Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASVG §4 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Herberth, Dr. Knell, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde der G in USA, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 3. Juli 1991, Zl. MA 14-B 7/90, betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1) zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 13. Juli 1989 lehnte die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten die von der Beschwerdeführerin beantragte Begünstigung für die Zeit vom 4. März 1933 bis 31. März 1959 ab, weil die Beschwerdeführerin weder vor noch nach dem 1. Juli 1927 bis zur Emigration Beitrags- oder Ersatzzeiten aufzuweisen habe und sie auch nicht aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß hatte, vor der Schädigung keine Beitrags- oder Ersatzzeiten zurückgelegt habe; vielmehr habe die Beschwerdeführerin eine Beschäftigung ausgeübt, welche keine Versicherungszeiten nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) darstellten.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Einspruch, in welchem auf die (sich in Rechtsdarlegungen erschöpfenden) Ausführungen im Schreiben ihres Rechtsvertreters vom 7. Juli 1989 verwiesen wurde.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Einspruch der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet ab und bestätigte den Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt. Nach Zitierung der in Anwendung gebrachten gesetzlichen Bestimmungen stellte die belangte Behörde aufgrund der Aktenlage fest, daß die Beschwerdeführerin nach dem gesetzlichen Stichtag 1. Juli 1927 bis zur Emigration keine Beitragszeiten gemäß § 226 ASVG bzw. Ersatzzeiten gemäß §§ 228, 229 leg. cit. in der Pensionsversicherung der Angestellten zurückgelegt habe, allerdings sowohl die Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zu dem im § 500 ASVG genannten Personenkreis als auch die Tatsache, daß die Begünstigungswerberin am 12. März 1938 den Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich gehabt habe, unbestritten sei. Nach eigenen Angaben habe die am 16. März 1921 geborene Beschwerdeführerin nach Beendigung der Schule in der Zeit von 1935 bis 1938 im Fleischladen S in Wien als Geschäftshilfe gearbeitet und außerdem Aushilfsarbeit bei H in Wien geleistet. Laut den am 7. April 1987 vom Österreichischen Generalkonsulat in Los Angeles und am 21. Oktober 1987 vom Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 12, ausgestellten Bescheinigungen gemäß § 506 Abs. 3 ASVG sei die Beschwerdeführerin aus religiösen Gründen bzw. aus Gründen der Abstammung in der Zeit von November 1938 bis November 1939 in Wien und von November 1939 bis Juni oder Juli 1940 in New York arbeitslos sowie in der Zeit vom 23. November 1939 bis nach dem gesetzlichen Stichtag 31. März 1959 in den USA emigriert gewesen. Da die Beschwerdeführerin nach eigener Aussage in der Zeit von 1935 bis 1938 lediglich Aushilfsarbeiten geleistet habe, habe sie keine Ersatzzeiten gemäß § 229 Abs. 1 Z. 2 ASVG in der Pensionsversicherung der Angestellten erworben. Sie meine jedoch, daß die Voraussetzung der 44. bzw. 48. Novelle zum ASVG vorlägen. § 502 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 4 ASVG sei jedoch im Gegenstande nicht anwendbar, weil die Beschwerdeführerin nicht in der Zeit vom 12. März 1938 bis 9. Mai 1945, sondern bereits am 16. März 1936 das 15. Lebensjahr vollendet habe. Es treffe auch nicht zu, daß die Beschwerdeführerin aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß hatte, nicht in der Lage gewesen wäre, vor der Auswanderung Beitrags- oder Ersatzzeiten der in § 502 Abs. 6 ASVG genannten Art zu erwerben. Sie hätte vielmehr vor der verfolgungsbedingten Auswanderung in der Zeit, in der sie nach eigenen Angaben Aushilfsarbeiten im Fleischladen S sowie bei H geleistet habe, Beitrags- oder Ersatzzeiten zurücklegen können. Ebenso könne § 502 Abs. 1 letzter Satz ASVG nicht zur Anwendung gelangen, da den Zeiten der Auswanderung weder Beitrags- noch Ersatzzeiten vorangehen noch nachfolgen. Es sei damit keiner der begünstigungsfähigen Tatbestände erfüllt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. In der Beschwerde wird die Auffassung vertreten, den damals in Geltung gestandenen Rechtsvorschriften sei eine Ausnahme von der Versicherungspflicht für "Aushilfsarbeiten" fremd gewesen. Es sei daher rechtswidrig, wenn die belangte Behörde meine, die Beschwerdeführerin habe keine Ersatzzeiten aufzuweisen, weil sie in der fraglichen Zeit lediglich Aushilfsarbeiten geleistet habe. Ausgehend von dieser unzutreffenden Rechtsauffassung habe die belangte Behörde sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob auf die "Aushilfsarbeiten" der Beschwerdeführerin, vor allem als Kassierin im Fleischladen von S, die von der verwaltungsgerichtlichen Judikatur dafür aufgestellten Kriterien zuträfen, insbesondere, ob sie in persönlicher Abhängigkeit beschäftigt gewesen sei. Daß die Arbeit als Kassierin eine Tätigkeit sei, die grundsätzlich dem Angestelltengesetz unterliegen könnte, bedürfe keines weiteren Beweises. Über die damit inhaltliche Rechtswidrigkeit hinaus, habe aber die belangte Behörde nicht geklärt, was die Beschwerdeführerin unter "Aushilfsarbeiten" verstanden habe. Die Beschwerdeführerin habe den Begriff der Aushilfsarbeiten vielmehr so verstanden, daß sie nicht immer die gleiche Arbeit im Fleischerladen ihrer Schwiegereltern verrichtet habe, sondern - abgesehen von der ständigen Kassiertätigkeit - verschiedene andere Arbeiten, und zwar dort, wo gerade Arbeit benötigt worden sei. Diese - vom Zeitaufwand her untergeordnete - sonstige Aushilfstätigkeit habe sämtliche Tätigkeiten umfaßt, wie sie in einem Fleischgeschäft üblicherweise vorkämen. "Aushilfsarbeiten" sei insbesondere nicht so zu verstehen, daß die Beschwerdeführerin etwa nur fallweise, das heißt, nach eigenem Gutdünken einer Beschäftigung nachgegangen sei oder während der Beschäftigung kommen und gehen hätte können, wann sie wollte. Sie sei vielmehr hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitsordnung weisungsgebunden gewesen. Damit aber habe sich die belangte Behörde in keiner Weise auseinandergesetzt. Hierin sehe die Beschwerdeführerin eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften.
Sowohl die belangte Behörde als auch die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten erstatteten Gegenschriften, in denen sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragen. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 502 Abs. 4 erster Satz ASVG können Personen, die in der in § 500 angeführten Zeit aus einem der dort angeführten Gründe ausgewandert sind und die vorher in der Zeit seit dem 1. Juli 1927 Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß §§ 228 oder 229 oder Zeiten nach dem Auslandsrentenübernahmegesetz zurückgelegt haben, für die Zeiten der Auswanderung, längstens aber für die Zeit bis 31. März 1959, Beiträge nachentrichten.
Gemäß § 502 Abs. 1 letzter Satz gelten Zeiten der Auswanderung gemäß Abs. 4 bis 31. März 1959 ab Vollendung des 15. Lebensjahres der in Betracht kommenden Personen als Ersatzzeiten, wenn ihnen eine Beitrags- oder Ersatzzeit vorangeht oder nachfolgt und zwar in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitrags- oder Ersatzzeit vorliegt bzw. beim Fehlen einer solchen in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die erste nachfolgende Beitrags- oder Ersatzzeit vorliegt.
Nach § 502 Abs. 6 ASVG gelten Abs. 1 und 4 leg. cit. auch für Personen, die vor der Haft, Strafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit, Ausbürgerung und Auswanderung aus Gründen, auf die der (die) Betreffende keinen Einfluß hatte, keine Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß §§ 228 und 229 zurückgelegt haben, sofern der (die) Betreffende am 12. März 1938 seinen (ihren) Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte und, in den Fällen des Abs. 4, in der Zeit vom 12. März 1938 bis 9. Mai 1945 das 15. Lebensjahr vollendet hat. Eine solche Nachentrichtung, soweit sie für die Zeiten der Auswanderung erfolgt, ist unbeschadet des Abs. 1 letzter Satz frühestens für Zeiten nach der Vollendung des 15. Lebensjahres der in Betracht kommenden Person zulässig.
Gemäß § 229 Abs. 1 Z. 2 lit. a ASVG gelten als Ersatzzeiten aus der Zeit vor dem 1. Jänner 1956 in der Pensionsversicherung der Angestellten die vor dem 1. Jänner 1939 und nach Vollendung des 15. Lebensjahres gelegenen Zeiten einer Beschäftigung als Angestellter, während derer nach dem Stand der Vorschriften vom 31. Dezember 1938, abgesehen von der Vorschrift über das Mindestalter von 17 Jahren und der Ausnahme der Lehrlinge von der Versicherungspflicht, die Pflichtversicherung in der Angestellten(Pensions)versicherung begründet wurde, soweit sie nicht schon als Beitragszeiten zählen.
Die Frage der Versicherungspflicht einer Tätigkeit (auch nach den 1938 geltenden Rechtsvorschriften) ist eine Rechtsfrage, deren Beantwortung aber dezidierte Feststellungen über die konkrete Beschäftigung der Beschwerdeführerin in dem hier maßgeblichen Zeitraum bedarf. Die Einschränkung, daß die Tätigkeiten der Beschwerdeführerin bloß "aushilfsweise" oder als "Geschäftshilfe" verrichtet wurden, ist allein nicht aussagekräftig.
Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob die entsprechenden Sachverhaltsgrundlagen von der Behörde amtswegig, das heißt ohne präzise diesbezügliche Behauptungen der Beschwerdeführerin hätten erhoben werden müssen.
Im Verfahren vor den Verwaltungsbehörden gelten gemäß § 39 Abs. 2, § 45 Abs. 3 AVG das Prinzip der Amtswegigkeit sowie der Grundsatz des Parteiengehörs. Das Offizialprinzip verpflichtet die Behörde, den für die Entscheidungen maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen festzustellen. Sie bestimmt daher den Gang des Verfahrens, das heißt, daß der Ablauf des Verwaltungsverfahrens nach Geltendmachung des Anspruches grundsätzlich der Disposition der Partei entzogen ist, sodaß es der Behörde obliegt, Erhebungen, die zur Klärung des Sachverhaltes benötigt werden, durchzuführen (vgl. auch hg. Erkenntnis vom 12. Jänner 1961, Slg. 5466/A). Dabei erstreckt sich die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes auf die Ermittlung aller unter dem Gesichtspunkt der anzuwendenden Rechtsvorschriften im konkreten Fall in Betracht kommenden Tatsachen und deren Erhärtung durch Beweise (vgl. hg. Erkenntnis vom 28. September 1978, Zl. 1158/77). Allerdings trifft auch die anspruchstellende Partei eine Mitwirkungspflicht. Dort, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden, ist die Mitwirkungspflicht der Partei bedeutsam, was bei jenen in der Person des Betreffenden gelegenen Voraussetzungen der Fall sein wird, deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann, doch ist es Aufgabe der Behörde, der Partei mitzuteilen, welche personsbezogenen Daten zur Begründung des geltend gemachten Anspruches noch benötigt werden und sie aufzufordern, für ihre Angaben Beweise anzubieten. Erst die nichtgehörige Mitwirkung unterliegt sodann der freien Beweiswürdigung (vgl. auch hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 1987, Zl. 86/11/0044).
Die belangte Behörde hat zwar das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses verneint, aber konkrete Feststellungen diesbezüglich nicht getroffen, wozu sie aber verpflichtet gewesen wäre, weil sie diese Frage selbst (d.h. ohne entsprechende Rüge im Einspruch) von Amts wegen aufgegriffen hat. Es genügte daher nicht, daß sie die konkrete Sachverhalte beinhaltende Stellungnahme der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt vom 22. Jänner 1990 bloß mit dem Ersuchen, "hiezu innerhalb von zwei Monaten ab Zustellung schriftlich Stellung zu nehmen", übermittelt hat, sondern sie hätte die Beschwerdeführerin konkret zu den darin enthaltenen Behauptungen befragen müssen, damit diese im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht hätte darlegen können, worin die von ihr behaupteten Aushilfstätigkeiten konkrete bestanden haben.
Wegen dieser Verletzung von Verfahrensvorschriften war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
AllgemeinSachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtBegründungspflicht Manuduktionspflicht MitwirkungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1991080123.X00Im RIS seit
27.11.2000Zuletzt aktualisiert am
24.01.2011