TE Vwgh Erkenntnis 1993/4/27 92/08/0006

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Veröffentlicht am 27.04.1993
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §12 Abs3 litf;
AlVG 1977 §12 Abs4;
AlVG 1977 §12 Abs5;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landesarbeitsamtes Oberösterreich vom 20. November 1991, Zl. IVa-AlV-7022-O-B/3079 300367/Wels, betreffend Zuerkennung des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stand zuletzt vom 14. Mai 1990 bis 7. September 1990 in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis zur R. GesmbH als Elektrikerhelfer. Am 7. September 1990 beantragte er beim Arbeitsamt Wels die Zuerkennung von Arbeitslosengeld. Im Antrag gab er als Beruf "Müller" an und führte aus, daß er ab 12. September 1990 die Meisterschule für Lebensmitteltechnologie besuchen werde.

Mit Bescheid vom 10. September 1990 sprach das Arbeitsamt Wels aus, daß der Anspruch des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 10. September bis 12. September 1990 gemäß § 16 Abs. 1 lit. l AlVG wegen eines Anspruchs auf Urlaubsentschädigung ruhe.

Mit einem weiteren Bescheid vom 10. September 1990 gab die genannte Behörde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes ab 13. September 1990 gemäß § 7 Z. 1 in Verbindung mit § 12 AlVG mit der Begründung keine Folge, daß er die Meisterschule für Lebensmitteltechnologie besuche und daher kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. In ihr und in einem weiteren Schriftsatz während des Berufungsverfahrens brachte er vor, daß er gelernter Müllergeselle sei. Das derzeit herrschende Überangebot an Müllergesellen gebe ihm aber ohne Weiterbildung in seinem Beruf keine Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden, weshalb er bereits verschiedene andere längerdauernde Arbeitsversuche unternommen habe. Er möchte aber wiederum in einem Müllereibetrieb arbeiten. Mit der Meisterprüfung wäre dies möglich, da auf lange Sicht Bedarf an Müllermeistern bestehe.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG nicht statt. Begründet wird diese Entscheidung damit, daß es sich bei der Meisterschule, die der Beschwerdeführer besuche, um eine schultypische Ausbildung im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG handle, die grundsätzlich Arbeitslosigkeit ausschließe.

Berücksichtigungswürdige Umstände, die die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 12 Abs. 4 AlVG rechtfertigten, lägen nach Auffassung der belangten Behörde nicht vor. Die Gewährung einer Ausnahmegenehmigung nach § 12 Abs. 4 leg. cit. beim Besuch schulischer Ausbildungen sei nur zulässig, wenn durch den Besuch eine Saisonarbeitslosigkeit überbrückt werde oder wenn - bei anderen schulischen Ausbildungen - diese nebenberuflich besucht werden könnten. Letzteres sei nicht der Fall, weil der Beschwerdeführer als Schüler der Meisterschule für Müller während des gesamten Schuljahres dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehe (ganztägiger Unterricht, Anwesenheitspflicht). Da zweifelsfrei auch nicht von der Überbrückung einer Saisonarbeitslosigkeit ausgegangen werden könne, sei die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nicht zulässig. Arbeitsmarktpolitische Argumente für eine Anwendung des § 12 Abs. 4 AlVG seien ebenfalls nicht gegeben, weil der Beschwerdeführer sein letztes Dienstverhältnis kurz vor Beginn der Meisterschule beendet habe. Mangels Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gelte er während der Ausbildungsdauer nicht als arbeitslos und habe daher auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 12 Abs. 3 lit. f AlVG gilt insbesondere nicht als arbeitslos im Sinne der Absätze 1 und 2 leg. cit., wer in einer Schule oder einem geregelten Lehrgang - so als ordentlicher Hörer einer Hochschule, als Schüler einer Fachschule oder einer mittleren Lehranstalt - ausgebildet wird, oder, ohne daß ein Dienstverhältnis vorliegt, sich einer praktischen Ausbildung unterzieht. Nach § 12 Abs. 4 leg. cit. kann das Arbeitsamt von den Bestimmungen des Abs. 3 lit. f in berücksichtigungswürdigen Fällen Ausnahmen zulassen, insbesondere, wenn der Arbeitslose dem Studium oder der praktischen Ausbildung bereits während des Dienstverhältnisses, das der Arbeitslosigkeit unmittelbar vorangegangen ist, oblag.

Unstrittig ist, daß der Beschwerdeführer ab 12. September 1990 einen Ausbildungslehrgang besuchte, der den Tatbestand des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG erfüllte; er macht aber - im wesentlichen aus den schon im Berufungsverfahren vorgebrachten Gründen - geltend, daß auf ihn die Ausnahmebestimmung des § 12 Abs. 4 AlVG Anwendung zu finden gehabt habe.

Voraussetzung für eine positive Ausübung des den Arbeitsämtern in § 12 Abs. 4 AlVG eingeräumten Ermessens ist das Vorliegen eines in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilenden "berücksichtigungswürdigen Falles" (vgl. das Erkenntnis vom 8. Mai 1990, Zl. 90/08/0066). Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 19. Mai 1992, Zlen. 91/08/0188 und 91/08/0189, ausführlich dargelegt hat, ist die (auch von der belangten Behörde vertretene) Auffassung, eine Ausnahme nach § 12 Abs. 4 AlVG sei nur zur Überbrückung von Saisonarbeitslosigkeit bzw. bei einem nebenberuflichen Besuch eines Ausbildungslehrganges zulässig, rechtsirrig; danach kann vielmehr auch der Besuch eines Ausbildungslehrganges zum Zwecke der beruflichen (Höher-)Qualifikation des Arbeitslosen in Verbindung mit den Erfordernissen des Arbeitsmarktes einen berücksichtigungswürdigen Fall nach § 12 Abs. 4 AlVG darstellen.

Unter Bedachtnahme auf diese rechtlichen Grundsätze und das Vorbringen des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren hätte die belangte Behörde daher die individuelle Situation des Beschwerdeführers einerseits und die Lage auf dem Arbeitsmarkt für Müller, insbesondere die regionale Situation, andererseits zu würdigen und danach zu beurteilen gehabt, ob auf Grund dieser Prämissen ein berücksichtigungswürdiger Fall im Sinne des § 12 Abs. 4 AlVG vorlag.

Da die belangte Behörde, ausgehend vom obgenannten Rechtsirrtum, eine solche Prüfung nicht vorgenommen hat, war der angefochtene Bescheid, und zwar wegen bereits erfolgter Klärung der Rechtsfrage in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992080006.X00

Im RIS seit

18.10.2001

Zuletzt aktualisiert am

21.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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