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L92053 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Niederösterreich;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde der M in G, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 1. Oktober 1992, Zl. VII/1-F-36.695/2-92, betreffend Abweisung eines Antrages auf Hilfe zum Lebensunterhalt, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin (der nach der Aktenlage seit 1983 mit zeitlichen Abständen immer wieder Leistungen der Sozialhilfe als Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt worden sind) beantragte am 6. Juli 1992 bei der Bezirkshauptmannschaft neuerlich Hilfe zum Lebensunterhalt. Ein von der Behörde eingeholtes amtsärztliches Gutachten vom 15. Juli 1992 hat ergeben, daß die
Beschwerdeführerin als "Schneiderin, Helferin etc. ... voll
arbeitsfähig" sei.
Am 21. Juni 1992 teilte die Bezirkshauptmannschaft der Beschwerdeführerin mit, daß sie ein "Prüfungsverfahren durchgeführt" habe. Dabei sei festgestellt worden, daß die Beschwerdeführerin ihre Arbeitskraft nicht einsetze. Nach dem amtsärztlichen Gutachten sei sie als Schneiderin, Helferin, etc. voll arbeitsfähig. Innerhalb der nächsten zwei Wochen könne die Beschwerdeführerin dazu Stellung nehmen. Wenn sie keinen Einwand erhebe, würde sie über diesen Sachverhalt einen Bescheid erhalten.
Die Beschwerdeführerin erstattete keine Stellungnahme.
Mit Bescheid vom 6. August 1992 wies die Bezirkshauptmannschaft den Antrag der Beschwerdeführerin auf Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 10 des NÖ Sozialhilfegesetzes, LGBl. 9200, und des Abschnittes I der Verordnung der NÖ Landesregierung über Sozialhilfen, LGBl. 9200/1, ab. Begründend führte die Bezirkshauptmannschaft aus:
"Die Behörde darf "Hilfe zum Lebensunterhalt" nicht erteilen, wenn der Hilfesuchende seine Arbeitskraft nicht einsetzt. Sie sind laut Gutachten des Herrn Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom 15. Juni 1992 als Schneiderin, Helferin, etc., arbeitsfähig."
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, in der sie ausführte, in drei Wiener Pensionistenheimen gearbeitet zu haben, aber jeweils nach einem Monat Probezeit entlassen worden zu sein. Sie wohne in G im Haus der Gemeinde und bewohne ein Zimmer, wofür sie Miete von S 220,-- und für Strom S 600,-- bezahle. Sie sei "willig zum Arbeiten", verliere aber trotzdem die Arbeit. Vielleicht sei diese zu schwer oder zu anstrengend für sie. Sie müsse regelmäßig wegen der Gallensteine, dem Herz und dem Wechsel Medikamente nehmen. Sie verfüge über kein Einkommen und sei nicht versichert.
Die belangte Behörde hielt der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 3. September 1992 vor, daß sie den in ihrer Berufung erwähnten Beschäftigungen "in den letzten Jahren nachgegangen" sei, sie jedoch "im Jahr 1992 noch nicht
gearbeitet ... und somit ihre Arbeitskraft eingesetzt" habe.
Nach dem im Akt befindlichen Abfertigungsvermerk wurde dieses Schreiben am 9. September 1992 an die Beschwerdeführerin "mit RSb" abgefertigt (wobei sich der Rückschein nicht im Akt befindet). Die Beschwerdeführerin erstattete auch zu diesem Schreiben keine Stellungnahme.
Daraufhin erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid vom 1. Oktober 1992, mit welchem der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt wurde. Nach einer Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der von der belangten Behörde angewendeten Rechtsvorschriften wird darin begründend ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin nach dem amtsärztlichen Gutachten als "Schneiderin bzw. Helferin" voll arbeitsfähig sei und bei ihr keine ernstliche Erkrankung vorliege. Bezüglich ihres Einwandes, daß sie bereits in drei Pensionistenheimen gearbeitet habe, "werde mitgeteilt", daß sie diesen Beschäftigungen in den letzten Jahren nachgegangen sei, jedoch im Jahr 1992 noch nicht gearbeitet hätte bzw. arbeitssuchend gemeldet gewesen sei und somit nicht versucht habe, ihre Arbeitskraft einzusetzen. Dieser Sachverhalt sei der Beschwerdeführerin gemäß § 45 Abs. 3 AVG 1950 zur Kenntnis gebracht und ihr die Möglichkeit gegeben worden, dazu Stellung zu nehmen. Da sie davon keinen Gebrauch gemacht habe, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde hat - ebenso wie die Behörde erster Instanz - ihren Bescheid ausschließlich auf den Umstand gestützt, daß die Beschwerdeführerin ihre Arbeitskraft nicht eingesetzt habe.
§ 10 des Niederösterreichischen Sozialhilfegesetzes, LGBl. Nr. 9200, in der Fassung des Art. I Z. 5a der Novelle LGBl. 9200-5, lautet:
"(1) Bevor Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt wird, hat der Hilfesuchende seine Arbeitskraft einzusetzen.
(2) Der Einsatz der Arbeitskraft darf nicht verlangt werden, wenn dies dem Hilfesuchenden nicht zumutbar ist; hiebei ist auf sein Lebensalter, seine physischen und geistigen Kräfte und familiären Verhältnisse Bedacht zu nehmen. Eine Arbeit ist insbesondere nicht allein deshalb unzumutbar, weil
1. sie nicht einer früheren beruflichen Tätigkeit des Hilfesuchenden entspricht,
2. sie im Hinblick auf die Ausbildung des Hilfesuchenden als geringwertig anzusehen ist,
3. der Beschäftigungsort wom Wohnort des Hilfesuchenden weiter entfernt ist als ein früherer Beschäftigungs- oder Ausbildungsort,
4. die Arbeitsbedingungen ungünstiger sind als bei der bisherigen Beschäftigung des Hilfesuchenden."
Die Beschwerdeführerin macht in ihrer Beschwerde im wesentlichen geltend, daß die belangte Behörde nicht erhoben habe, inwieweit sie "sich auf andere Weise als durch Meldung als arbeitssuchend beim Arbeitsamt, eine Beschäftigung zu verschaffen" versucht habe, um ihre Arbeitskraft einzusetzen. Der Behörde sei bekannt, daß die Beschwerdeführerin bereits im Zeitraum August bis Dezember 1991 Sozialhilfe bezogen habe, dies unter anderem deshalb, weil sie aufgrund ihres Alters, ihres Gesundheitszustandes sowie ihrer Ausbildung nicht vermittelbar gewesen sei. Es existiere kein Erfahrungssatz dahingehend, daß sich seit dem Zeitpunkt der letztmaligen Gewährung von Lebensunterhalt die Arbeitsmarktsituation für eine Frau von 46 Jahren gebessert hätte, eher sei den täglichen Berichten über die Wirtschafts- und Beschäftigungslage in Österreich das Gegenteil zu entnehmen. Die Beschwerdeführerin sei daher von vornherein davon ausgegangen, daß die Suche nach einem Arbeitsplatz über Vermittlung des Arbeitsamtes ergebnislos sein müsse und habe diesen Weg als aussichtslos nicht beschritten. Sie habe vielmehr die Erfahrung gemacht, daß sie nur fallweise durch Entwicklung von Eigeninitiative zu Beschäftigungsmöglichkeiten, die allerdings nur kurzfristig gewährt hätten, gekommen sei.
Ungeachtet des - in der Gegenschrift der belangten Behörde mit Recht hervorgehobenen - Umstandes, daß die Beschwerdeführerin trotz gebotener Gelegenheit ein diesbezügliches Sachvorbringen im Verwaltungsverfahren nicht erstattet hat (weshalb ihre Verfahrensrüge insoweit abzulehnen wäre: vgl. u.a. das Erkenntnis vom 27. Februar 1990, Zl. 89/08/0036, mit weiteren Hinweisen auf die Vorjudikatur) ist die Beschwerde im Ergebnis insoweit berechtigt, als sie der belangten Behörde eine mangelhafte Ermittlungstätigkeit vorwirft:
Angesichts der Zeitraumbezogenheit von Bescheiden über die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht (vgl. dazu unter anderem das Erkenntnis vom 17. September 1991, Zlen. 91/08/0004, 0093) hatte die belangte Behörde die Rechts- und Sachlage ab dem Zeitpunkt der Antragstellung
(16. Juli 1992) zeitraumbezogen zu beurteilen. Betreffend die Bereitschaft der Beschwerdeführerin, ihre Arbeitskraft im Rahmen des nach § 10 SHG Zumutbaren einzusetzen, hätte die belangte Behörde daher die diesbezüglichen Verhältnisse ab dem 6. Juli 1992 feststellen müssen.
Den Verwaltungsakten kann eine Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde in dieser Richtung nicht entnommen werden. Der Vermerk "arbeitsscheu" im amtsärztlichen Sachverständigengutachten (womit der medizinische Sachverständige im übrigen die Grenzen seines Aufgabenbereiches überschritten hat) vermag eine solche Ermittlungstätigkeit jedenfalls nicht zu ersetzen.
Die Beschwerdeführerin hat im Verwaltungsverfahren zwar unbestritten gelassen, daß sie während der ersten Hälfte des Jahres 1992 weder einer Beschäftigung nachgegangen ist noch (beim Arbeitsamt) arbeitssuchend gemeldet war; dies gestattet jedoch noch keinen Schluß auf die mangelnde Arbeitswilligkeit der Beschwerdeführerin auch nach dem 6. Juli 1992, zumal diese auch in ihrer Berufung ausdrücklich behauptet bereit zu sein, ihre Arbeitskraft im Rahmen des ihr Zumutbaren einzusetzen.
Die belangte Behörde hätte daher der (rechtsunkundigen und unvertretenen) Beschwerdeführerin nicht nur die erwähnten Umstände vorhalten, sondern sie auch - gegebenenfalls - als Nachweis ihrer Arbeitswilligkeit zur Meldung beim Arbeitsamt bzw. zu näheren Darlegungen auffordern müssen, in welcher Weise die Beschwerdeführerin - ihrer Auffassung nach - ihre Arbeitswilligkeit in einem gewissen ZEITLICHEN ZUSAMMENHANG MIT DER ANTRAGSTELLUNG nach außen erkennbar zum Ausdruck gebracht hat.
Hätte die Beschwerdeführerin trotz einer solchen Aufforderung (und der gemäß § 13a AVG erforderlichen Belehrung über die Rechtsfolgen einer Untätigkeit der Beschwerdeführerin) keine Stellungnahme abgegeben und sich auch nicht arbeitssuchend gemeldet, so hätte die belangte Behörde schon deshalb mit Recht davon ausgehen können, daß die Beschwerdeführerin ihre Arbeitskraft nicht eingesetzt hat und dies auch weiterhin nicht beabsichtigt, d.h. nicht arbeitswillig ist; der Erklärung der Arbeitsbereitschaft in der Berufung käme bei einer solchen Sachlage keine Bedeutung mehr zu.
Da eine solcherart präzisierte Aufforderung an die Beschwerdeführerin nicht ergangen ist, durfte die belangte Behörde nicht von vornherein davon ausgehen, daß die Beschwerdeführerin zum Einsatz der eigenen Kräfte (im maßgebenden Zeitraum) nicht bereit sei; bei dieser Sachlage durfte sie aber die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt mangels (zureichendem) Einsatz der eigenen Kräfte nur unter der weiteren Voraussetzung (dennoch) versagen, daß die Beschwerdeführerin durch Vorsprache beim Arbeitsamt ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, einen (ihr im Sinne des § 10 Abs. 2 SHG zumutbaren) Arbeitsplatz zu finden, dessen Einkünfte sie in den Stand gesetzt hätten, (zumindest) den notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des § 9 Abs. 2 SHG zu bestreiten. Wenn nämlich ein solcher Kausalzusammenhang zwischen der Unterlassung der Vorsprache beim Arbeitsamt und der Fortdauer der Hilfebedürftigkeit bestünde, so könnte die Beschwerdeführerin Hilfe zum Lebensunterhalt auch dann nicht mit Erfolg vom Sozialhilfeträger beanspruchen, wenn sie von der Behörde zur Meldung an das Arbeitsamt (als zulässiges formales Mittel der Prüfung der Arbeitswilligkeit) nicht ausdrücklich aufgefordert worden ist. Eine solche Prüfung des Kausalzusammenhanges, wie er - soweit der Hilfebedürftige nicht von vornherein seine mangelnde Arbeitsbereitschaft zum Ausdruck bringt - nach dem offenkundigen Zweck der Vorschrift des § 10 SHG zu fordern ist, hat die belangte Behörde jedoch - wie die Beschwerdeführerin im Ergebnis zu Recht rügt - nicht vorgenommen.
Da das Verwaltungsverfahren insoweit ergänzungsbedürftig geblieben ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltSachverhalt Sachverhaltsfeststellung BeweislastSachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1993080019.X00Im RIS seit
13.07.2001Zuletzt aktualisiert am
03.10.2018