TE Vwgh Erkenntnis 1993/5/11 92/08/0227

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Veröffentlicht am 11.05.1993
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;
68/02 Sonstiges Sozialrecht;

Norm

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AMFG §19 Abs1 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt, W, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 11. August 1992, Zl. IVb/7022/7100 B, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe gemäß § 10 AlVG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtwidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Nach der (insoweit vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen) Aktenlage steht er seit 1979 mit kurzen Unterbrechungen im Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.

Mit Schreiben des Arbeitsamtes Angestellte vom 17. Jänner 1992 wurde dem Beschwerdeführer folgendes mitgeteilt:

"Betrifft: Arbeitsmarktausbildung gemäß § 26/1 AMFG

RESSOURCENPOOL

von 01.01.92 bis 31.12.92 (SDG-Nr: 14692)

Durchführung: BFI - Wien

Sehr geehrter Herr B

Wenn Sie an obg. Kurs Interesse haben, bewerben Sie sich bitte

direkt beim Berufsförderungsinstitut.

VORBESPRECHUNGSTERMINE: jeden Freitag zw. 8.30 Uhr und

                        11.30 Uhr

KURSORT:                Berufsförderungsinstitut

                        (Adresse)

Bringen Sie dieses Einladungsschreiben mit (tel. Voranmeldung ist nicht notwendig).

Wir danken für Ihr Interesse und wünschen Ihnen einen guten

Ausbildungserfolg.

Mit freundlichen Grüßen"

Mit Schreiben vom 20. Jänner 1992 teilte das Berufsförderungsinstitut Wien (BFI) dem Arbeitsamt Angestellte folgendes mit:

"Wir danken Ihnen für die Zuweisung (des Beschwerdeführers), müssen Ihnen jedoch mitteilen, daß er aufgrund seines aggressiven Verhaltens in seinem Vorstellungsgespräch am 17. 1. 1992 NICHT in den Ressourcenpool aufgenommen werden kann.

Mit freundlichen Grüßen"

Nach einer mit dem Beschwerdeführer am 5. Februar 1992 aufgenommenen Niederschrift erklärte dieser "zur Nichtannahme der Nach(Um)schulung", die ihm am 17. Jänner 1992 mit Beginn 3. Februar 1992 angeboten worden sei, es sei ihm gesagt worden, daß der Kurs nicht das Richtige für ihn sei. Er habe sich daraufhin "per Handschlag in aller Freundlichkeit von diesen Leuten verabschiedet." Zum Schreiben des BFI vom 20. Jänner 1992 erklärte er, dieses Schreiben sei eine grobe Unterstellung; aggressives Verhalten sei eine "große Sauerei". Von einer Vereitelung könne überhaupt keine Rede sein.

In dem vom Arbeitsamt ausgefüllten Teil des Protokolls über die Niederschrift heißt es zur Rubrik "Beschreibung der angebotenen Beschäftigung":

"Das Trainingsprogramm "Ressourcenpool" bietet arbeitslos gemeldeten Personen die Möglichkeit, ihre Chance auf einen Arbeitsplatz erheblich zu vergrößern. Sie erhalten wertvolle Tips für eine erfolgreiche Bewerbung. Die Teilnahme endet mit einer Anstellung an einem geeigneten Arbeitsplatz oder aber nach maximal acht Wochen."

Mit Bescheid vom 9. März 1992 sprach das Arbeitsamt Versicherungsdienste Wien aus, daß der Beschwerdeführer den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 in Verbindung mit § 10 AlVG für die Zeit vom 3. Februar bis 1. März 1992 verloren habe; Nachsicht werde nicht erteilt. Begründend wurde ausgeführt, daß der Beschwerdeführer die Annahme einer vom Arbeitsamt zugewiesenen Nach(Um)schulung "nicht angenommen" (gemeint: vereitelt) habe; berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.

In der dagegen erhobenen Berufung wandte der Beschwerdeführer ein, daß von einer "Nichtannahme" überhaupt keine Rede sein könne. Vielmehr sei eine näher bezeichnete Angestellte des BFI der Meinung gewesen, "diese besagte Nach(Um)schulung, was auch immer, der genaue Zweck dieses "Kurses" ist erst im Licht dieses Bescheides erkennbar, wäre nicht das Richtige für mich." Der Vorwurf, er habe aggressives Verhalten gezeigt, stelle eine für ihn nicht hinzunehmende Beleidigung dar. In einer mit dem Beschwerdeführer am 8. Juli 1992 aufgenommenen Niederschrift erklärte er, er möchte sich zum Vorwurf, er hätte "aggressives Verhalten" an den Tag gelegt, "als einzelner nicht äußern." Im übrigen vertrete er die Auffassung, daß "eure Sperre aufgrund solcher Kursangebote nicht möglich sei."

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge, bestätigte den bekämpften Bescheid und sprach aus, daß eine Nachsicht gemäß § 10 Abs. 2 AlVG nicht gewährt werde. Begründet wird diese Entscheidung damit, daß die von der Kursleitung (des BFI) vorgebrachte Stellungnahme, der Beschwerdeführer sei wegen seines aggressiven Verhaltens nicht in den Kurs aufgenommen worden, als erwiesen angenommen werde. Diese Behauptung habe er weder in seiner Berufung entkräften können noch scheine er dies anläßlich seiner persönlichen Vorsprache (am 8. Juli 1992) dementieren zu wollen, weil er sich dazu "als einzelner nicht äußern" habe wollen. Verstärkt werde der Eindruck dadurch, daß der Beschwerdeführer bereits seit vielen Jahren im Bezug der Notstandshilfe stehe, sein letztes Dienstverhältnis im Jahre 1983 begründet worden sei und nicht zuletzt deshalb, weil sich der Beschwerdeführer geweigert habe, die mit ihm im Berufungsverfahren aufgenommene Niederschrift vom 8. Juli 1992 zu unterschreiben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde. Darin bestreitet der Beschwerdeführer unter anderem, daß der am 3. Februar 1992 beginnende Kurs, den er hätte besuchen sollen, eine "Nach(Um)schulung" im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG beinhaltet hätte. Dieser Kurs hätte nämlich nach den Unterlagen des BFI dazu gedient, den Teilnehmern "Firmeninformation und Adressenmaterial" zur Verfügung zu stellen, aus den von ihnen "branchenbezogene Bewerbungsschreiben ... für einzelne Teilnehmer erarbeitet" werden sollten.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift. Darin verteidigt sie ihre dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Rechtsauffassung über den Inhalt des in § 10 Abs. 1 AlVG verwendeten Begriffes "Nach(Um)schulung" wie folgt:

Im AlVG selbst werde dieser Begriff nicht näher definiert. Es könne sich hiebei primär jedoch nur um solche "Schulungen" handeln, wie sie das Arbeitsmarktförderungsgesetz (AMFG)zur Förderung der Erlangung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen oder zur Sicherung einer Beschäftigung vorsehe. Das Spektrum dieser Maßnahmen sei breit gestreut und solle letztlich eine arbeitsmarktorientierte Ausbildung bieten, wobei davon sowohl Veranstaltungen umfaßt seien, die auf die Arbeitsaufnahme im allgemeinen vorbereiteten, als auch ganz spezifische, die auf einen bestimmten Arbeitsplatz abzielten. Gerade Langzeitarbeitslosen, die vielfach nicht nur den Anschluß an die Fortentwicklung der fachlichen Anforderungen ihres Berufes, sondern zunehmend auch die psychische Fähigkeit und Motivation zur Arbeit verlören, würden auf ihre speziellen Probleme abgestimmte Ausbildungen angeboten. Genauer definiert würden diese Maßnahmen in § 19 AMFG, der auch die Arbeitserprobung, die Berufsvorbereitung und das Arbeitstraining ausdrücklich nenne. Eine solche Maßnahme werde gemäß § 35 Abs. 2 AMFG nur dann gewährt, "wenn ihre Gewährug volkswirtschaftlich nützlich und im öffentlichen Interesse gelegen ist." Aus dem Zusammenhalt dieser Bestimmungen sei ersichtlich, daß der Begriff "Nach(Um)schulung" des § 10 Abs. 1 AlVG die in den §§ 19 ff AMFG genannten Maßnahmen umfasse. Die vorliegende Schulungsmaßnahme "Ressourcenpool" beinhalte Hilfestellungen bei einer aktiven Arbeitssuche, sie biete Arbeitslosen die Möglichkeit, unter Anleitung von geschulten Trainern intensive Arbeitssuche unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Methoden und Bewerbungstechniken zu betreiben, sowie die Informationsbeschaffung über Arbeitsplätze, die nicht öffentlich ausgeschrieben seien. Da sich die Vermittlung des nunmehr 42-jährigen, seit über 13 Jahren im Leistungsbezug stehenden Beschwerdeführers schwierig gestalte, habe die vorliegende Schulungsmaßnahme dem Beschwerdeführer dazu verhelfen sollen, den Zustand seiner über 10-jährigen Beschäftigungslosikgeit zu beenden. Aus diesen Gründen erscheine die Rechtsansicht der belangten Behörde nicht verfehlt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 9 AlVG ist arbeitswillig, wer unter anderem bereit ist, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- und umschulen zu lassen.

Gemäß § 10 Abs. 1 AlVG verliert der Arbeitslose für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden vier Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn er sich unter anderem ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen, oder durch sein Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt.

Der mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Verlust des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Notstandshilfe für die Dauer von vier Wochen setzt daher gemäß § 10 Abs. 1 in Verbindung mit § 38 AlVG voraus, daß es sich bei der Schulungsmaßnahme, an der der Beschwerdeführer ab 3. Februar 1992 teilnehmen sollte, um eine Maßnahme der "Nach(Um)schulung" im Sinne der §§ 9 Abs. 1 und 10 Abs. 1 AlVG gehandelt hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 30. März 1993, Zlen. 92/08/0216, 0267, 93/08/0005, ausführlich dargestellt hat, sind unter einer Nach(Um)schulung nicht Maßnahmen zu verstehen, die der Wiedereingliederung arbeitsentwöhnter Personen in den Arbeitsmarkt dienen, sondern nur solche Maßnahmen, die entweder der Umstellung auf eine andere berufliche Tätigkeit (um mit dieser Tätigkeit ein weiteres Verweisungsfeld für den Arbeitslosen herzustellen) oder der Auffrischung von Kenntnissen im erlernten (allenfalls auch im früher ausgeübten) Beruf dienen. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Die Schulungsmaßnahme, die für den Beschwerdeführer ab 3. Februar 1992 in Aussicht genommen war, bestand nach dem Beschwerdevorbringen in der Verfassung branchenbezogener Bewerbungsschreiben aus zur Verfügung gestellten Firmeninformationen und diesbezüglichem Adressenmaterial. Die belangte Behörde ist dieser Kennzeichnung des Inhalts der Schulungsmaßnahme in der Gegenschrift nicht entgegengetreten; sie deckt sich im Ergebnis auch mit der im Anschluß an die Niederschrift vom 5. Februar 1992 von einem Bediensteten des Arbeitsamtes Angestellte verfaßten Beschreibung der in Aussicht genommenen Schulung im Rahmen des Trainingsprogrammes "Ressourcenpool". Diese Schulung ist aber unter Bedachtnahme auf die rechtlichen Ausführungen im zitierten Erkenntnis vom 30. März 1993 nicht als Nach- bzw. Umschulung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren. Das hat zur Konsequenz, daß das von der belangten Behörde festgestellte Verhalten des Beschwerdeführers im BFI schon mangels Qualifizierung der in Aussicht genommenen Schulungsmaßnahme als Nach(Um)schulung keinen Verlust seines Anspruches auf Notstandshilfe für die angeführte Zeit bewirken konnte.

Da die belangte Behörde in der Gegenschrift ausdrücklich zugestanden hat, daß dem angefochtenen Bescheid die gegenteilige Rechtsauffassung zugrunde liege, war der angefochtene Bescheid - trotz Fehlens einer ausdrücklichen Darlegung dieser Rechtsauffassung in der Begründung des angefochtenen Bescheides - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG, und zwar, da die Rechtsfrage durch die bisherige Rechtsprechung geklärt ist, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat, aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Das Kostenmehrbegehren auf Ersatz von Stempelgebühren war im Hinblick darauf abzuweisen, daß der Beschwerdeführer zufolge Gewährung der Verfahrenshilfe von der Entrichtung der Stempelgebühren befreit wurde.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992080227.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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