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55 WirtschaftslenkungNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Teilweise Zurückweisung von Anträgen auf Aufhebung von Milchpreisverordnungen des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie wegen entschiedener Sache und mangels Präjudizialität; Zurückweisung von Anträgen auf Aufhebung von Richtpreisverordnungen des Milchwirtschaftsfonds mangels Darlegung der Bedenken im einzelnen; Abweisung von Anträgen auf Aufhebung diverser Milchpreisverordnungen des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie; gesetzmäßige Kalkulation der Milchpreise im Hinblick auf die Kosten, die für wirtschaftlich nicht günstig strukturierte Betriebe gegeben sindSpruch
Den Anträgen wird, soweit sie die (jeweiligen) §§1 und 2 der Verordnungen des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 30. Juli 1985, vom 26. September 1986 und vom 23. November 1987 betreffen, nicht Folge gegeben.
Im übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit insgesamt 29 Anträgen begehrt das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien gemäß Art89 Abs2 B-VG, der Verfassungsgerichtshof möge insgesamt sieben Verordnungen des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie und insgesamt sechs Verordnungen des (geschäftsführenden Ausschusses des) Milchwirtschaftsfonds ihrem gesamten Inhalt nach als gesetzwidrig aufheben bzw. aussprechen, daß diese Verordnungen gesetzwidrig waren.
a) Im einzelnen beantragt das Landesgericht für ZRS Wien die Aufhebung folgender Verordnungen des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie (in Klammern nachgestellt jeweils die gerichtlichen Geschäftszahlen der Anträge, die sich auf die einzelnen Verordnungen beziehen):
1. "Verordnung vom 30. April 1982, betreffend Preisbestimmungen für Milch, Zl 36.560/I III/VII/82, verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 101 vom 1. Mai 1982, in Kraft getreten am 1. Mai 1982, außer Kraft getreten mit 3. Juli 1983" (52c Cg 1064/89);
2. "Verordnung vom 1. Juli 1983, Zl 36.560/I III/VII/83, verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 152 vom 3. Juli 1983, in Kraft getreten am 4. Juli 1983, außer Kraft getreten mit 31. Dezember 1983" (52c Cg 1064/89);
3. "Verordnung vom 16. Dezember 1983, Zl 36.560/4 III/VII/83, verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 292 vom 18. Dezember 1983, mit Richtigstellung in der Wiener Zeitung Nr. 301 vom 31. Dezember 1983, in Kraft getreten am 1. Mai 1984, außer Kraft getreten mit 31. Juli 1984" (52c Cg 1064/89);
4. "Verordnung vom 30. Juli 1984, Zl 36.560/4 III/7/84, verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 177 vom 1. August 1984, in Kraft getreten mit 1. August 1984, außer Kraft getreten mit 31. Juli 1985" (52c Cg 1064/89);
5. "Verordnung vom 30. Juli 1985, Zl 36.560/9 III/7/85, verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 177 vom 1. August 1985, in Kraft getreten mit 1. August 1985, außer Kraft getreten am 30. September 1986" (alle Anträge außer jenen zu 4 Cg 1021/90, 4 Cg 1030/90 und 4 Cg 1031/90 gestellten);
6. "Verordnung vom 26. September 1986, Zl 36.560/8 III/86, verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 229 vom 1. Oktober 1986, in Kraft getreten mit 1. Oktober 1986" (alle Anträge);
7. "Verordnung vom 23. November 1987, Zl. 35.560/2-III/7/87, verlautbart im Amtsblatt zur Wiener Zeitung Nr. 277 vom 29.11.1987, in Kraft getreten mit 1. Dezember 1987, außer Kraft getreten mit 30. Juni 1988" (alle Anträge außer jenem zu 52c Cg 1064/89 gestellten).
Weiters beantragt das Landesgericht für ZRS Wien die Aufhebung folgender Verordnungen des Milchwirtschaftsfonds (in Klammer nachgestellt wiederum die Geschäftszahlen der Anträge):
1. "Verordnung des Milchwirtschaftsfonds vom 30. September 1988, kundgemacht in der "Österreichischen Milchwirtschaft" vom 7. Oktober 1988, Beilage 12 (zu Heft 19) mit Wirksamkeit 1. Oktober 1988" (alle Anträge außer jenen zu 52c Cg 1064/89 und 4 Cg 1021/90 gestellten);
2. "Verordnung des Milchwirtschaftsfonds vom 8. Februar 1989, kundgemacht im Rundschreiben des Milchwirtschaftsfonds Nr. 7/1989 mit Wirksamkeit 1. Jänner 1989" (alle Anträge außer jenen zu 52c Cg 1064/89 und 4 Cg 1021/90 gestellten);
3. "Verordnung des Milchwirtschaftsfonds vom 16. März 1989, kundgemacht in der "Österreichischen Milchwirtschaft" vom 21. März 1989 mit Wirksamkeit 1. März 1989" (alle Anträge außer jenen zu 52c Cg 1064/89, 52a Cg 1104/89, 4 Cg 1012/90, 4 Cg 1021/90, 4 Cg 1010/90 und 18 Cg 1014/90 gestellten);
4. "Verordnung des Milchwirtschaftsfonds vom 4. Jänner 1990, kundgemacht in den Verlautbarungen des Milchwirtschaftsfonds Rundschreiben Nr. 2/1990, mit Wirksamkeit 1. Jänner 1990" (alle Anträge außer jenen zu 52c Cg 1064/89, 52a Cg 1104/89, 21 Cg 1007/90, 4 Cg 1012/90, 21 Cg 1027/90, 4 Cg 1021/90, 4 Cg 1010/90, 4 Cg 1034/90 und 18 Cg 1014/90 gestellten);
5. "Verordnung des Milchwirtschaftsfonds vom 21. Dezember 1989, kundgemacht in den Verlautbarungen des Milchwirtschaftsfonds vom 16. Jänner 1990, Heft Nr. 1, mit Wirksamkeit 1. Jänner 1990" (gleiche Anträge wie unter 4.);
6. "Verordnung des Milchwirtschaftsfonds vom 6. Februar 1990, kundgemacht in den Verlautbarungen des Milchwirtschaftsfonds vom 26. Februar 1990, Heft 3, mit Wirksamkeit 1. Februar 1990" (gleiche Anträge wie unter 4.);
b) Das antragstellende Gericht führt jeweils aus, es habe die bekämpften Verordnungen auf die bei ihm zur Entscheidung stehenden Fälle anzuwenden, da eine Entscheidung über die geltend gemachten Amtshaftungsansprüche nicht ohne Bedachtnahme auf die Frage der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnungen erfolgen könne. Betreffend die Verordnungen des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie begründet das Landesgericht seine Anträge folgendermaßen (hier wird der Antrag zu V204-209/90 (52c Cg 1064/89) wiedergegeben, die übrigen Anträge sind im wesentlichen gleichlautend):
"Beim Landesgericht für ZRS Wien sind mehrere ähnlich gelagerte Fälle wie der vorliegende Anlaßfall anhängig. Diesem Anlaßfall liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie hat seit 1982 die (vorhin) genannten Milchpreisverordnungen erlassen.
Der Kläger hat beim VfGH Anträge gestellt, die unter 1.), 2.),
4.) und 5.) angeführten Verordnungen als gesetzwidrig aufzuheben bzw. auszusprechen, daß diese Verordnungen gesetzwidrig waren. Die Anträge des Klägers auf Aufhebung der unter 2.) und 5.) genannten Verordnungen wurden vom VfGH wegen mangelnder Antragslegitimation zurückgewiesen. Dagegen waren dessen Anträge, soweit er damit die unter 1.) und 4.) angeführten Verordnungen bekämpfte, erfolgreich. Mit den Erkenntnissen vom 12.12.1984, V46/82, und vom 11.3.1986, V32/85, sprach der VfGH aus, daß diese Verordnungen gesetzwidrig waren, da bei ihrem Zustandekommen Verfahrensvorschriften im Sinne des §2 PrG nicht beachtet worden waren.
Der Kläger legte seinen Produktionskosten in Höhe von S 7,-- je kg Milch zugrunde, die vom Allgemeinen Österreichischen Bauernverband (AÖBV) ermittelt wurden. Tatsächlich sei durch die gegenständlichen Verordnungen aber immer ein niedrigerer Preis für die Milch festgesetzt worden.
Der Kläger begehrt nunmehr im Amtshaftungsverfahren die Verurteilung der beklagten Partei zum Ersatz des Verlustes, den er im Zeitraum Oktober 1984 bis Februar 1987 als Milcherzeuger wegen der vom BMHGI entgegen der gesetzlichen Bestimmungen zu niedrig festgesetzten Milchpreise erlitten habe. Er stellte die Behauptung auf, daß die Verordnungen gesetzwidrig seien.
In seiner Entscheidung vom 26.4.1989, 1 Ob 1/89, führte der OHG aus, daß auch Verordnungen Amtshaftungsansprüche auslösen können, wenn sie rechtswidrig erlassen wurden. Bedürfe eine Verordnung als genereller Verwaltungsakt keine Vollziehung durch individuelle Verwaltungsakte, könne schon aus der Erlassung der Verordnung ein Schaden entstehen. Dies gelte auch für die Verordnungen des BMHGI, auf deren Rechtswidrigkeit der Kläger seine Ansprüche stütze.
Der OGH verwies auf den sich aus dem Erkenntnis des VwGH, VwSlg 10491 A, ergebenden Grundsatz, daß es bei der Ermittlung des volkswirtschaftlich gerechtfertigten Preises nicht auf die konkreten Betriebsverhältnisse, sondern auf die Gestehungskosten rationell geführter landwirtschaftlicher Betriebe in maßgeblichen Produktionsgebieten ankomme. Er führte weiters aus, daß die gesetzliche Vorgabe der im §2(1) des Landwirtschaftsgesetzes 1976 programmatisch zusammengefaßten Ziele die Auslegung der preisrechtlichen Vorschriften dahin erfordere, daß der volkswirtschaftlich gerechtfertigte Preis landwirtschaftlicher Erzeugnisse nicht nur die Gestehungskosten rationell geführter Betriebe in maßgeblichen Produktionsgebieten decke, sondern die Erzeuger auch jene Gewinne erwirtschaften lasse, die sie überhaupt erst in die Lage versetze, ihre Betriebe zu erhalten, womit sie auch - aus gesamtwirtschaftlicher Sicht - den Verbraucherinteressen gerecht werden. Die Außerbetrachtlassung angemessenen Gewinnes aus den einzelnen Produktionszweigen bei Festsetzung eines volkswirtschaftlich gerechtfertigten Preises könne überhaupt nicht Sinn des Gesetzes sein, stünde mit der Verpflichtung der Erhaltung gesunder landwirtschaftlicher Betriebe in einem funktionsfähigen ländlichen Raum in Gegenden, die überwiegend nur die Viehzucht und die Landwirtschaft ermöglichen, im Widerspruch und läge auch nicht im volkswirtschaftlichen Interesse.
Auch die Bedürfnisse kaufkraftschwacher Verbraucherschichten rechtfertige die Festsetzung eines rentabilitätsgefährdenden Erzeugerpreises nicht.
Der Ermessensspielraum bei der Festsetzung eines volkswirtschaftlich gerechtfertigten Preises finde seine Untergrenze in jenem Preis, der dem Milchproduzenten neben der Deckung der Gestehungskosten auch noch den gesamtwirtschaftlich vertretbaren Gewinn sichern kann.
Aufgrund des, im Anschluß an diese OGH-Entscheidung, vor dem Landesgericht für ZRS Wien durchgeführten Beweisverfahrens durch Vernehmung der Zeugen Dipl.Ing. A, Dr. M, Dipl.Ing. L, Dipl.Ing. W und Einsicht in die von der beklagten Partei vorgelegten Urkunden (Beilagen ./3-./13) ergibt sich eindeutig, daß im Zuge der Verfahren zur Festsetzung der jeweiligen Milchpreise seitens Preiskommission ein Unternehmergewinn nicht in das Kalkulationsmodell aufgenommen wurde.
Das LG für ZRS Wien hat demnach im Anschluß an die Ausführungen des OGH Zweifel an der Gesetzmäßigkeit der im Spruch angeführten Verordnungen. Dieser Widerspruch zwischen Gesetz und Verordnungen ist daher Anlaß für das LG für ZRS Wien den Antrag auf Aufhebung dieser Verordnungen bzw. Ausspruch, daß diese gesetzwidrig waren, zu stellen."
c) Soweit das Landesgericht auch die Aufhebung von Verordnungen des Milchwirtschaftsfonds begehrt, wird dies nach dem Hinweis auf die vom Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie seit 1982 erlassenen Milchpreisverordnungen mit folgendem Zusatz begründet (hier wird der Antrag zu V232-240/90 (21 Cg 1011/90) wiedergegeben, die übrigen Anträge sind wiederum gleichlautend):
"Gem. §3 Abs1 MarktordnungsG 1985, BGBl Nr. 210/1985, geändert durch BGBl. 578/1987 ist ab 1.7.1988 der Milchpreis vom Milchwirtschaftsfonds (§59 MOG) festzusetzen. Der Milchwirtschaftsfonds setzte solche Richtpreise mit den oben genannten Verordnungen, welche nach Ansicht des Gerichtes Rechtsverordnungen im Sinne des §139 B-VG darstellen, weil es sich um allgemein verbindliche Anordnungen handelt, fest."
2. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten hat in Äußerungen jeweils beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle die gegen Verordnungen des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie gerichteten Anträge des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien zum Teil mangels Präjudizialität zurückweisen und im übrigen die Anträge als unbegründet abweisen.
Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft und der geschäftsführende Ausschuß des Milchwirtschaftsfonds führen zu den gegen Verordnungen des geschäftsführenden Ausschusses des Milchwirtschaftsfonds gerichteten Anträgen aus, bei den vom Landesgericht bekämpften "Rundschreiben" (vorhin unter Pkt. 2. und 4. der bekämpften Verordnungen zitiert) handle es sich um Informationen über Verordnungen ohne normativen Charakter, und weisen zu den übrigen Verordnungen darauf hin, daß die darin gemäß §3 MOG festgesetzen Richtpreise nicht nach einem "volkswirtschaftlich gerechtfertigten Preis" zu bestimmen seien, sodaß diese Verordnungen insofern nicht gesetzwidrig sein könnten. Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft und der geschäftsführende Ausschuß des Milchwirtschaftsfonds beantragen daher, den Anträgen insoweit keine Folge zu geben.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit der Anträge erwogen:
1. Soweit mit den Anträgen Verordnungen des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie bekämpft werden (im folgenden "Milchpreisverordnungen" genannt):
a) Wie bereits vom antragstellenden Landesgericht erwähnt, hat der Verfassungsgerichtshof mit dem Erkenntnis VfSlg. 10313/1984 ausgesprochen, daß die vom Landesgericht bekämpfte, oben unter Pkt. 1. genannte Verordnung des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 30. April 1982 gesetzwidrig war (wobei sich dieser Ausspruch des Verfassungsgerichtshofs allerdings nur auf die §§1 und 2 dieser Verordnung erstreckte); eine gleichartige Feststellung traf der Verfassungsgerichtshof mit dem Erkenntnis VfSlg. 10820/1986 betreffend die §§1 und 2 der vom Landesgericht bekämpften, oben unter Pkt. 4. genannten Verordnung des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 30. Juli 1984. Die Beschränkung des Ausspruches der Gesetzwidrigkeit auf die §§1 und 2 der Verordnungen wurde in beiden Erkenntnissen deshalb vorgenommen, weil - wie der Verfassungsgerichtshof ausführte - die übrigen Bestimmungen der Verordnungen nicht (mehr) die Erzeugerpreise und die Abrechnung von Milch und Milchrahm mit den Erzeugern betrafen.
Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis VfSlg. 8277/1978, S. 197, ausgeführt, mit der in Rechtskraft erwachsenen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes seien die mit ihr aufgehobenen Gesetzesvorschriften für die Vergangenheit unangreifbar geworden; hieran habe die B-VG-Novelle BGBl. 302/1975 nichts geändert; es komme daher die Einleitung eines weiteren, bereits aufgehobene Gesetzesbestimmungen betreffenden Gesetzesprüfungsverfahrens nicht in Betracht.
Diese Erwägungen gelten auch für den Fall, daß nicht die Aufhebung einer rechtswidrigen generellen Norm erfolgt ist, sondern ein Ausspruch nach Art140 Abs4 B-VG (oder wie hier: nach Art139 Abs4 B-VG).
Der Antrag 52c Cg 1064/89 ist daher, soweit er sich auf die §§1 und 2 der Verordnungen des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 30. April 1982 und vom 30. Juli 1984 bezieht, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
b) Die sieben von den vorliegenden Anträgen erfaßten Milchpreisverordnungen haben in allen wesentlichen Belangen immer den gleichen Aufbau und dieselbe Gliederung. Es betreffen - wie in den Fällen der genannten Erkenntnisse VfSlg. 10313/1984 und 10820/1986 - nur die jeweiligen §§1 und 2 die Erzeugerpreise und die Abrechnung von Milch und Milchrahm mit den Erzeugern.
Es ist daher ausgeschlossen, daß das antragstellende Landesgericht die übrigen Bestimmungen der angefochtenen Verordnungen bei seiner Entscheidung über die bei ihm geltend gemachten Amtshaftungsansprüche anzuwenden hat (gegen die nicht die Erzeugerpreise betreffenden Vorschriften wurden vom Gericht im übrigen auch keine Bedenken vorgebracht), weshalb die Anträge diesbezüglich unzulässig sind (zur Prozeßvoraussetzung der Präjudizialität bei Anträgen von Gerichten nach Art139 und 140 B-VG vgl. etwa VfSlg. 10701/1985).
c) Es ist aber auch ausgeschlossen, daß das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien die (jeweiligen) §§1 und 2 der angefochtenen Verordnungen vom 30. April 1982, 1. Juli 1983 und 16. Dezember 1983 anzuwenden hat. Wie das Landesgericht in seinem Antrag 52c Cg 1064/89 ausführt, wird vom Kläger der Ersatz jenes Verlustes begehrt, den er im Zeitraum Oktober 1984 bis Februar 1987 als Milcherzeuger wegen der - seiner Auffassung nach gesetzwidrig - zu niedrig festgesetzten Milchpreise erlitten habe. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten weist in seiner Äußerung zu Recht darauf hin, daß der Beginn dieses Zeitraumes (erst) in den zeitlichen Geltungsbereich der Milchpreisverordnung vom 30. Juli 1984 fällt. Die - allfällige - Rechtswidrigkeit jener Vorschriften, deren zeitliche Geltung vor dem Oktober 1984 endete (das sind die in den Verordnungen vom 30. April 1982, 1. Juli 1983 und 16. Dezember 1983 festgelegten Milchpreise), kann daher keine Grundlage für die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche bilden.
Der Antrag 52c Cg 1064/89 ist somit auch hinsichtlich der §§1 und 2 der genannten drei Milchpreisverordnungen aus den Jahren 1982 und 1983 mangels deren Präjudizialität nicht zulässig (abgesehen davon, daß die Anfechtung der Preisbestimmungen aus der Verordnung vom 30. April 1982 auch aus den oben unter Pkt. a) angeführten Gründen unzulässig ist).
d) Hinsichtlich der jeweiligen §§1 und 2 der Verordnungen des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 30. Juli 1985, vom 26. September 1986 und vom 23. November 1987 sind die Anträge, da ihnen Prozeßhindernisse nicht entgegenstehen, zulässig.
2. Soweit mit den Anträgen Verordnungen des geschäftsführenden Ausschusses des Milchwirtschaftsfonds bekämpft werden (im folgenden "Richtpreisverordnungen" genannt):
a) §3 Abs1 Marktordnungsgesetz 1985, BGBl. 210, in der Fassung BGBl. 330/1988 (nicht BGBl. 578/1987, wie das antragstellende Landesgericht zitiert) bestimmt über den Richtpreis folgendes:
"Zur Erzielung eines möglichst einheitlichen Erzeugerpreises (Richtpreises) und zum Ausgleich von Preisunterschieden, die sich durch die Verwertung der Milch als Frischmilch oder durch ihre Verwertung nach einer Bearbeitung oder Verarbeitung ergeben, ist ein Ausgleichsbeitrag zu entrichten. Der Richtpreis ist vom Fonds durch Verordnung (§59) mit Wirkung des Beginns eines Kalendermonates, spätestens jedoch am letzten Tag dieses Kalendermonates, festzusetzen. Der Richtpreis ist jener auf Grund der Verwertungsmöglichkeiten und der sonstigen Marktverhältnisse von den Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieben überwiegend ausgezahlte Erzeugerpreis für angelieferte Milch - zumindest gegliedert nach Grundpreis, Qualität und sonstigen wertbestimmenden Merkmalen -, der auf Grund von Marktbeobachtungen des Fonds im Bundesgebiet festgestellt werden konnte. Ergeben sich im Laufe der Zeit erhebliche Änderungen des überwiegend ausgezahlten Erzeugerpreises, so ist der Richtpreis umgehend entsprechend zu ändern."
Die Festlegung des Richtpreises hat die Funktion, daß nach §14 Abs4 MOG in der genannten Fassung Milchlieferanten einen Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb frei wählen können, wenn bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen der nach der Einzugs- und Versorgungsgebietsverordnung zuständige Bearbeitungsbetrieb für die übernommene Milch nicht zumindest den Richtpreis bezahlt.
b) Nach §57 Abs1 zweiter Satz VerfGG hat ein Antrag nach Art139 Abs1 B-VG die gegen die Gesetzmäßigkeit der bekämpften Verordnung sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen; das Fehlen dieser Darlegung ist kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozeßhindernis (vgl. zB. VfSlg. 8594/1979, 9716/1983, VfGH 30.9.1985 V34,35/85).
Angesichts der vorhin wiedergebenen gesetzlichen Bestimmungen bedarf es keiner weiteren Begründung, daß Richtpreise nach §3 Marktordnungsgesetz in keiner Weise mit den nach dem Preisgesetz 1976 festgesetzen Preisen vergleichbar sind; insbesondere gilt für Richtpreise nicht, daß sie nach dem volkswirtschaftlich gerechtfertigten Preis auszurichten sind, auch gelten für ihre Festlegung nicht die im Preisgesetz 1976 und im Landwirtschaftsgesetz vorgesehenen Verfahrensbestimmungen.
Das antragstellende Landesgericht bringt gegen die Gesetzmäßigkeit der Richtpreisverordnungen keine aus deren gesetzlicher Grundlage abgeleitete Bedenken vor, sondern überträgt völlig unbesehen die vom Obersten Gerichtshof in der vom Landesgericht zitierten Entscheidung aus dem Preisgesetz gegen die Gesetzmäßigkeit der Milchpreisverordnungen abgeleiteten Bedenken auf die Richtpreisverordnungen.
Damit fehlt es aber an der ins einzelne gehenden Darlegung der gegen die Gesetzmäßigkeit der Richtpreisverordnungen sprechenden Bedenken. Soweit sich die Anträge dagegen richten, sind sie daher als unzulässig zurückzuweisen, ohne daß weiter auf die Frage eingegangen werden mußte, ob allen vom antragstellenden Landesgericht bekämpften Verlautbarungen des Milchwirtschaftsfonds überhaupt Verordnungscharakter zukommt.
III. In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:
Einleitend ist darauf hinzuweisen, daß der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie (jetzt: für wirtschaftliche Angelegenheiten) nach den Bestimmungen der §§1a Abs1 und 2 iVm §8 Abs2 des Preisgesetzes 1976 ermächtigt ist, im Einvernehmen mit den Bundesministern für Land- und Forstwirtschaft und für Finanzen unter anderem für Kuhmilch volkswirtschaftlich gerechtfertigte Preise zu bestimmen. Dies geschah (unter anderem) mit den hier in Rede stehenden Milchpreisverordnungen.
1. In der Sache ist vorerst festzuhalten, daß der Verfassungsgerichtshof ebenso wie das antragstellende Landesgericht davon ausgeht, daß eine Preisbestimmung für ein bestimmtes Produkt nach §2 Preisgesetz sich grundsätzlich an den für das bestimmte Produkt auflaufenden Kosten (deren Berücksichtigung und Berechnungsmethoden entgegen der Auffassung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten im einzelnen nicht Gegenstand dieses Verfahrens sind), aber auch an einem auf dieses Produkt bezughabenden, volkswirtschaftlich gerechtfertigten Gewinn (ausschließlich diese Frage ist Gegenstand der Anfechtung, der Verfassungsgerichtshof hat lediglich zu prüfen, ob die behauptete Gesetzwidrigkeit vorliegt, vgl. zB VfSlg. 9089/1981) zu orientieren hat.
Um Wiederholungen zu vermeiden genügt es, auf die im Antrag des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien ausführlich wiedergegebene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes, insbesondere das Erkenntnis VwSlg. 10491A/1981 und die dort zitierten Literaturstellen, zu verweisen. Der Verfassungsgerichtshof schließt sich - auch angesichts seiner Judikatur zur Erwerbsausübungsfreiheit nach Art6 StGG, insbesondere zur Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in diesem Bereich (vgl. zB VfGH 15. Juni 1990, G56/89) - den Erwägungen der beiden anderen Höchstgerichte an.
2. Der Verfassungsgerichtshof kann jedoch im Ergebnis die Auffassung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien nicht teilen, daß die angefochtenen Verordnungsbestimmungen (schon) deswegen nicht in Einklang mit §2 Preisgesetz 1976 stünden, weil "im Zuge der Verfahren zur Feststellung der jeweiligen Milchpreise seitens Preiskommission ein Unternehmergewinn nicht in das Kalkulationsmodell aufgenommen wurde".
Es trifft zwar zu, daß die vom antragstellenden Gericht als Zeugen vernommenen Mitglieder der Preiskommission übereinstimmend ausgeführt haben, daß in die Kalkulationen dieser Kommission bei Milchpreisen bisher nie "explizit" ein unternehmerischer Gewinn aufgenommen worden ist. Daß aber in den bekämpften Milchpreisen überhaupt keine Gewinnelemente enthalten waren, behauptet weder das antragstellende Landesgericht (welches lediglich das Unterlassen der Aufnahme eines Unternehmergewinnes "in das Kalkulationsmodell" beanstandet) noch die Zeugen im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Aus den Zeugenaussagen und den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich im allgemeinen, daß der Verordnungsgeber seinen Annahmen die Verhältnisse eines hypothetischen milcherzeugenden Betriebes, also eines rationell geführten, typischen Durchschnittsbetriebes im Sinn des Erkenntnisses VwSlg. 10491 A/1981 zu Grund gelegt hat. Die Zeugen haben übereinstimmend bekundet, daß in den kalkulatorischen Grundlagen der Preiskommission Ansätze und gewisse Positionen vorhanden waren, die als Gewinn für den Milchproduzenten angesehen wurden. So sei im Kalkulationsmodell angenommen worden, daß es sich bei der der Haltung der Milchkühe dienenden landwirtschaftlichen Fläche nicht um Eigengrund, sondern um Pachtgrund handle, und es seien die entsprechenden Pachtzinse in das Kalkulationsmodell aufgenommen worden (Zeuge Dipl.Ing. A); kalkulatorische Abschreibungen sowie Versicherungsprämien eines hypothetischen Betriebes seien einkalkuliert worden (Dipl.Ing. A); ebenso sei ein Mischzinssatz für Eigenkapital und Fremdfinanzierung aufgenommen worden, woraus vorwiegend eigenfinanzierte Betriebe Vorteile gezogen hätten (Dipl.Ing. A, Dr. M, Dipl.Ing. L); weiters seien Lohnkosten und Lohnnebenkosten für (fiktive) Fremdarbeitskräfte berücksichtigt worden, obwohl ca. 95 % der milcherzeugenden Betriebe keine Fremdarbeitskräfte hätten (Zeugen Dipl.Ing. A, Dr. M, Dipl.Ing. L).
Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, der auch die Verwaltungsakten mit den entsprechenden Kalkulationsmodellen vorgelegt hat, weist in seiner Äußerung unwidersprochen darauf hin, daß der für die Berechnung der Zinsen jeweils angewandte Zinssatz mit Rücksicht darauf, daß der Fremdkapitalanteil in der Landwirtschaft gering und der Zinssatz für Fremdkapital aufgrund der stark verbilligten agrarischen Investitionskredite niedrig sei, zweifellos als großzügig bemessen zu bezeichnen sei, sodaß es sich bei den Zinsen überwiegend um "Opportunitätskosten" und somit um eine Gewinnkomponente handle. Weiters sei der kalkulatorische Ansatz "Zinsanspruch des Bodens" ein reiner Gewinnbestandteil und schließlich enthalte auch die in der Kalkulation vorgenommene Abschreibung dadurch eine beträchtliche Gewinnkomponente, daß sie von einem erheblich über dem Anschaffungswert liegenden Wert erfolgt sei.
Zusammenfassend zeigt sich also, daß der Verordnungsgeber bei Festsetzung der hier in Rede stehenden Milchpreise von Kosten ausgegangen ist, die für wirtschaftlich nicht günstig strukturierte Betriebe gegeben sind, was bei besser strukturierten und rationeller geführten Betrieben einen entsprechenden Gewinn zur Folge hat. Es mag durchaus sein, daß dieser Gewinn nicht gerade hoch kalkuliert war. In diesem Zusammenhang darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, daß ein "volkswirtschaftlich gerechtfertigter" Preis (im Sinne des zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes VwSlg. 10491A/1981) hier keinen Gewinn im üblichen Ausmaß enthalten muß, weil die Milchmarktregelung dem Erzeuger die Abnahme des Produktes garantiert und insofern das unternehmerische Risiko wesentlich reduziert ist.
3. Da die vom antragstellenden Landesgericht geltend gemachte Gesetzwidrigkeit somit nicht vorliegt, ist den Anträgen - soweit sie zulässig sind - nicht Folge zu geben.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Sachentscheidung Wirkung, res iudicata, Rechtskraft, VfGH / Formerfordernisse, Preisrecht, PreisbestimmungsG, Marktordnung, Erwerbsausübungsfreiheit, volkswirtschaftlich gerechtfertigter Preis, Milchpreis, VfGH / Präjudizialität, Geltungsbereich (zeitlicher) einer VerordnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:V204.1990Dokumentnummer
JFT_10098797_90V00204_00