TE Vwgh Erkenntnis 1993/5/17 92/10/0117

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Veröffentlicht am 17.05.1993
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
82/04 Apotheken Arzneimittel;

Norm

ApG 1907 §10 Abs1 idF 1990/362;
ApG 1907 §10 Abs2 idF 1990/362;
ApG 1907 §10 Abs3 idF 1990/362;
AVG §58 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde 1. des G und

2. des M, beide in S, beide vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Q, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz vom 9. März 1992, Zl. 262.182/4-II/A/4/92, betreffend Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke in S (mitbeteiligte Partei: Mag. pharm. X in L, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz) hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 11.470,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 5. Juni 1991 wurde der Antrag des Mitbeteiligten auf Erteilung einer Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke in S, mit dem Standort der Marktgemeinde S, gemäß den §§ 10 und 51 des Apothekengesetzes, RGBl. Nr. 5/1907 in der Fassung BGBl. Nr. 362/1990 (im folgenden: ApG), abgewiesen. Zur Frage des Bedarfes an der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke wurde in der Begründung dieses Bescheides im wesentlichen ausgeführt, im Umkreis von 4 Straßenkilometern von der voraussichtlichen Betriebsstätte dieser Apotheke befänden sich maximal 2.378 ständige Einwohner, wobei 378 dem Ortsteil R in der Gemeinde G und 2.000 der Marktgemeinde S zuzurechnen seien. Da somit die gesetzlich geforderte Mindestzahl von aus der neuen Apotheke zu versorgenden Personen von 5.500 im Sinne des § 10 Abs. 3 ApG durch die primär relevanten ständigen Einwohner nicht erreicht werde, seien ergänzende Erhebungen hinsichtlich der aufgrund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen sowie des Verkehrs in diesem Gebiet zusätzlich zu versorgenden Personen erforderlich gewesen. Da es sich bei S um ein ausgesprochenes Fremdenverkehrszentrum handle, seien die Fremdennächtigungen auch bei der Bedarfsprüfung zu berücksichtigen. Die Jahresnächtigungszahlen des Fremdenverkehrsjahres 1990 hätten in S ca. 408.000 betragen. Die Umrechnung der Jahresnächtigungszahlen durch sogenannte "Einwohnergleichwerte" sei mittels des Divisors 365 erfolgt, was 1.118 "Einwohnergleichwerte" ergebe. Die 120.000 Fremdenverkehrsnächtigungen von R ergäben 328 "Einwohnergleichwerte". Die 450 Saisonbeschäftigten seien bestenfalls zur Hälfte anzurechnen. Die außerhalb des 4 km-Umkreises befindlichen Personen, die auf der gegenüberliegenden Seeseite ihren Wohnsitz hätten, könnten nicht als zu versorgende Personen berücksichtigt werden. Durch die Nähe der nächstgelegenen öffentlichen Apotheke in G sowie der ärztlichen Hausapotheke in M und den Umstand, daß über den Z-See keine regelmäßige Fährverbindung bestehe, erschienen die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung dieser Personen beim Versorgungspotential nicht gegeben. Da demnach die Zahl der von der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke zu versorgenden Personen weniger als 5.500 betrage, sei kein Bedarf an dieser Apotheke gegeben.

Der Mitbeteiligte berief.

Die belangte Behörde führte ergänzende Ermittlungen durch. Mit Bescheid vom 9. März 1992 gab sie der Berufung Folge, hob den erstinstanzlichen Bescheid auf und erteilte dem Mitbeteiligten die Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke mit dem Standort der Gemeinde S und der voraussichtlichen Betriebsstätte S. In der Begründung wird ausgeführt, im Gemeindegebiet von S lebten laut Volkszählungsergebnis 1991 2.715 ständige Einwohner, dazu kämen ca. 400 Zweitwohnungsbesitzer. Im Bereich des 4-km-Umkreises des Gemeindegebietes seien 2.000 Personen als primär zu versorgende ständig wohnhafte Einwohner der neuen öffentlichen Apotheke zuzurechnen. Die 1.700 bzw. 1.600 in diesem Bereich seitens der Beschwerdeführer angesetzte Personenzahl sei nach Ansicht der belangten Behörde deshalb zu gering, weil die Ortsteile K und B eindeutig innerhalb des 4-km-Bereiches lägen, die Ortsteile F und D knapp außerhalb dieser Zone. Da jedenfalls F noch näher zu einer Apotheke in S gelegen sei als zu der bestehenden Apotheke in I (Entfernung zwischen S und I 16 km), sei eine Zuzählung gemäß § 10 Abs. 4 ApG gerechtfertigt, weshalb sich insgesamt die Zahl von 2.000 Personen ergebe. Die restlichen Ortsteile umfaßten wohl ziemlich großflächige Siedlungen, tendierten jedoch bereits nach I und seien daher bei der Bedarfsfeststellung nicht zu berücksichtigen. Im Ortsteil R der Gemeinde G, welcher auf dem Landweg direkt durch ein öffentliches Straßennetz mit S verbunden sei und unbestritten innerhalb des Versorgungsbereiches der Apotheke in S liege, seien die 378 ständigen Einwohner zur Gänze zum Kundenpotential zu rechnen. Von den 200 Zweitwohnungsbesitzern von R und den 400 Zweitwohnungsbesitzern von S sei in Weiterführung der bisher gehandhabten Praxis lediglich die Hälfte anzurechnen. Die 408.000 Fremdennächtigungen aus dem Jahr 1990 ergäben dividiert durch 365 einen Einwohnergleichwert von 1.117 Personen, die Fremdennächtigungen von R einen solchen von 328. Die im Raum S in den Fremdenverkehrseinrichtungen saisonbeschäftigen Personen seien wie folgt zu bewerten: Ausgehend davon, daß S ein ausgesprochenes Fremdenverkehrszentrum darstelle - die durchschnittliche Verweildauer der Gäste in der Gemeinde betrage ca. 5 Tage - und die Gegend zunehmend für Wintersportmöglichkeiten entdeckt werde, sei unter Berücksichtigung einer ca. drei Monate dauernden nahezu fremdenverkehrsfreien Zeit die Zuzählung der Saisonarbeiter zu neun Zwölftel - somit ca. 400 von 467 (R und S) - gerechtfertigt.

Die Einwohner von G seien nicht zum Versorgungspotential einer Apotheke in S zu rechnen. Für sie liege die öffentliche Apotheke in G auf dem Landweg näher. Die Entfernung auf dem Landweg zwischen G und S betrage 19 km, K liege ca. 6 km von G entfernt. Im Hinblick auf die Einwohner und Gäste OS (die genannten Ortsteile lägen wenig mehr als 1 km über den Seeweg vom Ortskern S entfernt) könne davon ausgegangen werden, daß ein Teil, nach dem Dafürhalten der belangten Behörde die Hälfte, aufgrund der kurzen Entfernung zu den Schiffsanlegestellen immer wieder im Bedarfsfall mittels Schiffahrtslinie der YZ oder der privat betriebenen Fähreinrichtung das gegenüberliegende Seeufer aufsuchten und eine in S gelegene öffentliche Apotheke frequentierten. Die Fährverbindung von F aus werde ganzjährig und ganztägig betrieben; sie sei daher einer Verbindung auf dem Landweg insoferne gleichzuhalten, als die jederzeitige Benützbarkeit gegeben sei. Die zu berücksichtigende Personenzahl werde rund 600 (ca. 500 ständige Einwohner befänden sich allein in O) betragen.

Aus dem Verkehrspublikum an sich, d.h. den 8.000 bis 10.000 Tagesgästen, den ca. 130.000 Benützern der GS-Bahn und den 300.000 Passagieren der Schiffahrtslinie sei unter Heranziehung eines Drittels von 440.000 ein Einwohnergleichwert von rund 400 Personen abzuleiten.

Das Berufungsverfahren habe demnach ergeben, daß die nach der derzeit gültigen Gesetzeslage nötige Anzahl von 5.500 zu versorgenden Personen für eine öffentliche Apotheke in S erreicht werde. Dafür spreche auch der Umstand, daß eine öffentliche Apotheke in S für die Bevölkerung M (Enfernung 6 km, nach I 10 km, direkte ÖBB-Verbindung) durchaus eine Alternative zu dem Arzneimittelsortiment einer Hausapotheke darstelle und zu erwarten sei, daß auch Kunden aus M die neue Apotheke frequentieren würden. Daß - wie die Beschwerdeführer betonten - die Einwohner der "fraglichen Gegend" bestens durch hausapothekenführende Ärzte versorgt würden, stelle kein Argument gegen die Bewilligung einer öffentliche Apotheke dar, weil grundsätzlich davon auszugehen sei, daß die Versorgung mit Arzneimitteln durch öffentliche Apotheken die gesundheitspolitisch beste Lösung darstelle. Gerade in einem unbestrittenermaßen stark auf den Fremdenverkehr ausgerichteten Ort sei die Ansiedlung einer öffentlichen Apotheke sinnvoll. Die Beschwerdeführer übersähen nämlich bei ihrer Argumentation, daß eine öffentliche Apotheke eine Vielzahl anderer Artikel für die Gesundheitsvorsorge sowie rezeptfreie Medikamente bereithalte, womit u.a. auch ausländischen Gästen bei leichten Unpäßlichkeiten der Weg zum praktischen Arzt erspart werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die Beschwerdeführer bringen im wesentlichen vor, die belangte Behörde hätte zur Ermittlung der Bedarfssituation Rezeptzählungen vornehmen müssen. Diese hätten ergeben, daß die Bewohner von 9 Ortsteilen die in M bzw. P ansässigen praktischen Ärzte konsultierten und daher die Medikamente entweder aus den ärztlichen Hausapotheken in M oder der öffentlichen Apotheke in I bezögen.

Wenn die belangte Behörde die 467 Saisonbeschäftigten in R und S unter Berücksichtigung einer dreimonatigen fremdenverkehrsfreien Zeit mit neun Zwölftel berücksichtige, so ergäbe dies eine Zahl von 350, nicht aber, wie von der belangten Behörde angenommen, von 400. Außerdem sei bei dieser Berechnung außer acht gelassen worden, daß eine nicht zu vernachlässigende Zahl der Saisonbeschäftigten ihren ordentlichen Wohnsitz in den umliegenden Gemeinden habe, im Krankheitsfall den im Heimatort ansässigen Hausarzt konsultiere und daher auch die Rezepte nicht in der öffentlichen Apotheke in S einlöse. Richtigerweise hätte die belangte Behörde die im erstinstanzlichen Bescheid aus dem Titel der Saisonbeschäftigen angenommene Bedarfserhöhung mit 225 Personen zu übernehmen, insbesondere aber auch die abweichende Beurteilung im Bescheid zu begründen gehabt.

Tagesgäste hielten sich nur kurze Zeit in S und damit im Nahbereich der öffentlichen Apotheke auf und benötigten nur in den seltensten Fällen Medikamente. Die Beschwerdeführer hätten in S aus den Tagesgästen nur sehr wenige Personen zu betreuen. Im Durchschnitt trete nur jeden zweiten oder dritten Tag eine Akuterkrankung bei einem Tagestouristen auf. Nur unter der Voraussetzung, daß jeder Akutfall bezüglich des Medikamentenbedarfes einem Einwohner entspreche, würden maximal jährlich 120 bis 180 Personen, keinesfalls aber 400 Personen, bei der Bedarfsbeurteilung zu berücksichtigen sein. Es erscheine auch verfehlt, nur aus der Anzahl der Personen, die die YZ-Schiffahrtsverbindungen oder die GS-Bahn in Anspruch nähmen, auf zusätzliche mit Medikamenten zu versorgende Personen rückzurechnen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, daß eine nicht unbeträchtliche Anzahl der Schiffahrtsgäste ohnehin Personen aus S bzw. G oder M seien. Gleiches gelte auch für die Benützer der GS-Bahn. Da die sogenannten Einheimischen aber bei der Ermittlung aufgrund der ständigen Einwohner berücksichtigt worden seien, könnten sie nicht ein zweitesmal mitgezählt werden.

Rechtlich verfehlt scheine auch die Berücksichtigung von 600 Personen der Ortsteile O und F. Diese Ortschaften lägen von S 12 km bzw. 13 km am Landweg entfernt. Da über den Z-See keine Straßenverbindung bestehe, könnten diese Personen, da sie außerhalb der 4 km-Zone wohnhaft seien, nicht zum Versorgungspotential der neuen Apotheke gerechnet werden.

Auch die Zweitwohnungsbesitzer, die sich in S nur fallweise für einige Wochen im Jahr aufhielten, könnten keinesfalls mit 50 % zusätzlich bedarfserhöhend berücksichtigt werden. Nach den Bestimmungen der ApG-Novelle 1990 sei auf Zweitwohnungsbesitzer überhaupt nicht mehr Bedacht zu nehmen.

Auch auf Fremdennächtigungen sei nach den Erläuternden Bemerkungen zu ApG-Novelle 1990 nur dann Bedacht zu nehmen, wenn es sich um einen typischen Fremdenverkehrsort handle. Selbst wenn man S diese Eigenschaft zubillige, erscheine es nicht zulässig, aus der Anzahl der Fremdennächtigungen durch den Divisor 365 auf Einwohnergleichwerte zurückzurechnen. Bei Fremdennächtigungen sei im Vergleich zu den ordentlichen Einwohnern aus den bereits bei den Tagesgästen aufgezeigten Umständen eine wesentlich geringere Wahrscheinlichkeit gegeben, daß der Bedarf für die Verabreichung eines Medikamentes bestehe, sodaß es richtig wäre, hier einen Divisor von 500, wie dieser vormals auch wiederholt von der Österreichischen Apothekerkammer herangezogen worden sei, zu verwenden.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Mitbeteiligte hat ebenfalls eine Gegenschrift erstattet und beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 10 ApG lautet auszugsweise:

"(1) Die Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke ist zu erteilen, wenn

1. in der Gemeinde des Standortes der öffentlichen Apotheke ein Arzt seinen ständigen Berufssitz hat und

2. ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke besteht.

(2) Ein Bedarf besteht nicht, wenn

1. die Zahl der von der künftigen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke aus zu versorgenden Personen weniger als 5.500 beträgt.

...

Zu versorgende Personen gemäß Abs. 2 Z. 1 sind die ständigen Einwohner aus einem Umkreis von 4 Straßenkilometern von der künftigen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke, die aufgrund der örtlichen Verhältnisse aus der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke zu versorgen sein werden.

...

(5) Beträgt die Zahl der ständigen Einwohner im Sinne der Abs. 3 oder 4 weniger als 5.500, so sind die aufgrund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs in diesem Gebiet zu versorgenden Personen bei der Bedarfsfeststellung zu berücksichtigen."

Die belangte Behörde geht davon aus, daß zum Versorgungspotential der geplanten neuen Apotheke 2.378 ständige Einwohner aus der 4 km-Zone (2.000 aus der Gemeinde S, 378 aus dem Ortsteil R der Gemeinde G), 300 anrechenbare Zweitwohnungsbesitzer aus S und R, 1.445 aus den Nächtigungszahlen abgeleitete "Einwohnergleichwerte" (1.117 aus S und 328 aus R), 400 Saisonbeschäftigte, 600 Einwohner aus O und F sowie 400 aus den Tagesgästen berechnete "Einwohnergleichwerte" gehörten, mithin also eine Zahl von

5.523 zu versorgenden Personen.

Die belangte Behörde hat die Zahl der ständigen Einwohner in der 4 km-Zone in der Gemeinde S mit 2.000 angenommen. Demgegenüber hat diese Gemeinde in dem von der belangten Behörde durchgeführten ergänzenden Verfahren mit Schreiben vom 15. November 1991 angegeben, laut Volkszählungsergebnis 1991 weise die Gemeinde 2.715 Personen auf; davon seien ca. 400 Personen Zweitwohnungsbesitzer. In der 4-km-Zone wohnten ca. 1.700 Personen. In dem von der Österreichischen Apothekerkammer im erstinstanzlichen Verfahren abgegebenen Gutachten vom 18. April 1991 ist die Zahl der ständigen Einwohner in einem Umkreis von 4 Straßenkilometern von der künftigen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke mit insgesamt rund 1.500 (inklusive der 378 Personen des Ortsteiles R der Gemeinde G) angegeben. Die belangte Behörde hat die Zahl von 2.000 ständigen Einwohnern damit begründet, daß die Ortsteile K und MM eindeutig innerhalb der 4-km-Zone lägen, die Ortsteile H und Y knapp außerhalb dieser Zone. Da jedenfalls H noch näher zu einer Apotheke in S gelegen sei als zu der bestehenden Apotheke in I, sei eine Zuzählung gemäß § 10 Abs. 4 ApG gerechtfertigt, weshalb sich insgesamt die Zahl von 2.000 Personen ergebe. Soweit in dieser Begründung auf den Ortsteil H Bezug genommen wird, ist sie in sich widersprüchlich, da dieser Ortsteil nach der Annahme der Behörde außerhalb der 4-km-Zone liegt und daher bei der Ermittlung der ständigen Einwohner in dieser Zone außer Betracht zu bleiben hat. Was den Ortsteil MM betrifft, so geht aus dem Schreiben der Marktgemeinde S vom 5. November 1991 nicht hervor, ob in der von dieser Gemeinde genannten Zahl von ca. 1.700 ständigen Einwohnern der 4-km-Zone die Bewohner dieses Ortsteiles enthalten sind oder nicht. Weiters hat die belangte Behöre auch nicht angegeben, wieviele Einwohner MM hat. Es kann daher auch nicht beurteilt werden, ob die Bewohner von MM zu den 1.700 von der Marktgemeinde S genannten ständigen Einwohnern der 4-km-Zone noch hinzuzurechnen sind oder nicht.

Entgegen der Meinung der Beschwerdeführer verbietet das ApG in der Fassung der ApG-Novelle 1990 die Berücksichtigung von Zweitwohnungsbesitzern bei der Bedarfsermittlung nicht von vornherein. Bei der Gruppe der Zweitwohnungsbesitzer ist im konkreten Einzelfall festzustellen, in welchem Umfang durch sie der Bedarf an einer öffentlichen Apotheke mitbegründet wird (vgl. die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zur ApG-Novelle 1990, 1336 BlG NR XVII. GP, S. 5). Diesem Gebot der Beachtung der Gegebenheiten des konkreten Falles wird die Methode der belangten Behörde, die lediglich unter Berufung auf eine bereits bisher gehandhabte Praxis die Hälfte der Zweitwohnungsbesitzer dem Versorgungspotential zurechnet, nicht gerecht. Im Beschwerdefall ist insbesondere nicht einmal ersichtlich, ob die Zweitwohnungsbesitzer überhaupt als Versorgungspotential für die geplante Apotheke in Betracht kommen. Aus dem Schreiben der Marktgemeinde S vom 5. November 1991 geht hervor, daß von den insgesamt 2.715 Bewohnern der Gemeinde 400 Personen Zweitwohnungsbesitzer sind. Ob diese in einem derartigen räumlichen Naheverhältnis zur geplanten neuen Apotheke angesiedelt sind, daß angenommen werden kann, sie würden einen eventuellen Medikamentenbedarf aus dieser Apotheke decken, ist dem Akt nicht zu entnehmen. Weiters fehlen auch Ermittlungen über die Benützungshäufigkeit für diese Zweitwohnsitze.

Zur Frage der Heranziehung der Fremdennächtigungen bei der Bedarfsbeurteilung führen die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zur ApG-Novelle 1990 aus, diese seien bei der Bedarfsbeurteilung grundsätzlich nicht heranzuziehen. Ausgenommen seien jene Fälle, in denen es sich um ausgesprochene Fremdenverkehrszentren handle. Hiebei werde im Einzelfall genau zu prüfen sein, in welchem Ausmaß die Fremden im Hinblick auf ihre Aufenthaltsdauer und ihre besonderen Lebensgewohnheiten eine Arzneimittelversorgung in Anspruch nähmen.

Die belangte Behörde hat die Gästenächtigungen in S und R durch 365 dividiert und den daraus resultierenden Quotienten als "Einwohnergleichwert" dem Versorgungspotential der geplanten Apotheke zugerechnet. Eine Begründung für diese Methode gibt sie nicht, was aber schon deswegen erforderlich gewesen wäre, weil die Beschwerdeführer die Heranziehung dieses Divisors in dem im erstinstanzlichen Verfahren erstatteten Gutachten der Apothekerkammer gerügt und stattdessen einen Divisor von 500 als adäquat bezeichnet haben. Im Gutachten der Apothekerkammer findet sich dazu lediglich folgende Äußerung:

"Die Umrechnung der Jahresnächtigungszahlen auf sogenannte "Einwohnergleichwerte" erfolgt nach gesicherten ho. Erfahrungen mittels des Divisors von 365. Dieser Divisor scheint durch den Kommentar von Dr. Helmut Schwamberger, Amt der Tiroler Landesregierung/1991 zum Apothekengesetz (Prugg-Verlag Eisenstadt) gerechtfertigt."

Bei dem im Gutachten der Apothekerkammer zitierten Autor heißt es, in Fremdenverkehrsgemeinden seien die Fremdennächtigungen für die Bedarfsermittlung zu berücksichtigen. Der - übliche - Divisor von 500 müsse aber nicht in allen Fällen zweckmäßig und richtig sein. Ein Divisor von 365 scheine vor allem bei Fremdenverkehrsgemeinden angebracht zu sein, die über einen Ganzjahrestourismus verfügten, etwa in der Nähe von Gletscherschigebieten (Schwamberger, Apothekengesetz, Eisenstadt 1991, S.31, Rz4).

Handelt es sich bei Kennziffern von der Art des im vorliegenden Fall herangezogenen "Divisors" nicht um allgemein anerkannte bzw. bekannte Werte, so sind im Falle ihrer Verwendung die Grundlagen, auf denen solche Kennziffern beruhen (empirische Untersuchungen, Statistiken etc.), so ausreichend offenzulegen, daß die Gültigkeit dieser Kennzahlen beurteilt werden kann. Diesem Erfordernis ist die belangte Behörde nicht nachgekommen. Auch das Gutachten der Apothekerkammer und der darin zitierte Autor legen diese Grundlagen nicht offen, wozu noch kommt, daß Schwamberger den Divisor von 365 lediglich auf Fremdenverkehrsgemeinden mit ganzjährigem Fremdenverkehr angewendet wissen will, eine Voraussetzung, die auf die Marktgemeinde S nicht zutrifft.

Die Zahl der Saisonbediensteten in S und R beträgt 467, die Saison dauert neun Monate. Berücksichtigt man, wie die belangte Behörde dies getan hat, die Saisonbediensteten aus diesem Grund zu 9/12, so ergibt sich eine Zahl von 350 und nicht von 400. Die belangte Behörde hat auch keine Feststellungen getroffen, ob diese Saisonbeschäftigten (bzw. ein Teil derselben) nicht etwa zu den ständigen Einwohnern der 4-km-Zone zählen und daher bereits bei der Ermittlung dieses Personenkreises mitberücksichtigt wurde oder ob es sich um Pendler handelt und, wenn letzteres zutrifft, ob sie aus den umliegenden Gebieten oder aus weiter entfernten Orten einpendeln und ob es sich um Wochen- oder Tagespendler handelt, was aber für die Frage ihrer Relevanz für das Versorgungspotential der neuen öffentlichen Apotheke von Bedeutung ist.

Die belangte Behörde geht davon aus, daß von den Bewohnern von F und K etwa die Hälfte (ca. 600 Personen) zum Versorgungspotential der geplanten Apotheke zu zählen ist, ohne darzulegen, auf Grund welcher Überlegungen - etwa auf Grund von Erfahrungswerten oder unter Anwendung von Methoden der empirischen Sozialforschung - sie zu dieser Zahl gelangt.

Gleiches gilt im wesentlichen für die Zahl von 400 "Einwohnergleichwerten", die aus den Tagesgästen errechnet und dem Versorgungspotential zugeschlagen wurden.

Insgesamt hat die belangte Behörde für die ihrem Bescheid zugrundegelegten Zahlen keine ausreichende Begründung geliefert, sodaß der Verwaltungsgerichtshof nicht in der Lage ist, die Richtigkeit dieser Zahlen zu überprüfen.

Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, daß der angefochtene Bescheid an einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften leidet. Er war daher gemäß § 42 Abs.2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Im fortgesetzten Verfahren wird auch zu berücksichtigen sein, daß § 10 Abs. 7 ApG die Einholung eines Gutachtens der Österreichischen Ärztekammer - und nicht einer Landesärztekammer - vorsieht.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete Diverses

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1992100117.X00

Im RIS seit

25.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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