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L34009 Abgabenordnung Wien;Norm
BAO §80 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Mag. Wochner, über die Beschwerde des G in K, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom 27. September 1991, Zl MD-VfR-T8 und 9/91, betreffend Haftung für Dienstgeberabgabe und Lohnsummensteuer, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer gemäß den §§ 7 und 54 der Wiener Abgabenordnung - WAO, LGBl. für Wien Nr. 21/1962, idgF als (ehemaliger) Geschäftsführer der "N GesmbH", und "F GesmbH", beide Wien, für den Rückstand an Dienstgeberabgabe und Lohnsummensteuer der erstgenannten Gesellschaft für den Zeitraum von Jänner bis November 1989 in Höhe von S 26.534,-- sowie für den Rückstand an gleichartigen Abgaben der zweitgenannten Gesellschaft für den Zeitraum von Jänner 1989 bis Februar 1990 in Höhe von S 5.769,-- haftbar gemacht und zur Zahlung herangezogen; dies im wesentlichen mit der Begründung, nach der Aktenlage stehe fest, daß die haftungsgegenständlichen Abgabenforderungen tatsächlich bestünden; weiters, daß der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der beiden Gesellschaften zu den im § 54 Abs 1 WAO angeführten Personenkreis gehöre. Unbestritten sei, daß die Abgabenrückstände bei den Gesellschaften, über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden sei, uneinbringlich seien. Die Pflichtverletzung des Beschwerdeführers ergebe sich aus der Mißachtung des § 6 Abs 1 (Wiener) Dienstgeberabgabegesetz, wonach der Abgabepflichtige bis zum 10. Tag jedes Monates die im Vormonat entstandene Abgabenschuld zu entrichten habe. Sie ergebe sich ferner daraus, daß nach § 28 Abs 1 GewStG 1953 die Lohnsummensteuer für einen Kalendermonat am 15. des darauffolgenden Monates fällig sei. Somit hätte der Beschwerdeführer Sorge tragen müssen, daß die Dienstgeberabgabe und die Lohnsummensteuer für den Haftungszeitraum fristgerecht entrichtet werden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe der Geschäftsführer einer GesmbH nachzuweisen, daß ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten für die Gesellschaft unmöglich gewesen sei, weil nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen derjenige, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfülle, die Gründe darzutun habe, aus denen ihm die Erfüllung unmöglich gewesen sei, widrigenfalls angenommen werden könne, daß er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen sei. Seien jedoch mehrere Geschäftsführer bestellt, könne der einzelne Geschäftsführer den Entlastungsbeweis durch den Nachweis erbringen, daß ihm die Besorgung der Abgabenangelegenheiten nicht oblegen und kein Anlaß bestanden habe, die Tätigkeit des mit der Entrichtung der Abgaben betrauten anderen Geschäftsführers wegen Zweifels an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu überprüfen. Im vorliegenden Fall stehe fest, daß dem Beschwerdeführer die Besorgung der Abgabenangelegenheiten nicht oblegen habe. Im sozialversicherungsrechtlichen Haftungsverfahren habe der für die Abgabenangelegenheiten bei beiden genannten Gesellschaften zuständige andere Geschäftsführer (in der Folge kurz: M) am 9. Oktober 1990 unter anderem folgendes zu Protokoll gegeben:
"Es hat tatsächlich zwischen Herrn G und mir eine Agendenteilung gegeben und zwar insoweit, als ich für den kaufmännischen Bereich und das Abgabenwesen zuständig war und er die technische Leitung des Unternehmens durchführen sollte. Dies ergab sich schon daraus, daß Herr G aufgrund seiner Ausbildung für diesen Bereich geeignet erschien. Das vorgelegte Organogramm ist allerdings, wie schon mein Vater erwähnt hat, eine Spielerei des Herrn M gewesen. Meiner Meinung nach hat Herr G gewußt, daß die Sozialversicherungsbeiträge unberichtigt geblieben sind. Wir haben gelegentlich darüber gesprochen. Die finanzielle Situation der Firma spitzte sich Anfang 1989 deswegen so zu, da seitens der Finanz eine hohe Nachforderung (in Millionenhöhe) festgestellt wurde und darüber hinaus die WGKK ebenso wie das Finanzamt Betriebspfändungen vornahm, sodaß der finanzielle Spielraum sehr eng war.
Herr G ist mit mir im August 1989 zur WGKK gegangen und haben wir uns um eine Ratenzahlung bemüht. Außerdem waren wir noch ein zweites Mal bei einem Referenten und haben uns bezüglich der Möglichkeiten um Abhilfe bei der Begleichung der Sozialversicherungsbeiträge zu schaffen, informiert. Im Zeitraum Mai 1989 bis Oktober 1989 waren wir beide, Herr G und ich, gut ein dutzendmal bei der Giro-Zentrale sowie kam ein Vertreter der Giro-Zentrale in die Firma, wobei über die Möglichkeit der Einräumung von Krediten gesprochen wurde, die Bücher geprüft wurden und Um- und Neufinanzierungsvorschläge gemacht wurden."
Der Beschwerdeführer habe diese Angaben nicht konkret bestritten, sondern bei seiner Vernehmung folgendes angegeben:
"Mit der Giro-Zentrale wurde schon ab Mai 1989 intensiv verhandelt, diese ist insbesondere in den Betrieb gekommen und hat sich die Bücher angesehen. Ich war bei den Sitzungen teilweise dabei. Im Oktober 1989 war ich auch bei der PSK, um einen Kredit zu erhalten, zusammen mit Herrn M jun. Im August war ich zusammen mit dem Genannten auch bei der WGKK bei Frau Dr. B, etwa 2 1/2 Monate später auch bei einem Referenten der WGKK, den ich nicht namentlich benennen kann. Die Post bearbeitete zwar der Junior M, jedoch aus liegengebliebenen Briefen bzw. aus Besprechungen ist mir die finanzielle Lage der Firma immer klarer geworden. Auf Grund des Umstandes, daß ich die meiste Zeit auf Baustellen bzw. Einkäufen war, war ich mit dem laufenden Geschäftsbetrieb nicht so in Kontakt und wurde mir erst allmählich die finanzielle Situation klarer."
Im Hinblick auf die Aussage von M, daß "die Finanzbehörde" bereits ANFANG 1989 eine hohe Abgabennachforderung festgesetzt habe, die Betriebspfändungen zur Folge gehabt habe, habe der Beschwerdeführer seit diesem Zeitpunkt nicht länger der Auffassung sein können, M werde die steuerlichen Agenden ordnungsgemäß besorgen. Eine bloß stichprobenweise Kontrolle, wie sie der Beschwerdeführer behauptet habe, sei bei dieser Sachlage unzureichend gewesen. Darüberhinaus habe der Beschwerdeführer ausdrücklich zugegeben, bei der Wiener Gebietskrankenkasse vorgesprochen zu haben. Bei dieser Vorsprache hätten ihm Beitragsrückstände gegenüber dieser Kasse nicht verborgen bleiben können. Daraus hätte der Beschwerdeführer wiederum schließen können, daß auch ABGABENrückstände vorhanden gewesen seien. Trotz dieser Kenntnisse habe der Beschwerdeführer "keine zielführenden Handlungen gesetzt, welche die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten bewirkt hätte". Dies gelte angesichts gleicher Unternehmensstruktur für beide genannten Gesellschaften, zumal der Beschwerdeführer nicht habe annehmen können, M werde "bloß bei der einen Gesellschaft seine Pflichten nicht erfüllen." Es sei evident, daß die Unterlassung der rechtzeitigen Bezahlung der Dienstgeberabgabe und Lohnsummensteuer für die spätere Uneinbringlichkeit dieser Abgaben ursächlich gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich erkennbar in dem Recht verletzt, nicht zur Haftung für die rückständigen Abgabenschuldigkeiten der beiden genannten Gesellschaften herangezogen zu werden.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 7 Abs 1 WAO haften die in den §§ 54 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Nach § 54 Abs 1 WAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür so sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Zu den im § 54 Abs 1 WAO genannten Personen gehören auch die Geschäftsführer von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten haben (siehe zB das hg Erkenntnis vom 25. Juni 1990, Zl 89/15/0159).
Sind mehrere Geschäftsführer einer GesmbH und somit potentiell Haftende vorhanden, richtet sich die haftungsrechtliche Verantwortung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes danach, wer mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut ist. Der von den finanziellen, insbesondere steuerlichen Angelegenheiten ausgeschlossene Geschäftsführer ist in der Regel nicht in Anspruch zu nehmen. Verletzt jedoch der mit abgabenrechtlichen Angelegenheiten nicht befaßte Vertreter seine eigenen Pflichten dadurch grob, daß er trotz Unregelmäßigkeiten des zur Wahrnehmung abgabenrechtlicher Angelegenheiten Bestellten nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen, so ist auch er haftbar, es sei denn, daß ihm triftige Gründe die Erfüllung dieser wechselseitigen Überwachungspflicht unmöglich machen. Allerdings kommt eine Überprüfung der Tätigkeit des mit der Abgabenentrichtung betrauten oder hiefür verantwortlichen Geschäftsführers durch den anderen Geschäftsführer nur dann in Betracht, wenn ein Anlaß vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu zweifeln (siehe zB das hg Erkenntnis vom 25. September 1992, Zl 91/17/0134, und die dort zitierten Vorerkenntnisse).
Im Beschwerdefall steht zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in erster Linie in Streit, ob der nach der seinerzeitigen Aufteilung der Agenden zwischen den Geschäftsführern der beiden genannten Gesellschaften nicht mit Abgabenangelegenheiten befaßt gewesene Beschwerdeführer seine Überwachungspflicht gegenüber dem anderen Geschäftsführer (M) im Streitzeitraum verletzt hat. Der Beschwerdeführer hat schon in seinen Berufungen gegen die erstinstanzlichen Haftungsbescheide unter Anbot von Beweisen behauptet, er habe erstmals IM SOMMER 1989 Zahlungsschwierigkeiten der GesmbH bemerkt, als Kunden Zahlungen bei ihm telefonisch urgiert hätten. Da die Zahlungen jedoch in der Folge problemlos geleistet worden seien, sei bei ihm "nicht der geringste Verdacht" entstanden, "daß Lohnabgaben nicht pünktlich entrichtet würden". Auch sei er schon IM FRÜHJAHR des genannten Jahres bei einer stichprobenartigen Überprüfung der Buchhaltung bei den Gesellschaften zu dem Ergebnis gelangt, daß "alle damaligen Forderungen pünktlich erfüllt werden konnten". Demgegenüber hat die belangte Behörde aus der oben wiedergegebenen Zeugenaussage des M "im sozialversicherungsrechtlichen Haftungsverfahren", die der Beschwerdeführer nicht konkret bestritten habe, den Schluß gezogen, daß bereits ANFANG 1989 für den Beschwerdeführer Anlaß bestanden habe anzunehmen, M besorge die abgabenrechtlichen Agenden nicht ordentlich. Der Beschwerdeführer hätte auch auf Grund von ihm anläßlich von Vorsprachen bei der Wiener Gebietskrankenkasse bekannt gewordenen Beitragsrückständen annehmen müssen, "daß auch bei den Steuern Rückstände bestehen". Ergänzend macht die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift auf den sich auch aus der Aktenlage ergebenden Umstand aufmerksam, daß der Beschwerdeführer sämtliche Zeugenaussagen im sozialversicherungsrechtlichen Haftungsverfahren den Abgabenbehörden selbst vorgelegt habe.
Im Hinblick auf den zuletzt erwähnten Umstand ist die Verfahrensrüge des Beschwerdeführers unbegründet, er hätte hinsichtlich der von ihm der Abgabenbehörde selbst vorgelegten Urkunden vom Ergebnis der Beweisaufnahmen in Kenntnis gesetzt werden müssen. Auch trifft es nach der Aktenlage nicht zu, daß der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren keine Gelegenheit gehabt hätte, sich "im Zuge einer mündlichen Einvernahme oder durch Erstattung einer schriftlichen Äußerung" zu rechtfertigen.
Hingegen trifft es zu, daß die belangte Behörde die in den Berufungen des Beschwerdeführers zum Beweis dafür, daß er seine Überwachungspflicht gegenüber dem Mitgeschäftsführer nicht verletzt habe, angebotenen Beweise nicht vollständig ausgeschöpft hat bzw. ohne hinreichende Auseinandersetzung mit dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers zu der Annahme gelangt ist, letzterer habe bereits "Anfang 1989" Anlaß gehabt, die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten durch M wahrzunehmen; auch wurde der konkrete Zeitpunkt nicht festgestellt, zu dem dem Beschwerdeführer die seine Überwachungspflicht im Sinne der obigen Darlegungen auslösenden Umstände, insbesondere das Vorhandensein von hohen Abgabennachforderungen, bekannt wurden. Der angefochtene Bescheid leidet auch insoweit an einem Begründungsmangel, als die belangte Behörde darin ihre Ermessensübung, den Beschwerdeführer anstatt oder neben M zur Haftung heranzuziehen, nicht dargelegt hat.
Auf Grund des Gesagten mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.
Im fortzusetzenden Verfahren wird sich die belangte Behörde allenfalls auch noch mit der erstmals in der vorliegenden Beschwerde aufgeworfenen Frage des Rechtswidrigkeitszusammenhanges zwischen einer dem Beschwerdeführer anzulastenden Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten und dem Abgabenausfall auseinanderzusetzen haben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1991150136.X00Im RIS seit
20.11.2000