Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte Dr. Weiss, DDr. Jakusch, Dr. Gruber und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde
1.) des SH in E, 2.) der MH in K und 3.) des IH in K, alle vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 8. September 1992, Zl. 308.342/2-III/3/92, betreffend Verfahren gemäß § 77 GewO 1973 (mitbeteiligte Partei: K in E, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in K), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 11.520,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck/Mur vom 23. Juni 1986 wurde der mitbeteiligten Partei gemäß §§ 74 und 77 i.V.m. § 359 Abs. 1 GewO 1973 und im Zusammenhalt mit § 27 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung und Einrichtung eines Gewehr- und Pistolenschießstandes (Schießanlage) auf einem näher bezeichneten Grundstück in der Gemeinde B unter Zugrundelegung der im Spruch dieses Bescheides enthaltenen Betriebsbeschreibung und unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen erteilt.
Aus Anlaß der Berufungen u.a. der mitbeteiligten Partei und der Beschwerdeführer behob der Landeshauptmann von Steiermark mit Bescheid vom 10. März 1992 diesen Bescheid und wies den Antrag der mitbeteiligten Partei vom 23. Februar 1979 auf Errichtung eines Gewehr- und Pistolenschießstandes mit einer Schußlänge von 200 m gegenüber ihrem Wohnhaus ab.
In der Begründung dieses Bescheides legte der Landeshauptmann dar, die Beschwerdeführer hätten im Zuge des Berufungsverfahrens ihr Projekt modifiziert. Wenn man das ursprüngliche Ansuchen dem geänderten Projekt gegenüberstelle, so ergebe sich, daß dieses nur, wenn überhaupt, unter Vorschreibung von Auflagen genehmigungsfähig sei, die das Ursprungsansuchen in seinem Wesen berührten. Solche Auflagen seien aber unzulässig.
Mit dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren angefochtenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 8. September 1992 wurde der Berufung der mitbeteiligten Partei "gemäß § 66 Abs. 4 AVG" Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Zur Begründung führte der Bundesminister aus, mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck/Mur vom 7. August 1980 sei die gewerbebehördliche Genehmigung für die gegenständliche Betriebsanlage unter Vorschreibung von Auflagen erteilt worden. Auf Grund übergangener Nachbarn sei das Ermittlungsverfahren in erster Instanz unter Beiziehung dieser Nachbarn zu wiederholen gewesen. Es sei sodann mit Bescheid vom 23. Juni 1986 seitens der Bezirkshauptmannschaft Bruck/Mur neuerlich die gewerbebehördliche Genehmigung für den gegenständlichen Schießstand erteilt worden. Dagegen hätten u.a. die Beschwerdeführer sowie die mitbeteiligte Partei Berufung erhoben. Die Gewerbebehörde zweiter Instanz habe zunächst ein umfangreiches ergänzendes Ermittlungsverfahren, insbesondere in immissionstechnischer Hinsicht zu den vorliegenden Berufungen durchgeführt. Nach Inkrafttreten der Gewerberechtsnovelle 1988 sei sodann eine Stellungnahme der für die Raumordnung zuständigen Rechtsabteilung eingeholt worden und sodann mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 31. Juli 1989 der Antrag des Beschwerdeführers auf gewerbebehördliche Genehmigung eines Gewehr- und Pistolenschießstandes mit der Begründung abgewiesen worden, diese Betriebsanlage stehe im Widerspruch zum geltenden Flächenwidmungsplan. Die von der mitbeteiligten Partei dagegen erhobene Berufung sei vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Bescheid vom 6. Februar 1990 abgewiesen worden. Der Verwaltungsgerichtshof habe in der Folge mit Erkenntnis vom 27. November 1990, Zl. 90/04/0132, über Beschwerde der nunmehr mitbeteiligten Partei diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. In Befolgung der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes sei in der Folge mit Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 19. Juni 1991 der Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 31. Juli 1989 behoben worden. Der Landeshauptmann habe sodann eine Verhandlung durchgeführt und im nachfolgenden Bescheid vom 10. März 1992 aus den Äußerungen der Vertreter und Berater der mitbeteiligten Partei den Schluß gezogen, es sei eine wesentliche Änderung des verfahrensgegenständlichen Projektes geplant, weshalb der Genehmigungsantrag der mitbeteiligten Partei abgewiesen worden sei. Dies sei damit begründet worden, eine wesentliche Änderung des Ansuchens im Instanzenzug sei nicht möglich, sondern es müßte ein solches geändertes Ansuchen bei der Behörde erster Instanz eingebracht werden, welche darüber ein eigenes Verfahren abzuführen habe.
Auch gegen diesen Bescheid habe die mitbeteiligte Partei Berufung erhoben. Die belangte Behörde habe daraufhin die mitbeteiligte Partei aufgefordert, bekanntzugeben, ob sie das Genehmigungsansuchen vom 23. Februar 1979 unverändert aufrecht erhalte, was von dieser bejaht worden sei. Damit fehle für den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 10. März 1992 jegliche Sach- und Rechtsgrundlage, sodaß dieser zu beheben gewesen sei. Aus verfahrensökonomischen Gründen werde jedoch darauf hingewiesen, daß nach der neuesten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes "übergangenen Nachbarn" eine Antragslegitimation auf Wiederholung eines Genehmigungsverfahrens der Behörde erster Instanz, das bereits formell rechtskräftig abgeschlossen sei, nicht zukomme.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen. Die mitbeteiligte Partei erstattete ebenfalls eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachten sich die Beschwerdeführer nach ihrem gesamten Vorbringen in den aus der Gewerbeordnung 1973 erfließenden Nachbarrechten verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes tragen die Beschwerdeführer vor, die belangte Behörde spreche im angefochtenen Bescheid nichts über die aus ihrem Bescheid erwachsenden Konsequenzen, "nämlich hinsichtlich der mit dem Bescheid der BH Bruck/Mur vom 23.6.1986 vorgeschriebenen Auflagen" aus. Gerade deswegen sei aber das Ermittlungsverfahren von der zweiten Instanz wieder aufgenommen worden. Der im Zuge dieses Ermittlungsverfahrens beigezogene gewerbetechnische Amtssachverständige und der Landeshygieniker hätten vorgebracht, der Schießplatz sei niemals einer akustischen Planung und Berechnung seitens der mitbeteiligten Partei zugeführt worden und die angebrachten Verbesserungen, Schalldämmaßnahmen, Teileinhausungen etc. seien nicht geeignet, Lärmimmissionen hinsichtlich der Nachbarschaft zu verhindern. Diese seien momentan auf Grund der Echowirkung aber als zu hoch zu bezeichnen, weshalb Verbesserungsmaßnahmen in jedem Fall erforderlich seien. Insofern hätte sich die belangte Behörde, nachdem sie nun von einem unveränderten Bewilligungsansuchen ausgegangen sei, mit diesen Ergebnissen auseinandersetzen müssen. Darüber hinaus hätte die belangte Behörde im Hinblick auf die bestehende Gesundheitsgefährdung auch nach § 68 Abs. 3 AVG vorgehen müssen. Schließlich ergebe sich die Rechtswidrigkeit des Bescheides auch daraus, daß zum Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde die Betriebsliegenschaft im Flächenwidmungsplan als Freiland ohne besondere Nutzung ausgewiesen gewesen sei und dies noch immer sei. Nach dem Stmk. Raumordnungsgesetz dürften im Freiland jedoch nur solche Bauten und Anlagen errichtet werden, die für eine bestimmungsmäßige Nutzung erforderlich seien. Es wäre daher die Aufnahme des Schießplatzes in den Flächenwidmungsplan erforderlich gewesen, was aber vom Gemeinderat der Gemeinde B auf Grund der festgestellten Gesundheitsgefährdung abgelehnt worden sei.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich zunächst im Hinblick auf den aus dem Beschwerdevorbringen erkennbaren Beschwerdepunkt entgegen dem Antrag der belangten Behörde in der Gegenschrift nicht veranlaßt, die Beschwerde mangels Rechtsverletzungsmöglichkeit zurückzuweisen, da die Beschwerdeführer, wie im folgenden darzulegen sein wird, durch den angefochtenen Bescheid in diesem Beschwerdepunkt sehr wohl verletzt werden können.
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.
Dies bedeutet, daß in einem Fall wie dem vorliegenden, wo die Berufungsbehörde den unterinstanzlichen Bescheid unter ausdrücklicher Berufung auf die Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG (ersatzlos) behebt, diese Entscheidung - anders als im Falle einer Behebung nach § 66 Abs. 2 leg. cit. - insofern endgültig ist, als die Unterbehörde über den Gegenstand nicht mehr neuerlich entscheiden darf.
Wie sich aus der eingangs gegebenen Darstellung des Verfahrensganges ergibt, hat der Landeshauptmann von Steiermark mit seinem Bescheid vom 10. März 1992 nicht etwa nur das Begehren der Beschwerdeführer auf Genehmigung des im Berufungsverfahren modifzierten Projektes, sondern auch das "Ursprungsansuchen" abgewiesen. Die ersatzlose Behebung dieses Bescheides gemäß § 66 Abs. 4 AVG durch die belangte Behörde hätte daher zur Folge, daß die gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 23. Juni 1986 erhobenen Berufungen u.a. auch der Beschwerdeführer unerledigt blieben und damit den Beschwerdeführern das mit ihren Berufungen angestrebte Rechtsschutzziel der Gewährung der aus der Gewerbeordnung 1973 erfließenden Nachbarrechte verweigert bliebe.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Aus Gründen der Verfahrensökonomie verweist der Verwaltungsgerichtshof zu der von der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides aufgeworfenen Frage der Rechtsstellung "übergangener Nachbarn" auf die Übergangsbestimmung des Art. VI Abs. 4 der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399, wonach u.a. die Bestimmung des § 356 Abs. 3 GewO 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988 auf im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Novelle (1. Jänner 1989) noch nicht abgeschlossene Verfahren nur anzuwenden ist, wenn in diesem Zeitpunkt noch keine Augenscheinsverhandlung anberaumt und den Nachbarn bekanntgegeben worden ist. Ist somit in einem mit "übergangenen Nachbarn" eingeleiteten Verfahren am 1. Jänner 1989 bereits eine Augenscheinsverhandlung anberaumt und den Nachbarn bekanntgegeben gewesen, so ist auch zur Frage der Stellung der "übergangenen Nachbarn" von der im hg. Erkenntnis vom 30. September 1983, Slg. N. F. Nr. 11.169/A, dargestellten Rechtslage vor der Gewerberechtsnovelle 1988 auszugehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. November 1989, Zl. 89/04/0047).
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Stempelgebührenaufwand betreffende Mehrbegehren war abzuweisen, da die Vorlage von Sachverständigengutachten über die von der in Rede stehenden Betriebsanlage ausgehenden Lärmemissionen für das verwaltungsgerichtliche Verfahren nicht erforderlich war.
Schlagworte
Gewerberecht Nachbar übergangener Inhalt der Berufungsentscheidung Kassation Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Rechtsnatur und Rechtswirkung der Berufungsentscheidung Zurückweisung wegen entschiedener Sache Übergangene ParteiEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1993:1992040263.X00Im RIS seit
11.07.2001