TE Vwgh Erkenntnis 1993/5/18 93/11/0008

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Veröffentlicht am 18.05.1993
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §37;
AVG §52;
KDV 1967 §30 Abs1;
KDV 1967 §31a Abs2;
KFG 1967 §64 Abs2;
KFG 1967 §67 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde der C in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 11. November 1992, Zl. MA 64-8/270/92, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, "Für den Landeshauptmann" gezeichneten angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführerin die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 entzogen und gemäß Abs. 2 ausgesprochen, daß der Beschwerdeführerin für die Dauer des Mangels der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit keine neue Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge dieser beiden Gruppen erteilt werden darf.

Dieser Entscheidung liegt der Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 11. März 1992 zugrunde. Darin heißt es unter der Rubrik "Kraftfahrspezifische Leistungsfunktionen":

"Beobachtungsfähigkeit

VISUELLE AUFFASSUNG

In quantitativer und qualitativer Hinsicht herabgesetzt.

ÜBERBLICKSGEWINNUNG

Kurzfristig dargebotene komplexe Verkehrssituationen werden mit deutlich herabgesetzter Detailgenauigkeit erfaßt.

Reaktionsverhalten

REAKTIONSZEIT

In Einfachwahlsituationen verlängert.

REAKTIONSSICHERHEIT

Bei Verlangsamung gegeben.

BELASTBARKEIT

Unter geringen Anforderungen zunächst nur verstärkte Tendenz zu Reaktionsverzögerungen, unter erhöhten Anforderungen dann auch erhöhte Anzahl von Reaktionsauslassungen und Reaktionsfehlern.

Konzentrationsfähigkeit

Bei ausreichendem Arbeitstempo zufriedenstellende

Genauigkeit.

Koordination der Muskelbewegungen

Keine unmittelbaren Funktionsstörungen, allerdings etwas

verlangsamte und ungenaue Fehlerkorrektur.

Intelligenz und Erinnerungsvermögen

Im Sinne der Fragestellung gegeben."

Die abschließende "Zusammenfassung der Befunde/Gutachten"

lautet:

"Die kraftfahrspezifischen Leistungsbefunde zur Beobachtungsfähigkeit sind deutlich herabgesetzt und liegen in diesem Bereich auch unter der Altersnorm. In Einfachwahlsituationen ist die Reaktionszeit verlängert, in Mehrfachwahlsituationen treten vor allem Reaktionsverzögerungen deutlich vermehrt auf, unter erhöhten Anforderungen auch Reaktionsauslassungen und Reaktionsfehler. Im Reaktionsbereich somit im Vergleich zur Gesamtpopulation deutlich herabgesetzt, ein überproportionaler Altersabbau im Vergleich zur Alterskohorte zeigt sich allerdings nicht. Als noch ausreichend wären Konzentrationsfähigkeit und Sensomotorik zu beurteilen. Zur endgültigen Klärung der Fahreignung - insbesondere im Hinblick auf Kompensationsmöglichkeiten für bestehende Leistungsschwächen - war die Durchführung einer Fahrprobe geplant, bislang konnte allerdings mit der Probandin kein entsprechender Termin vereinbart werden. Die intellektuellen Voraussetzungen zum Lenken von Kraftfahrzeugen wären gegeben. In den Persönlichkeitsbefunden ergeben sich zwar Hinweise auf vermehrte Belastetheit, Selbstunsicherheit und Labilität, in Verhaltensbeobachtung und Explorationsgespräch zeigen sich allerdings keine unmittelbar eignungswidrigen Merkmale, die Probandin wirkt noch recht rüstig und geistig flexibel. Aufgrund der vorliegenden Befunde muß allerdings aus verkehrspsychologischer Sicht Frau C zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B als

DERZEIT NICHT GEEIGNET

bezeichnet werden."

Ausgehend von diesem Befund beurteilte der ärztliche Amtssachverständige in seinem Gutachten vom 6. April 1992 die Beschwerdeführerin als im Sinne der §§ 30 bis 35 KDV 1967 zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B nicht geeignet.

Begründet wird dies wie folgt: "Reaktionszeit verlängert, Reaktionsfehler, Anforderung im kraftfahrspez. Bereich nicht gegeben. Eine wesentliche Besserung der Befunde nicht zu erwarten."

In ihrer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde sowie Rechtswidrigkeit des Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Sie beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin wurde der angefochtene Bescheid nicht von einer unzuständigen Behörde, sondern von dem gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 KFG 1967 zuständigen Landeshauptmann (von Wien) erlassen. Das ergibt sich zweifelsfrei aus der Wendung im Kopf des angefochtenen Bescheides "mittelbare Bundesverwaltung" und aus der Fertigungsklausel "Für den Landeshauptmann". Dieser und nicht etwa das Amt der Wiener Landesregierung, das lediglich als sein Hilfsapparat fungierte, hat den angefochtenen Bescheid erlassen. Dieser ist daher nicht mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde behaftet.

Grund für die angeordnete Entziehungsmaßnahme war das bei der Beschwerdeführerin angenommene Fehlen der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 zweiter Satz (§ 31a) KDV 1967, die nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die geistige und körperliche Eignung einer Person zum Lenken von Kraftfahrzeugen betrifft (vgl. die Erkenntnisse vom 3. Februar 1989, Zl. 88/11/0035, und vom 7. April 1991, Zl. 91/11/0010). Das ergibt sich aus dem Spruch und auch aus der Begründung des angefochtenen Bescheides (wenngleich dort auf Seite 5 - offenbar auf Grund eines Versehens - die §§ 30 Abs. 1 und 31 Abs. 1 KDV 1967 in der überholten Fassung vor der 22. Novelle, BGBl. Nr. 362/1987, wiedergegeben werden). Entscheidend ist daher, ob die vorliegenden Ermittlungsergebnisse, wie die belangte Behörde angenommen hat, eine geeignete Grundlage für ihre Annahme bilden, der Beschwerdeführerin fehle die zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Ist - wie im vorliegenden Fall - der Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle Bestandteil des amtsärztlichen Gutachtens geworden, dann muß er insoweit denselben Anforderungen entsprechen, die sonst an Sachverständigen-Gutachten nach dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz zu stellen sind. Er muß erkennen lassen, auf welchem Wege die unter der Rubrik "kraftfahrspezifische Leistungsfunktionen" angeführten Beurteilungen gewonnen wurden, welche Tests im Einzelfall tatsächlich durchgeführt wurden und aus welchen Tests im einzelnen jeweils welche konkreten Schlußfolgerungen gezogen wurden. Eine sachverständige Äußerung, die diesen Anforderungen nicht entspricht, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar. Die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgebenden Sachverhalts (§ 37 AVG) nicht gerecht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Dezember 1982, Slg. 10939/A).

Den genannten Anforderungen entspricht der vorliegende Befund, und damit auch das Gutachten des Amtsarztes, nicht. Die unter der Rubrik "kraftfahrspezifische Leistungsfunktionen" angeführten (oben wiedergegebenen) Beurteilungen stellen bereits Schlußfolgerungen dar, die aus den Ergebnissen der durchgeführten Tests gewonnen wurden. Auf welchem Weg aber diese Schlußfolgerungen (unter anderem hinsichtlich der Beobachtungsfähigkeit und des Reaktionsverhaltens) gewonnen wurden, ist daraus ebensowenig zu entnehmen wie die hinsichtlich der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit im vorliegenden Fall tatsächlich durchgeführten Tests, die dabei jeweils erzielten Werte sowie aus welchen Tests im einzelnen jeweils welche konkreten Schlußfolgerungen gezogen wurden. Dieser Mangel ist offensichtlich die Folge des Umstandes, daß dem verkehrspsychologischen Befund nicht wie vorgesehen (siehe Seite 16 unten des Verwaltungsaktes) das "Befundblatt 1" ("Kraftfahrspezifische Leistungsfunktionen"), sondern statt dessen das "Befundblatt 2" ("Fahrverhaltensrelevante Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale") in zweifacher Ausfertigung beigeschlossen war (Blatt 17 und 18 des Verwaltungsaktes). Da der aufgezeigte Mangel im Verwaltungsverfahren nicht behoben wurde, fehlte es an einer ausreichenden Grundlage für die von der belangten Behörde getroffene Entscheidung. Aus diesem Grunde war der angefochtene Bescheid, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden mußte, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Gutachten Auswertung fremder Befunde Gutachten Überprüfung durch VwGH Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1993:1993110008.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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