohl die mitbeteiligten Eltern des Kindes erstmals in der Berufung behauptet haben, daß das Kind an Neurodermitis leide und sich diese Krankheit durch Streß oder äußere Bedingungen verschlechtere, und zum Nachweis hiefür eine "ärztliche Bestätigung" mit dem oben wiedergegebenen Inhalt vorgelegt haben.
Infolge dieser Verletzung von Verfahrensvorschriften war es der beschwerdeführenden Gemeinde nicht möglich, den behaupteten Sachverhalt zu bestreiten und entsprechende Beweisanträge zu stellen.
2.3. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat.
Der angefochtene Bescheid war infolgedessen schon aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
2.5. Es wird darauf hingewiesen, daß die Beendigung des Beschwerdeverfahrens, für dessen Dauer die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt wird, einen Abspruch über diesen Antrag entbehrlich macht (vgl. z.B. den hg. Beschluß vom 6. September 1978, Zlen. 1902, 1903/78 = ZfVB 1979/2/513).
Schlagworte
Ermessen Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Grundsätzliches zur Parteistellung vor dem VwGH AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992100362.X00Im RIS seit
18.06.2001